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Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) Beschluss vom 19.10.2006 - 2 L 115/06 - Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Rechtsmissbrauch überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug

VG Frankfurt (Oder) v. 19.10.2006: Beim Vorliegen von Anhaltspunkten für Rechtsmissbrauch überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug




Das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) (Beschluss vom 19.10.2006 - 2 L 115/06) hat entschieden:>br>
   Auch wenn die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren gegenwärtig offen sind, überwiegt insbesondere beim Vorliegen objektiver und subjektiver Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch das öffentliche Interesse am Sofortvollzug. ,

Siehe auch
Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
und
Die Nutzungsuntersagung bzw. Nichtanerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland

Zum Sachverhalt:


Der Antragsteller wurde mit seit dem 26. Januar 1995 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts ... (Az.: ...) wegen Vollrausches verurteilt; die Fahrerlaubnis wurde bestandskräftig entzogen und eine Sperrfrist von 18 Monaten für die Neuerteilung verhängt. Eine Neuerteilung einer deutschen Fahrerlaubnis ist bisher nicht erfolgt. Der Antragsteller beantragte zwar in der Folgezeit unter dem 11. Juli 1996 die Neuerteilung, jedoch ist dieser Antrag mit Bescheid des Antragsgegners vom 05. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1997 aufgrund des negativen Ergebnisses eines vom 13. Dezember 1996 datierenden medizinisch-psychologischen Gutachtens über die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen bestandskräftig abgelehnt worden. Ein vom Antragsteller am 28. September 1999 gestellter erneuter Antrag auf Fahrerlaubniserteilung wurde von ihm unter dem 18. Mai 2000 zurückgenommen.

Die Behörde untersagte dem Antragsteller die Nutzung eines in Polen nach Ablauf der Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis, obwohl keine neuen Tatsachen Eignungsbedenken ergeben hatten, nachdem der Antragsteller ein von ihm verlangtes positives Fahreignungsgutachten nicht vorgelegt hat.

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder herzustellen, blieb erfolglos.





Aus den Entscheidungsgründen:


"... Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist auch in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. ...

An diesen Grundsätzen gemessen muss das private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung zurücktreten.

Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Aberkennung des Rechts des Antragstellers, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist nicht bereits aufgrund der Erfolgsaussichten des gegen die Ordnungsverfügung vom 05. April 2006 erhobenen Widerspruchs vom 20. April 2006 geboten. Ein Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache ist zwar nach der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen summarischen Prüfung nicht auszuschließen, jedenfalls aber ist der Erfolg nicht wahrscheinlicher als ein Misserfolg.

Rechtsgrundlage für die durch Ziffer 2. des Bescheides vom 05. April 2006 gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene Aberkennung des Rechts, von dessen polnischer Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, ist § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. §§ 28 Abs. 1 und Abs. 4 Nr. 3, 46 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 2 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG , § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis erlischt das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland (§ 46 Abs. 5 Satz 2 FeV); die Entziehung hat – auch wenn sie nach anderen Vorschriften erfolgt – die Wirkung einer Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVG).




Die formellen und materiellen Voraussetzungen dieser Bestimmungen sind nach der hier notwendigerweise nur summarischen Prüfung erfüllt. Zwar hat der Inhaber einer gültigen EU-Fahrerlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV das Recht, im Umfang der Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland zu führen. Diese Regelung setzt die gemeinschaftsrechtliche Regelung des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 in innerstaatliches Recht um, wonach die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt werden. Die Berechtigung nach Absatz 1 gilt jedoch nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen die Fahrerlaubnis im Inland vorläufig oder rechtskräftig von einem Gericht oder sofort vollziehbar oder bestandskräftig von einer Verwaltungsbehörde entzogen oder bestandskräftig versagt worden ist oder denen die Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben (§ 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV). Diese Voraussetzungen sind im Falle des Antragstellers erfüllt:

...

Dem Antragsteller kann zwar gemäß § 28 Abs. 5 Satz 1 FeV auf Antrag das Recht erteilt werden, von seiner EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, wenn die Gründe für die Entziehung oder die Sperre nicht mehr bestehen. Einen solchen Antrag hat der Antragsteller bisher nicht gestellt. Es ist auch nicht offensichtlich oder überwiegend wahrscheinlich, dass ein solcher Antrag Erfolg haben könnte. Denn die im Bescheid vom 05. April 2006 getroffene dahin gehende Einschätzung des Antragsgegners, dass der Antragsteller ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei, ist nach derzeitigem Erkenntnisstand nicht zu beanstanden.


Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass der Antragsgegner aus dem Umstand, dass der Antragsteller kein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinisch-psychologisches Gutachten) vorgelegt hat, auf die Nichteignung des Antragstellers geschlossen hat, vgl. § 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 3, Abs. 6 und 8 FeV. Nach diesen Vorschriften ist der Schluss auf die Nichteignung allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der medizinisch-psychologischen Untersuchung rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 C 25.04 - DVBl. 2005, 1337 ff., hier zitiert nach juris, Rz. 19 m. w. N.).

Die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologisches Gutachten über die Fahreignung erfolgte anlässlich einer an den Antragsgegner erteilten Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes, wonach dem Antragsteller durch die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Szczecin (Stettin) ein polnischer Führerschein erteilt worden sei, obwohl den polnischen Stellen auf entsprechende Anfrage zuvor mitgeteilt worden sei, dass der Antragsteller sich weder im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis befinde noch ihm ohne ein vorheriges positives Gutachten über die Fahreignung eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden könne.

Diese Anordnung zur Gutachtenbeibringung erfüllt die an sie gestellten Anforderungen. Sie fand ihre Grundlage in den gemäß § 46 Abs. 3 FeV entsprechend anwendbaren Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV . Für den Fall, dass Zweifel an der Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Hinblick auf eine möglicherweise bestehende Alkoholproblematik bestehen, trifft § 13 FeV eine differenzierte Regelung darüber, wann ein ärztliches und wann ein medizinisch-psychologisches Gutachten einzuholen ist oder eingeholt werden kann. Gemäß § 13 Nr. 2 ist die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens unter anderem dann anzuordnen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde (lit. c) oder wenn die Fahrerlaubnis aus diesem Grund entzogen war (lit. d). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift lagen mit Blick auf den Antragsteller vor, denn dieser nahm am 03. November 1993 unter Alkoholeinfluss als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teil. Die bei diesem Anlass bei ihm festgestellte Blutalkoholkonzentration betrug 3,18 Promille. Der Antragsteller wurde durch das seit dem 26. Januar 1995 rechtskräftige Urteil des Landgerichts ... (Az.: ...) wegen vorsätzlichem Vollrausch zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt; die Fahrerlaubnis wurde bestandskräftig entzogen und eine Sperrfrist von 18 Monaten für die Neuerteilung verhängt. Ein vom 13. Dezember 1996 datierendes medizinisch-psychologisches Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass die Kraftfahreignung des Antragstellers zu verneinen sei. Der Antragsgegner war somit gehalten, aufgrund der sich durch die Trunkenheitsfahrt ergebenden und fortbestehenden Zweifel an der Geeignetheit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen. Insbesondere stand dem nicht etwa ein durch Zeitablauf eingetretenes Verwertungsverbot hinsichtlich der seinerzeitigen Verurteilung des Antragstellers wegen vorsätzlichen Vollrausches (§ 323 a StGB) entgegen. Die wegen dieser Verurteilung erfolgte Eintragung wäre zwar gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG grundsätzlich nach 10 Jahren ab dem Tag des ersten Urteils und mithin mit Ablauf des 26. Januar 2005 tilgungsreif und somit nicht mehr verwertbar gewesen, im Falle des Antragstellers - dem die Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung entzogen worden ist - begann die zehnjährige Frist jedoch gemäß § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG erst 5 Jahre nach der beschwerenden Entscheidung. Sie läuft daher erst am 26. Januar 2010 ab.

Die vorliegend erfolgte Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens genügt auch den in § 11 Abs. 6 normierten Anforderungen (vgl. dazu allgemein zu der Vorgängervorschrift § 15 b) Abs. 2 StVZO a. F. BVerwG, Urteil vom 05. Juli 2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78). ...




Durfte der Antragsgegner danach gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV wegen der ohne ausreichenden Grund nicht erfolgten Einreichung des erbetenen medizinisch-psychologischen Sachverständigengutachtens zu Recht auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen, so ist dem Antragsteller gemäß § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen mit der Folge, dass das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland erlischt (§ 46 Abs. 5 Satz 2 FeV). Ein Ermessen ist dem Antragsgegner bei dieser Entscheidung nicht eingeräumt.


Die in dem angegriffenen Bescheid verfügte Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen, stellt sich nach der im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung jedoch im Ergebnis weder als offensichtlich rechtmäßig noch als offensichtlich rechtswidrig dar, denn die von der Republik Polen ausgestellte Fahrerlaubnis ist grundsätzlich auch von den deutschen Behörden anzuerkennen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse kann jedoch durchbrochen werden, wenn es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt ist, sich auf die im EU-Ausland erworbene Fahrerlaubnis zu berufen. Die hierzu erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften über die Entziehung der Fahrerlaubnis unterliegt den gemeinschaftsrechtlichen Bindung der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (Amtsblatt EG Nr. I 237 vom 24. August 1991, S. 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 02. Juni 1997 (ABl EG Nr. I 150 vom 07. Juni 1997) – im Folgenden: Führerscheinrichtlinie. Artikel 1 Abs. 2 dieser Richtlinie sieht die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine vor. Nach Artikel 8 Abs. 2 der Führerscheinrichtlinie kann der Mitgliedsstaat des ordentlichen Wohnsitzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden; nach Artikel 8 Abs. 4 kann er die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ablehnen, wenn dieser einer Person erteilt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Abs. 2 genannten Maßnahmen angewendet wurde. Der für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständige Gerichtshof hat sich mit diesen Richtlinienbestimmungen unlängst (Beschluss vom 06. April 2006 – Rs. C – 227/05 [Halbritter] – NJW 2006, 2173 und bereits zuvor mit Beschluss vom 29. April 2004 – Rs. C – 476/01 [Kapper] – NJW 2004, 1725) näher befasst. Nach seiner Auffassung sieht Artikel 1 Abs. 2 Führerscheinrichtlinie die unbedingte gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Artikel 8 Abs. 4 Führerscheinrichtlinie sei als Ausnahme dieses Grundsatzes eng auszulegen. Demnach untersage Artikel 1 Abs. 2 i. V. m. Artikel 8 Abs. 4 Führerscheinrichtlinie die Verweigerung der Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedsstaat nach Ablauf einer zusätzlich zu der Maßnahme des Entzuges angeordneten Sperrfrist ausgestellten Führerscheins; den Mitgliedsstaaten sei es in diesem Zusammenhang verwehrt, sich auf die ihn in Artikel 8 Abs. 2 Führerscheinrichtlinie eingeräumte Befugnis zu berufen. Vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins könne die Erfüllung der nationalen Bedingungen für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach ihrem Entzug nicht verlangt werden. Hätten die Behörden eines Mitgliedsstaates einen Führerschein gemäß Artikel 1 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie ausgestellt, seien die anderen Mitgliedsstaaten nicht mehr befugt, die Beachtung der Ausstellungsbedingungen erneut zu prüfen (EuGH, Beschluss vom 06. April 2006, a. a. O., Rdnr. 25 – 29 und 34).




Gemessen an diesen gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben wäre der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine auch auf den unter dem 05. Juli 2005 von einer polnischen Behörde zugunsten des Antragstellers ausgestellten Führerschein anzuwenden. Die in dem Urteil des Landgerichts ... vom 26. Januar 1995 festgesetzte 18-monatige Sperrfrist für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis war zu diesem Zeitpunkt längst verstrichen. Weil auch Anschluss an die Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis keine Eignungszweifel begründende Umstände bekannt geworden sind (zu nachträglichen Eignungszweifeln vgl. Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 27. Juni 2006 – OVG 1 S 112.05 -), wäre der Antragsgegner demnach daran gehindert, gestützt auf § 13 Abs. 2 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Prüfung der Fahrerlaubnisentziehung bei alkoholbedingten Eignungszweifeln zu verlangen und im Falle seiner unterbliebenen Vorlage gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zu schließen.

Auch der jüngste Beschluss des Gerichtshofes vom 06. April 2006 lässt jedoch noch Fragen offen, ob der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse tatsächlich stets uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann. Mit Hilfe der den mitgliedsstaatlichen Gerichten auferlegten Pflicht zur gemeinschaftrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, lassen sich die verbleibenden Zweifel nicht ausräumen, da sie aus dem Gemeinschaftsrecht selbst und seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der Rechtsprechung des Gerichtshofes lassen sich immerhin Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es dem Fahrerlaubnisinhaber im Einzelfall verwehrt sein kann, sich auf die in einem anderen Mitgliedsstaat erworbene Fahrerlaubnis berufen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. September 2006 - 1 S 122.05 -; S. 7 des Entscheidungsabdrucks). Generell gestattet der Gerichtshof die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht (EuGH, Urteil vom 09. März 1999 – Rs. C – 212/97 [Centros] – NJW 1999, 2027 [2028; Rdnr. 24]). Ein nicht schutzwürdiger Missbrauch ist anzunehmen, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde, und ein subjektives Element in Gestalt der Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden, vorliegt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss wie vor).

Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der dem EuGH vorliegenden weiteren Verfahren zur Vorabentscheidung des vorliegenden Problemkreises (C 340/05 u. a.) erscheint es bei summarischer Würdigung der bisher aktenkundigen Tatsachen nicht von vornherein ausgeschlossen, dass dem Antragsteller die Berufung auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Fahrerlaubnisse wegen rechtsmissbräuchlicher Umgehung der inländischen Vorschriften im Ergebnis zu versagen wäre. Selbst wenn man nicht schon darin eine missbräuchliche Inanspruchnahme der sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenen Rechte erkennen kann, dass ein Fahrerlaubnisbewerber sich mangels vollständiger Harmonisierung des Rechts der Mitgliedsstaaten die für ihn günstigeren Vorschriften zu nutze macht, kommen darüber hinaus noch besondere Umstände hinzu, die in objektiver und subjektiver Hinsicht als Anzeichen für einen Rechtsmissbrauch bewertet werden können.




Auf objektiver Ebene ist insbesondere nichts dafür ersichtlich, dass der Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis im Zusammenhang mit der Ausübung der Grundfreiheiten durch den Antragsteller, namentlich der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit steht. Der Vortrag des Antragstellers bietet keinen tragfähigen Anhaltspunkt für eine solche Annahme. Danach hat ihn vor die in seinem Gewerbe - Tätigkeit als Brunnenbauer auf vielen Baustellen - dringend erforderlichen Mobilität bewogen, sich in Polen um die Ausstellung eines Führerscheins zu bemühen. Dieses Vorhaben ist demnach - anders als in der zum die Gegenstand des Beschlusses des Gerichtshofes vom 06. April 2006 (Rechtssache Halbritter) gewordenen Fallgestaltung - nicht von dem in dem ersten Erwägungsgrund der Führerscheinrichtlinie niedergelegten Ziel einer Erleichterung der Freizügigkeit von Personen bei ihrer Niederlassung erfasst.

Die vorgenannte Entscheidung des Gerichtshofes lässt sich aber durchaus in dem Sinne verstehen, dass es für die Frage der Geltung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedsstaaten ausgestellten Führerscheine im Einzelfall eine Rolle spielen kann, ob der Erwerb der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedsstaat ein von diesem Vorgang unabhängigen gemeinschaftsrechtlichen Bezug aufweist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss wie vor).

Hinzu kommt der weitere Umstand, dass den polnischen Behörden zwar auf entsprechende Anfrage zuvor mitgeteilt worden ist, dass der Antragsteller sich weder im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis befinde noch ihm ohne ein vorheriges positives Gutachten über die Fahreignung eine neue Fahrerlaubnis erteilt werden könne, jedoch weder vorgetragen oder sonst ersichtlich ist, dass die polnischen Stellen gemäß Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe a) Führerscheinrichtlinie die Erfüllung der gesundheitlichen Anforderungen nach Maßgabe des die Mindestanforderung hinsichtlich der körperlichen und geistlichen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeuges regelnden Anhangs III (Ziffer 14) geprüft haben. In seinem Beschluss vom 06. April 2006 hat der Gerichtshof die Tatsache einer erfolgten Prüfung der Mindestanforderungen an die physische und psychische Fahreignung durch die österreichischen Behörden ausdrücklich bei seiner Entscheidung für eine Anerkennung der Fahrerlaubnis im Inland gewürdigt. Diesem Umstand ist bei der Frage der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen somit eine Bedeutung zuzumessen, zumal die Führerscheinrichtlinie ausweislich ihrer Erwägungsgründe auch das Ziel verfolgt, die Sicherheit im Straßenverkehr zu verbessern und zu diesem Zweck Mindestvoraussetzungen für die Ausstellung eines Führerscheins festlegt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. September 2006 - 1 S 122.05 -; S. 8 des Entscheidungsabdrucks).

Auch auf subjektiver Ebene lassen sich gewisse Anhaltspunkte für die Absicht des Antragstellers erkennen, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil durch Umgehung innerstaatlicher Vorschriften zu verschaffen. Wesentlicher Beweggrund für den Antragsteller, ein Führerschein in Polen zu erwerben waren ersichtlich seine bereits erwähnten - vom 11. Juli 1996 sowie vom 28. September 1999 datierenden - erfolglosen Anträge auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis. Vor dem Hintergrund der im Jahre 1993 begangenen Rauschtat und der in der Folgezeit gutachterlich bestätigten alkoholbedingt fehlenden Kraftfahreignung dürfte dem Antragsteller der Erwerb eines polnischen Führerscheins als Ausweg aus dieser von ihm als ungerecht empfundenen Situation erschienen sein.



Die erforderliche Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die beim Antragsteller zum Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis geführt haben, muss danach dem Hauptsacheverfahren ebenso vorbehalten bleiben wie die Würdigung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens erfüllt sind.

Die losgelöst von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten des Antragstellers. Das Interesse des Antragstellers an einem Gebrauch seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland muss angesichts des hohen Gutes der Verkehrssicherheit und der erheblichen Verkehrsgefährdung Dritter durch ungeeignete Kraftfahrzeugführer grundsätzlich zurückstehen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der sofortige Vollzug der Aberkennung des Rechts, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, in die persönliche Lebensführung des Antragstellers und auch in die Wahrnehmung seiner grundrechtlichen Freiheiten eingreift. Diese durchaus als schwerwiegend zu bewertenden Folgen müssen jedoch im überragenden Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hingenommen werden, wenn – wie hier – alkoholbedingte Zweifel an der Kraftfahreignung nicht ausgeräumt sind. Die Vermeidung von Gefahren, die durch die Teilnahme von ungeeigneten Personen am motorisierten Straßenverkehr stehen, ist ein vorrangiges und öffentliches Anliegen hinter dem die privaten Interessen eines Betroffenen in aller Regel zurückzustehen haben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08. September 2006 - 1 S 122.05 -; S. 10 des Entscheidungsabdrucks). ..."

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