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Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil vom 07.11.2006 - B 1 K 06.208 - Zur Nutzungsuntersagung nach einer Alkoholfahrt nach Erteilung eines EU-Führerscheins

VG Bayreuth v. 07.11.2006: Zur Nutzungsuntersagung nach einer Alkoholfahrt nach Erteilung eines EU-Führerscheins




Das Verwaltungsgericht Bayreuth (Urteil vom 07.11.2006 - B 1 K 06.208) hat entschieden:

   Eine rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verstoßes nach § 24a StVG (Alkoholfahrt unter 0,47 mg/l Atemalkohol) nach dem Erwerb einer tschechischen Fahrerlaubnis berechtigt bei Nichtbeibringung einer geforderten positiven MPU den Ausspruch einer Nutzungsuntersagung auch dann, wenn der Verstoß bei Erlass des Bescheides und des Widerspruchsbescheides der Fahrerlaubnisbehörde noch nicht bekannt war.

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Der am 29.10.1964 geborene Kläger wurde mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Coburg vom 30.09.2000 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit (Blutalkoholkonzentration 1,99 ‰) verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde mit einer Sperrfrist von 11 Monaten entzogen.

Mit weiterem rechtskräftigen Urteil vom 28.02,2002 des Amtsgerichts Coburg ist dem Kläger wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (Blutalkoholkonzentration 2,01 ‰) wiederum die Fahrerlaubnis als Nebenfolge entzogen worden (Sperrfrist ein Jahr und drei Monate).

Zuletzt wurde der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Coburg vom 13.12.2002 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, vor Ablauf von einem Jahr und sechs Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Die Fahrerlaubnissperre dauerte bis zum 12.06.2004.

Am 10.08.2005 wurde dem Kläger in der Tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis Klasse B erteilt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland.




, Die Stadt C. forderte den Kläger daraufhin mit Schreiben vom 13.09.2005 zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens auf, da hier erhebliche Zweifel an der grundsätzlichen Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Dem Kläger wurde mitgeteilt, dass das Gutachten bis spätestens 13.11.2005 vorzulegen sei. Für den Fall der Nichtbeibringung hörte sie den Kläger zur beabsichtigten Aberkennung der Fahrberechtigung an.

Hierzu äußerte sich die Bevollmächtigte des Klägers. Sie führte mit Schriftsatz vom 21.09.2005 aus, dass der Kläger keinerlei Veranlassung habe, sich zur Klärung von Eignungszweifeln einer medizinisch-psychologischen Begutachtung zu unterziehen, da er über eine ordnungsgemäß erworbene tschechische Fahrerlaubnis verfüge. Mit Schreiben vom 26.09.2005 sowie im weiteren Schriftverkehr wurde der Bevollmächtigten des Klägers seitens der Stadt Coburg mitgeteilt, dass sich die bayerischen Fahrerlaubnisbehörden - bis zu einer anders lautenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs - an den Grundsätzen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs orientieren und bei fehlender Eignung weiterhin an der bisherigen Aberkennungspraxis festhalten würden.

Das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten hat der Kläger nicht beigebracht.

Mit für sofort vollziehbar erklärtem Bescheid vom 30.11.2005 entzog die Stadt Coburg dem Kläger die Fahrberechtigung aufgrund eines nationalen tschechischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger wurde aufgefordert, seinen tschechischen Führerschein der Stadt Coburg zur Eintragung der Aberkennung vorzulegen. Für den Fall, dass der Kläger letzterer Anordnung nicht innerhalb von sieben Tagen nach Zustellung des Bescheides Folge leiste, wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR angedroht.

Gegen diesen Bescheid erhob die Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 06,12 2005 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2006 wurde der Widerspruch zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 09.03.2006, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am gleichen Tag, erhob der Kläger Klage und beantragte die Aufhebung des Bescheides der Stadt C. vom 30.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von Oberfranken vom 06.02.2006.

Mit Schreiben vom 11.05.2006 übermittelte die Beklagte einen gegen den Kläger erlassenen rechtskräftigen Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes nach § 24a StVG. Der Kläger hatte am 26.10.2005 ein Kfz mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,47 mg/l geführt.

Die Klage blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen nimmt das Gericht Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Bescheid und der Regierung von Oberfranken im Widerspruchsbescheid, denen es folgt, sowie auf seine eigenen Ausführungen im Beschluss vom 06,04.2006 (vgl. B 1 S 06.207). Zur Sache und zum Klagevorbringen ist ergänzend Folgendes auszuführen:

Im vorliegenden Fall hegte die Fahrerlaubnisbehörde zu Recht Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen (§ 11 Abs. 1 FeV). Die Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung enthält eine Aufstellung häufig vorkommender Erkrankungen und Mängel, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können. In dieser Aufstellung wird bewertet, ob bei den aufgeführten Erkrankungen und Mängeln in der Regel von einer Fahreignung auszugehen ist oder nicht. Unter Ziffer S.1 der Anlage 4 ist Alkoholmissbrauch als Mangel aufgeführt, bei dessen Vorliegen die Fahreignung generell für alle Klassen fehlt. Nach Beendigung des Missbrauchs liegt die Fahreignung erst dann wieder vor, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist (Ziffer 8.2 der Anlage 4). Missbrauch liegt dann vor, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können. Deckungsgleiche Aussagen werden in den Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Berichten der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115, Nr. 3,11.1, getroffen. Mit den §§ 11 bis 14 FeV hat der Gesetzgeber eine spezialgesetzliche Regelung für die Klärung von Eignungszweifeln, auch im Hinblick auf Alkoholmissbrauch, geschaffen, gemäß der die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung eine Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis anordnet, dass ein Gutachten beizubringen ist Die Fahrerlaubnisbehörde war hier nach § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 13 Nr 2 Buchst. b FeV berechtigt und verpflichtet, von dem Kläger die Beibringung eines medizinischpsychologischen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten ist insbesondere immer dann anzuordnen, wenn wiederholt ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss geführt wurde (vgl. § 13 Nr. 2 Buchst, b FeV). Der Kläger hat diesen Tatbestand erfüllt, er hat am 23.07.2000 und am 05.12.2001 unter Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen. Die Fahrerlaubnisbehörde war hier auch nach § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 13 Nr. 2 Buchst. c FeV berechtigt und verpflichtet, von dem Kläger die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Ein medizinischpsychologisches Gutachten ist insbesondere immer dann anzuordnen, wenn ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr geführt wurde (vgl. § 13 Nr. 2 Buchst, c FeV)- Der Kläger hat auch diesen Tatbestand erfüllt, er hat am 23.07.2000 mit 1,99 ‰ und am 05.12.2001 mit 2,01 ‰ am Straßenverkehr teilgenommen. Die Fahrerlaubnisbehörde war hier auch nach § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 13 Nr. 2 Buchst. d FeV berechtigt und verpflichtet, von dem Kläger die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Ein medizinisch-psychologisches Gutachten ist weiterhin immer dann anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der unter Buchstabe a bis c genannten Gründe entzogen war. Auch diesen Tatbestand hat der Kläger erfüllt. Die Fahrerlaubnisbehörde war aber auch nach § 46 Abs. 3 FeV i. V. m. § 13 Nr. 2 Buchst. e FeV berechtigt und verpflichtet, von dem Kläger die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Außerdem ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten insbesondere immer dann anzuordnen, wenn sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht. Auch diesen Tatbestand hat der Kläger erfüllt. Aufgrund dieses Umstandes und des seit Jahren bekannten missbräuchlichen Alkoholkonsums ist der Verdacht begründet, dass der Kläger noch immer bzw. wieder Alkoholmissbrauch betreibt und die Gefahr besteht, dass er den Konsum von Alkohol und das Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr nicht trennt. Letztlich ist dem Kläger bereits zweimal wegen Trunkenheitsfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von 1,99 ‰ bzw. 2,01 ‰ der Führerschein entzogen und eine Sperrfrist bestimmt wurden. Im Hinblick darauf, dass der Kläger mit Blutalkoholkonzentrationen am Straßenverkehr teilgenommen hat, die den Grenzwert für absolute Fahruntüchtigkeit von 1,1 ‰ fast um das Doppelte übersteigen, muss von einer deutlich erhöhten Wahrscheinlichkeit der erneuten Verkehrsteilnahme in (ange)trunkenem Zustand ausgegangen werden (vgl. z. B. BayVGH vom 08,02.2006, Az.: 11 CS 05.2229). Nach Auffassung des Gerichts besteht der begründete Verdacht, dass in der Person des Klägers nach wie vor Eignungsmängel bestehen. Dies zeigt sich auch darin, dass der Kläger mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts C. vom 13.12 2002 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verurteilt worden ist. Der Kläger hat weiter am 26.10.2005 ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,47 mg/l geführt. Mittlerweile ist diesbezüglich auch ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes nah § 24a StVG gegen den Kläger ergangen. Dieser Vorfall bestätigt eindeutig die vorliegende Alkoholproblematik des Klägers. Somit bedarf es der fachlichen Überprüfung, ob noch immer die Gefahr des missbräuchlichen Alkoholkonsums und weiteren Führens von Kraftfahrzeugen unter Alkoholeinfluss durch den Kläger besteht. Zur Ausräumung der dargestellten Zweifel an der Fahreignung des Klägers hat die Stadt C. deshalb von diesem zu Recht die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gefordert. Nachdem der Kläger in der ihm gesetzten ausreichend bemessenen Frist kein die begründeten Eignungszweifel beseitigendes Gutachten vorgelegt hat, konnte die Fahrerlaubnisbehörde nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (seit dem Urteil vom 02.12.1960, BVerwGE 11, 274) und der inzwischen normierten Regelung des § 11 Abs. 8 FeV, die gemäß § 46 Abs. 3 FeV Anwendung findet, auf die fehlende Fahreignung des Klägers schließen.


Das Gericht ist auch der Auffassung, dass der Kläger die tschechische Fahrerlaubnis missbräuchlich erworben hat, da er zur Zeit des Erwerbs seinen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland hatte. In der Verwaltungsrechtsprechung wird auch nach der EuGH-Entscheidung vom 06,04.2006 (Rechtssache C 227/05) vielfach die Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, auch ohne neue, nach dem Erwerb eingetretene, Tatsachen als zulässig erachtet, wenn es sich um Missbrauchsfälle handelt (vgl. z. B. OVG Münster vom 13.9.2006 Az. 16 B 989/06, OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 29.8.2006 Az. 1 M 46/06, Hessischer VGH vom 9.82006 Az. 2 TG 1516/06. VGH Baden-Württemberg vom 21.07.2006 Az.: 10 S 1337/06 und Thüringer OVG vom 29.62006, Az. 2 EU 240/06). Das Auto des Klägers ist in Deutschland zugelassen; er arbeitet nach wie vor in Deutschland. Triftige Gründe, warum der Kläger in Tschechien gelebt haben will, werden gar nicht vorgebracht. Nach Auffassung des Gerichts ist die Anforderung des Gutachtens somit rechtmäßig.



Das Gericht ist weiter der Auffassung, dass aufgrund des Vorfalls vom 26,10.2005 die Gutachtensanforderung der Beklagten (zumindest nachträglich) auf jeden Fall berechtigt gewesen ist. Der Kläger hatte am 26.10.2005 ein Kraftfahrzeug mit einer Atemalkoholkonzentration von 0,47 mg/l geführt. Ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid wegen eines Verstoßes nach § 24 a StVG wurde gegen den Kläger erlassen. Dieser Vorfall vom 26.10.2005, der zeitlich vor der Aberkennung der Fahrberechtigung des Klägers aufgrund eines nationalen tschechischen Führerscheins im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lag, war der Fahrerlaubnisbehörde zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses nicht bekannt; auch das Gericht erfuhr davon erst mit Schriftsatz vom 11.05.2006. Dieser Vorfall ist nach Auffassung des Gerichts aber Anhaltspunkt genug, dass die frühere Alkoholproblematik noch immer bestehen könnte und damit Anlass gegeben ist, zu überprüfen, ob beim Kläger noch Alkoholmissbrauch besteht, bzw. er sein Verhalten nunmehr geändert hat, d.h., Alkohol und Führen von Kraftfahrzeugen trennt. Es lagen neue Erkenntnisse nach Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis vor. Dass dieser Vorfall erst später bekannt geworden ist. kann sich nicht zu Gunsten des Klägers auswirken. Vielmehr hat sich die Gutachtensanforderung nachträglich bestätigt bzw. als richtig erwiesen. Die Gutachtensanforderung der Beklagten ist somit trotzdem mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.04,2006 in der Rechtssache C-227/05 (Halbritter) zu vereinbaren. Nachdem somit Eignungszweifel auslösende Umstände in dieser Sache vorliegen und auch aktuelle Anhaltspunkte vorhanden sind, dass die frühere Alkoholproblematik beim Kläger noch immer bestehen könnte, war die Anforderung des Gutachtens berechtigt. ..."

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