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OLG Karlsruhe Urteil vom 09.03.2006 - 12 U 286/05 - Zu den Voraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruchs

OLG Karlsruhe v. 09.03.2006: Zu den Voraussetzungen eines gemeinschaftsrechtlichen Schadensersatzanspruchs




Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 09.03.2006 - 12 U 286/05) hat entschieden:

   Ein gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen eines gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden Urteils setzt eine letztinstanzliche Entscheidung voraus. Dies gilt auch dann, wenn angesichts einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung ein Rechtsmittel von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Siehe auch
Gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch wegen strafrechtlicher Verurteilung oder Nutzungsuntersagung gegen die EuGH-Rechtsprechung zum EU-Führerschein
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Zum Sachverhalt:


Das Amtsgericht verurteilte den Kläger am 01.10. 2002 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40 € (8 CS 203 Js 6641/02); das Urteil, gegen das der Kläger kein Rechtsmittel einlegte, ist seit dem 09.10.2002 rechtskräftig.

Das Amtsgericht hatte folgende Feststellungen getroffen:

Dem Kläger wurde durch bestandskräftige Verfügung des Landratsamts R vom 09.04.1998 die Fahrerlaubnis entzogen; ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 06.08.1999 kam zu dem Ergebnis, dass eine Wiedererteilung der Fahrerlaubnis derzeit nicht empfohlen werden könne. In der Folgezeit besuchte der Kläger - unter Beibehaltung seines Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland - eine Fahrschule in Holland, wo ihm am 27.02.2002 eine neue Fahrerlaubnis erteilt und ein holländischer Führerschein ausgestellt wurde. Das Amtsgericht war der Auffassung, dass diese Fahrerlaubnis den Kläger nicht zum Führen eines Kraftfahrzeuges in der Bundesrepublik Deutschland berechtige und er sich deshalb durch die zweimalige Benutzung eines Pkw gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG strafbar gemacht habe. Die Entscheidung folgte einer ständigen Rechtsprechung, wonach § 21 StVG insoweit verwaltungsakzessorisch war, als § 28 Abs. 4 Nr. 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung vom 18.08.1999, BGBl I-2214, (im folgenden FeV) einer ausländischen Fahrerlaubnis die Anerkennung immer dann versagte, wenn dem Betroffen zuvor eine nationale Fahrerlaubnis bestandskräftig entzogen worden war.




Mit Datum vom 04.05.2004 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme des mit Urteil des Amtsgerichts R vom 01.10.2002 abgeschlossenen Verfahrens. Anlass hierfür war das Urteil des EuGH vom 29.04.2004 in der Rechtssache C-476/01, Kapper, Slg. I-5205 (im folgenden Rechtssache Kapper); der EuGH entschied für einen dem klägerischen Verfahren entsprechenden Sachverhalt, dass eine Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gegen Art. 1 Abs. 2, Art. 8 Abs. 2 und Abs. 4 der Richtlinie 91/439/ EWG des Rates vom 29.07.1991 über den Führerschein in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 2.06.1997 (künftig Richtlinie 91/439) verstoße. Die nationalen Behörden dürften in Fällen dieser Art einer ausländischen Fahrerlaubnis die Anerkennung ihrer Gültigkeit nicht auf unbestimmte Zeit versagen, wie dies § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV vorsehe; soweit es um die Prüfung der Voraussetzungen für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis gehe, obliege diese allein dem Mitgliedstaat, der die neue Fahrerlaubnis ausstelle.

Der Antrag des Klägers auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde durch das Amtsgerichts O mit Beschluss vom 12.10.2004 als unzulässig verworfen; die hiergegen eingelegte Beschwerde blieb ohne Erfolg (Beschluss des Landgerichts O vom 11.11.2004, Az. 3 Qs 145/04).

Der Kläger macht nunmehr Amtshaftungsansprüche wegen der zwischenzeitlich bezahlten Geldstrafe sowie der Kosten des Strafverfahrens geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers bleibt erfolglos.




Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Kläger kann keinen Schadensersatz nach den Grundsätzen der gemeinschaftsrechtlichen Amtshaftung verlangen. Weder kann ein solcher Anspruch aufgrund des Urteils des Amtsgerichts R geltend gemacht werden (a), noch daran anknüpfend, dass das Landgericht O den Wiederaufnahmeantrag des Klägers insoweit letztinstanzlich verworfen hat (b). Gleiches gilt für die Vollstreckung der Geldstrafe durch die Staatsanwaltschaft Baden-Baden (c). Ansprüche aus § 839 BGB bestehen nicht (d).

a) Das Gemeinschaftsrecht erkennt einen Entschädigungsanspruch an, wenn drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: Die verletzte Rechtsnorm bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß ist hinreichend qualifiziert und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden besteht ein unmittelbarer Kausalzusammenhang. (EuGH Urteile vom 19.11.1991 in den Rechtssachen C-6/90 und C-9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I-5357, Rdnr. 35, Brasserie du pêcheur und Factortame, Rdnr. 31; Urteil vom 04.07.2000 in der Rechtssache C-424/97, Haim, Slg. 2000, I 5123, Rdnr. 26). Der EuGH hat diese Haftungsvoraussetzungen für den Fall, dass ein Gemeinschaftsrechtsverstoß in der Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts besteht, mit Urteil vom 30.09.2003 in der Rechtssache C-224/01, Köbler, Slg. 2003, I-10239 (im folgenden Rechtssache Köbler), dahin gehend modifiziert, dass eine Haftung unter Berücksichtigung der Besonderheiten der richterlichen Funktion sowie der Belange der Rechtssicherheit nur in dem Ausnahmefall Platz greift, dass das Gericht offenkundig gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (Rdnr. 53) oder wenn es die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkennt (Rdnr. 56). Bei der Frage, ob ein solche qualifizierte Rechtsverletzung vorliegt, sind alle Gesichtspunkte des Einzelfalles zu berücksichtigen; insbesondere gehören dazu das Maß an Klarheit und Präzision der verletzten Vorschrift, die Vorsätzlichkeit des Verstoßes und die Entschuldbarkeit des Rechtsirrtums, ggf. die Äußerung eines Gemeinschaftsorgans sowie die Verletzung der Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 3 EG. Ausdrücklich wird die Haftung des Mitgliedstaates an Verstöße geknüpft, die in der Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts bestehen. Nur insofern sei eine Amtshaftung erforderlich, weil eine Verletzung der Rechte des Einzelnen in diesen Fällen prinzipiell nicht mehr anders rückgängig gemacht werden könne. Des Weiteren weist der Gerichtshof zur Haftungsbegründung auf den Regelungszweck von Art. 234 Abs. 3 EG hin. Diese Vorschrift verpflichte letztinstanzliche Gerichte zur Anrufung des EuGH, damit dem Einzelnen durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Rechte nicht verletzt würden (Rdnr 35; vgl. dazu Kremer NJW 2004, S. 481). Aus der Begründung der Haftung unter Berufung auf Art. 234 Abs. 3 EG folgt zugleich auch, dass die Letztinstanzlichkeit nicht absolut, sondern konkret beurteilt werden muss, d.h. auch Instanzgerichte betrifft, gegen deren Entscheidung im Einzelfall kein Rechtsmittel statthaft ist, etwa wenn die Berufungssumme nicht erreicht wird (vgl. Hakenberg, DRiZ 2004, S. 115, Kremer aaO. S 480).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht dem Kläger ein gemeinschaftsrechtlich begründeter Amtshaftungsanspruch nicht zu. Zum einen stellt das Urteil des Amtsgerichts R vom 01.10.2002 (8 CS 203 Js 6641/02) keine letztinstanzliche Entscheidung dar, da der Kläger dieses mit dem Rechtsmittel der Berufung bzw. der (Sprung-) Revision hätte anfechten können. In diesem Zusammenhang ist der Einwand unbeachtlich, angesichts einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung hätten Berufung oder Revision von vornherein keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Zwar kann der Umstand, dass die Einlegung eines Rechtsmittels nur geringe Erfolgsaussichten bietet und diese deshalb dem Betroffenen ggf. nicht zumutbar ist, im Rahmen des mitwirkenden Verschuldens gem. § 839 Abs. 3 BGB für Amtshaftungsansprüche nach nationalem Recht Bedeutung erlangen. Entsprechendes gilt jedoch nicht für die gemeinschaftsrechtlich begründete Amtshaftung, die nach den Vorgaben des EuGH ausschließlich an die Entscheidung eines letztinstanzlichen Gerichts (im konkreten Sinne) anknüpft und eine solche in tatbestandlicher Hinsicht voraussetzt.




Zum anderen würde ein Ersatzanspruch auch daran scheitern, dass die geltend gemachte Verletzung des Gemeinschaftsrechts, d.h. der in dem Urteil des Amtsgerichts R vom 07.11.2002 liegende Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 i.V.m Art. 8 Abs. 2, Abs. 4 der Richtlinie 91/439, jedenfalls nicht offenkundig im Sinne der Rechtsprechung des EuGH war. Denn die Unvereinbarkeit von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV mit der Richtlinie 91/439 ist jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich oder drängt sich auf. Nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung zum Führen eines Kraftfahrzeuges in Deutschland nicht für solche Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, […] denen die Fahrerlaubnis im Inland [...] bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde [...] entzogen worden ist.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die Versagung der Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis in diesen Fällen unbefristet. Dies war auch beabsichtigt, weil das nationale Recht die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis unter bestimmten Voraussetzungen von dem Ergebnis eines medizinisch-psychologischen Gutachtens abhängig macht und dieses Erfordernis nicht auf dem Umweg über eine im Ausland erworbene Fahrerlaubnis umgangen werden sollte.

Art. 8 der Richtlinie 91/439 bestimmt als Ausnahme von der in Art. 1 Abs. 2 normierten grundsätzlichen Anerkennung der von den anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Fahrerlaubnis:

   (2) Vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden [...]

(3) Ein Mitgliedstaat kann es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine in Abs. 2 genannte Maßnahme angewendet wurde.





Vor diesem Hintergrund stellt das Urteil des Amtsgerichts R vom 07.11.2002 keinen offenkundigen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht dar. Weder hat das Gericht angesichts der mit dem Wortlaut der Richtlinie 91/439 vereinbaren Bestimmung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV sehenden Auges gegen eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift verstoßen, noch fällt ihm angesichts der höchstrichterlichen Rechtsprechung nationaler Gerichte und der dort für die gemeinschaftsrechtliche Zulässigkeit von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV angeführten Argumente ein in besonderer Weise vorwerfbarer Rechtsirrtum zu Last. Zu sehen ist auch, dass die Schlussanträge des Generalanwalts in der Rechtssache Kapper, die im Wesentlichen die Argumentation der Entscheidung des Gerichtshofs vorweg nehmen, erst vom 16.11.2003 datieren und sich auch die Kommission bis dahin für eine Vereinbarkeit von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV mit der Richtlinie 91/439 ausgesprochen hatte. Der bloße Umstand, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts R die einen entsprechenden Sachverhalt betreffende Rechtssache Kapper bereits seit längerem anhängig war und das Amtsgericht R das Verfahren weder aussetzte, noch selbst eine Vorabentscheidung des EuGH beantragte, kann nach dem oben gesagten den Vorwurf eines qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht nicht begründen. Auch eine Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht fällt dem Amtsgericht R nicht zur Last, weil Art. 234 Abs. 3 EG eine solche nur für letztinstanzliche Gerichte begründet.

b) Ein gemeinschaftsrechtlicher Schadensersatzanspruch kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil der Wiederaufnahmeantrag des Klägers durch Beschluss des Landgerichts O vom 11.11.2004 zurückgewiesen wurde. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens war nach nationalem Recht nicht zulässig (aa); Anhaltspunkte dafür, dass die einschlägigen Bestimmungen im vorliegenden Fall aus Gründen des Gemeinschaftsrechts über ihren Wortlaut hinaus anzuwenden gewesen wären und deshalb möglicherweise ein haftungsbegründender Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorliegen könnte, sind nicht auszumachen (bb).


aa) Beruht ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil auf einem Verstoß gegen übergeordnetes Gemeinschaftsrecht, ist gleichwohl die Wiederaufnahme des Verfahrens weder nach § 359 Nrn. 5, 6 StPO, noch nach § 79 Abs.1 BVerfGG zulässig, auch nicht in entsprechender Anwendung dieser Bestimmungen (OLG Karlsruhe Beschluss vom 09.08.2004 Az. 3 Ws 182/04). Ein Wiederaufnahmeantrag nach § 359 Nr. 5 StPO kann weder auf einen Rechtsprechungswandel noch auf eine geänderte Gesetzeslage oder auf sachlich-rechtliche Fehler gestützt werden. Da das Wiederaufnahmeverfahren keine unbefristete Revision ist, können auf fehlerhafter Rechtsauffassung oder Rechtsanwendung beruhende Entscheidungen nur bei Unrichtigkeit des zugrunde liegenden Sachverhalts beseitigt werden. Außerdem ist vorliegend kein Fall von § 359 Nr. 6 StPO gegeben, in dem mit einer Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine Verletzung der EMRK festgestellt wäre. Einer Entscheidung des EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach Art. 234 Abs. 3 EG kommt keine entsprechende Wirkung zu; sie eröffnet deshalb auch nicht die Wiederaufnahme des Verfahrens (analog) § 359 Nr. 6 StPO (Meyer-Goßner StPO 48 Aufl. (2005) § 359 Rdnr. 52; Heidelberger Kommentar-Krehl 3. Aufl. (2001) § 359 Rdnr. 32). Schließlich kommt eine Durchbrechung der Rechtskraft auch nicht in analoger Anwendung von § 79 Abs. 1 BVerfGG in Betracht. Insoweit fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat bei der Erweiterung der Wiederaufnahmegründe um den Wiederaufnahmegrund nach § 359 Nr. 6 StPO (durch Urteil des EGMR festgestellte Verletzung der EMRK) durch das Gesetz vom 09.07.1998 zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts (BGBl I 1802; vgl. BT-Drucks 13/10333) keinen Anlass gesehen einen dieser Bestimmung oder dem § 79 Abs. 1 BVerfGG nachgebildeten Wiederaufnahmegrund im Falle von Vorabentscheidungen des EuGH nach Art. 234 Abs. 3 EG über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts einzuführen, aus denen sich ggf. Verstöße der Strafgerichte gegen das Gemeinschaftsrecht bei dessen Anwendung herleiten lassen (vgl. OLG Karlsruhe aaO.).

bb) Nichts anderes folgt aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben. Der EuGH unterstreicht in der Rechtssache Köbler die besondere Bedeutung des Grundsatzes der Rechtskraft für die Funktionsfähigkeit einer jeden Rechtsordnung (Rdnr. 37, 38, 39). Die Problematik einer in Rechtskraft erwachsenen, gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden Gerichtsentscheidung löst der Gerichtshof dabei dahin gehend, dass unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen ein gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch eröffnet wird (vgl. OLG Karlsruhe aaO.) Ausdrücklich hält der EuGH aber fest, dass hierdurch die Rechtskraft einer letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung nicht in Frage gestellt werde (Rdnr. 39), sondern bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Grundsatz der Rechtskraft und dem Schutz der nach Gemeinschaftsrecht begründeten Rechte des Einzelnen in besonderen Ausnahmefällen eine Amtshaftung in Betracht komme. Eine Durchbrechung der Rechtskraft ist danach gemeinschaftsrechtlich in keinem Fall geboten, unabhängig davon, dass bezüglich des Urteils des Amtsgerichts R die Voraussetzungen eines solchen besonderen Ausnahmefalls nach dem oben Gesagten ohnehin nicht vorliegen.



c) Schließlich ist ein gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch auch nicht deshalb begründet, weil das Urteil des Amtsgerichts R zwischenzeitlich vollstreckt wurde. Anknüpfungspunkt für eine Haftung könnten insoweit nur Vollstreckungsmaßnahmen der zuständigen Staatsanwaltschaft B in dem Verfahren 401 VRs 203 Js 6641/02 sein. Die Vollstreckung eines rechtskräftigen Urteils, das selbst keine gemeinschaftsrechtliche Amtshaftung auslöst, ist jedoch grundsätzlich ungeeignet, ihrerseits eine solche Haftung zu begründen. Ob dies im Interesse einer effektiven Durchsetzung des übergeordneten Gemeinschaftsrechts auch für den Fall gilt, dass die Voraussetzungen eines offenkundigen Verstoßes zwar noch nicht bei Erlass eines Urteils vorliegen, später aber und noch vor dessen Vollstreckung gegeben sind, weil etwa eine entsprechende Entscheidung des EuGH zwischenzeitlich ergeht, braucht nicht entschieden zu werden. Denn eine solche Konstellation war vorliegend nicht gegeben. Die Kostenrechnung der Staatsanwaltschaft B in dem Vollstreckungsverfahren 401 VRs 203 Js 6641/02 datiert vom 21.11.2002; mit Verfügung vom 20.08.2003 hat die Behörde das Vollstreckungsverfahren nach Eingang der Zahlungen (Geldstrafe und Verfahrenskosten) abgeschlossen. Dieses Geschehen liegt zeitlich vor dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Kapper vom 29.04.2004 und sogar noch vor den Schlussanträgen des Generalanwalts in dieser Sache vom 16.11.2003.

d) Schadensersatzansprüche nach nationalem Recht bestehen nicht. Der Kläger behauptet nicht, dass der erkennende Richter des Amtsgerichts R bei Erlass des Urteils eine Amtspflichtverletzung in Gestalt einer Straftat begangen habe (§ 839 Abs. 2 S. 1 BGB). Auch soweit es das Wiederaufnahmeverfahren bzw. das Vollstreckungsverfahren 401 VRs 203 Js 6641/02 betrifft, sind Amtspflichtverletzungen nicht auszumachen. Die Zurückweisung des klägerischen Wiederaufnahmeantrags ist, unabhängig von der Anwendung des Richterprivilegs in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB auf Beschlüsse dieser Art, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden; nicht zu beanstanden ist auch die Vollstreckung des rechtskräftigen Strafurteils durch die Staatsanwaltschaft B. ..."

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