Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 08.10.1996 - VI ZR 247/95 - Leistungen nach dem SGB sind nur dem Anspruch des Verletzten auf Ersatz seiner vermehrten Bedürfnisse kongruent

BGH v. 08.10.1996: Die Mithilfe von Haushaltsangehörigen ist nicht auf den Haushaltsführungsanspruch anzurechnen, wenn der/die Geschädigte vor dem Unfall den Haushalt allein geführt hat


Der BGH (Urteil vom 08.10.1996 - VI ZR 247/95) hat entschieden:
Leistungen nach SGB V §§ 53ff aF und SGB XI § 36 sind nur dem Anspruch des Verletzten auf Ersatz seiner vermehrten Bedürfnisse kongruent.


Siehe auch Ansprüche wegen des Entgangs der Fähigkeit, den Haushalt zu führen - Haushaltsführungsschaden


Tatbestand:

Die Klägerin erlitt am 31. März 1991 bei einem Brandunglück schwere Verletzungen. Nach einem rechtskräftigen Grundurteil und Teilendurteil vom 12. August 1992 muss der Beklagte gemäß §§ 823 ff. BGB für die aus diesem Unglück herrührenden materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin aufkommen.

Im Höheverfahren hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und einer angemessenen Schmerzensgeldrente erstrebt. Außerdem hat sie, weil sie wegen ihrer Verletzungen weitgehend auf Hilfestellung bei den hauswirtschaftlichen Verrichtungen angewiesen ist, die Erstattung von Haushaltsführungskosten in Höhe von monatlich 1.500 DM ab März 1992 begehrt. Ferner hat sie wegen der durch den Brand entstandenen Sachschäden sowie der Besuchskosten ihres Ehemannes und der Haushaltsführungskosten während ihres Krankenhausaufenthalts die Zahlung eines im einzelnen bezifferten weiteren Betrages von 17.700 DM geltend gemacht. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 400.000 DM (abzüglich eines zwischenzeitlich gezahlten Betrages von 150.000 DM) sowie einer Schmerzensgeldrente von monatlich 600 DM verurteilt, außerdem hat es den Anträgen der Klägerin auf Verurteilung zur Erstattung der geltend gemachten Haushaltsführungskosten in Höhe von monatlich 1.500 DM und Zahlung des Betrages von 17.700 DM stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Abweisung der weitergehenden Klage den Schmerzensgeldanspruch der Klägerin auf 180.000 DM (abzüglich gezahlter 150.000 DM) reduziert, einen Anspruch auf Schmerzensgeldrente verneint und Ersatz von Haushaltsführungskosten nur in Höhe von monatlich 400 DM für die Zeit vom 1. März 1992 bis zum 31. März 1995 zugesprochen; die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des auf 17.700 DM bezifferten Betrages hat das Oberlandesgericht aufrechterhalten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie hinsichtlich des Schmerzensgeldanspruchs und des Anspruchs auf Erstattung der Haushaltsführungskosten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt. Der Senat hat die Revision nicht angenommen, soweit sie sich gegen die Entscheidung über das Schmerzensgeld wendet.


Entscheidungsgründe:

I.

Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Haushaltsführungskosten, der im Revisionsrechtszug nunmehr allein noch im Streit ist, beschränkt sich nach Auffassung des Berufungsgerichts auf monatlich 800 DM. Neben der Hilfe, die ihr durch ihren Ehemann und ihren noch im elterlichen Haushalt lebenden erwachsenen Sohn zuteil werde, benötige die Klägerin zur Haushaltsführung zweimal pro Woche für fünf bis sechs Stunden eine Haushaltshilfe. Vor diesem Hintergrund sei ein Betrag von 800 DM monatlich angemessen. Auf diesen Betrag seien die Zahlungen anzurechnen, die seit Dezember 1991 durch die Bundesknappschaft geleistet worden seien; insoweit sei der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 116 SGB X auf die Bundesknappschaft übergegangen. In der Zeit vom 3. Dezember 1991 bis zum 28. Februar 1994 seien Einzelleistungen des Diakonischen Werkes abgerechnet und monatlich bis zu 750 DM gezahlt worden. Das Berufungsgericht schätzt die Ersatzleistungen der Bundesknappschaft auf monatlich 400 DM, so dass sich der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Haushaltsführungskosten für den genannten Zeitraum auf monatlich 400 DM verringere. Das gelte auch für die Zeit vom 1. März 1994 bis zum 31. März 1995; während dieses Zeitraumes habe die Bundesknappschaft ausweislich einer Mitteilung monatlich 400 DM an die Klägerin gezahlt. Da ab April 1995 ein Pflegegeld gemäß der Pflegestufe II in Höhe von 800 DM monatlich an die Klägerin gezahlt werde, entfalle ihr Anspruch auf Erstattung der Haushaltsführungskosten seit diesem Zeitpunkt ganz.


II.

Diese Erwägungen halten einer Nachprüfung nicht stand.

1. Bei der Bestimmung der Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Ersatz ihres unfallbedingten Haushaltsführungsschadens hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Hilfeleistungen berücksichtigt, die der Ehemann der Klägerin und ihr Sohn im Haushalt erbringen.

In dem teilweisen Verlust der Fähigkeit, weiterhin Haushaltsarbeiten zu verrichten, liegt ein ersatzfähiger Schaden der Klägerin. Dabei ist zu unterscheiden: Soweit die Haushaltstätigkeit der Klägerin ihr Beitrag zum Familienunterhalt gewesen ist, stellt sich ihre Verletzung als Erwerbsschaden im Sinne von § 843 Abs. 1, 1. Alt. BGB dar. Soweit die Haushaltstätigkeit der Klägerin der Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse gedient hat, gehört der teilweise Ausfall dieser Tätigkeit zur Schadensgruppe der vermehrten Bedürfnisse im Sinne von § 843 Abs. 1, 2. Alt. BGB (vgl. Senatsurteil vom 25. September 1973 - VI ZR 49/72 - NJW 1974, 41, 42 = VersR 1974, 162, 163; vgl. ferner Wussow/Dressler, UHR, 14. Aufl., TZ 1611 m. w. N.). Zwar ist in dem einen wie dem anderen Fall der Schaden der Klägerin messbar an der Entlohnung, die für die verletzungsbedingt in eigener Person nicht mehr ausführbaren Hausarbeiten an eine Hilfskraft gezahlt wird oder gezahlt werden müsste (vgl. Senatsurteil vom 6. Juni 1989 - VI ZR 66/88 - NJW 1989, 2539). Diese Unterscheidung, die das Berufungsgericht nicht vorgenommen hat, ist aber von praktischer Bedeutung u. a. für die Frage, ob und in welchem Umfang Zahlungen eines Leistungsträgers für die Klägerin zu einem Anspruchsverlust führen (vgl. hierzu nachfolgend unter 2. und 3.).

Für den Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen Beeinträchtigung in der Führung des Haushalts kommt es auf den konkreten Erfolg des Einsatzes ihrer Arbeitskraft an, soweit er durch den Brandunfall entfallen ist und weiterhin entfällt. Für diese konkrete Schadensbestimmung, die auf § 249 BGB beruht, ist es ohne Belang, zu welchem Ausmaß von Haushaltstätigkeit die Klägerin familienrechtlich verpflichtet gewesen wäre; entscheidend ist allein, welche Tätigkeit sie ohne den Unfall auch künftig geleistet haben würde. Eine Mitarbeitspflicht ihrer Familienangehörigen oder eine tatsächliche Mitarbeit im Haushalt, die ihr Ehemann und ihr Sohn ohne den Unfall nicht leisten würden, vermag sich daher schon aus Rechtsgründen auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens nicht auszuwirken (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 1974 - VI ZR 10/73 - VersR 1974, 1016 = NJW 1974, 1651, 1652; vgl. ferner Wussow/Dressler, aaO. Rdn. 1613). Die Klägerin hat im Verlauf des Rechtsstreits wiederholt unbestritten vorgetragen, dass sie den Haushalt allein geführt hat. Die Feststellungen des Berufungsgerichts geben keinen Anlass zu der Annahme, dass sich hieran ohne den Unfall etwas geändert hätte.

2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht auch, soweit es der Auffassung ist, dass sich der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Haushaltsführungsschadens um die Beträge verringere, die die Bundesknappschaft seit Dezember 1991 geleistet hat. Die Ausführungen des Berufungsgerichts lassen nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennen, um welche Leistungen es sich hier handelt. Geht es, wofür manches spricht, um häusliche Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V a. F., dann tritt hierdurch nur eine Verringerung des Anspruchs der Klägerin wegen vermehrter Bedürfnisse nach § 843 Abs. 1 BGB ein, während ihr Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens hiervon unberührt bleibt. Dies deshalb, weil die sachliche Kongruenz, die der Anspruchsübergang auf den Leistungsträger nach § 116 SGB X voraussetzt, nur zwischen der häuslichen Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V a. F. und dem Anspruch der Klägerin wegen vermehrter Bedürfnisse besteht; zum Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Erwerbsschadens besteht die sachliche Kongruenz nicht (vgl. Geigel/Plagemann, Der Haftpflichtprozeß, 21. Aufl., S. 1195; Küppersbusch, NJW-Schriften 5, 6. Aufl., Rdn. 459; Wussow/Schloen, UHR, 14. Aufl., TZ 2428). Dies bedeutet, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts, das undifferenziert den Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Haushaltsführungskosten um die Zahlungen der Bundesknappschaft kürzt, keinen Bestand haben kann. Vielmehr bedarf es der Feststellung, in welchem Umfang der Klägerin wegen eines Erwerbsschadens einerseits und wegen vermehrter Bedürfnisse andererseits gegen den Beklagten Ansprüche zustehen. Nur auf den letzteren Anspruch kann sich, wie gesagt, eine häusliche Pflegehilfe nach §§ 53 ff. SGB V a. F. auswirken. Im übrigen ist, soweit es um den Verlust der Aktivlegitimation der Klägerin nach § 116 SGB X geht, kein Raum für eine Schadensschätzung, vielmehr bedarf es hierfür der exakten Feststellung der geleisteten Zahlungen.

3. Ähnlich verhält es sich mit dem Pflegegeld gemäß der Pflegestufe II, das die Klägerin in Höhe von monatlich 800 DM ab April 1995 erhält. Diese Leistung hat das Berufungsgericht gleichfalls undifferenziert auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihrer Haushaltsführungskosten angerechnet, während eine sachliche Kongruenz, die gemäß § 116 SGB X zum Anspruchsübergang auf den Sozialversicherungsträger und damit zum Verlust der Aktivlegitimation der Klägerin führt, nur zum Anspruch auf Ersatz wegen vermehrter Bedürfnisse besteht (vgl. KassKomm-Kater, § 116 SGB X Rdn. 115; Küppersbusch, aaO. Rdn. 517). Nach dem Normzweck (§ 4 i.V.m. § 36 SGB XI) sind die Leistungen, die der Pflegebedürftige ohne den verletzungsbedingten Ausfall für seine Familienangehörigen erbracht hätte, nicht abgedeckt.



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