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OLG Hamm Beschluss vom 15.12.2005 - 2 Ss OWi 844/05 - Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit

OLG Hamm v. 15.12.2005: Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit


Das OLG Hamm (Beschluss vom 15.12.2005 - 2 Ss OWi 844/05) hat entschieden:
Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren zur Nachtzeit


Siehe auch Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die tatsächlichen amtsgerichtlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 5. Dezember 2005 hierzu wie folgt Stellung genommen:
"Das Amtsgericht hat festgestellt, der Betroffene habe am 02.03.2005 um 02.19 Uhr mit seinem Pkw die Bundesautobahn 42 in Fahrtrichtung Duisburg befahren. Im Bereich zwischen den Kilometern 44,5 und 43,5 habe er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h überschritten, indem er sein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 180 km/h geführt habe. Die Feststellungen beruhten auf den Aussagen der vernommenen Polizeibeamten L. und S.. Diese hätten bekundet, sie seien dem Pkw des Betroffenen in einem gleichbleibenden Abstand von 100 Metern über eine Strecke von ca. 1000 Metern gefolgt. In dieser Zeit hätten sie laut dem justierten Tachometer ihres Pkw eine Geschwindigkeit von 180 km/h abgelesen. Den Abstand zwischen ihrem Pkw und dem Pkw des Betroffenen hätten sie anhand der am Fahrbahnrand befindlichen Leitpfosten kontrolliert.

Dies berücksichtigt die von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren zur Nachtzeit außerhalb geschlossener Ortschaften entwickelten Grundsätze nicht in ausreichendem Maße. Bei den in der Regel schlechten Sichtverhältnissen zur Nachtzeit bedarf es im Urteil grundsätzlich näherer Feststellungen dazu, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und damit ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte und ob für die Schätzung des gleichbleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz der Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren. Auch sind Ausführungen dazu erforderlich, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeugs und nicht nur dessen Rücklichter erkennbar waren (zu vgl. Senatsbeschluss vom 06.09.2005 - 2 Ss OWi 512/05 - m.w.N.).

Die Feststellungen des Amtsgerichts enthalten indes keinerlei Angaben zu den Beleuchtungsverhältnissen auf der Bundesautobahn 42. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, ob die Strecke zwischen dem Fahrzeug der Polizeibeamten und dem des Betroffenen durch Scheinwerfer oder sonstige Lichtquellen aufgehellt war.

Auch lässt das Urteil ausreichende Ausführungen dazu, wie die Polizeibeamten den angegebenen Abstand von 100 Meter zum vorausfahrenden Fahrzeug ermitteln haben, vermissen. Bei einem solch großen Abstand - bei der das Scheinwerferlicht ein vorausfahrendes Fahrzeug in der Regel nicht mehr zu erreichen vermag - genügt die alleinige Mitteilung, die Polizeibeamten hätten sich bei der Abstandsfeststellung bzw. Schätzung an den Leitpfosten orientiert, nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 21.12.2001 - 2 Ss OWi 1062/01 -).

Zudem fehlen die erforderlichen Ausführungen dazu, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeugs oder nur dessen Rücklichter erkennbar waren (vgl. Senatsbeschluss vom 31.01.1997 - 2 Ss OWi 1565/96 - = VRS 93, 380). Letztlich ist dem amtsgerichtlichen Urteil auch nicht zu entnehmen, wie das Gericht den Sicherheitsabschlag von der durch die Zeugen abgelesenen Geschwindigkeit von 180 km/h vorgenommen hat. Diese Angabe wäre jedoch erforderlich gewesen, um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung des in Ansatz gebrachten Sicherheitsabschlages zu ermöglichen (zu vgl. Hentschel, StV, 37. Aufl., § 3 StVO, Rdn. 62 m.w.N.).

Da das Urteil hinreichende Feststellungen zu den Umständen der von den Zeugen durchgeführten Geschwindigkeitsmessung vermissen lässt, ist nicht überprüfbar, ob der Tatrichter den Beweiswert des Geschwindigkeitsvergleiches durch Nachfahren rechtsfehlerfrei bejaht und mögliche Fehlerquellen durch einen entsprechenden Abzug eines Toleranzwertes genügend Rechnung getragen hat.

Ein solcher Rechtsfehler führt nur ausnahmsweise dann nicht zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, wenn die vom Amtsgericht festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung auf das Geständnis des Betroffenen gestützt werden kann. Dies setzt jedoch ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis voraus (zu vgl. Senatsbeschluss vom 13.03.2002 - 2 Ss OWi 201/03 = NZV 2003, 249). Ein solches liegt hier aber nicht vor. Vielmehr hat der Betroffene in Abrede gestellt, mit seinem Pkw eine Geschwindigkeit in Höhe von 180 km/h gefahren zu haben und angegeben, die Geschwindigkeit habe allenfalls 140 km/h betragen."
Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen und zum Gegenstand seiner Entscheidung, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung ... an das Amtsgericht ... zurückzuverweisen war. ..."



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