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BayObLG Urteil vom 16.09.1983 - RReg. 1 St 170/83 - Unter das strafbewehrte Verbot des Feilhaltens und Inverkehrbringens nachgemachter Kraftfahrzeugkennzeichen fällt nicht der Vertrieb von Fantasiezeichen

BayObLG v. 16.09.1983: Zum Feilhalten und Inverkehrbringen nachgemachter Kraftfahrzeugkennzeichen durch Vertrieb von Fantasiezeichen


Das BayObLG (Urteil vom 16.09.1983 - RReg. 1 St 170/83) hat entschieden:
Unter das strafbewehrte Verbot des Feilhaltens und Inverkehrbringens nachgemachter Kraftfahrzeugkennzeichen fällt nicht der Vertrieb von Fantasiezeichen, die keinem Kraftfahrzeugkennzeichen, das tatsächlich Verwendung findet, in einer eine Verwechslungsgefahr begründenden Weise ähnlich sind, sondern lediglich bei einem Betrachter den Eindruck erwecken können, es handle sich um ein ihm bisher unbekanntes (ausländisches) Kraftfahrzeugkennzeichen.


Siehe auch Kennzeichenmissbrauch und Missbrauch von roten Kennzeichen - Kurzkennzeichen - Saisonkennzeichen


Zum Sachverhalt: Der Angekl. verkaufte in der Zelt vom 1. 1. bis 10.5. 1982 an einem Kiosk mindestens 20 Aufklebefolien, die Nachbildungen von Kraftfahrzeugkennzeichen verschiedener Bundesstaaten der USA enthielten. Die Folien hatten eine Größe von 27,3 cm x 15,5 cm, während entsprechende echte Kennzeichen, die aus Blech hergestellt sind und deren Beschriftung nach außen erhaben geprägt ist, 30,6 cm x 15,3 cm groß sind. Die Abbildungen von Kennzeichen des Bundesstaates Texas enthielten außerdem Zusätze wie "Truck” und "Keep an Trucking". Die Farbgestaltung und Aufmachung der Folien, die teilweise „in Leuchtfarben ausgelegt” waren, wich „stark” von echten Kennzeichen ab. In allen Fällen fehlte die Nachahmung der am rechten oder linken oberen Rand befindlichen Stempelmarken. Der Angekl., der unzutreffende Vorstellungen über das Aussehen der in den USA ausgegebenen Kraftfahrzeugkennzeichen hatte, nahm an, „dass es sich nicht um Nachahmungen echter Kennzeichen, sondern um Spielzeug handele”, und war sich nicht bewusst, mit dem Vertrieb der Folien Unrecht zu tun.

Beide Vorinstanzen haben den Angekl. vom Vorwurf eines Vergehens des Inverkehrbringens nachgemachter Kraftfahrzeugkennzeichen (§ 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG) freigesprochen, Mit ihrer zulässigen Revision rügt die Staatsanwaltschaft - erfolglos - die Verletzung des sachlichen Rechts.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... 1. Zweifelhaft könnte schon sein, ob die Vorschrift des § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG auch das Feilhalten und Inverkehrbringen nachgemachter ausländischer Kraftfahrzeugkennzeichen unter Strafe stellt.

§ 22 a wurde durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 3. 8. 1978 (BGBl 1 S. 1117) in das Straßenverkehrsgesetz eingefügt. Hauptzweck dieses Gesetzes war es, im Interesse einer wirksamen Verbrechens-, insbesondere Terroristenbekämpfung die Einführung fälschungssicherer Kraftfahrzeugkennzeichen zu ermöglichen. Die neu eingefügten Strafvorschriften des § 22 a Abs. 1 StVG knüpfen in ihren Nummern 1 und 2 an die Vorschriften des § 6 b StVG an und stellen ihre Nichtbeachtung unter Strafschutz; insoweit dürfte sich ihr Geltungsbereich auf deutsche Kraftfahrzeugkennzeichen, die allein von der Regelung des § 6 b StVG erfasst werden können, beschränken. Demgegenüber stehen die Nummern 3 und 4 des § 22 a Abs. 1 StVG mit dem erwähnten Hauptziel des Änderungsgesetzes nur in einem losen Zusammenhang. Immerhin können auch sie in gewissem Sinne als „ergänzende Maßnahmen” zur damals beabsichtigten Einführung fälschungssicherer Kraftfahrzeugkennzeichen angesehen werden (vgl. Abschn. 1 5 der Begründung des Regierungsentwurfs zum Änderungsgesetz BTDrucks. 81971 S. 7).

Ob § 22 StVG, insbesondere dessen Nummer 1, auch den Missbrauch ausländischer Kraftfahrzeugkennzeichen unter Strafe stellt, ist zwar, soviel ersichtlich, in der Rechtsprechung bisher nicht entschieden, wird jedoch im Schrifttum, soweit es sich mit dieser Frage befasst, bejaht (Rüth in Müller Straßenverkehrsrecht 22. Aufl. § 22 StVG RdNr. 3 Buchst. 2; Mühlhaus/Janiszewski StVO 9. Aufl. § 22 StVG Anm. 1; Jagusch Straßenverkehrsrecht 26. Aufl. § 22 StVG RdNr. 1; vgl. auch Mayr in Krumme StVG - 1977 - § 22 RdNr. 4, der lediglich die Anwendung des § 22 StVG auf Nationalitätskennzeichen als zweifelhaft bezeichnet, dagegen die ausländischen Kennzeichen als solche unerwähnt lässt). Dem dürfte zuzustimmen sein. Da nach § 1 Abs. 2, § 2 Satz 1 der Verordnung über internationalen Kraftfahrzeugverkehr im Ausland zugelassene Kraftfahrzeuge unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 5 der Verordnung) auf Grund der Kennzeichnung durch ihren Heimatstaat in Verbindung mit dem Nationalitätskennzeichen am inländischen Straßenverkehr teilnehmen dürfen, ist auch die (unbefugte) Kennzeichnung eines Kraftfahrzeugs mit einem ausländischen Kraftfahrzeugkennzeichen geeignet, den (unzutreffenden) Anschein einer amtlichen Kennzeichnung hervorzurufen; sie verstößt daher in gleicher Weise wie die missbräuchliche Anbringung eines inländischen Kraftfahrzeugkennzeichens gegen den Schutzzweck des § 22 StVG. Es dürfte deshalb kein Anlass bestehen, letztere Bestimmung entgegen ihrem Wortlaut einschränkend in dem Sinne auszulegen, dass sie sich nur auf deutsche Kraftfahrzeugkennzeichen beziehe.

Wenn aber die Vorschriften des § 22 a Abs. 1 Nrn. 3 und 4 StVG Handlungen erfassen wollen, die der Vorbereitung eines in § 22 StVG unter Strafe gestellten Kennzeichenmissbrauchs dienen oder dienen können, besteht kein Anlass, sie insoweit enger auszulegen. Denn das Herstellen und der Vertrieb nachgemachter ausländischer Kraftfahrzeugkennzeichen schafft grundsätzlich in gleicher Weise wie Herstellung und Vertrieb nachgemachter inländischer Kraftfahrzeugkennzeichen die Gefahr einer missbräuchlichen Verwendung zur Vortäuschung einer ordnungsgemäßen amtlichen Kennzeichnung von Kraftfahrzeugen. Der Senat neigt deshalb zu der Auffassung, dass § 22 a Abs. 1 Nrn. 3 und 4 StVG auch auf ausländische Kraftfahrzeugkennzeichen anzuwenden ist. Dies braucht im vorliegenden Fall jedoch nicht abschließend entschieden zu werden, da der Angekl. auch bei Bejahung dieser Frage nicht verurteilt werden kann.

Bei der Geldfälschung - und ebenso bei der ihr in § 151 StGB gleichgestellten Fälschung bestimmter Wertpapiere (vgl. hierzu BGHSt 30, 71 und BGH NJW 1981, 1965) - scheidet die Gefahr, dass die Anwendbarkeit der Vorschrift auf Fälschungen, denen kein echtes Vorbild entspricht, zu einer grenzenlosen Ausuferung des Tatbestandes führt, aus zwei Gründen aus. Einmal können schon objektiv nur mit einem nicht unerheblichen Aufwand hergestellte Fälschungen den Eindruck erwecken, es handle sich um echtes Geld oder um echte Wertpapiere der in § 151 StGB angeführten Art (vgl. BGH NJW 1981, 1965). Vor allem aber erfordert § 146 StGB - ebenso übrigens auch § 147 StGB - in subjektiver Richtung eine Täuschungsabsicht, und nicht zuletzt hierauf hat der Bundesgerichtshof seine Auffassung gestützt, dass das Nachmachen von Geld, das zwar mit keinem echten Vorbild verwechslungsfähig ist, aber gleichwohl den Eindruck hervorrufen kann, es handle sich um echtes ausländisches Geld, ebenso gefährlich ist wie die Nachbildung von echtem Geld (BGHSt 30, 71172).

Demgegenüber kann wegen der Vielartigkeit der Ausgestaltung ausländischer Kraftfahrzeugkennzeichen im Grunde jedes Schild, das in der Größe etwa einem Kraftfahrzeugkennzeichen entspricht und eine Kombination von Zahlen und Buchstaben - diese womöglich fremdsprachlicher Art und in anderer als lateinischer Schrift - aufweist, dann, wenn das Schild an einem Kraftfahrzeug angebracht wird, den Eindruck erwecken, es handle sich um ein ausländisches Kraftfahrzeugkennzeichen. Damit wäre, würde man auf das Erfordernis einer Verwechslungsfähigkeit mit einem wirklich Verwendung findenden (ausländischen) Kraftfahrzeugkennzeichen verzichten und auch bloße Fantasiezeichen, die für echte Zeichen angesehen werden könnten, als nachgemachte Kennzeichen im Sinne des § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG ansehen, Raum für eine nahezu uferlose Ausdehnung des äußeren Tatbestandes geschaffen. Dieser würde auch nicht durch den inneren Tatbestand eingeschränkt, da § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG - anders als die Nummer 3 - die Strafbarkeit nicht davon abhängig macht, dass das nachgemachte Kennzeichen vertrieben wird, um eine missbräuchliche Verwendung zu ermöglichen.

Die Annahme, unter die Strafvorschrift des § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG falle auch der Vertrieb von Fantasiekennzeichen, die keinem wirklich vorkommenden Kraftfahrzeugkennzeichen in einer eine Verwechslungsfähigkeit begründenden Weise ähnlich sind, wenn sie nur bei einem Betrachter den Eindruck erwecken können, es handle sich um ein ihm unbekanntes (ausländisches) Kraftfahrzeugkennzeichen, würde damit zu einer unangemessenen Ausuferung dieses Straftatbestandes führen und zugleich unklar lassen, wo die Grenzen seiner Anwendbarkeit lägen. Dass dies vom Gesetzgeber gewollt gewesen wäre, kann nicht angenommen werden, dies um so weniger, als auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift hiergegen spricht. Die von dem Regierungsentwurf (BTDrucks. 81971) abweichende Fassung des nunmehrigen § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG beruht nämlich auf einer Empfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags (vgl. BTDrucks. 811922 (neu) S. 9). Für diesen Vorschlag war aber gerade das Bestreben bestimmend, dem Tatbestand klare Grenzen zu verschaffen, also eine unangemessene Ausuferung zu verhindern (Protokoll über die 46. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 7. 6. 1978 S. 40).

Hiernach fällt der Vertrieb von Fantasiezeichen, die mit keinem wirklich vorkommenden Kraftfahrzeugkennzeichen verwechselt, sondern nur für ein dem Betrachter unbekanntes (ausländisches) Kraftfahrzeugkennzeichen gehalten werden können, nicht unter die Vorschrift des § 22 a Abs. 1 Nr. 4 StVG. Ob für § 22 a Abs. 1 Nr. 3 StVG, der eine Missbrauchsabsicht voraussetzt, eine andere Beurteilung in Betracht gezogen werden könnte, kann im vorliegenden Fall ebenso offenbleiben wie die weitere Frage, ob ein in solcher Missbrauchsabsicht nachgemachtes Kraftfahrzeugkennzeichen nicht auch im Rahmen der Nummer 4 trotz fehlender Verwechslungsfähigkeit mit einem echten Vorbild als nachgemachtes Kennzeichen angesehen werden könnte. Denn ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben; die vom Angekl. vertriebenen Aufklebefolien sollten offensichtlich nicht der Vortäuschung einer amtlichen Kennzeichnung, sondern ausschließlich einer „Verzierung von Kraftfahrzeugen dienen. ..."



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