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Amtsgericht Bautzen Urteil vom 25.08.2005 - 22 C 1402/04 - Zur Mangelhaftigkeit eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens und zur Kausalität der Behördenentscheidung

AG Bautzen v. 25.08.2005: Zur Mangelhaftigkeit eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens und zur Kausalität der Behördenentscheidung


Das Amtsgericht Bautzen (Urteil vom 25.08.2005 - 22 C 1402/04) hat entschieden:
  1. Bei der Erstellung eines MPU-Gutachtens ist eine sorgfältig recherchierte und gut begründete Entscheidung geschuldet; nicht jedoch ein bestimmtes Ergebnis.

  2. Mangelhaft ist ein MPU-Gutachten nur, wenn Fehler bei der Sammlung von Fakten aufgetreten sind oder wenn zu Unrecht falsche tatsächliche Vorgaben zu Grunde gelegt wurden oder wenn allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze nicht beachtet wurden der sachfremde Erwägungen ausschlaggebend waren.

  3. Dem MPU-Gutachter ist bei den von ihm angestellten: Wertungen und Schlussfolgerungen ein nicht zu eng zu bemessender Beurteilungsspielraum einzuräumen, insoweit darf das Gericht seine eigenen Entscheidung nicht an die Stelle des Gutachters setzen.

  4. Zwischen dem Ergebnis eines MPU-Gutachtens und der nachfolgenden Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde besteht wegen des dieser zustehenden eigenen Beurteilungsspielraums kein Kausalzusammenhang.

Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um einen Gewährleistungsanspruch aus Werkvertrag.

Dem KI. war auf Grund zweier Trunkenheitsfahrten am 28. 3. 2002 und am 28. 8. 2002 die Fahrerlaubnis entzogen worden. Im Zusammenhang mit der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis erteilte der Kl. dem Bekl. einen Auftrag zur medizinisch-psychologischen Untersuchung, wobei sich der KI. am 9. 3. 2004 der Begutachtung in B. unterzog. Unter dem 19. 3. 2004 erstellte der Bekl. das Gutachten, in welchem der Sachverständige zu dem Ergebnis kam, dass derzeit nicht hinreichend auszuschließen sei, dass der Kl. erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird.

Der Kl. ist der Auffassung, dass das Gutachten des Bekl. unter erheblichen Mängeln Ieide und er daher die Vergütung in Höhe von 377,72 EUR zurückverlangen könne. Der Bekl. sei daher mit Schreiben vom 25. 3. 2004 aufgefordert worden, eine fachmännische Gutachtenerstellung nachzuholen, was der Bekl. abgelehnt hat. Die Klage hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Dem Kl. steht kein Schadensersatzanspruch gem. §§ 631, 633, 634 Nr. 4, 636, 280, 281 BGB zu.

Die Beauftragung des Bekl. zur Erstellung des Sachverständigengutachtens stellt einen Werkvertrag i. S. von § 631 BGB dar. Vorliegend macht der Kl. ersichtlich einen Schadensersatzanspruch im Sinne von §§ 634 Nr. 4, 636 BGB geltend. Ein solcher Schadensersatzanspruch setzt voraus, dass das Gutachten vom 19. 3. 2004 einen Sachmangel aufweist. Ein solcher Mangel liegt dann vor, wenn das Werk nicht die vereinbarte bzw. die gewöhnliche Beschaffenheit hat. Bei der Beauftragung zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens ist in der Regel kein bestimmtes Ergebnis geschuldet. Vielmehr besteht das geschuldete Werk in der Überprüfung und Begutachtung, ob der Auftraggeber künftig ein Kraftfahrzeug unter Alkohol führen wird oder die Gewähr besteht, dass er sich künftig ohne Alkoholbeeinträchtigung im Straßenverkehr bewegt (AG Chemnitz v. 28. 9. 1998 - 20 C 2238/98 - NZV 1999, 385). Geschuldet ist danach eine sorgfältig, recherchierte und begründete gutachterliche Entscheidung. Die Anforderungen, die sich für die Beurteilung eines mangelfrei erstellten medizinisch-psychologischen Eignungsgutachtens zur Wiedererlangung der Fahrerlaubnis ergeben, müssen dem Sinn und Zweck der Begutachtung entnommen werden. Nach § 2 I 2 StVG hat die zuständige Verwaltungsbehörde eine Fahrerlaubnis nach ihrer Entziehung nur dann neu zu erteilen, wenn nicht Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Nach §§ 15c I, 9, 12 StVZO kann die Verwaltungsbehörde im Falle des Vorliegens von Tatsachen, die Bedenken gegen die Eignung des Bewerbers begründen, das Gutachten einer amtlich anerkannten medizinisch-psychologischen Untersuchungsstelle anfordern. Dieses Gutachten dient der Verwaltungsbehörde sodann als Hilfsmittel für die eigene Urteilsbildung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die medizinisch-psychologische Begutachtung eine geistige Leistung im Bereich der Prognose ist, die besonders dort, wo sie Aussagen zur Rückfallgefahr des Probanden trifft, eine bloße Wahrscheinlichkeitsaussage macht, die niemals absolut wahr oder falsch sein kann. Deshalb ist dem Gutachter bei den von ihm angestellten Wertungen und Schlussfolgerungen - soweit sie eine Grundlage in den von ihm getroffenen Feststellungen haben - ein nicht zu eng zu bemessener Spielraum für seine Beurteilung einzuräumen. Das heißt, dass das Gericht seine eigene Entscheidung nicht an die Stelle des Gutachtens setzen darf, wofür dem Gericht im übrigen die entsprechende Sachkunde fehlen würde. Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass die Prüfungssituation nicht rekonstruierbar ist und sich die Entscheidungsfindung im subjektiven, d. h. nur teilweise rational nachvollziehbaren Bereich des Sachverständigen abspielt. Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist das Gutachten nur dann mangelhaft, wenn Fehler bei der Sammlung von Fakten aufgetreten sind oder wenn zu Unrecht falsche tatsächliche Vorgaben zu Grunde gelegt wurden oder wenn allgemein anerkannte Bewertungsgrundsätze nicht beachtet wurden oder sachfremde Erwägungen ausschlaggebend waren.

Einen solchen Mangel konnte das Gericht im Gutachten vom 19. 3. 2004 nicht entdecken, vielmehr trägt er den oben erörterten Anforderungen Rechnung. Hierzu ist im einzelnen folgendes auszuführen:

Was der Kl. mit dem Einwand, dass der jeweilige Tathergang nicht vollständig erfasst und gewürdigt worden sei, meint, erschließt sich dem Gericht nicht. Insoweit ist das Vorbringen des Kl. zur Mangelhaftigkeit des Gutachtens völlig unsubstantiiert. Soweit der Kl. moniert, dass im Gutachten seine Verkehrserfahrung falsch wiedergegeben worden sei, mag dies richtig sein, beruht allerdings auf seinen eigenen Angaben. Im übrigen spielte die Verkehrserfahrung des Kl. sowohl für die Bewertung als auch das Ergebnis im Gutachten überhaupt keine Rolle. Das Gericht vertritt nicht die Auffassung, der Sachverständige des Bekl. habe die Fähigkeit des KI. zur Selbstkritik nicht hinreichend erforscht. Der Sachverständige hat dem Kl. die Hilfe der Suchtberatungsstelle und einer Selbsthilfegruppe empfohlen, was der Kl. jedoch nicht in Anspruch genommen hat, weil er wohl meinte, Hilfe nicht zu benötigen. Der Gutachter hat auf Seite 8 des Gutachtens sehr wohl festgestellt, dass sich Kl. bemüht zeigte, die Deliktlage selbstkritisch darzustellen. Er hat allerdings im Hinblick auf die Fähigkeit zur Selbstkritik des Kl. festgestellt, dass der Kl. sein früheres Trinkverhalten nicht als problematisch und missbräuchlich angesehen hat. Der Sachverständige stellt hier nachvollziehbar fest, dass der KI. den Missbrauch nicht erkannt hat, wenn er die früheren Trinkmengen im Umfang von 4 bis 5 Flaschen Bier pro Tag - wenn auch mit Konsumpausen - als normal angesehen hat. Dem folgt das Gericht auch nach eigener Wertung. Bezüglich der Angaben des Kl. zu seinem vorherigen Alkoholkonsum hat der Sachverständige durchaus erfasst, dass der Kl. längere Konsumpausen angegeben hat. Auf Seite 6, 5. Abschnitt findet sich die Angabe des Kl. wiedergegeben, dass er oft aber nicht täglich durchschnittlich 4 bis 5 Flaschen Bier a 0,5 1 pro Tag getrunken hat. Ebenso auf Seite 6 im 5. Abschnitt findet sich die Angabe des Kl., dass er wegen familiären Ärgers oft heimlich getrunken habe. Damit kann dem Bekl. nicht vorgeworfen werden, der Sachverständige habe das Umfeld des Kl. nicht berücksichtigt. Soweit der KI. moniert, dass keine Aufklärung zu Widersprüchen erfolgt sei, ist dieser Einwand unsubstantiiert. Was der KI. hiermit konkret meint, erschließt sich dem Gericht nicht.

Auch der Vortrag des KI., der Sachverständige gehe davon aus, er sei Alkoholiker, trifft nicht zu. Bereits auf Seite 3 oben als auch in der abschließenden Stellungnahme auf Seite 11 stellt der Sachverständige klar, dass er nicht von einer fortdauernden Alkoholproblematik - spricht von einer Alkoholkrankheit - ausgeht. Vielmehr stellte der Sachverständige bei der Beurteilung des Kl. darauf ab, ob der Kl. die Trennung zwischen Verkehrsteilnahme und Alkohol erkannt hat, wobei der Sachverständige hier zu einem negativem Ergebnis kommt. Dieses Ergebnis in Frage zu stellen, steht dem Gericht nach den obigen Ausführungen nicht an (AG Chemnitz am angegebenen Ort; LG Bautzen, Urt. v. 3. 3. 1999 - 4 0 864/98 - NZV 1999, 474). Soweit sich der Kl. darauf beruft, dass es entgegen der Annahme des Sachverständigen keinerlei Anhaltspunkte für Alkoholmissbrauch gegeben habe, wird der Kl. auf den Anlass für den Entzug der Fahrerlaubnis hingewiesen, nämlich auf seine Trunkenheitsfahrten. Dies ist hinreichender Anhaltspunkt für Alkoholmissbrauch. Selbst wenn die Alkoholkonzentrationen zum Zeitpunkt der Trunkenheitsfahrten nicht sehr hoch waren, lässt der Zeitablauf zwischen Alkoholkonsum und Trunkenheitsfahrt darauf schließen, dass eine erhebliche Menge konsumiert wurde.

Darüber hinaus hat sich der Sachverständige auch mit den guten Laborwerten des Kl. auseinander gesetzt und sein Ergebnis letztlich nachvollziehbar begründet. Nach den Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus den Angaben des Kl. hat dieser nämlich seinen früheren Missbrauch noch nicht als solchen erkannt, da er 4 bis 5 Flaschen Bier pro Tag als normalen Konsum bezeichnet. nach der Wertung des Sachverständigen ist eine völlige Abstinenz des Kl. nicht glaubhaft, weil kein schwerwiegender Grund oder Anlass für die Änderung der Lebensführung ersichtlich ist. Zudem steht die angegebene Motivation des KI. in keinem Zusammenhang zur Gefährlichkeit von Trunkenheitsfahrten. Die guten Laborwerte des KI. wurden in der abschließenden Stellungnahme auf Seite 11 des Gutachtens berücksichtigt. Soweit der Kl. anführt, der Sachverständige habe zu Unrecht seine Angabe, die Abstinenz habe zu keiner Umstellung oder zu keinen Veränderungen in seinem Leben geführt, begründet auch dies keinen Mangel des Gutachtens. Die Wertung des Sachverständigen ist nicht zu beanstanden. Die Frage zielt letztlich nicht lediglich auf körperliche Auswirkungen der Alkoholabstinenz ab. Insoweit mag es auch richtig sein, dass der Kl. hier keine Umstellung verspürt hat. Allerdings ist die Angabe des KI. so nicht auf Anhieb glaubhaft. Fast jeder, der bei geselligen Anlässen auch nur geringe Mengen Alkohol zu sich nimmt, wird feststellen, dass es nicht immer einfach ist, auf Alkohol zu verzichten, sei es auch nur ein Glas Wein.

Da sich nach allem kein Mangel am Gutachten vom 19. 3. 2004 finden lässt, stehen dem Kl. keine Gewährleistungsansprüche zu und die Klage war einschließlich des allgemeinen Feststellungsantrages abzuweisen. Hinsichtlich letzterem ist lediglich noch darauf hinzuweisen, dass schon keine Kausalität zwischen dem Ergebnis des Gutachtens und der Entscheidung der Behörde zur Wiedererteilung der Fahrerlaubnis besteht, da die Behörde nochmals einen eigenen Beurteilungsspielraum hat. ..."



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