Das Verkehrslexikon

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BayObLG Beschluss vom 05.03.1997 - 1 ObOWi 785/96 - Zur unzulässigen Feststellung von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Privatfirmen im kommunalen Auftrag

BayObLG v. 05.03.1997: Zur unzulässigen Feststellung von Verkehrsordnungswidrigkeiten durch Privatfirmen im kommunalen Auftrag


Das Bayerische Oberlandesgericht München DAR 1997, 206 (Beschluss vom 05.03.1997 - 1 ObOWi 785/96) hat entschieden:
  1. Eine Gemeinde ist mangels gesetzlicher Ermächtigung nicht befugt, eine private Firma mit der Messung, Registrierung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen zu beauftragen. Dies gilt auch, wenn die Gemeinde Ort, Zeit und Dauer der Messung bestimmt, die Auswertung der Messergebnisse selbst vornimmt und der für die Bedienung des Messgeräts bei der Privatfirma tätige Arbeitnehmer nur für die Zeit der Messung der Gemeinde als Leiharbeitnehmer zur Verfügung steht.

  2. Damit ist aber nicht ohne weiteres ein Beweisverwertungsverbot gegeben. Ein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, besteht nicht. Dies kann nicht allgemein, sondern nur anhand des Einzelfalls entschieden werden, wobei im allgemeinen für ein Verwertungsverbot ein besonders gravierender Verfahrensverstoß vorliegen muss.

  3. Auch ein nicht schwerwiegender Verfahrensverstoß führt aber nicht ohne weiteres zur Zulässigkeit der Beweisverwertung, sondern es bedarf der Abwägung zwischen den Beeinträchtigung des Individualinteresses des Betroffenen einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrsvorschriften andererseits. Dabei kommt es nicht auf die angedrohten Unrechtsfolgen der Tat (Bußgeld / Fahrverbot) an, sondern auf die Beeinträchtigung, die der Betroffene in seinen Grundrechten und seiner verfahrensrechtlichen Stellung dadurch erfahren hat, dass die Geschwindigkeitsmessung und Dokumentation rechtsstaatswidrig einer Privatfirma überlassen worden ist.

  4. Den Verfahrensfehlern, die die Individualinteressen des Betroffenen nur wenig beeinträchtigen, steht ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrssicherheit gegenüber, da Geschwindigkeitsverstöße, insbesondere innerorts, nach wie vor eine Hauptursache von Verkehrsunfällen mit erheblichen Folgen auch für Leib und Leben sind. Daher rechtfertigt der Verfahrensverstoß bei der Geschwindigkeitsmessung hier kein Beweisverwertungsverbot.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Zum Sachverhalt: Die Zentrale Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt setzte gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 19.2.1996 eine Geldbuße von 200 DM fest und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an. Dem Betroffenen wurde vorgeworfen, am 19.10.1995 um 14.59 Uhr mit seinem Pkw auf der M.-Straße innerhalb der geschlossenen Ortschaft H. die dort geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h aus Unachtsamkeit um 39 km/h überschritten zu haben.

Nach Einsprucheinlegung ergab die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht, dass der Betroffene, der keine Angaben zur Sache machte, Fahrer des Tatfahrzeugs war und die Geschwindigkeitsmessung technisch ordnungsgemäß erfolgt war, so dass der Vorwurf bestätigt wurde. Es stellte sich jedoch heraus, dass die für die Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen zuständige Gemeinde die Firma D. GmbH, die über entsprechende Messgeräte verfügte, am 9.10.1995 mit der Geschwindigkeitsmessung beauftragt hatte mit der Anweisung, u.a. am 19.10.1995 von 14.00 Uhr bis 15.30 Uhr an der M.-Straße in H. bei der Gaststätte Z. zu messen. Die Messung wurde allein von dem Bediensteten dieser Privatfirma durchgeführt, der das Radargerät (Multanova 6 F) kannte, es einzurichten und zu bedienen verstand und der aufgrund eines Vertrages zur Arbeitnehmerüberlassung vom 1.7.1995 bis 28.2.1996 von der Firma D. als Verleiher der Gemeinde als Entleiher zur Verkehrsüberwachung für jeweils drei Stunden pro Woche zur Verfügung gestellt worden war.

Mit Urteil vom 24.7.1996 sah das Amtsgericht zwar den Vorwurf für erwiesen an, sprach den Betroffenen aber frei, weil es davon ausging, die Verwertung der Beweise zur Geschwindigkeitsmessung seien ihm verboten.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts und beanstandete, das Amtsgericht habe rechtsfehlerhaft ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot angenommen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie enthält neben der Sachrüge auch eine Verfahrensrüge, ohne sie jedoch ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Die unzutreffende Annahme eines nicht gesetzlich festgelegten Beweisverwertungsverbotes ist revisionsrechtlich und damit auch im Rechtsbeschwerdeverfahren (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) in der Regel als Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO, die im Grundsatz auch im Bußgeldverfahren gilt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 OWiG), zu rügen (vgl. BGH NJW 1995, 2047 zum Verwertungsverbot nach § 136a Abs. 3 StPO). Die Begründung des Rechtsmittels gibt die den Mangel begründenden Tatsachen noch so vollständig und genau an, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Im vorliegenden Fall besteht zudem die Besonderheit, dass das Amtsgericht die Beweise vollständig erhoben, gewürdigt und dies in den Urteilsgründen, welche dem Rechtsbeschwerdegericht aufgrund der Sachrüge zugänglich sind, dargelegt hat. Der Tatrichter hat die durch die Geschwindigkeitsmessung gewonnenen Beweise lediglich wegen der Art, wie sie zustandegekommen sind, - nach Behauptung der Beschwerdeführerin entgegen seiner Aufklärungspflicht - nicht verwertet.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils, weil das Amtsgericht zwar zu Recht von einem Beweiserhebungsverbot ausgegangen, aber rechtsfehlerhaft auch zu einem Beweisverwertungsverbot gekommen ist. Aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts konnte der Senat jedoch selbst in der Sache entscheiden.

1. Zutreffend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Gemeinde für die Geschwindigkeitsüberwachung sachlich und örtlich zuständig war. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 4 i.V.m. Anl. 2, § 4 Abs. 2 der Bayerischen Verordnung über die Zuständigkeit im Ordnungswidrigkeitenrecht vom 16.12.1980 (GVBl. 721) in der Fassung der 13. Änderungsverordnung vom 17.7.1995 (GVBl. 405), die auf der Übertragungsermächtigung des § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG, § 26 Abs. 1 Satz 1 StVG beruht (vgl. BVerfGE 27, 18 ff.). Danach ist die Gemeinde für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG, die Verstöße gegen die Vorschriften über die zulässige Geschwindigkeit von Fahrzeugen betreffen, in gleicher Weise zuständig wie die Dienststellen der Bayerischen Landespolizei. Mit der Zuweisung der primären Verfolgungszuständigkeit an die Gemeinde wird diese zur "Herrin" des Ermittlungsverfahrens bei der Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen in ihrem Gemeindebereich, entsprechend der Stellung der Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten (§ 46 Abs. 2 OWiG; KK/Lampe OWiG § 35 Rn. 10).

2. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht ausgeführt, dass die Gemeinde mangels gesetzlicher Ermächtigung nicht befugt war, eine private Firma mit der Messung, Registrierung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen zu beauftragen, auch wenn die Gemeinde Ort, Zeit und Dauer der Messung bestimmte, die Auswertung der Messergebnisse selbst vornahm und der für die Bedienung des Messgeräts bei der Privatfirma tätige Arbeitnehmer für die Zeit der Messung (insgesamt drei Stunden/Woche) der Gemeinde als Leiharbeitnehmer zur Verfügung stand.

Maßnahmen der Geschwindigkeitsüberwachung und die Ermittlung und Verfolgung der sich daraus ergebenden Verkehrsverstöße gehören zum Gesamtkomplex der öffentlichen Sicherheit und damit zum Kern der originären Staatsaufgaben (vgl. BVerfGE 49, 24, 56 f.). Diese Aufgaben im hoheitlichen Funktionsbereich sind nach Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes vorbehalten, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

In Fällen, in denen Hoheitsaufgaben vom Staat nicht selbst vorgenommen werden müssen, kann sich der Verwaltungsträger zu deren Wahrnehmung unter Umständen zwar privatrechtlicher Formen bedienen, ohne dass es zu einer Aufgabenverlagerung kommt (organisationsmäßige Privatisierung; vgl. Schoch DVBl 1994, 962; Scholz NJW 1997, 14, 15). Auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit kann aber eine solche Privatisierung in aller Regel nur in der Gestalt der Beleihung Privater erfolgen, die einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Da eine solche Regelung fehlt, verfügt die von der Gemeinde beauftragte Firma nicht über den rechtlichen Status eines Beliehenen.

Eine funktionale Privatisierung in der Form einer bloßen Verwaltungshilfe scheidet im vorliegenden Fall auch aus. Denn die planmäßige Ermittlung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen steht in einem unmittelbaren

Zusammenhang mit der funktionell originären Staatsaufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch Verwarnungsgeld, Geldbuße oder Fahrverbot. Die hoheitliche Sanktion baut direkt auf dem durch die Messung erzielten Ermittlungsergebnis auf, weshalb die Ermittlung, Dokumentation, Verfolgung und Ahndung des jeweiligen Verkehrsverstoßes rechtlich gesehen eine Einheit bilden mit der Folge einer einheitlichen Rechtsstruktur im hoheitlichen Funktionsbereich. Deshalb sind die systematischen Geschwindigkeitsmessungen durch beauftragte Privatunternehmer als Übernahme von Funktionen der Ermittlung und Verfolgung, also funktionell originärer Staatsaufgaben, und nicht nur als rein technischer Hilfsdienst zu werten, auch wenn die zuständige Verwaltungsbehörde Ort, Zeit und Dauer des Geräteeinsatzes vorgibt (vgl. KG DAR 1996, 504 m.w.N.; Amtsgericht Tiergarten DAR 1996, 326; OLG Frankfurt NJW 1992, 1400, 1401; Steiner DAR 1996, 272, 274; Scholz NJW 1997, 14, 16; Radtke NZV 1995, 428, 429; Janker DAR 1989, 172, 178). Es ist daher auch in diesem Zusammenhang unwesentlich, dass die Messung selbst allenfalls am Rande einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des jeweiligen Betroffenen darstellt. Wie intensiv die privat durchgeführte Geschwindigkeitsmessung in die Grundrechte der Betroffenen eingreift, ist für die Frage von deren Rechtmäßigkeit nicht entscheidend (Steiner aaO.; a.A. Radtke NZV 1995, 428, 430). Ein nicht auf rechtsstaatlichem Weg gewonnenes Beweismittel kann den Betroffenen zudem auch in seiner verfahrensrechtlichen Stellung berühren. Der Umfang der Beeinträchtigungen ist aber erst bei der Frage des Beweisverwertungsverbotes zu berücksichtigen.

Schließlich ergibt sich aus der einheitlichen Rechtsstruktur öffentlich-rechtlicher Art, die Ermittlung, Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen bilden, dass die Ermittlung solcher Verstöße durch das Bedienungspersonal, das der private Vertragspartner der Gemeinde nach Maßgabe des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zur Verfügung gestellt hat, jedenfalls dann nicht zulässig ist, wenn diese Leiharbeitnehmer - ungeachtet ihrer notwendigen persönlichen und fachlichen Eignung und ihrer eingeschränkten Rechte und Pflichten gegenüber dem Entleiher - nicht in die Gemeindeverwaltung physisch-räumlich und organisatorisch integriert sind. Im vorliegenden Fall kann von einer solchen Integration nicht die Rede sein, denn der Leiharbeitnehmer hat hier die gemeindlichen Aufgaben vom Sitz seiner Verleihfirma aus erledigt und war auch nur drei Stunden/Woche während des Messens für die Gemeinde tätig. Es war daher nicht sichergestellt, dass die Gemeinde "Herrin" des Ermittlungsverfahrens bei der Verfolgung von Geschwindigkeitsverstößen blieb (Steiner DAR 1996, 272, 273).

Nach allem sind die durch die Messung gewonnenen Beweismittel rechtsfehlerhaft, weil nicht auf rechtsstaatliche Weise erzielt, erhoben worden.

3. Jedoch bestehen gegen die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat, durchgreifende rechtliche Bedenken. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt:
"Die Schwere des Verstoßes, originäre Staatsaufgaben gem. Art. 33 Abs. 4 GG nur an Angehörige des öffentlichen Dienstes zu übertragen und nicht an Private, führt zum Verbot der Beweisverwertung, da willkürlich und zulasten des Betroffenen angeordnet. Das Problem des Einsatzes von Privaten statt der Polizei ist auch in Bayern einer breiten Diskussion unterzogen worden. Grundsätzliche Bedenken sind nicht zuletzt von den polizeilichen Standesorganisationen an oberster Stelle vorgetragen worden."
Ein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Beweiserhebungsverbot ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht, besteht nicht (vgl. BGHSt 19, 325, 331; 24, 125, 128; 25, 325, 331; 31, 304, 307; 37, 30, 32; 38, 214, 219; BayObLGSt 1965, 128; OLG Köln VRS 60, 201; Radtke NZV 1995, 428, 430 f.). Soweit das Gesetz nicht selbst ein Verwertungsverbot vorsieht (wie z.B. in § 136a Abs. 3 Satz 2, § 252 StPO, § 393 Abs. 2 AO, § 51 BZRG), kann die Frage, ob eine rechtswidrige, in Grundrechte des Betroffenen eingreifende Ermittlungsmaßnahme als Ausnahme von dem Grundsatz umfassender Beweisaufnahme ein Verbot zur Verwertung des durch sie gewonnenen Beweisergebnisses zur Folge hat, nicht allgemein, sondern nur anhand des Einzelfalles entschieden werden (BGH NJW 1978, 1390; OLG Köln aaO.). Bei einem Verfahrensverstoß ist dabei das Individualinteresse des Bürgers am Schutz seiner Rechtsgüter gegen das Interesse des Staates an der Tataufklärung zum Schutz der Allgemeinheit abzuwägen, um beurteilen zu können, ob eine solche Ausnahme gerechtfertigt ist. Dabei sind das Gewicht des Verfahrensverstoßes und seine Bedeutung für die rechtlich geschützte Sphäre des Betroffenen einerseits und andererseits die Erwägung, dass der Staat eine funktionstüchtige Rechtspflege zu gewährleisten hat, zu beachten (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. Einl. Rn. 55 m.w.N.; BGHSt aaO.; BGH NStZ 1988, 142 mit Anm. Dörig; BGH NStZ 1989, 375 mit Anm. Roxin 378 f.; vgl. auch Göhler OWiG 11. Aufl. § 46 Rn. 10c und 10d; Hauf NStZ 1993, 458). Diese Grundsätze gelten auch im Bußgeldverfahren (vgl. Joachim/Radtke NZV 1993, 94, 96 f.).

Dies hat das Amtsgericht im Grunde auch nicht verkannt. Seine Annahme, die von der zuständigen Verwaltungsbehörde getroffene Anordnung der Geschwindigkeitsmessung durch eine private Firma sei willkürlich zu Lasten des Betroffenen erfolgt, hält einer rechtlichen Nachprüfung jedoch nicht stand. Die gebotene Abwägung zwischen dem durch die rechtswidrige Ermittlungsmaßnahme in seinen grundgesetzlich geschützten Rechten unmittelbar betroffenen Bürger und dem allgemeinen Interesse an der Verfolgung schwerwiegender Verkehrsverstöße hat das Amtsgericht ersichtlich deshalb unterlassen, weil es von einem willkürlichen Verhalten der zuständigen Verwaltungsbehörde und damit von einem ganz gravierenden Verfahrensverstoß zu Lasten des Betroffenen ausgegangen ist (vgl. OLG Frankfurt NZV 1995, 368; KG DAR 1996, 504, 506).

Ob das Amtsgericht unzutreffend ein Verwertungsverbot angenommen hat oder nicht, stellt das Rechtsbeschwerdegericht im Freibeweis fest (vgl. BGHSt 16, 164, 166; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 136a Rn. 33; LR/Hanack StPO 24. Aufl. § 136a Rn. 70). Diese Prüfung ergibt, dass hier kein Beweisverwertungsverbot besteht.

Ein besonders gravierender Verfahrensverstoß liegt nicht vor.

Die Gemeinde hat als zuständige Verwaltungsbehörde nicht willkürlich und unter leichtfertiger Missachtung geltender gesetzlicher Bestimmungen das Beweisergebnis erlangt. In der zum Zeitpunkt der Messung geltenden, für die Verwaltungsbehörde bindenden Vollzugsanweisung zur Verfolgung und Ahndung von Geschwindigkeitsverstößen durch Gemeinden des Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 26.7.1994 wird u.a. bestimmt:
"14. Bei der Durchführung der Geschwindigkeitsüberwachung können die Gemeinden die Dienste privater Firmen oder Institutionen in Anspruch nehmen, z.B. durch die Anmietung, das Leasing oder die Wartung von Überwachungsgerät. Dabei kann auch vereinbart werden, dass der private Vertragspartner der Gemeinde das Bedienungspersonal des Überwachungsgeräts zur Verfügung stellt und die aufgenommenen Filme auswertet; dabei sind die Bestimmungen des Datenschutzes strikt zu beachten. Die Festlegung von Ort, Zeit und Umfang der Kontrolle bleibt jedoch der Gemeinde vorbehalten. Die Gemeinde ist auch allein verantwortlich für die Durchführung der Kontrollen. Die Gemeinden können privaten Vertragspartnern hoheitliche Aufgaben in keinem Falle übertragen.

15. Private Firmen z.B. Überwachungsunternehmen, können den Gemeinden Personal nach Maßgabe des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) überlassen. Die privaten Unternehmen bedürfen hierfür einer Erlaubnis des zuständigen Landesarbeitsamtes und die Tätigkeit darf in der Regel 9 Monate nicht übersteigen. In solchen Fällen kann die Gemeinde den überlassenen Arbeitnehmer als gemeindlichen Bediensteten unbeschränkt einsetzen. Im Hinblick auf die zum Schutz der betreffenden Arbeitskräfte geltenden zeitlichen Beschränkungen kommt dies in der Regel nur als Übergangslösung in Betracht."
Hinsichtlich der Inanspruchnahme privater Dienste wurden keine weiteren Anweisungen erteilt, insbesondere (abgesehen von der fehlenden öffentlich-rechtlichen Kompetenz der Privatfirma, vgl. oben 2) keine Anordnungen über die erforderliche Regelung der Integration der Leiharbeitnehmer in die Gemeinde, der Art der Filmauslieferung und -abholung, des Schutzes vor Fremdzugriffen im privaten Entwicklungslabor und des Ausschlusses von Unterauftragsverhältnissen.

Nach den zutreffenden Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Sachbearbeiter der Gemeinde als ehemaliger Polizeibeamter Erfahrungen mit der Verkehrsüberwachung. Er hat auch Ort, Zeit und Umfang der Messung festgelegt. Die Auswertung der Messergebnisse, insbesondere des Bildmaterials auf Beweiseignung, wurde von der Gemeinde vorgenommen. Auch war das eingesetzte Messgerät technisch einwandfrei und gültig geeicht. Der private Bediener war fachlich für die Messung geeignet und zuverlässig. Die Mitwirkung der Privatfirma war auf die eigentliche Geschwindigkeitsmessung und deren Dokumentation beschränkt. Für die Zeit der Messung wurde der private Bediener des Messgeräts von der Gemeinde in Dienst gestellt, ohne ihn dabei allerdings zu kontrollieren.

Wenn die Gemeinde unter diesen Umständen angenommen hat, die beauftragte Privatfirma habe mit der Durchführung und Dokumentation der Geschwindigkeitsmesssung als schlichter Verwaltungshelfer nicht materiell Funktionen der Ermittlung von Ordnungswidrigkeiten und ihrer Verfolgung übernommen und damit auch funktionell keine originäre Staatsaufgabe wahrgenommen, sondern lediglich eine (nicht hoheitliche) rein technische Hilfe geleistet, dann kann ihr das weder objektiv noch subjektiv als willkürliches Handeln und damit auch nicht als gravierender Verfahrensverstoß vorgeworfen werden, wie es das Amtsgericht getan hat (vgl. Radtke 430).

Dass der Verfahrensverstoß hier nicht schwerwiegend ist, führt aber nicht ohne weiteres zur Zulässigkeit der Beweisverwertung, sondern es bedarf der Abwägung zwischen der Beeinträchtigung der Individualinteressen des Betroffenen einerseits und dem Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrsvorschriften andererseits. Je geringwertiger der Verfahrensverstoß in die Rechtsposition des Betroffenen eingreift und je gravierender das Interesse des Staates an der Tataufklärung ist, um spezial- und generalpräventive Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit durchzusetzen, desto weniger kommt ein Verwertungsverbot als Folge des Verstoßes in Betracht (vgl. Hauf NStZ 1993, 458, 460). Das Bußgeldverfahren ist kein Strafverfahren (vgl. BVerfGE 9, 167, 171; 22, 49, 79). Bei dem Ordnungswidrigkeitenrecht handelt es sich um Verwaltungsunrecht, bei dessen Verfolgung statt des Legalitätsprinzips das Opportunitätsprinzip (§ 47 Abs. 1 OWiG) gilt.

Die sonach gebotene Abwägung rechtfertigt kein Verwertungsverbot. Bei der Bewertung, inwieweit das Individualinteresse des Bürgers von der rechtswidrigen Beweiserhebung betroffen ist, kommt es nicht auf die angedrohten Unrechtsfolgen der Tat (hier Bußgeld und Fahrverbot) an, sondern auf die Beeinträchtigung, die der Betroffene in seinen Grundrechten und seiner verfahrensrechtlichen Stellung dadurch erfahren hat, dass die Geschwindigkeitsmessung und Dokumentation rechtsstaatswidrig einer Privatfirma übertragen worden ist. Die hier privat durchgeführte Geschwindigkeitsmessung stellt zwar einen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) dar (vgl. Joachim/Radtke NZV 1993, 94, 97) und die Dokumentation des Kontrollergebnisses berührt den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen, also sein Recht selbst zu bestimmen, welche Lebenssachverhalte er offenbart, sowie seinen Anspruch zu wissen, welche Informationen bei welcher Gelegenheit und zu welchem Zweck von wem über ihn erfasst, gespeichert und übermittelt werden (vgl. § 1 Abs. 1 und 2, § 6 Abs. 1 BDSG; Hassemer/Topp DAR 1996, 85).

Die Einwirkung auf seine allgemeine Handlungsfreiheit durch die von einer Privatfirma statt der zuständigen Gemeinde durchgeführte Messung war hier für den Betroffenen nicht spürbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Bestimmungen des Datenschutzes entgegen der Vollzugsanweisung des Bayerischen Staatsministerium des Innern nicht eingehalten wurden, fehlen, so dass hinsichtlich der Dokumentation des Kontrollergebnisses und dessen Weitergabe an die Gemeinde durch die Privatfirma nur die theoretische Möglichkeit einer abstrakten Gefährdung seines Anspruchs auf Datenschutz bestand. Mit Ausnahme der eigentlichen Messung und der Dokumentation der dadurch erzielten Ergebnisse erfolgten alle anderen Ermittlungsmaßnahmen (Bestimmung von Ort, Zeit, Dauer und Häufigkeit der Messung, Auswertung der Messergebnisse, Ermittlung des Täters) durch die zuständige Gemeinde.

Die Folgen des Eingriffs in die verfahrensrechtliche Stellung des Betroffenen sind auch nicht unzumutbar. Gegen das Gebot des fairen Verfahrens, das seine Rechtfertigung aus dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes findet (BVerfGE 26, 66, 71; 46, 202, 210) und das auch für das Bußgeldverfahren gilt, hat die Gemeinde nicht verstoßen. Denn sie ist davon ausgegangen, ein rechtsstaatliches Verfahren eingehalten zu haben, ohne dass ihr der Vorwurf gemacht werden könnte, leichtfertig zu diesem falschen Schluss gelangt zu sein.

Angesichts dieser Umstände kommt der Tatsache, dass die Messung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dasselbe Ergebnis erbracht hätte, wenn sie von der hierzu ermächtigten Verwaltungsbehörde selbst vorgenommen worden wäre, besondere Bedeutung für die Beurteilung zu, in welchem Umfang die rechtliche Stellung des Betroffenen beeinträchtigt war (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379).

Diesem von dem aufgezeigten Verfahrensfehler nur wenig beeinträchtigten Individualinteresse des Betroffenen steht im konkreten Konfliktsfall ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit an der Durchsetzung der Verkehrssicherheit gegenüber. Geschwindigkeitsverstöße, insbesondere innerhalb geschlossener Ortschaften, sind nach wie vor eine Hauptursache von Verkehrsunfällen mit erheblichen Folgen auch für Leib und Leben. Die Einhaltung von Geschwindigkeitsgeboten muss nachhaltig überwacht und durchgesetzt werden, um die Verkehrsdisziplin zum Schutz aller Bürger aufrechtzuerhalten.

Im vorliegenden Fall ist es daher nicht gerechtfertigt, den Verfahrensverstoß durch ein Beweisverwertungsverbot zu sanktionieren.

Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da die getroffenen Feststellungen hierzu ausreichen, § 79 Abs. 6 OWiG. ..."


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