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VGH München Beschluss vom 19.06.2006 - 11 CS 05.2198 - Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig, wenn der Betroffene mit 6,0 ng/ml THC aktiv und 35 ng/ml THC-COOH am Verkehr teilgenommen und bereits früher mehrfach Cannabis konsumiert hat

VGH München v. 19.06.2006: Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig, wenn der Betroffene mit 6,0 ng/ml THC aktiv und 35 ng/ml THC-COOH am Verkehr teilgenommen und bereits früher mehrfach Cannabis konsumiert hat




Der VGH München (Beschluss vom 19.06.2006 - 11 CS 05.2198) hat entschieden:

   Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist rechtmäßig, wenn der Betroffene mit 6,0 ng/ml THC aktiv und 35 ng/ml THC-COOH am Verkehr teilgenommen und bereits früher mehrfach Cannabis konsumiert hat. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene vor der Verkehrsteilnahme durch ein ärztliches Gutachten für fahrgeeignet befunden wurde.

Siehe auch
Konsumgrade / Konsummuster bei Cannabis
und
Stichwörter zum Thema Cannabis

Zum Sachverhalt:


Der am 1. Februar 1982 geborene Antragsteller erwarb am 1. Februar 2000 eine Fahrerlaubnis der Klassen B, L und M.

Im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, das im Jahr 2004 gegen mehrere Personen wegen des Verdachts von Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz durchgeführt wurde, nahm die Polizei in der Wohnung des Antragstellers, die auch von seiner Freundin Lisa Sch. genutzt wurde, eine Durchsuchung vor, bei der u. a. eine Dose mit Haschischbrocken, drei Bongs, zwei Schillums und über 30 Hanftütchen vorgefunden wurden. Die als Beschuldigte einvernommene Lisa Sch. gab damals gegenüber der Polizei an, das Haschisch gehöre ihr und dem Antragsteller je zur Hälfte. Ab April bzw. Mai 2003 habe sie zwei- bis dreimal monatlich in der Wohnung des Antragstellers "mit den anderen" Haschisch geraucht. Seit der Durchsuchung hätten sie und der Antragsteller damit aufgehört.




Der ebenfalls als Beschuldigter einvernommene Johannes-Peter Sebastian K. gab gegenüber der Polizei an, er sei im Sommer 2002 in die auch vom Antragsteller benutzte Wohnung eingezogen. Ab Frühjahr 2003 habe er regelmäßig Haschisch geraucht. Das Rauschgift habe in der Regel der Antragsteller am Montag in die gemeinsame Wohnung mitgebracht; dort hätten sie es - zum Teil zusammen mit Dritten - konsumiert. Er und der Antragsteller hätten einander Haschisch zur Verfügung gestellt, wenn der andere nichts gehabt habe. Später hätten er und der Antragsteller abwechselnd "Material" besorgt, wenn dieses in der Wohngemeinschaft knapp geworden sei. Er gehe davon aus, dass der Antragsteller doppelt so viel rauche wie er. Als Lisa Sch. in die gemeinsame Wohnung eingezogen sei, sei sie vom Antragsteller "und dessen Sucht" sehr beeindruckt gewesen; es habe nicht lange gedauert, bis sie gleich viel wie der Antragsteller geraucht habe.

Eine Schwester von Lisa Sch. sagte am 5. Februar 2004 gegenüber der Polizei als Zeugin aus, sie habe im vorangegangenen halben Jahr an etwa 15 Tagen die Wohnung des Antragstellers aufgesucht. Er und Lisa Sch. hätten dort ständig etwas zu rauchen gehabt; sie hätten Haschisch aus Bongs geraucht.

Auf Verlangen des Landratsamts Ostallgäu legte der Antragsteller dieser Behörde in der Folgezeit ein vom 6. August 2004 datierendes Fahreignungsgutachten eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vor. Dieser Ausarbeitung zufolge hat der Antragsteller gegenüber dem begutachtenden Arzt angegeben, während der vorangegangenen zwei bis drei Jahre etwa einmal im Monat Haschisch geraucht zu haben. Vor drei Monaten habe er den Gebrauch dieses Betäubungsmittels eingestellt. Urinscreenings, die am 20. Juli 2004 und am 6. August 2004 ohne Vorankündigung durchgeführt worden seien, hätten in Bezug auf Amphetamine, Opiate, THC, Kokain und Benzodiazepine negative Befunde ergeben. Das Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, der Antragsteller habe bis vor drei Monaten gelegentlich Haschisch konsumiert. Die Untersuchung habe keine Anhaltspunkte für einen regelmäßigen Gebrauch legaler oder illegaler Drogen ergeben. Gegenüber dem früheren, gelegentlichen Haschischgenuss habe der Antragsteller glaubhaft eine kritische Distanz aufgebaut; er könne weiterhin Kraftfahrzeuge der Klassen B, L und M ohne Einschränkungen führen.

Am 3. März 2005 wurde der Antragsteller gegen 22.50 Uhr beim Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr angetroffen, wobei seine Bindehäute nach polizeilicher Darstellung stark gerötet und seine Pupillenreaktionen verschlechtert gewesen seien. Die Untersuchung einer ihm am 4. März 2005 um 0.09 Uhr entnommenen Blutprobe ergab eine THC-Konzentration von 6,0 µg/L und eine Konzentration an THC-Carbonsäure von 35 µg/L.

Seitens des Landratsamts zu der Absicht angehört, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen, wandte der Antragsteller ein, der Arzt, der am 4. März 2005 die Blutentnahme bei ihm durchgeführt habe, habe keine Ausfallerscheinungen festgestellt. Die THC-Konzentration beruhe darauf, dass er sich am 3. März 2005 im Fahrzeug eines Bekannten aufgehalten habe, der Haschisch konsumiert habe. Das habe dazu geführt, dass THC in sein Blut gelangt sei, ohne dass das eine Rauschwirkung nach sich gezogen habe.

Durch Bescheid vom 1. Juli 2005 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klasse B und der darin enthaltenen Klassen und ordnete die sofortige Vollziehung an.




Der Widerspruch, den der Antragsteller am 14. Juli 2005 gegen diesen Bescheid einlegte, wurde nach Aktenlage nicht begründet.

Dem Antrag, die aufschiebende Wirkung dieses Rechtsbehelfs hinsichtlich der Nummern 1 und 2 des Bescheids wiederherzustellen und sie hinsichtlich der Nummer 3 des Bescheids anzuordnen, gab das Verwaltungsgericht Augsburg durch Beschluss vom 28. Juli 2005 statt. Die Ungeeignetheit des Antragstellers, Kraftfahrzeuge zu führen, stehe nicht im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV fest. Von einem regelmäßigen Cannabiskonsum könne vorliegend nicht ausgegangen werden. Auch eine gelegentliche Einnahme dieses Betäubungsmittels sei nicht überwiegend wahrscheinlich, da die festgestellte Konzentration an THC-Carbonsäure nicht zwingend eine derartige Konsumfrequenz belege. Die Vorfälle "aus dem Jahr 2004" dürften nicht zu Ungunsten des Antragstellers gewertet werden, da die Zweifel, die sich hieraus hinsichtlich seiner Fahreignung ergeben hätten, durch das Gutachten vom 6. August 2004 ausgeräumt worden seien.

Zur Begründung der gegen diese Entscheidung eingelegten Beschwerde führte das Landratsamt aus, selbst wenn man der Auffassung des Verwaltungsgerichts folge, wonach bei einer Konzentration an THC-Carbonsäure von bis zu 80 µg/L ein gelegentlicher Cannabiskonsum nicht nachweisbar sei, habe sich der Antragsteller vorliegend nicht widerspruchsfrei auf eine einmalige Einnahme dieses Betäubungsmittels berufen, da er bereits 2004 wegen Drogenkonsums auffällig geworden sei. Auch das Gutachten vom 6. August 2004 gehe davon aus, dass er im Jahr 2004 gelegentlich Haschisch konsumiert habe. Vor diesem Hintergrund sei es fehlerhaft, die inmitten stehende Fahrt unter Cannabiseinfluss als einmaliges Probierverhalten zu werten. Warum das Gutachten und der frühere Cannabisgebrauch nicht berücksichtigt werden dürften, sei nicht ersichtlich, zumal sich die im Gutachten aufgestellte Prognose als falsch erwiesen habe.

Die Beschwerde hatte Erfolg.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, erweist sich auch als begründet. Der Bescheid des Landratsamts vom 1. Juli 2005 ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit rechtens; die bei einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung gebietet es deshalb und wegen der Gefahren, die mit der motorisierten Verkehrsteilnahme einer Person einhergehen können, die mindestens gelegentlich Cannabis konsumiert und unter der Einwirkung dieses Betäubungsmittels ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt hat, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern und der sofortigen Vollziehbarkeit des Ausgangsbescheids wieder Geltung zu verschaffen.

Das Landratsamt ging zu Recht davon aus, dass die mangelnde Fahreignung des Antragstellers im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV feststeht und die Behörde deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV verpflichtet war, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Denn der Antragsteller hat im Sinne der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung gelegentlich Cannabis eingenommen und gegen das Gebot verstoßen, den Konsum dieses Betäubungsmittels und das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr zu trennen.

Dass der für den 3. März 2005 erwiesene Cannabiskonsum des Antragstellers keine einmalige, experimentelle Einnahme darstellt, sondern er diese Droge wiederholt gebraucht hat, folgt zum einen aus den Angaben der Beschuldigten Lisa Sch. und Johannes-Peter Sebastian K. sowie der als Zeugin einvernommenen Schwester von Lisa Sch. Sie haben übereinstimmend bekundet, dass der Antragsteller über Jahre hinweg häufig Cannabis konsumiert hat. Anhaltspunkte dafür, dass diese Personen ihn wahrheitswidrig belastet haben, hat der Antragsteller weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich.




Zum anderen aber ergibt sich aus den eigenen, im Vorfeld des Fahreignungsgutachtens vom 6. August 2004 gemachten Angaben des Antragstellers, dass er bereits vor dem 3. März 2005 Cannabis in erheblichem Umfang eingenommen hat. Die in jener Ausarbeitung festgehaltene Erklärung des Antragstellers, er habe in den vorangegangenen zwei bis drei Jahren etwa einmal im Monat Haschisch geraucht, durfte das Landratsamt gemäß § 2 Abs. 9 Satz 1 StVG bei seiner Entscheidung berücksichtigen, da insoweit kein Verwertungsverbot besteht, insbesondere der in § 2 Abs. 9 Satz 2 StVG genannte Zeitraum noch nicht abgelaufen ist. Ein Verwertungsverbot folgt auch nicht aus dem Umstand, dass der seinerzeit eingeschaltete Arzt offenbar zu der Auffassung gelangte, der gelegentliche Haschischkonsum durch den Antragsteller habe drei Monate vor der Begutachtung ein Ende gefunden, der Antragsteller habe gegenüber dem Gebrauch dieses Betäubungsmittels eine "kritische Distanz" aufgebaut, und er sei zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Dem Rückgriff auf die im Gutachten vom 6. August 2004 wiedergegebenen Angaben des Antragstellers steht ferner nicht entgegen, dass das Landratsamt ihm mit Schreiben vom 19. August 2004 mitgeteilt hat, durch dieses Gutachten hätten die bestehenden Fahreignungszweifel ausgeräumt werden können. Denn selbst bei unverändertem Sachverhalt ist der Inhaber einer Fahrerlaubnis nicht davor geschützt, dass die Behörde ihm diese Berechtigung wieder entzieht, wenn ihr nachträglich bewusst wird, dass der Betroffene bereits bei Erteilung der Fahrerlaubnis nicht fahrgeeignet war (BVerwG vom 27.1.1958 Buchholz 442.10 § 4 StVG a.F. Nr. 3; VGH BW vom 17.12.1991 VBlBW 1992, 150; VGH BW vom 30.1.2002 VRS Bd. 102, S. 393/398; VGH BW vom 31.10.2002 VerkMitt 2003, 36). Erst recht ist es vor diesem Hintergrund der Fahrerlaubnisbehörde nicht verwehrt, tatsächliche Erkenntnisse, aus denen sie in der Vergangenheit nicht den Schluss gezogen hat, der Betroffene sei fahrungeeignet, dann zu seinen Ungunsten zu verwerten, wenn später zusätzliche, gegen die Fahreignung sprechende Umstände (hier: die Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss am 3.3.2005) bekannt werden. Hinzu kommt, dass das Landratsamt im Schreiben vom 19. August 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass es bei einem erneuten Verstoß des Antragstellers gegen das Betäubungsmittelgesetz gehalten sei, Maßnahmen zu ergreifen.

Die Verwertbarkeit der im Gutachten vom 6. August 2004 enthaltenen Angaben des Antragstellers hängt ferner nicht davon ab, ob das Landratsamt jene Ausarbeitung zu Recht angefordert hat. Denn selbst dann, wenn vom Antragsteller kein Fahreignungsgutachten hätte gefordert werden dürfen, stünde dieser Umstand der Berücksichtigung eines tatsächlich vorgelegten Gutachtens nicht entgegen (BVerwG vom 18.3.1982 BVerwGE 65, 157/162 f.).



Fest steht ferner, dass der Antragsteller am 3. März 2005 gegen das Gebot verstoßen hat, den Konsum von Cannabis und das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr zu trennen. Dieses Tatbestandsmerkmal ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dann im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV erwiesen, wenn die THC-Konzentration im Blut eines Kraftfahrers 2,0 µg/L überstieg. Der beim Antragsteller ermittelte Wert lag um ein Mehrfaches darüber.

Das Verwaltungsgericht hat in den ersten drei Sätzen des Abschnitts II.2.c.(4) der Gründe des angefochtenen Beschlusses zutreffend ausgeführt, dass diese hohe THC-Konzentration nicht durch ein bloßes "Passivrauchen" erreicht worden sein kann; auf diese Darlegungen wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen. ..."

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