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OVG Frankfurt (Oder) Beschluss vom 16.07.2003 - 4 B 145/03 - Zur mehrfachen Herabstufung auf 17 Punkte im Punktsystem

OVG Frankfurt (Oder) v. 16.07.2003: Zur mehrfachen Herabstufung auf 17 Punkte im Punktsystem




Das OVG Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 16.07.2003 - 4 B 145/03) hat zur Systematik des Punktsystems und zur fehlerhaften Entziehung der Fahrerlaubnis bei fehlenden gesetzlichen Warnungen folgendes entschieden:

  1.  Für die Beurteilung, ob der Fahrerlaubnisinhaber nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift ergriffen hat, kommt es nach dem Zweck der Vorschrift nicht auf den Zeitpunkt der Mitteilung der Entscheidung an das Verkehrszentralregister an.

  2.  Dass ein Fahrerlaubnisinhaber, der innerhalb kurzer Zeit mehrere Verkehrsverstöße begeht, unter Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG trotz Erreichens von 18 Punkten – unter Umständen sogar mehrmals – auf 17 Punkte herabzustufen ist, ist im Regelungssystem des § 4 begründet und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden.

Siehe auch
Das Fahreignungs-Bewertungssystem - neues Punktsystem
und
Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das VG hat die auf § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis als offensichtlich rechtswidrig angesehen, weil der Antragsgegner es unterlassen habe, den Antragsteller vor dem Erreichen von 18 Punkten gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu verwarnen und ihn auf die Möglichkeit einer verkehrspsychologischen Beratung hinzuweisen. Zugunsten des Antragstellers greife deshalb § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG, wonach der Punktestand auf 17 reduziert wird, wenn der Betr. 18 Punkte erreicht oder überschreitet, ohne dass die Fahrerlaubnisbehörde die Maßnahme nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ergriffen hat.

Dem liegt - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - in tatsächlicher Hinsicht zugrunde, dass der Antragsgegner zwar gegenüber dem Antragsteller, bevor er ihm die Fahrerlaubnis entzogen hat, unter dem 10. 7. 2002 die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen hat. Zu diesem Zeitpunkt waren für den Antragsteller im Verkehrszentralregister 16 Punkte eingetragen. Der Antragsteller hatte allerdings bereits am 3. 7. 2001 einen weiteren, mit 4 Punkten zu bewertenden Verkehrsverstoß begangen; die Entscheidung des AG Tiergarten hierüber erging am 7. 2. 2002 und wurde am 16. 5. 2002 rechtskräftig. Die entsprechende Mitteilung an das KBA erfolgte erst unter dem 26. 8. 2002; dieses unterrichtete den Antragsgegner sodann unter dem 29. 8. 2002. Das VG ist deshalb in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, dass der Antragsteller wegen der seit dem 16. 5. 2002 rechtskräftig geahndeten Tat vom 3. 7. 2001 bereits 18 Punkte überschritten hatte, ohne dass der Antragsgegner die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG (die hier erst unter dem 10. 7. 2002 erging), ergriffen hatte. Auf die Registrierung bei dem KBA oder die Mitteilung eines bestimmten Punktestandes an die Straßenverkehrsbehörde komme es dagegen nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht an.

Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der Beschwerde und macht im Wesentlichen geltend, dass es entgegen der Auffassung des VG auf die zu dem fraglichen Zeitpunkt bei dem KBA registrierten Punkte ankomme. Ansonsten würden gerade solche Fahrerlaubnisinhaber begünstigt, die in kurzer Zeit mehrere Verstöße begingen, die erst später registriert würden.


Dieser Einwand des Antragsgegners greift nicht durch. Bei summarischer Prüfung spricht vielmehr Überwiegendes dafür, dass der Antragsteller, hier bereits 18 Punkte überschritten hatte, bevor die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen wurde, so dass ihm die Regelung des § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG zugute kommt (Rückstufung auf 17 Punkte) und deshalb die für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG erforderliche Punktzahl - noch - nicht erreicht ist. Die grundsätzlich zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis bei dem Erreichen von 18 Punkten findet, wie bereits das VG zutreffend ausgeführt hat, nach dem Sinn und Zweck des abgestuften Maßnahmenkatalogs des § 4 StVG seine Rechtfertigung in der Erwägung, dass ein Betr., der trotz der vorgesehenen Hilfestellungen, Warnungen und Reduzierungsmöglichkeiten 18 und mehr Punkte erreicht, eine erhebliche Gefahr für die übrigen Verkehrsteilnehmer darstellt. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache 821/96, S. 53):

   „Als letzte Eingriffsstufe ist – wie schon nach der geltenden Regelung – bei 18 Punkten die Entziehung der Fahrerlaubnis vorgesehen. Die neue Konzeption des Maßnahmenkatalogs, insbesondere die Möglichkeit des ,Punkterabatts' und die Erweiterung der Hilfestellungen durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung (anstelle des bisherigen Abprüfens von Kenntnissen und Fahrfertigkeiten), hat zur Folge, dass bei 18 Punkten die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, Die Entziehung der Fahrerlaubnis, weil der Betreffende trotz Hilfestellungen durch Aufbauseminare und verkehrspsychologische Beratung, trotz Bonus-Gutschriften und trotz der Möglichkeit von zwischenzeitlichen Tilgungen im Verkehrszentralregister, 18 oder mehr Punkte erreicht, beruht auf dem Gedanken, dass die weitere Teilnahme derartiger Kraftfahrer am Straßenverkehr für die übrigen Verkehrsteilnehmer eine Gefahr darstellen würde. Hierbei fällt besonders ins Gewicht, dass es sich dabei um Kraftfahrer handelt, die eine ganz erhebliche Anzahl von – im VZR erfassten und noch nicht getilgten –Verstößen begangen haben. Der Betreffende gilt als ungeeignet zum Führen von Kfz. Diese gesetzliche Ungeeignetheitsvermutung kann grundsätzlich nicht widerlegt werden.”




Die hiernach mit den einer Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgehenden Maßnahmen (hier: nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG) bezweckte Warnung und Appellfunktion, aber auch das Angebot der Möglichkeit einer Punktereduzierung kann nur dann greifen, wenn diese Maßnahmen den Betr. zu einem Zeitpunkt erreichen, zu dem er sein Verhalten noch ändern kann. Wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits die zu einem Punktestand von 18 oder mehr Punkten führenden weiteren Verkehrsverstöße begangen hat, verfehlt die Maßnahme ihre bezweckte Wirkung. Die Regelung des § 4 Abs. 5 StVG zeigt deutlich, dass der Gesetzgeber die bei Erreichen von 18 Punkten zwingende Entziehung der Fahrerlaubnis davon abhängig gemacht hat, dass gegenüber dem Betr. zuvor die Maßnahmen nach § 4, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG ergriffen wurden, und zwar nicht nur formal überhaupt ergriffen wurden, sondern zu einem Zeitpunkt, zu dem der Betr. noch - zur Vermeidung eines weiteren Punkteanstiegs auf 18 oder mehr Punkte - darauf in der erwünschten Weise reagieren kann, nämlich durch eine Änderung seines Verhaltens im Straßenverkehr. Erforderlich ist mithin, dass die einzelnen Schritte des Maßnahmenkatalogs vor der Entziehung der Fahrerlaubnis erfolglos durchlaufen werden (OVG Hamburg, NJW 2000, 1353 ff.; OVG Magdeburg, NZV 2002, 431; vgl. auch VG Potsdam, Beschluss vom 16. 9. 2002 - 10 L 580/02 -, veröffentlicht in juris; a.A. VG Berlin, NZV 2002, 338 f.).

Diese Funktion des abgestuften Maßnahmenkatalogs des § 4 StVG ginge ins Leere, wenn man, wie der Antragsgegner, darauf abstellen würde, welche Punkte zu einem bestimmten Zeitpunkt im Verkehrszentralregister eingetragen sind. Hierauf kann es schon deshalb nicht ankommen, weil diese Eintragung selbst ebenso wie Mitteilungen über Eintragungen in dem Verkehrszentralregister keine Rechtswirkung entfalten, sondern lediglich als Tatsachengrundlage zur Vorbereitung der Entscheidung u.a. der Straßenverkehrsbehörden dienen (vgl. OVG Lüneburg, DAR 2001, 471, zur geltenden Rechtslage; ebenso bereits BVerwGE 77, 268, 271 ff. zum Punktsystem alter Fassung). Der Zeitpunkt der Eintragung in das Verkehrszentralregister hängt außerdem davon ab, wie zügig oder zögerlich von den Bußgeldstellen und Staatsanwaltschaften die jeweiligen Verkehrsverstöße gemeldet werden, mithin von Zufälligkeiten, die nicht den Ausschlag dafür geben können, ob bzw. wann die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG vorliegen. Auch § 4 Abs. 6 StVG, wonach das KBA bei Erreichen der betreffenden Punktestände den Fahrerlaubnisbehörden die vorhandenen Eintragungen aus dem Verkehrszentralregister zu übermitteln hat, besagt nicht etwa, dass ein bestimmter Punktestand erst dann erreicht ist, wenn er in das Verkehrszentralregister eingetragen worden ist. Das Verkehrszentralregister soll vielmehr lediglich den Verwaltungsvollzug erleichtern (vgl. Bundesrats-Drucksache 821/96, S. 73).

Gegen die Auffassung des Antragsgegners spricht im Übrigen auch Folgendes: Würde man (erst) auf den Zeitpunkt der Registrierung im Verkehrszentralregister abstellen, liefe die Regelung des § 4 Abs. 4 StVG praktisch leer, die dem Betr. vor Erreichen von 14 Punkten durch Teilnahme an einem Aufbauseminar oder - unter bestimmten Voraussetzungen - vor Erreichen von 18 Punkten durch Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung einen Punkterabatt gewährt. Diese Regelung verlöre ihren Sinn, wenn sie etwa einem Verkehrsteilnehmer, der durch einen weiteren Verstoß bereits 18 Punkte erreicht oder überschritten hat, die aber noch nicht im Verkehrszentralregister mit der entsprechenden Punktzahl registriert worden sind, noch die Möglichkeit eines Punkterabatts durch Teilnahme an einer Beratung einräumen würde, um auf diese Weise wieder 18 Punkte zu unterschreiten. Ein Verkehrsteilnehmer könnte dann erst nach Begehung des Verkehrsverstoßes, durch den er 18 Punkte erreicht oder überschreitet, die Möglichkeit des Punkterabatts in Anspruch nehmen, solange er die Teilnahme an der Beratung jedenfalls vor der Registrierung der Punkte im Verkehrszentralregister, die gegebenenfalls durch Rechtsmittel gegen die behördliche oder gerichtliche Entscheidung über den Verkehrsverstoß herausgezögert werden kann, absolviert. Auch dies spricht dagegen, im Rahmen des Punktsystems des § 4 StVG auf den Zeitpunkt der Registrierung der Punkte im Verkehrszentralregister abzustellen (vgl zu dieser Fallgestaltung – auf den Tattag abstellend – OVG Thüringen, Beschluss vom 12. 3. 2003 – 2 EO 688/02 –, zitiert nach juris; ebenso Geiger, DAR 2001, 488, 493).



Dem Antragsgegner ist freilich einzuräumen, dass es den Straßenverkehrsbehörden durch dieses Verständnis des § 4 StVG erschwert wird, den frühestmöglichen Zeitpunkt zum Ergreifen der Maßnahmen nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG zu bestimmen, was sich zwar im Regelfall nicht als Problem darstellen dürfte, allerdings Auswirkungen zeigt, wenn ein Fahrerlaubnisinhaber in kurzer Folge Verkehrsverstöße begeht, über die die Behörde erst mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung durch das Kraftfahrt-Bundesamt unterrichtet wird.

Dies kann zur Folge haben, dass ein Betr. (möglicherweise mehrmals) unter Anwendung des § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte herunterzustufen ist, bis ihm gegenüber die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen worden ist und erst dann mögliche weitere Verstöße zu einem Erreichen oder Überschreiten von 18 Punkten führen. Diese Konsequenz ist jedoch in dem Regelungssystem des § 4 StVG begründet und von dem Gesetzgeber, wie § 4 Abs. 5 StVG zeigt, auch nicht etwa übersehen, sondern in Kauf genommen worden. Sie kann deshalb nicht als vermeintliche Regelungslücke durch eine entsprechende Auslegung des § 4 StVG beseitigt werden. Vielmehr könnte dies in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass zur Prüfung einer Entziehung gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG in Verbindung mit § 46 FeV geben (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 25. 11. 1999, a.a.O.), die hier freilich nicht in Rede steht.

Der Antragsteller hatte danach infolge des rechtskräftig geahndeten Verkehrsverstoßes vom 3. 7. 2001 bereits 20 Punkte erreicht, ohne dass ihm gegenüber die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG ergriffen worden war. Sein Punktestand reduzierte sich deshalb von Gesetzes wegen gem. § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte. Da der sodann unter dem 10.7.2002 ergriffenen Maßnahme gem. § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG – bislang – keine weiteren Verkehrsverstöße nachgefolgt sind, ist der Antragsteller mit einem Punktestand von weiterhin 17 Punkten noch als geeignet zum Führen von Kfz anzusehen, wobei nunmehr allerdings auch nur ein weiterer punktbewehrter Verstoß ohne weiteres zur Ungeeignetheit und zur Entziehung der Fahrerlaubnis fährt. ..."

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