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OLG Düsseldorf Beschluss vom 17.02.2004 - 2 Ss (OWi) 176/03 - Zur zulässigen außerörtlichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen des Schwerlastverkehrs

OLG Düsseldorf v. 17.02.2004: Zur zulässigen außerörtlichen Geschwindigkeit von Fahrzeugen des Schwerlastverkehrs


Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 17.02.2004 - 2 Ss (OWi) 176/03) hat entschieden:
Die Geschwindigkeitsregelung des § 3 Abs. 3 Nr. 2 c Satz 1 und 3 StVO gilt nicht für Fahrzeuge des Schwerlastverkehrs. § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO lässt eine höhere Geschwindigkeit als 60 km/h für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7,5 t außerorts nur auf solchen Kraftfahrstraßen zu, deren Richtungsfahrbahnen durch Mittelstreifen oder ähnliche bauliche Einrichtungen getrennt sind. Eine lediglich mit einer durchgezogenen Doppellinie (Zeichen 295) gekennzeichnete Trennung der Richtungsfahrbahnen reicht nicht aus.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Zum Sachverhalt: Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 75 € verurteilt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 2. August 2002 mit einem LKW, der ein zulässiges Gesamtgewicht von 40 t aufwies, gegen 15.30 Uhr die B 473 von Bocholt in Richtung Hamminkeln mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h. Die Straße ist über einige Kilometer zur Kraftfahrstraße ausgebaut mit drei Fahrspuren, wobei abwechselnd zwei bzw. eine Fahrspur für die jeweilige Fahrtrichtung/Gegenfahrtrichtung freigegeben sind. Die jeweils zwei Fahrstreifen sind in einer Richtung von der Gegenfahrspruch durch eine durchgehende Doppellinie (Verkehrszeichen 295) abgegrenzt. Eine bauliche Trennung ist zwischen den Richtungsfahrbahnen nicht vorhanden.

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die durch Beschluss der Einzelrichterin vom 14. Januar 2004 zugelassen und dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen worden ist. Der Betroffene vertritt die Ansicht, die in § 3 Abs. 3 Nr. 2 c Sätze 2 und 3 StVO enthaltenen Ausnahmeregelungen hätten auch für die in Nr. 2 b genannten Fahrzeuge Geltung. Er sei deshalb berechtigt gewesen, schneller als die auf außerörtlichen Straßen für LKW grundsätzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h zu fahren.

Die zur Fortbildung des Rechts zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge vorläufigen (Teil-) Erfolg.

Aus den Entscheidungsgründen:

"... Soweit der Schuldspruch betroffen ist, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet, weil die Überprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerderechtfertigung insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben hat (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 und 3 StPO).

1. Die Auffassung des Beschwerdeführers, die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 2 c Satz 3 StVO finde zu seinen Gunsten Anwendung, ist nicht zutreffend. Nach dieser Norm darf auf Straßen außerorts, die mindestens zwei durch Fahrstreifenbegrenzung markierte Fahrstreifen für jede Richtung besitzen, schneller als 100 km/h gefahren werden. Diese Ausnahmeregelung gilt indes nur für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t, nicht aber für die in § 3 Abs. 3 Nr. 2 b StVO genannten, dem Schwerlastverkehr zuzuordnenden Fahrzeuge. Dies ergibt sich aus der Stellung der Ausnahmevorschrift des Abs. 3 Nr. 2 c Satz 3 innerhalb des § 3 StVO in Zusammenschau mit § 18 Abs. 5 StVO (vgl. BayObLG NStZ-RR 1999, 342; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, StVO, § 3 Rn. 54 a; Janiszewski/Jagow/Burmann, StVO, 18. Aufl., § 3 Rn. 56, Lütkes/Meier/Wagner, StVO, § 3 Rn. 34). Die vom AG Weilburg (NStZ-RR 1996, 346) vertretene Ansicht, nach Wortlaut und Stellung des § 3 Abs. 3 Nr. 2 c S. 3 StVO beziehe sich dieser auf sämtliche Ziffern des Abs. 3, zumindest aber auf die sämtliche Buchstaben des § 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO, hat sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Kommentarliteratur keine Zustimmung gefunden (BayObLG a.a.O., Hentschel a.a.O.). Auch der Senat folgt ihr nicht. In der zu § 3 StVO veröffentlichten amtlichen Begründung (VkBl. 1988, 222) wird die Ausnahmeregel lediglich der Nr. 2 c zugeordnet, nicht hingegen den übrigen Ziffern und Buchstaben des § 3 Abs. 3 StVO. Dies ergibt sich zudem aus § 18 Abs. 5 StVO, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 7,5 t auf autobahnähnlichen Kraftfahrstraßen auf 80 km/h angehoben wurde. Diese Regelung wäre überflüssig, wenn § 3 Abs. 3 Nr. 2 c Satz 3 StVO auch für den Schwerlastverkehr Geltung beanspruchen könnte. Die Ansicht des AG Weilburg, § 18 Abs. 5 StVO schränke lediglich die Vorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 2 c Satz 3 StVO ein, verkehrt das Regel-/Ausnahmeverhältnis der vorgenannten Normen.

2. a) Die Befugnis, schneller als 60 km/h zu fahren, folgt auch nicht aus § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO. Danach dürfen Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t auf Kraftfahrstraßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtung getrennt sind, bis zu 80 km/h fahren. Eine bauliche Trennung zwischen den Richtungsfahrbahnen ist nach den amtsgerichtlichen Feststellungen nicht vorhanden. Bei der Trennung muss es sich um ein physikalisches Hindernis handeln, das ein Überfahren der Begrenzung und somit das Hineingeraten in den Gegenverkehr erschwert. Hierunter fallen etwa Aufmauerungen, Leitplanken, Trenninseln oder abgegrenzte Gleiskörper.

b) Der vorhandene Raum zwischen den beiden durchgezogenen Linien (Verkehrszeichen 295) ist auch nicht als Mittelstreifen im Sinne des § 18 Nr. 5 StVO zu qualifizieren. Allerdings sind konkrete Vorgaben, wie ein Mittelstreifen ausgestaltet zu sein hat,- soweit ersichtlich - in den für den Straßenbau maßgeblichen Richtlinien nicht vorhanden. Wie die Gleichstellung des Begriffs Mittelstreifen mit dem der baulichen Trennung aber ergibt, muss der Streifen sich deutlich von der Fahrbahn abheben, so dass das Überfahren der Fahrbahnbegrenzung erschwert wird. Dies ist etwa bei Grün- oder Kiesstreifen der Fall. Fahrbahnmarkierungen, auch in Form einer Doppellinie, reichen für sich genommen zur Gestaltung eines Mittelstreifens im Sinne des § 18 Abs. 5 StVO nicht aus (vgl. Hentschel a.a.O., Bouska, DAR 1989, 164). Denn sie verhindern nicht hinreichend, dass der Kraftfahrer in den Gegenverkehr gerät.

III.

Das Urteil unterliegt jedoch der Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch. Angesichts des Umstandes, dass die bauliche Ausgestaltung eines Mittelstreifens nicht eindeutig geregelt ist, hätte das Amtsgericht erörtern müssen, ob dem Betroffenen ein - auch bei Fahrlässigkeitsdelikten denkbarer (vgl. KK-Rengier, OWiG, 2. Aufl., § 11 Rn. 122; Schönke/Schröder/Cramer, StGB, 25. Aufl., § 15 Rn. 193) - (vermeidbarer) Verbotsirrtum unterlaufen ist. Denn was dem Betroffenen bei vorsätzlichem Verhalten in Form eines Verbotsirrtums zugute käme, muss auch im Falle fahrlässigen Verhaltens entlastend wirken. Als Fahrzeugführer eines LKW hatte sich der Betroffene über die maßgeblichen Vorschriften zu unterrichten und sich gegebenenfalls bei den zuständigen Behörden zu erkundigen. Unvermeidbar wäre sein Irrtum nur gewesen, wenn die zuständigen Stellen eine von der Rechtsansicht des Senats abweichende Auskunft erteilt hätte, was jedoch auszuschließen ist. Da Handeln in vermeidbarem Verbotsirrtum - wobei bei einem Fahrlässigkeitsdelikt dieser Gesichtspunkt in der subjektiven Fahrlässigkeitsseite aufgehen mag - jedoch milder geahndet werden kann, war das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen. Der Senat sieht keinen Anlass für eine Verweisung an ein anderes Amtsgericht oder eine andere Abteilung des Amtsgerichts. ..."



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