Das Verkehrslexikon

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Bundesarbeitsgericht Urteil vom 16.03.1995 - 8 AZR 260/94 - Zum Ersatz der Verteidigungskosten wegen Verkehrsverstoß durch den Arbeitgeber

BAG v. 16.03.1995: Zum Ersatz der Verteidigungskosten wegen Verkehrsverstoß durch den Arbeitgeber




Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 16.03.1995 - 8 AZR 260/94) hat entschieden:

1.  Verursacht ein Berufskraftfahrer in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit unverschuldet einen schweren Verkehrsunfall und wird wegen dieses Unfalls gegen ihn ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, hat ihm der Arbeitgeber die erforderlichen Kosten der Verteidigung zu ersetzen.

2.  Erforderliche Kosten der Verteidigung sind grundsätzlich die gesetzlichen Gebühren.

3.  Arbeitsrechtlich ist ein Berufskraftfahrer ohne besondere Vereinbarung und Vergütung nicht zum Abschluss einer Rechtsschutzversicherung verpflichtet.


Siehe auch
Anwaltskosten des Unfallgeschädigten als Schadensersatz
und
Arbeitsrecht und Verkehrsrecht

Tatbestand:


Die Parteien streiten über die Erstattung von Verteidigerkosten des Klägers.

Der Kläger war seit Ende April 1991 bei der Beklagten als Kraftfahrer beschäftigt. Er wurde auf einem Lkw eingesetzt.

Am 25. Juli 1991 kam es während einer Dienstfahrt zu einem Verkehrsunfall. Der vom Kläger geführte Lkw erfasste einen anderen Verkehrsteilnehmer, als dieser auf die Fahrbahn trat, und überrollte ihn mit den Zwillingsreifen. Am 5. August 1991 verstarb der Unfallbeteiligte an den Folgen seiner Verletzungen.

Der Kläger beauftragte seinen heutigen Prozessbevollmächtigten mit seiner Verteidigung und vereinbarte mit ihm ein Stundenhonorar in Höhe von 150,00 DM.




Am 6. Februar 1992 stellte die Staatsanwaltschaft das wegen des Verdachts fahrlässiger Tötung gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. In der Einstellungsverfügung heißt es u.a.:

   "Bei einer vom Beschuldigten eingehaltenen Geschwindigkeit von ca. 20 km/h war aus dieser Entfernung ein Abbremsen des Fahrzeugs nicht mehr möglich und das Unfallgeschehen für den Beschuldigten nicht zu vermeiden."

Der Kläger verlangt von der Beklagten Erstattung der seinem Verteidiger geleisteten Vergütung in Höhe von 1.160,52 DM.

Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse seine Verteidigerkosten als Aufwendungsersatz tragen. Sie hafte ihm im übrigen auch auf Schadensersatz, weil sie es pflichtwidrig unterlassen habe, zu seinen Gunsten eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen.

Der Kläger hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt,

   die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.160,52 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 26. Juni 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Abwehr von Maßnahmen des Strafrechts gehöre zur höchstpersönlichen Lebensführung des Arbeitnehmers. Außerdem sei die Gebührenforderung überhöht. Schließlich treffe den Kläger ein Mitverschulden, weil er sich nicht selbst rechtsschutzversichert habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hinsichtlich des noch rechtshängigen Teiles stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit ihr erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.




Entscheidungsgründe:


Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet. Die Beklagte schuldet dem Kläger entsprechend § 670 BGB Aufwendungsersatz in Höhe von 544,92 DM nebst 4 % Zinsen. Im übrigen ist die Klage hinsichtlich des noch rechtshängigen Teiles unbegründet und auf die Revision der Beklagten abzuweisen.

A.

Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der ihm infolge des Verkehrsunfalls vom 25. Juli 1991 entstandenen Aufwendungen (1.160,52 DM) sei gemäß § 670 BGB (analog) begründet.

I.

Unstreitig sei der Verkehrsunfall für den Kläger unvermeidbar gewesen. Die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens und die Beauftragung eines Verteidigers beruhten adäquat kausal allein darauf, dass der Kläger seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit überhaupt ausgeübt habe.

Das verwirklichte Risiko eines unverschuldeten Verkehrsunfalls sei nicht dem eigenen Lebensbereich des Klägers, sondern ausschließlich dem betrieblichen Betätigungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen. Folglich könne der Kläger bei interessengerechter Risikoverteilung Ersatz der ihm hierdurch entstandenen Aufwendungen verlangen.




II.

Der Anspruch sei in voller Höhe begründet. Die geltend gemachten Aufwendungen stünden in einem inneren adäquaten Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall.

Wenn die Beklagte geltend mache, das dem Kläger in Rechnung gestellte Honorar sei weit überhöht, so möge das zwar objektiv zutreffend sein, verkenne aber, dass der Umfang des Anspruchs nach § 670 BGB nicht nach einem rein objektiven Maßstab zu bestimmen sei, sondern dieser auch einen subjektiven Einschlag aufweise.

B.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist in wesentlichen, nicht aber in allen Punkten zutreffend.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Recht zur Zahlung von Aufwendungsersatz in Höhe von 544,92 DM nebst 4 % Zinsen verurteilt.

I.

Nach § 670 BGB kann der Beauftragte vom Auftraggeber Ersatz von Aufwendungen verlangen, die er zum Zwecke der Ausführung des Auftrags gemacht hat und die er den Umständen nach für erforderlich halten durfte.

In entsprechender Anwendung von § 670 BGB hat der Arbeitnehmer Anspruch auf den Ersatz von Schäden, die ihm bei Erbringung der Arbeitsleistung ohne Verschulden des Arbeitgebers entstehen. Voraussetzung ist, dass der Schaden nicht dem Lebensbereich des Arbeitnehmers, sondern dem Betätigungsbereich des Arbeitgebers zuzurechnen ist und der Arbeitnehmer ihn nicht selbst tragen muss, weil er dafür eine besondere Vergütung erhält (ständige Rechtsprechung vgl. nur BAG Beschluss vom 10. November 1961 - GS 1/60 -, BAGE 12, 15 = AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers; BAG Urteil vom 11. August 1988 - 8 AZR 721/85 - AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gefährdungshaftung des Arbeitgebers).

Das Risiko eines Berufskraftfahrers, auf einer Dienstfahrt unverschuldet in einen Verkehrsunfall verwickelt zu werden, ist dem Betätigungsbereich seines Arbeitgebers und nicht dem privaten Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen. Der unverschuldete Verkehrsunfall realisiert das unternehmerische Risiko der Teilnahme von Betriebskraftfahrzeugen am Straßenverkehr. Er gehört nicht zu den arbeitsadäquaten Schäden, sondern ist im Sinne der bisherigen Rechtsprechung "durchaus außergewöhnlich" (vgl. BAG Urteil vom 20. April 1989 - 8 AZR 632/87 - AP Nr. 9 zu § 611 BGB - Gefährdungshaftung des Arbeitgebers). Ein unverschuldeter Verkehrsunfall beruht zwar auf der dem Kraftfahrer übertragenen und deshalb betrieblich veranlassten Tätigkeit des Führens eines Lastkraftwagens, doch gehört er nicht zu den üblichen Begleiterscheinungen der Berufsausübung. Andererseits sind die lediglich bei Gelegenheit einer betrieblich veranlassten Tätigkeit begangenen Straftaten des Arbeitnehmers seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen. Deshalb kommt ein Aufwendungsersatzanspruch des Arbeitnehmers hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Straftat (wie Strafe, Nebenstrafe, Bewährungsauflagen, Maßregeln der Besserung und Sicherung oder Kostenlast) grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BAG Urteil vom 11. August 1988, aaO).

II.

Diese Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruches sind im Falle des Klägers erfüllt. Die dem Kläger durch die Beauftragung eines Verteidigers im Ermittlungsverfahren erwachsenen Aufwendungen sind bei Ausführung einer betrieblichen Tätigkeit eingetreten. Sie sind dem Betätigungsbereich der Beklagten zuzurechnen, denn der auf einer Dienstfahrt eingetretene Verkehrsunfall vom 25. Juli 1991 war für den Kläger unvermeidbar und damit unverschuldet. Eine Straftat lag nicht vor. Dementsprechend scheidet auch eine anteilige Minderung des Aufwendungsersatzanspruches des Klägers analog § 254 BGB aus.

Dass die Kosten der Verteidigung nicht unmittelbar durch den Verkehrsunfall, sondern durch einen Willensentschluss des Klägers verursacht wurden, steht ihrer Ersatzfähigkeit nicht entgegen. Die Entscheidung des Klägers, sich als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren anwaltlich vertreten zu lassen, war wegen des erheblichen Gewichts des Tatvorwurfs (fahrlässige Tötung) durch die betriebliche Tätigkeit veranlasst und deshalb der Beklagten zurechenbar. Die Reaktion des Klägers war keinesfalls außergewöhnlich und dementsprechend durch die Folgen der betrieblichen Tätigkeit herausgefordert.


III.

Die Rüge der Revision, es entstehe bei Bejahung einer Ersatzpflicht des Arbeitgebers ein Wertungswiderspruch zu den gesetzlichen Bestimmungen über die Erstattungsfähigkeit von Verteidigerkosten aus der Staatskasse (§§ 464 ff. StPO), ist unzutreffend. Diese Regelungen der Strafprozessordnung betreffen allein das Verhältnis zum Staat. Demgegenüber folgt der Aufwendungsersatzanspruch des Arbeitnehmers aus seiner unabhängig vom Ermittlungsverfahren bestehenden Sonderverbindung zum Arbeitgeber, für die die Strafprozessordnung keine Wertentscheidung getroffen hat.

IV.

Wenn die Beklagte ihrer Ersatzpflicht entgegenhält, es sei Sache des Klägers, sich als Berufskraftfahrer gegen einschlägige Risiken seiner Teilnahme am Straßenverkehr selbst abzusichern, so entlastet sie das weder ganz noch teilweise. Ohne besondere Vereinbarung obliegt es einem Berufskraftfahrer nicht, sich gegen Risiken, die ihm kraft betrieblicher Veranlassung drohen, auf eigene Kosten zu versichern. Der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung mag für den Arbeitnehmer ratsam und für den Arbeitgeber wünschenswert sein, eine analog § 254 BGB zu berücksichtigende Obliegenheit folgt hieraus aber nicht.

V.

Ersatzfähig nach § 670 BGB sind alle diejenigen Aufwendungen, die der Beauftragte "den Umständen nach für erforderlich halten" durfte. Ersatzfähig in diesem Sinne sind zunächst objektiv erforderliche Aufwendungen und (bei fehlender objektiver Notwendigkeit) solche, die der Beauftragte nach sorgfältiger, den Umständen des Falles nach gebotener Prüfung für erforderlich halten durfte (BGHZ 95, 375, 388). Diese Voraussetzungen sind nur hinsichtlich eines Teilbetrages der Forderung gegeben.

Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass der Kläger überhaupt einen Verteidiger in Anspruch nehmen durfte. Die Frage der Einschaltung eines Verteidigers als solche ist jedoch von der Frage einer Honorarvereinbarung (§ 3 BRAGO) zu trennen. Diese Honorarvereinbarung war weder objektiv notwendig noch durfte sie der Kläger den Umständen nach für erforderlich halten (§ 670 BGB).

Hierzu verweist das Landesarbeitsgericht zwar zutreffend auf die besondere Bedeutung, die der Verkehrsunfall vom 25. Juli 1991 für den Kläger als Berufskraftfahrer gewinnen konnte. "Erforderlich" konnte der Abschluss einer Honorarvereinbarung jedoch nur erscheinen, wenn anwaltliche Hilfe auf der Grundlage der gesetzlichen Gebühren nicht zu erlangen war. Das setzte aber voraus, dass Rechtsanwälte zur Übernahme der Verteidigung zu den Rahmengebühren (Mittelgebühren) der §§ 83, 84 BRAGO nicht bereit waren. Dass der Kläger das wenigstens geprüft hätte, ist nicht vorgetragen worden oder gar zu unterstellen.




Bei dieser Sachlage durfte das Landesarbeitsgericht sich nicht damit begnügen, nur auf die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger abzustellen, um die Voraussetzungen des § 670 BGB anzuerkennen. Auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts konnte das Landesarbeitsgericht für die Bemessung der von der Beklagten zu ersetzenden Verteidigervergütung vielmehr nur von der Mittelgebühr zu §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO ausgehen, d.h. von 285,00 DM.

Allein diesen Betrag schuldet die Beklagte dem Kläger zu Position 1 der im übrigen unstreitigen Honorarrechnung seines Verteidigers vom 18. März 1992. Da die Beklagte die übrigen Positionen der Kostenrechnung nicht konkret beanstandet und insofern Rechtsfehler nicht ersichtlich sind, hat das Landesarbeitsgericht dem Kläger insgesamt mit Recht 544,92 DM einschließlich Mehrwertsteuer zugesprochen.



VI.

Weitergehende Ansprüche stehen dem Kläger gegen die Beklagte auch unter dem Gesichtspunkt etwaiger Vertragsverletzung der Beklagten wegen versäumten Abschlusses einer Rechtsschutzversicherung für ihre Fahrer nicht zu. Eine Nebenpflicht der Beklagten auf Abschluss einer derartigen Versicherung bestand zugunsten des Klägers nicht. Eine etwa verletzte Obliegenheit begründete keine Haftung der Beklagten auf Schadensersatz.


C.

Die Forderung des Klägers ist gemäß §§ 288, 291 BGB mit 4 v.H. seit dem 26. Juni 1992 zu verzinsen.


D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

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