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BGH Urteil vom 06.03.1986 -4 StR 48/86 - Keine individuelle Alkoholelimination bei Hinweisen auf Besonderheiten des Alkoholkonsums

BGH v. 06.03.1986: Zur Berechnung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit bei fehlender Blutprobe




Der BGH (Urteil vom 06.03.1986 -4 StR 48/86) hat entschieden:

   Zur Berechnung des Blutalkoholgehalts zur Tatzeit bei fehlender Blutprobe.

Siehe auch
Rückrechnung / Hochrechnung der alkoholischen Beeinflussung aus der BAK oder aus Trinkmengen
und
Stichwörter zum Thema Alkohol

Aus den Entscheidungsgründen:


"... Dem Angeklagten ist nach der Tat keine Blutprobe entnommen worden. Die Strafkammer ist seinen Angaben zum Alkoholkonsum gefolgt, wonach er in der Nacht zum Tattag zwischen 18 Uhr und 3 Uhr bis zu 25 Gläser Bier zu je 0,2 l, am Vormittag des Tattages zwischen 9 Uhr und 11 Uhr zehn Flaschen Bier zu je 0,33 l, am Nachmittag zwischen 14,45 Uhr und 17 Uhr weitere sechs Flaschen Bier gleicher Größe und am Abend bis etwa 21 Uhr noch drei Gläser Bier zu je 0,3 l getrunken hat. Mit dem Sachverständigen ist sie im Hinblick "auf die Alkoholgewöhnung und die daraus resultierende körperliche Konstitution des Angeklagten" davon ausgegangen, dass bei Trinkbeginn um 9 Uhr des Tattages der in der Nacht zuvor genossene Alkohol von bis zu 200 gr. voll abgebaut gewesen sei. Die im Laufe des Tattages getrunkene Alkoholmenge von 256 gr. hätte zwar - auf einmal getrunken - eine Blutalkoholkonzentration von 5 %o ergeben, "jedoch habe der alkoholgewöhnte Angeklagte die behauptete Biermenge mit den behaupteten zeitlichen Trinkpausen innerhalb der behaupteten Zeitspannen während des gesamten Tages getrunken, weshalb von einem individuellen Abbauwert von 0,2 %o je Stunde (= 10 gr. Alkohol je Stunde) ausgegangen werden" könne. Zur Tatzeit um 22 Uhr seien maximal 126 gr. Alkohol wirksam gewesen, was einer Blutalkoholkonzentration von allenfalls 2,5 %o zur Tatzeit entspreche. Diesen Wert hat die Strafkammer ihrer Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zugrunde gelegt und eine alkoholbedingt erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit verneint.

b) Zutreffend ist das Landgericht zunächst bei der Prüfung der Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vom Ausmaß der Alkoholisierung des Angeklagten zur Tatzeit ausgegangen (vgl. BGH NStZ 1984, 408). In nicht zu beanstandender Weise hat es die nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu dessen Gunsten nicht ausschließbaren Höchstmengen des vor der Tatausführung genossenen Alkohols bestimmt. Die darauf aufbauende Berechnung der Tatzeit-Blutalkoholkonzentration nach der sogenannten Widmark-Formel (vgl. Hentschel/Born, Trunkenheit im Straßenverkehr, 3. Aufl. Rdn. 105) enthält jedoch Faktoren, die der näheren Begründung bedürfen.

aa) Erkennbar hat die Strafkammer der Sachkunde des von ihr gehörten ärztlichen Sachverständigen auf dem Gebiet der Alkoholberechnung vertraut und dessen Ausführungen dazu übernommen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden (BGHSt 7, 238, 239). Der Tatrichter darf sich mangels hinreichender eigener Kenntnisse auf den für die Urteilsfindung maßgeblichen Wissensgebieten darauf beschränken, sich der Beurteilung von Sachverständigen hinsichtlich der einschlägigen Fachfragen anzuschließen. Doch ist er dann verpflichtet, die wesentlichen Grundlagen anzugeben, an die die Schlussfolgerungen des Gutachtens anknüpfen, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen (BGHSt 12, 311, 314/315; Hürxthal in KK § 261 StPO Rdn. 32 m. Nachw.).

Das Landgericht hat seinen Überlegungen eine Tatzeit- Blutalkoholkonzentration von "allenfalls" 2,5 %o zugrunde gelegt. Schon dieser Alkoholisierungsgrad legt in der Regel eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit nahe (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1986 - 4 StR 27/86), im "Bereich von 3 %o" kann sie regelmäßig nicht ausgeschlossen werden (BGH NStZ 1986, 114). Es genügt deshalb nicht, allgemein auf die - im Zusammenhang mit der Alkoholgewöhnung zudem nicht recht verständliche - "körperliche Konstitution" des Angeklagten hinzuweisen, ohne auf die sich daraus ergebenden Besonderheiten hinsichtlich der für die Berechnung maßgeblichen Faktoren Körpergewicht und Verteilungsfaktor (Schütz, Alkohol im Blut, 1983, S. 59) einzugehen. Das gilt insbesondere dann, wenn den auf diese Weise getroffenen Feststellungen entscheidende Bedeutung zukommt. Im vorliegenden Verfahren können sich selbst kleinere Änderungen der Berechnungsfaktoren so auf die Höhe der ermittelten Tatzeit-Blutalkoholkonzentration auswirken, dass die tatrichterliche Überzeugungsbildung von der (vollen) Schuldfähigkeit des Angeklagten davon beeinflusst wird.

bb) Darüber hinaus entbehrt die angenommene Höhe des Rückrechnungsfaktors hinreichender wissenschaftlicher Grundlage. Die Strafkammer ist mit Rücksicht auf die Alkoholgewöhnung und das Trinkverhalten des Angeklagten von einem "individuellen" Abbauwert von 0,2 %o pro Stunde ausgegangen und hat damit über Zeiträume von 15 Stunden und 12 Stunden zurückgerechnet. Sie hat ihren Berechnungen den nach neueren medizinisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gesicherten m a x i m a l e n Rückrechnungswert für zwei Stunden übersteigende Zeiträume (BGH VRS 69, 431/432; Gerchow/ Heifer/Schewe/Schwerd/Zink, Die Berechnung der maximalen Blutalkoholkonzentration und ihr Beweiswert für die Beurteilung der Schuldfähigkeit, in Blutalkohol 1985, 77, 89) zugrunde gelegt. Das ist rechtsfehlerhaft.

Für die Beurteilung der alkoholbedingten Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten kommt es auf die zu seinen Gunsten nicht ausschließbare höchstmögliche Alkoholisierung zur Tatzeit an, bei der Berechnung aufgrund der genossenen Alkoholmenge also auf den ihm günstigsten minimalen Rückrechnungswert von 0,1 Promille. Weder der Hinweis auf einen individuellen Abbauwert, noch die festgestellte Alkoholgewöhnung des Angeklagten und das kontinuierliche Trinken über längere Zeiträume sind geeignet, zu Lasten des Angeklagten eine erhöhte Alkoholelimination zu begründen.

cc) Ein "individueller" Abbauwert lässt sich aus ärztlicher Sicht nachträglich nicht ermitteln (BGH NStZ 1986, 114; Gerchow u.A. Blutalkohol 1985, 77, 78/79). Die Alkoholgewöhnung hat keinen Einfluss auf den Alkoholabbau; der Alkoholgewöhnte lernt allenfalls den bekannten Leistungsanforderungen besser zu genügen (Elbel/Schleyer, Blutalkohol, 2. Aufl. S. 91/92; Prokop/Göhler, Forensische Medizin, 3. Aufl. S. 354/355), ohne dass damit etwas über sein Hemmungsvermögen ausgesagt ist. Hinsichtlich des Trinkverhaltens ist nach den heute maßgeblichen forensisch-medizinischen Erkenntnissen zwar davon auszugehen, dass hohe Konzentrationen Einfluss auf die Alkoholausscheidung haben; doch wird die Hauptmenge des aufgenommenen Alkohols, nämlich 90 % bis 95 % (Schwerd, Alkohol und Verkehrssicherheit, in Rechtsmedizin, 3. Aufl. S. 119, 129), durch konzentrationsunabhängige Verbrennung aus dem Blut eliminiert (Grüner, Schädigung durch Alkohol und alkoholähnliche Körper unter besonderer Berücksichtigung des Straßenverkehrs, in Mueller, Gerichtliche Medizin, Bd. 2, 2. Aufl. S. 989, 1014; Gerchow/Heberle, Alkohol - Alkoholismus - Lexikon, Elimination von Alkohol, S. 59). Gesicherte Erkenntnisse über die Ursachen der in der medizinischen Literatur beschriebenen vorübergehenden schnelleren Ausscheidung bei höheren Alkoholkonzentrationen (vgl. Langelüddeke/ Bresser, Gerichtliche Psychiatrie, 4. Aufl. S. 291/292) gibt es nicht; auch die Frage einer Proportionalität ist bisher ungeklärt (Prokop/Göhler, aaO S. 344). ..."

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