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OLG Nürnberg Beschluss vom 27.01.2000 - 8 U 3128/99 - Zur Geschwindigkeit in einer Linkskurve mit Gefälle

OLG Nürnberg v. 27.01.2000: Zur Geschwindigkeit in einer Linkskurve mit Gefälle


Das OLG Nürnberg (Beschluss vom 27.01.2000 - 8 U 3128/99) hat entschieden:
In einer leichten Linkskurve mit einem Gefälle von ca 5% und bei einer feuchten, nur 4,30 Meter breiten Fahrbahn ist eine gefahrene Geschwindigkeit von 103 km/h, mit der die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit um mehr als 100% überschritten wurde, unverantwortlich und stellt eine grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls dar.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Dem Kläger steht die geltend gemachte Kaskoentschädigung jedenfalls deshalb nicht zu, weil er den erlittenen Schaden grob fahrlässig herbeigeführt hat, § 61 VVG .

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger im Unfallzeitpunkt relativ fahruntüchtig war (BAK 0,71 ‰). Jedenfalls hat der Kläger den Unfall durch eine weit überhöhte Geschwindigkeit - in objektiver und subjektiver Hinsicht - grob fahrlässig herbeigeführt.

Im einzelnen gilt folgendes:

1. Grob fahrlässig handelt in objektiver Hinsicht, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt unter Berücksichtigung sämtlicher Einzelumstände in ungewöhnlich hohem Maße verletzt (vgl. BGH VersR 92, 1087 ; 89, 582; Römer/Langheid, VVG, Rz. 69 zu § 61 VVG).

2. Dies ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer im Straßenverkehr eine elementare Verkehrsregel verletzt, die mit einer erhöhten Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer verbunden ist (vgl. Römer, a.a.O.). Als derartiger grober Verkehrsverstoß wird auch die Überschreitung der im Einzelfall zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % angesehen, wenn weitere -gefährdende Umstände hinzu kommen (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 94, 443 ; OLG Hamm, VersR 87, 89 ). In diesem Falle hat nämlich der Verkehrsteilnehmer in grober Weise gegen die grundlegende Verhaltensnorm aus § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO verstoßen.

3. So liegt es auch im Streitfall:

Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. W G in erster Instanz (Bl. 113 f d.A.) ist - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - als erwiesen anzusehen, daß der Kläger im Unfallzeitpunkt mindestens mit einer Geschwindigkeit von 103 km/h fuhr. Damit hat er die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit (50 km/h innerorts) um mehr als 100 % überschritten.

Die vom Kläger gegen dieses Gutachten in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen greifen nicht durch. ... (wird ausgeführt).

Berücksichtigt man ferner, daß die Unfallstelle - in Fahrtrichtung des Klägers - sich in einer leichten Linkskurve mit einem Gefälle von ca. 5 % befand, die Fahrbahn feucht war und die Fahrbahnbreite zudem nur 4, 30 m betrug, so war die vom Kläger gefahrene Geschwindigkeit unverantwortlich und weit überhöht.

4. Diese überhöhte Geschwindigkeit war nach der Überzeugung des Senats dafür verantwortlich, daß der Kläger die dann auftretende - gefährliche - Verkehrssituation nicht mehr meistern konnte:

Die andere Unfallbeteiligte, die Zeugin D, hatte keine Schwierigkeiten, ihr Fahrzeug auch nach dem Streifen der beiden Pkw's mit den Außenspiegeln sicher zu beherrschen und ohne weitere Gefährdung zum Stillstand zu bringen. Dies war augenscheinlich darauf zurückzuführen, daß sie selbst mit einer den Verkehrsverhältnissen angepaßten Geschwindigkeit fuhr. Demgegenüber läßt die Tatsache, daß der Kläger selbst sein Fahrzeug nach dem Streifen der beiden Pkw's nicht mehr sicher beherrschte, von der Fahrbahn abkam und dann ins Schleudern geriet, nach Überzeugung des Senats nur den Schluß zu, daß hierfür die vom Kläger - weit überhöhte - Geschwindigkeit verantwortlich war. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang nicht mit dem Einwand entlasten, die andere Unfallbeteiligte, die Zeugin D, sei ihm auf seiner Fahrbahnseite entgegengekommen. Dies ist durch die Aussage der Zeugin widerlegt (vgl. Bl. 48/49 GA und Bl. 9/10 sowie Bl. 92/93 der Strafakte). Der Kläger vermag diese Aussage nicht mit dem Hinweis darauf zu entkräften, daß nach der Bekundung der Zeugin wohl beide Fahrzeugführer kurz vor dem Unfall versucht haben, noch auszuweichen (Bl. 93 d.A.). Der Zusammenhang der Aussage der Zeugin D. ergibt nämlich eindeutig, daß sie diesen Ausweichversuch erst vorgenommen hat, nachdem ihr der Kläger mehr auf ihrer Fahrbahnseite fahrend entgegengekommen war (vgl. a.a.O.).

5. Bei dieser Sachlage hat der Senat keinen Zweifel, daß der grob fahrlässige Verkehrsverstoß des Klägers für den an seinem Pkw schließlich eingetretenen Schaden ursächlich war.

6. Auch die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit ist im Streitfall gegeben:

a) Zwar setzt die subjektive Seite der groben Fahrlässigkeit auch in personaler Hinsicht ein erheblich gesteigertes Verschulden voraus (vgl. Prölss-Martin, 26. Aufl., Rz. 12 zu § 61 VVG).

b) Mit der Größe der durch eine Handlungsweise herbeigeführten Gefahr und der gesteigerten Schwere möglicher Folgen muß aber auch die in subjektiver Hinsicht zu erwartende Sorgfalt gesteigert werden (vgl. Römer, VersR 92, 1187 ). Will sich demgegenüber der Versicherungsnehmer mit dem Hinweis auf personale Umstände entlasten, so hat er hierfür handgreifliche Anhaltspunkte darzulegen (vgl. Römer, a.a.O.). Als derartige - schuldmildernde Umstände - hat die Rechtsprechung etwa eine bestehende Hirnleistungsschwäche oder eine Gefäßsklerose des Schädigers anerkannt (vgl. BGH VersR 87, 503 ; 92, 185; NJW-RR 99, 1187 ).

Derartige entlastende Umstände hat der Kläger hier nicht dargelegt. Vielmehr ist nach Sachlage davon auszugehen, daß er den Schaden an seinem Pkw durch eine rücksichtslose Fahrweise herbeigeführt hat. Rücksichtslos in diesem Sinne handelt, wer sich im Straßenverkehr aus eigensüchtigen Gründen über seine Pflichten hinwegsetzt oder aus Gleichgültigkeit von vorneherein Bedenken gegen sein Verhalten gar nicht aufkommen läßt (vgl. Schönke/Schroeder, Kommentar zum StGB, 24. Aufl., Rz. 30 zu § 315 c StGB m.w.N.). Eigensüchtig wiederum ist ein Verhalten des Verkehrsteilnehmers, wenn dieser die Interessen seiner Mitmenschen gröblich mißachtet, um nur seine eigenen Ziele zu verfolgen (vgl. Schönke/Schroeder, a.a.O., Rz. 31). Demgegenüber können nur anerkennenswerte oder verständliche Motive den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfallen lassen (vgl. Schönke/Schroeder, a.a.O.). Im Streitfall beruft sich der Kläger darauf, er habe "nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag lediglich beabsichtigt, zügig nach Hause zu fahren" (vgl. Schriftsatz vom 05.01.2000, S. 5, Bl. 161 d.A.). Im Streitfall liegt es aber auf der Hand, daß die Absicht des Klägers, alsbald nach Hause zu kommen, nicht die erhebliche und schwerwiegende Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer an Leib und Leben rechtfertigt, wie sie hier gegeben war. Nach Sachlage hat der Kläger deshalb rücksichtslos gehandelt, weil er um seines schnelleren Fortkommenswillen die Gefährdung anderer an Leib und Leben in Kauf nahm oder ihm dies zumindest gleichgültig war.

7. Da somit der Leistungsausschluß aus § 61 VVG durchgreift, hat das Landgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. ..."



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