Das Verkehrslexikon

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Tatmehrheit oder Tateinheit bei Lenkzeitverstößen

Tatmehrheit oder Tateinheit bei Lenkzeitverstößen




Gliederung:


- Einleitung
- Allgemeines

Einleitung:


Oftmals kommt es vor, dass ein Verkehrsteilnehmer durch eine äußerlich einheitliche Handlung gleichzeitig mehrere Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände verwirklicht. So kann beispielsweise ein Kfz-Führer alkoholisiert einen Verkehrsunfall verursachen, ohne im Besitz de erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein, wobei auch das von ihm geführte Fahrzeug nicht versichert war. Oder ein Kfz-Führer telefoniert im Auto mit dem Handy ohne Freisprecheinrichtung und fährt dabei gleichzeitig zu schnell.


Liegen in solchen Fällen die Voraussetzungen der sog. Tateinheit vor, dann erfolgt lediglich eine einzige Ahndung nach der strengsten Sanktionsnorm. Muss man hingegen davon ausgehen, dass die Handlung in mehrere selbständige Taten "zerfällt", dann liegt sog. Tatmehrheit vor und eine Bestrafung erfolgt für jede Tat gesondert. Entfernt sich beispielsweise im oben genannten Beispiel der alkoholisierte Fahrzeugführer nach dem Unfall unerlaubt vom Unfallort, dann liegt eine weitere Trunkenheitsfahrt (in Tatmehrheit zur vorangegangenen) vor, die in Tateinheit mit der Unfallflucht steht. Es erfolgt also eine Bestrafung wegen zweier selbständiger Handlungen (Straßenverkehrsgefährdung in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und Führen eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeugs einerseits und Trunkenheitsfahrt in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und Fahren ohne Fahrerlaubnis und Führen eines nichtversicherten Fahrzeugs andererseits). Es wird dann eine sog. Gesamtstrafe verhängt, wobei die Einzeleinsatzstrafen für die beiden tatmehrheitlichen Handlungskomplexe mit einem gewissen "Mengenrabatt" versehen werden.

Wann jeweils Tateinheit oder Tatmehrheit anzunehmen ist, ist in der Theorie oftmals sehr umstritten.

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Allgemeines:


Fahrpersonal im Straßenverkehr - Lenkzeiten - Ruhezeiten - EG-Kontrollgerät

Fuhrparküberwachung




OLG Hamm v. 10.05.2007:
Fahrlässige Verstöße gegen die Geschwindigkeitsbegrenzung, die Anschnallpflicht und die Pflicht zur Vorlage des Nachweises über lenkfreie Zeiten sind als rechtliche Handlungseinheit anzusehen, die zur Annahme von Tateinheit gemäß § 19 Abs. 1 OWiG führt. Der Verstoß gegen das Anlegen eines Sicherheitsgurtes bildet als Dauerordnungswidrigkeit während der Fahrt ein Bindeglied zu den weiteren Verstößen. Die vom Betroffenen begangenen Gesetzesverstöße stehen auch in einem inneren, sowie zeitlich und örtlichen Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang. Sie wurden bei ein und derselben Fahrt begangenen bzw. sind durch diese hervorgerufen worden.

OLG Frankfurt am Main v. 13.07.2010:
Bei der Betrachtung von Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeitenregelung sind zunächst unter Beachtung des Verbots der Doppelbestrafung alle Doppelwochenverstöße zu ermitteln, wobei bei dem genannten Tatzeitraum maximal 2 Doppelwochenverstöße denkbar sind, die zueinander in Tatmehrheit stehen. Ist es innerhalb der Doppelwochenverstöße zusätzlich zu Wochenverstößen und/oder Tagesverstößen gekommen, stehen diese mit dem jeweiligen Doppelwochenverstoß in Tateinheit. Kommt es zu keinen Doppelwochenverstößen, sind Verstöße der Wochengrenze zu prüfen. Dabei stehen selbständige Wochenverstöße untereinander in Tatmehrheit. Innerhalb der Wochenverstöße stehen eventuelle Tagesverstöße zum Wochenverstoß in Tateinheit. Entsprechend gilt, wenn kein Wochenverstoß gegeben ist, Tatmehrheit für selbständige Tagesverstöße untereinander. Kommt es nur zu einem Doppelwochenverstoß, stehen einzelne Wochenverstöße, die nicht von dieser Doppelwoche (mit)erfasst werden, in Tatmehrheit. Entsprechendes gilt für Tagesverstöße, die nicht von Doppelwochen und Wochenverstößen (mit)erfasst sind.

OLG Düsseldorf v. 12.11.2010:
Schon nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 1 S. 1 FPersV müssen nachweispflichtige Fahrer, die einen der in Nrn. 1 bis 4 genannten Tatbestände "an einem oder mehreren der vorausgegangenen 28 Kalendertage" erfüllt haben, eine entsprechende Bescheinigung des Unternehmers vorlegen. Der Verstoß gegen diese Vorschrift schließt damit schon tatbestandlich den Fall ein, dass die Bescheinigung für mehr als einen Tag nicht präsentiert werden kann. Unabhängig von der Zahl der betroffenen Tage kann sie bei derselben Kontrolle daher nur einmal verletzt werden.

OLG Oldenburg v. 25.01.2011:
In Fällen, in denen die durch die Verordnung vorgeschriebene Fahrtunterbrechung nur verspätet eingelegt wird, ohne dass dies mit einer Unterschreitung der vorgesehenen Dauer von 45 Minuten einherginge, ist für die Feststellung zweier tateinheitlich begangener Verstöße gegen die Bußgeldvorschrift des § 8 a Abs. 2 Ziff. 1 Fahrpersonalgesetz kein Raum. Die Vorschriften enthalten keine Differenzierung zwischen einem ausschließlich auf die Verkürzung der Unterbrechungsdauer sowie einem lediglich auf die Verspätung der Unterbrechung abzielenden Tatbestand.

OLG Zweibrücken v. 23.05.2011:
Sind zwei Geldbußen für tateinheitlich begangene Ordnungswidrigkeiten (hier: fahrlässige Überschreitung der Tageslenkzeit in Tateinheit mit fahrlässiger Verkürzung der Tagesruhezeit durch einen Lkw-Fahrer) verwirkt, so ist es rechtsfehlerhaft, eine Verurteilung zu nur einer Geldbuße auszusprechen, die sich aus den beiden verwirkten Geldbußen zusammensetzt.

OLG Hamm v. 16.04.2012:
Innerhalb eines Doppelwochenverstoßes begangene selbständige Tages- oder Wochenverstöße gegen die Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten stehen zueinander in Tateinheit im Sinne von § 19 OWiG.

OLG Koblenz v. 29.10.2012:
Vorlagefrage an den BGH: Ist es mit §§ 46 OWiG, 264 StPO zu vereinbaren, wenn in Bußgeldsachen, die Verstöße gegen die Sozialvorschriften im Straßenverkehr zum Gegenstand haben, ohne Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mehrere rechtlich selbständige Handlungen im Sinne des § 20 OWiG allein deshalb als eine prozessuale Tat angesehen werden, weil der Betroffene sie innerhalb eines als Kontroll- oder Überprüfungszeitraum bezeichneten Tatzeitraumes begangen hat?

OLG Koblenz v. 18.12.2012:
Eine natürliche Handlungseinheit setzt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen mehreren ahndungsrechtlich erheblichen Verhaltensweisen in einem einheitlichen Handlungsablauf voraus, der das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitlich zusammengefasstes Tun kenntlich macht.



BGH v. 12.09.2013:

1.  Liegen dem Betroffenen Verstöße gegen die VO (EG) Nr. 561/2006 zur Last, muss sich bei Fehlen eines Geständnisses aus den Urteilsgründen ergeben, dass die verfahrensgegenständlichen Beförderungsfahrten innerhalb des sich aus Art. 2 Abs. 2 VO (EG) Nr. 561/2006 ergebenden Geltungsbereichs der Bestimmungen begangen wurden (u.a. Anschluss an BayObLG München, 19. August 1997, 4St RR 164/97, BayObLGSt 1997, 119 ff = NStZ-RR 1998, 56 f. und BayObLG München, 26. Juni 1996, 3 ObOWi 58/96, BayObLGSt 1996, 81 ff. = wistra 1996, 356 f. = NStZ-RR 1997, 20 f. = VRS 92 [1997], 238 ff.).

2.  Der Vorwurf, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, knüpft an ein (echtes) Unterlassen an, weshalb regelmäßig von nur einem einheitlichen Verstoß auszugehen und nur eine einzige Geldbuße festzusetzen ist (u.a. Anschluss an OLG Düsseldorf, 21. Dezember 2007, IV-2 Ss (OWi) 83/07 - (OWi) 64/07 III, NJW 2008, 930 ff. = StraFo 2008, 164 f. = VRS 114 [2008], 41 ff. = OLGSt FPersG § 8 Nr. 2 und BayObLG München, 26. Juni 1996, 3 ObOWi 58/96, BayObLGSt 1996, 81 ff. = wistra 1996, 356 f. = NStZ-RR 1997, 20 f. = VRS 92 [1997], 238 ff.).

3.  Liegt dem Betroffenen zur Last, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern und/oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, wird allein durch einen zwischenzeitlichen Wechsel der Schuldform bei ununterbrochener Aufrechterhaltung des bußgeldbewehrten Verhaltens die Einheitlichkeit der Tat nicht unterbrochen (u.a. Anschluss an BayObLG München, 27. Februar 1980, RReg 2 St 53/80, BayObLGSt 1980, 13 ff. = VRS 59 [1980], 195 ff. = DAR 1980, 279 f. = MDR 1980, 867 f. = VerkMitt. 1980, Nr. 109; BayObLG München, Beschluss vom 29.04.1982, 2 Ob OWi 53/82 = MDR 1982, 781 = VRS 63 [1982], 221 f.; OLG Koblenz, 23. April 2001, 1 Ss 29/01, VRS 102 [2002], 291 ff.).

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