Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Landgericht Berlin Beschluss vom 25.10.2005 - 526 Qs 190/05 - Zur Durchsuchung einer Wohnung zwecks Auffindens des Führerscheins zur Vollstreckung eines Fahrverbots

LG Berlin v. 25.10.2005: Zur Durchsuchung einer Wohnung zwecks Auffindens des Führerscheins zur Vollstreckung eines Fahrverbots


Das Landgericht Berlin (Beschluss vom 25.10.2005 - 526 Qs 190/05) hat entschieden:
  1. Gesetzliche Grundlage für die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung zum Auffinden eines Führerscheins zwecks Vollstreckung eines Fahrverbots ist § 25 II 4 i. V. m. § 25 IV 1 StVG.

  2. Die Durchsuchung der Wohnung ist Folge der Weigerung, den Führerschein in amtl. Verwahrung zu geben. Maßgeblich für die Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung ist neben dem (mit Fahrverbot sanktionierten) ursprünglichen Pflichtenverstoß auch der Umstand, dass ein Fahrverbot ohnehin nur in Fällen grober und beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Fahrzeugführers in Betracht kommt.

Siehe auch Durchsuchung - Beschlagnahme - Sicherstellung und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Zum Sachverhalt:

Mit Bußgeldbescheid vom 30. 7. 2004 ordnete die Zentrale Bußgeldstelle des Landes B gegen den Betr. wegen einer am 3. 6. 2004 begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 41 II, 49 StVO; 24 StVG, 11 3.6. BKat, § 4 II BKatV, § 25 II StVG (Überschreiten der außerhalb von Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 33 km/h) neben einer Geldbuße von 115 Euro ein Fahrverbot von einem Monat an, das gemäß § 25 II 1 StVG am 18. 8. 2004 Rechtskraft erlangte.

Die gemäß § 25 II 2 StVG gesetzlich angeordnete amtliche Verwahrung konnte nicht vollzogen werden, da der Beschwerdeführer sich bis jetzt geweigert hat, den Führerschein bei der Brandenburgischen Zentralen Bußgeldstelle in G abzugeben. Daraufhin ordnete die Zentrale Bußgeldstelle der Polizei des Landes Brandenburg am 30. 9. 2004 die Beschlagnahme des Führerscheins an und beantragte - nachdem der Betr. unter seiner Wohnanschrift fünfmal nicht vorgefunden werden konnte bzw. sich verleugnen ließ - am 9. 11. 2004 beim AG Tiergarten gemäß § 25 II 4 StVG den Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses.

Mit Beschluss vom 28. 6. 2005 lehnte das AG Tiergarten den beantragten Durchsuchungsbeschluss mit der Begründung ab, es gebe keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung zur Durchführung der Beschlagnahme eines Führerscheins gemäß § 25 II 4 StVG.

Das Rechtsmittel war erfolgreich; der gerichtliche Beschl. v. 28. 6. 2005 wurde aufgehoben. Vom LG wurde die Durchsuchung von Wohnung, Sachen und Person des Betr. zum Zwecke von Auffinden und Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Die Zulässigkeit des Rechtsmittels ergibt sich vorliegend daraus, dass sich die StA Berlin der Einlegung und Begründung durch die Zentrale Bußgeldstelle der Polizei des Landes Brandenburg angeschlossen hat.

2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.

Entgegen der Auffassung des AG fehlt es für die Anordnung der Durchsuchung einer Wohnung zum Auffinden eines Führerscheins zwecks Vollstreckung eines Fahrverbots nicht an einer gesetzlichen Grundlage. Eine solche ist in der Vorschrift des § 25 II 4 i. V. m. § 25 IV 1 StVG zu sehen. Bereits der Wortlaut des § 25 IV 1 StVG, in dem es heißt: „Wird der Führerschein ... bei dem Betr. nicht vorgefunden ...” zeigt, dass der Gesetzgeber von der Zulässigkeit einer Durchsuchung zwecks Auffinden eines Führerscheins ausging.

(a) Dass hierbei auch die Durchsuchung der Wohnung gemeint ist, ist nicht nur aus dem Sinn und Zweck dieser Norm, sondern vor allem aus der Entstehungsgeschichte des § 25 StVG zu entnehmen. Zudem ergibt sie sich aus systematischen Parallelen zu § 463 b StPO und § 90 III OWiG.

Die entgegenstehende Auffassung (AG Tiergarten, NZV 1996, 506; AG Leipzig, NZV 1999, 308; AG Karlsruhe, DAR 1999, 465) übersieht, dass das Fahrverbot des § 25 StVG als Äquivalent zu dem im strafrechtlichen Bereich geltenden Fahrverbot des § 44 StGB im Rahmen der Entkriminalisierung einiger Verkehrsdelikte entstand, die zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuft wurden. Um dieses ordnungswidrigkeitsrechtliche Fahrverbot vollstrecken zu können, wurde ebenfalls die entsprechende Regelung aus dem strafrechtlichen Bereich, nämlich § 463 b StPO, im Wesentlichen wortgleich übernommen. Für § 463 b StPO ist jedoch allgemein anerkannt, dass in der Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins zur Durchsetzung des Fahrverbots aus § 44 StGB gleichzeitig die Anordnung der Wohnungsdurchsuchung bei dem Beschuldigten enthalten ist (vgl. Meyer-Goßner, 48. Aufl., § 463 b StPO Rdnr. 1).

Unter Berücksichtigung dieser Entstehungsgeschichte des § 25 StVG und insbesondere der nahezu wortgleichen Übereinstimmung des § 463b III StPO mit § 25 IV StVG lassen sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass der Gesetzgeber diesem zum Trotz einen anderen Regelungsgehalt für § 25 IV StVG festlegen wollte (vgl. BT-Drucks. 8/2152 vom 29. 9. 1978, 5. 16; BT-Drucks. 8/2287 vom 14. 11. 1978, S. 4, wonach der Rechtsausschuss die Änderung der Vorschrift für unnötig hielt, da in der Praxis die Zulässigkeit der Durchsuchung der Wohnung nach einer einzuziehenden Sache oder einem zu beschlagnahmenden Führerschein unstrittig sei). Hinzu kommt, dass die Beschlagnahmeanordnung zur Vollstreckung von Fahrverboten gemäß § 463 b StPO - bzw. bei Fahrverboten als Nebenfolge nach Begehung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 25 II 4 StVG - weitgehend ins Leere liefe, wenn die Vollstreckungsbehörde keine rechtlichen Möglichkeiten hätte, im Fall der Ablehnung einer freiwilligen Herausgabe des Führerscheins nach dem Dokument zu suchen. Denn § 25 II 4 und IV StVG sollen gerade sicherstellen, dass derjenige, der den Führerschein nicht freiwillig herausgibt, nicht den Besitz an dem Führerschein behält. Zu Recht weist daher die in der Rechtsprechung und Literatur herrschende Auffassung darauf hin, dass die Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins ohne die Möglichkeit der Durchsuchung der Wohnung als Zwangsmittel sinnlos bliebe (vgl. LG Limburg, Blutalkohol 2004, S. 546 f. mit zust. Anm. Bräutigam; LG Potsdam, Beschl. v. 18. 7. 2001, 21 Qs 83/01; Waechter, NZV 1999, 273 ff.; Hentschel, Trunkenheit – Fahrerlaubnisentziehung – Fahrverbot, 9. Aufl., Rdnr. 1033; ders., NZV 1996, 506 f.: Göhler, NZV 1996, 508).

Dieses Ergebnis wird aus dem systematischen Zusammenhang des § 25 IV StVG mit einer weiteren Vollstreckungsnorm - dem weitgehend wortgleichen § 90 III OWiG - bestätigt. § 90 OWiG regelt die Suche nach Einziehungsgegenständen als Nebenfolge der Vollstreckung von Bußgeldbescheiden. Anzunehmen, dass diese Suche sich nur auf die Person, nicht aber auf die Wohnung beziehen dürfe, ist angesichts der möglichen Einziehungsgegenstände abwegig. Die inhaltliche Parallele des § 25 IV StVG zu § 90 III OWiG und den anderen Vollstreckungsvorschriften führt also zu dem Ergebnis, dass auch zum Zweck der Vollstreckung des Fahrverbotes eine Wohnungsdurchsuchung grundsätzlich zulässig sein soll. Gerade eine Einschränkung auf die Personendurchsuchung hätte angesichts der in der Vollstreckung auf Grund ähnlicher Normen regelmäßig zulässigen Wohnungsdurchsuchung einer ausdrücklichen gesetzlichen Äußerung bedurft.

(b) § 25 IV StVG ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen der Zitiergebot verfassungswidrig. Die Zitierpflicht entfällt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur bei vorkonstitutionellen Grundrechtseinschränkungen, sie ist auch entbehrlich, wenn nach Inkrafttreten des Grundgesetzes erlassene Gesetze lediglich bereits geltende Grundrechtsbeschränkungen unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen (vgl. BVerfGE 5, 13, 16; 64, 72, 79 f.). Die mit dem Zitiergebot bezweckte Warnfunktion soll lediglich verhindern, dass neue dem bisherigen Recht fremde Möglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte geschaffen werden, ohne dass der Gesetzgeber sich darüber Rechenschaft legt und dies ausdrücklich zu erkennen gibt. Wie oben bereits dargelegt, handelt es sich hier indes um eine althergebrachte Grundrechtsbeschränkung, die – vom Gesetzgeber ausdrücklich dazu vorgesehen – mit § 25 StVG lediglich auf einen neuen Anwendungsfall erstreckt worden ist (vgl. eingehend Waechter aaO; Bräutigam, aaO).

(c) Die Wohnungsdurchsuchung zum Auffinden eines Führerscheins zur Durchsetzung eines in einem Bußgeldverfahren angeordneten Fahrverbots ist im vorliegenden Fall auch nicht unverhältnismäßig.

Die Durchsetzung der Beschlagnahme dient zum einen der Vollstreckung der im Bußgeldbescheid verhängten Sanktion des Fahrverbots, zum anderen auch der Verhinderung des Missbrauchs des Führerscheins bei rechtskräftigem Fahrverbot, der eine Straftat nach § 21 StVG darstellen würde. Maßgeblich für die Verhältnismäßigkeit ist dabei nicht nur der ursprüngliche Pflichtenverstoß, der zur Sanktionierung mit dem Fahrverbot geführt hat. Hierbei ist ferner zu beachten, dass die Verhängung eines Fahrverbots gemäß § 25 I StVG ohnehin nur dann in Betracht kommt, wenn eine „grobe und beharrliche Verletzung der Pflichten des Kraftfahrzeugführers” vorgelegen hat, so dass es sich hierbei regelmäßig schon nicht mehr um eine Bagatelle handelt. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Durchsuchung der Wohnung Folge der Weigerung ist, den Führerschein in amtliche Verwahrung zu geben (vgl. LG Limburg, aaO; Hentschel, NZV 1996, 508; Waechter aaO).

Diese beiden Voraussetzungen für die Verhältnismäßigkeit der Wohnungsdurchsuchung liegen bei dem hiesigen Betr. zweifelsohne vor, der laut Auskunft aus dem Verkehrszentralregister innerhalb von vier Jahren seine siebte erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hat und sich zudem gegenüber der Vollstreckungsbehörde beharrlich geweigert hat, den Führerschein abzugeben.

Der Verhältnismäßigkeit steht schließlich nicht entgegen, dass sich der Betr. durch die Verweigerung des Zutritts zur Wohnung und die Nichtabgabe des Führerscheins ausschließlich selbst schadet, weil er hierdurch ein „Dauerfahrverbot” auslöst und während dieser Zeit – strafbewehrt durch § 21 I Nr. 1 StVG – keinerlei Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr mehr führen darf. Denn solange der Betr. im Besitz des Führerscheins ist, wird er nur durch Zufall des Fahrens ohne Fahrerlaubnis überführt werden, da er bei einer Polizeikontrolle einen gültigen Führerschein vorlegen kann und für eine weitere Überprüfung durch die Polizeibeamten regelmäßig kein Anlass bestehen wird.

Im Übrigen bleibt es dem Betr. unbenommen, die Durchsuchungsmaßnahme durch eine freiwillige Herausgabe seines Führerscheins abzuwenden. ..."