Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 20.06.2002 - 4 StR 371/01 - Ein Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, der nach dem 31.12.1998 im Inland ein Kfz führt, macht sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar

BGH v. 20.06.2002: Ein Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, der nach dem 31.12.1998 im Inland ein Kfz führt, macht sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis straf1bar, auch wenn er aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 01.01.1999 (In-Kraft-Treten der FeV) im Inland vorübergehend wieder Kraftfahrzeuge führen durfte.




Der BGH (Beschluss vom 20.06.2002 - 4 StR 371/01) hat entschieden und eingehend begründet, dass sich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis strafbar macht, wer im Inland seinen Wohnsitz hat und hier nach dem 31.12.1998 ein Kfz mit einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis führt, obwohl ihm seine deutsche Fahrerlaubnis rechtskräftig entzogen worden ist:

   Der Inhaber einer in einem EU- oder EWR-Staat erworbenen Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland, dem die deutsche Fahrerlaubnis von einem Gericht rechtskräftig entzogen worden war und der nach dem 31. Dezember 1998 im Inland ein Kraftfahrzeug führt, macht sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV strafbar, und zwar auch dann, wenn er aufgrund der ausländischen Fahrerlaubnis vor dem 1. Januar 1999 im Inland (wieder) Kraftfahrzeuge führen durfte.

Anmerkung:
Diese strafgerichtliche Entscheidung steht im Widerspruch zum Beschluss des VG Bremen v. v. 31.03.1999 - 5 V 452/99 -, in dem ausgesprochen wurde, dass § 28 Abs. 3 FeV auf die sog. Altfälle keine Anwendung findet.


Siehe auch
EU-Führerschein - Fahren ohne Fahrerlaubnis
und
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein

Im einzelnen führt der BGH aus:

   „…1. Seit dem 1. Januar 1999 richtet sich die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland für den Inhaber einer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erteilten Fahrerlaubnis (EU/EWR-Fahrerlaubnis), der seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat, nach der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung, FeV) vom 18. August 1998 (BGBl I 2214). Nach § 28 Abs. 1 FeV darf er im Umfang seiner sich aus der ausländischen Fahrerlaubnis ergebenden Berechtigung zeitlich unbegrenzt im Inland Kraftfahrzeuge führen, vorbehaltlich der in § 28 Abs. 2 bis 4 FeV vorgesehenen Einschränkungen. So besteht nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV keine Fahrberechtigung im Inland für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen worden ist, denen die Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwische



2. Die Erstreckung von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV auch auf Fälle der vorliegenden Art (im folgenden Altfälle), in denen der Inhaber einer vor dem 1. Januar 1999 in einem EU oder EWR-Staat erworbenen Fahrerlaubnis, der seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung Gebrauch machen durfte, weil ihm zwar die inländische Fahrerlaubnis durch ein Gericht entzogen, eine Sperrfrist jedoch nicht (mehr) lief, entspricht dem Wortlaut der Norm.

Insbesondere trägt sie aber der Zielsetzung des Verordnungsgebers, eine möglichst weitgehende Angleichung der Rechtsverhältnisse in Bezug auf inländische und ausländische Fahrerlaubnisse zu erreichen (BRDrucks. 443/98 S. 283), Rechnung. Dies wird nicht nur daran deutlich, dass § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV sich in das Regelungsgefüge einpasst, zu dem auch die zeitgleich mit der FeV in Kraft getretene Neufassung des § 69 b Abs. 1 StGB durch das Gesetz zur Änderung des StVG und anderer Gesetze vom 24. April 1998 (BGBl I 747) gehört, nach der die Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis entgegen der bisherigen Gesetzeslage nicht mehr nur eine fahrverbotsähnliche Wirkung, sondern - wie beim Entzug einer inländischen Fahrerlaubnis - das Erlöschen des Rechts zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland zur Folge hat. Das Bestreben des Normgebers nach einer kontinuierlichen schrittweisen Harmonisierung der Befugnisse von Inhabern inländischer und ausländischer Fahrerlaubnisse unter Fortführung und Erweiterung bereits bestehender Anpassungsvorschriften ergibt sich vor allem aus der Entstehungsgeschichte des § 28 Abs. 4 FeV:

Für die Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse galt bis zum 30. Juni 1996 allein die Verordnung über Internationalen Kraftfahrzeugverkehr (IntVO). Gemäß § 4 Abs. 2 b IntVO in der bis zum 14. Februar 1996 geltenden Fassung durften Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse im Inland keine Kraftfahrzeuge führen, solange ihnen die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen war oder ihnen aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte. Mit Wirkung vom 15. Februar 1996 wurde § 4 Abs. 2 IntVO dahin ergänzt, dass Inhaber ausländischer Fahrerlaubnisse unter anderem auch dann keine Kraftfahrzeuge führen dürfen, wenn ihnen im Inland von einer Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis sofort vollziehbar oder bestandskräftig entzogen oder ihnen die Erteilung einer Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist (§ 4 Abs. 2 c IntVO, eingefügt durch Art. 4 Nr. 1 der 22. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 14. Februar 1996, BGBl I S. 216).


Diese Einschränkungstatbestände wurden in die EU/EWR-Führerscheinverordnung vom 19. Juni 1996 übernommen. Diese Verordnung galt vom 1. Juli 1996 bis 31. Dezember 1998 als lex specialis für Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, die ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatten.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1999 trat die Fahrerlaubnisverordnung vom 18. August 1998 in Kraft. Sie ersetzte u.a. die EU/EWR-Führerscheinverordnung und fasste die bislang geltenden Einschränkungstatbestände in § 28 Abs. 4 FeV neu. Der Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Verwaltungsbehörde wurde nunmehr die gerichtliche Entziehung der Fahrerlaubnis gleichgestellt. Anders als bisher ist der Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis nach Ablauf einer vom Gericht verhängten Sperrfrist im Inland nicht wieder automatisch fahrberechtigt (vgl. hierzu VkBl. 1998, 1049, 1055).




Die angestrebte Harmonisierung bliebe aber unvollständig, wollte man von der Regelung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV den Personenkreis ausnehmen, der trotz gerichtlicher Entziehung seiner deutschen Fahrerlaubnis infolge unterbliebener oder abgelaufener Sperrfrist vor Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung von seiner EU/EWR-Fahrerlaubnis wieder Gebrauch machen durfte. Dies erscheint weder sachgerecht noch ist ersichtlich, dass der Verordnungsgeber dem Interesse des betroffenen Personenkreises am Bestand der Fahrberechtigung im Inland den Vorrang einräumen und eine Abschwächung der Wirkung seiner Harmonisierungsbestrebungen in Kauf nehmen wollte. Letzteres ergibt sich insbesondere daraus, dass solche Altfälle nicht ausdrücklich vom Anwendungsbereich des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV ausgenommen worden sind. Bei einem ausschließlich in die Zukunft gerichteten Anwendungsbereich von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV hätte sich eine Übergangsregelung aber schon deshalb aufgedrängt, weil sich mit der oben beschriebenen Änderung von § 4 Abs. 2 IntVO zum 15. Februar 1996 für Inhaber einer ausländischen Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis durch eine Verwaltungsbehörde vor dem 1. Februar 1996 entzogen war, eine vergleichbare Fragestellung ergeben hatte, die von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung im Sinne einer Erstreckung der Neufassung des Gesetzes auch auf Altfälle gelöst worden war (vgl. OLG Zweibrücken VRS 93, 195, 197; OVG Bremen NJW 1998, 3731; VG München DAR 1997, 457, 458).

3. Einer solchen Auslegung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV steht das Recht der Europäischen Gemeinschaften nicht entgegen. Das Führerscheinrecht der Europäischen Gemeinschaften lässt es vielmehr ausdrücklich zu, Personen die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis zu versagen, wenn gegen den Betreffenden zuvor nach den innerstaatlichen Vorschriften Maßnahmen über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis angewandt worden sind (Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über den Führerschein vom 29. Juli 1991 - 91/439/EWG, ABl EG Nr. L 237, S. 1, 5; vgl. auch EuGH DAR 1996, 193, 194; OVG Bremen NJW 1998, 3731; OVG des Saarlandes ZfS 1998, 239). Das europäische Recht ist durch die EU/EWR-FührerscheinVO, an deren Stelle mit Wirkung vom 1. Januar 1999 die FeV getreten ist, in nationales Recht umgesetzt worden.



4. Bedenken aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen ebenfalls nicht. Zwar kann die an Wortlaut und Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV dazu führen, dass einem Angeklagten, der vor Inkrafttreten der Vorschrift nach Ablauf der Sperrfrist mit seiner ausländischen Fahrerlaubnis berechtigt am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat, diese Rechtsposition wieder genommen wird. Darin ist jedoch kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip und den daraus folgenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes abgeleitete allgemeine Rückwirkungsverbot zu sehen. Es handelt sich lediglich um einen Fall tatbestandlicher Rückanknüpfung ("unechte" Rückwirkung), da die Rechtsfolgen erst nach Inkrafttreten der Verordnung eintreten, der Tatbestand aber an einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt anknüpft (vgl. BVerfGE 72, 200, 242). Eine solche Regelung ist jedenfalls dann unbedenklich, wenn das mit der Neuregelung verfolgte Anliegen das Interesse des Betroffenen am Erhalt seiner Rechtsposition überwiegt (vgl. BVerfGE 97, 67, 79 f.). Dies ist hier angesichts der angestrebten Harmonisierung des Fahrerlaubnisrechts im Bereich der Europäischen Gemeinschaften gegeben."

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