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Verwaltungsgericht Dresden Beschluss vom 02.09.2005 - 14 K 774/05 - Auch bei Radfahrern ist nach einer Trunkenheitsfahrt mit über 1,6 ‰ eine MPU erforderlich

VG Dresden v. 02.09.2005: Auch bei Radfahrern ist nach einer Trunkenheitsfahrt mit über 1,6 ‰ eine MPU erforderlich


Das Verwaltungsgericht Dresden (Beschluss vom 02.09.2005 - 14 K 774/05) hat entschieden:
Rechtmäßige Anordnung einer MPU nach Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad.


Siehe auch Stichwörter zum Thema medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU)


Zum Sachverhalt: Der Antragsteller war Inhaber der Fahrerlaubnis der Klassen A/B/BE/C1/C1E/C/CE/M/L/T. Er wendet sich gegen die Entziehung dieser Fahrerlaubnis. Mit Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 12.08.2004 erhielt der Antragsgegner Kenntnis, dass für den Antragsteller insgesamt acht Punkte im Verkehrszentralregister eingetragen waren, darunter eine Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt im Jahre 2003 nach § 316 StGB mit 1,86 ‰.

Anfang 2005 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller nach vorangegangenem Schriftwechsel auf, eine positive MPU beizubringen, und zwar zu folgender Fragestellung:
"Wird Herr S. aufgrund der Alkoholfahrt mit Fahrrad auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkohol im Straßenverkehr führen und /oder liegen Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1/ 2 (A/BE/C1E/CE/M/L) in Frage stellen?"
Da der Antragsteller das geforderte Gutachten nicht beibrachte, entzog ihm die Antragsgegnerin im April 2005 die Fahrerlaubnis mit Sofortvollzug.

Der Antragsteller erhob hiergegen Widerspruch und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Der Antrag blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid ist nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 wiederherzustellen, da die Anordnung des Sofortvollzugs den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügt ( 1) und in der Sache das öffentliche Vollziehungsinteresse gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Dem öffentlichen Interesse an der Vollziehbarkeit des Bescheides kommt hier bei Abwägung aller betroffenen Belange das ausschlaggebende Gewicht zu, da sich der Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist (hierzu unter 2 a) und das besondere öffentliche Interesse an der Gewährleistung des Schutzes anderer Verkehrsteilnehmer das Entfallen der Suspensivwirkung des Rechtsbehelfs gebietet (hierzu unter 2b).

1) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig. (wird ausgeführt ...)

2a) Der Bescheid stellt sich auch materiell als offensichtlich rechtmäßig dar.

Der Antragsgegner ist gemäß § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Auf die fehlende Eignung darf die Fahrerlaubnisbehörde dabei gemäß § 11 Abs. 8 FeV schließen, wenn der Betroffene sich weigert, ein rechtmäßig angefordertes Gutachten zur Klärung von Eignungszweifeln beizubringen und er auf diese Folge in der Begutachtungsanordnung hingewiesen wurde.

So liegen die Dinge hier. Der Antragsgegner hatte gemäß § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 13 Nr. 2 c) FeV zur Klärung von Eignungszweifeln bezüglich einer Alkoholproblematik die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, da der Antragsteller ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille geführt hat. Nach dem ausdrücklichen Wortlaut dieser Norm ist nicht das Führen eines Kraftfahrzeuges, sondern nur eines Fahrzeuges tatbestandliche Voraussetzung für das Einschreiten der Fahrerlaubnisbehörde. Zu den Fahrzeugen im Sinne der verkehrsrechtlichen Begrifflichkeit zählen aber nicht nur motorbetriebene Fortbewegungsmittel, sondern auch Fahrräder (vgl. §§ 16 , 64a StVZO ). Zwar beziehen sich die durch ein solches Ereignis nach der gesetzlichen Wertung begründeten Eignungszweifel gemäß § 46 Abs. 3 FeV wiederum auf die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Allein aus dieser Verbindung kann jedoch angesichts der in den verkehrsrechtlichen Vorschriften stets bewusst erfolgenden Differenzierung zwischen Fahrzeugen als Oberbegriff und Kraftfahrzeugen als besonderer Untergruppe (vgl. etwa §§ 16, 18ff., 63 ff. StVZO) keine einschränkende Auslegung des § 13 Nr. 2 c) FeV hergeleitet werden. Der Umstand, dass der Antragsteller sich bei dem Vorfall vom 27.06.2003 im alkoholisierten Zustand mit einem BAK-Wert von 1,86 Promille nicht eines Kraftfahrzeuges, sondern eines Fahrrades bedient hat, lässt die nach der gesetzlichen Regelung zwingend eine medizinisch-psychologische Begutachtung erfordernden Eignungszweifel daher nicht entfallen. Anders als vor In-Kraft-Treten der Fahrerlaubnisverordnung ist nach der geltenden Rechtslage nicht mehr von Bedeutung, ob im Einzelfall besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Fahrerlaubnisinhaber sei trotz der festgestellten hohen Blutalkoholkonzentration zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Das Ergebnis einer Gesamtwürdigung der Tatumstände und der Persönlichkeit des Täters ist für die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens daher ohne Bedeutung. Die Anforderung eines Gutachtens ist vielmehr gemäß § 13 Nr 2c FeV insbesondere auch dann gerechtfertigt, wenn der Fahrerlaubnisinhaber erstmals wegen einer Trunkenheitsfahrt auffällig geworden ist (vgl. zur geltenden Rechtslage bereits OVG Münster, Urt. v. 29.09.1999, Az: 19 B 1629/99 , zitiert nach juris; ebenso die Kammer bereits im Beschl. v. 13.11.2002 - 14 K 2356/02 bestätigt durch SächsOVG, Beschl. v. 23.09.2003 - 3 BS 3/03 ).

Ebensowenig führt der zwischen der Trunkenheitsfahrt vom 27.06.2003 bzw. dem Eintritt der Rechtskraft des Strafbefehls (11.9.2003) und der Anordnung der Begutachtung liegende Zeitraum hier zu einem Fehlen der Anordnungsberechtigung. Denn der Zeitablauf zwischen dem Vorfall, aus dem die Eignungszweifel resultieren und dem behördlichen Einschreiten könnte allenfalls für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein, wenn dies bereits nach den gesetzlichen Vorgaben eine Verwertbarkeit des Vorfalls entfallen läßt, oder der Hoheitsträger aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls seine Handlungsbefugnis durch sein Zuwarten verwirkt hätte. Für beides ist hier nichts ersichtlich. Die zeitlichen Grenzen der Verwertbarkeit einer im Verkehrszentralregister einzutragenden Straftat sind in § 29 StVG spezialgesetzlich geregelt. Nach Absatz 8 dieser Vorschrift dürfen die Tat und die Entscheidung für die Zwecke des § 28 Abs. 2 StVG , der unter anderem die Beurteilung der Eignung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen nennt, dem Betroffenen (erst) dann nicht mehr vorgehalten oder zu seinem Nachteil verwertet werden, wenn diese Eintragung getilgt ist. Die Tilgungsfrist für das von dem Antragsteller begangene Delikt beträgt hier gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG 10 Jahre und war bei Anordnung der Begutachtung nicht abgelaufen. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung dieser 10-jährigen Tilgungs- und Verwertungsfrist für Alkoholdelikte zugleich zum Ausdruck gebracht, dass selbst das Verstreichen von mehreren Jahren die Verwertbarkeit solcher Straftaten grundsätzlich nicht hindern kann. Für eine Verwirkung der Handlungsbefugnis könnte neben dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung daher von vornherein nur Raum sein, wenn zu einem längeren Zeitablauf weitere Umstände hinzutreten, die nun ein Einschreiten der Behörde als treuwidrig erscheinen lassen. Die Behörde müsste namentlich durch positives Handeln bei dem Betroffenen das schutzwürdige Vertrauen darauf erweckt haben, dass sie von ihrer Ermächtigung keinen Gebrauch machen werde. Es kann hier dahinstehen, ob die Befugnis zu einem vom Gesetzgeber bindend angeordneten ordnungsbehördlichen Einschreiten überhaupt der Verwirkung unterliegen kann, obwohl der Behörde hinsichtlich ihres Tätigwerdens keine Dispositionsbefugnis zukommt (vgl. hierzu Kopp, „VwVfG“, 6. Auflage, § 22 Rn. 40). Denn jedenfalls hat der Antragsgegner hier nichts getan, was bei dem Antragsteller den Eindruck hätte erwecken können, dass ein Einschreiten gegenüber ihm nicht mehr beabsichtigt sei. Vielmehr hat er unmittelbar nach Kenntniserlangung von dem damals erst etwa ein Jahr zurückliegenden Delikt seine Ermittlungsbemühungen aufgenommen.

...

Die Fahrerlaubnis ist dem Antragsteller daher offensichtlich zu Recht entzogen worden.

2b) Darüber hinaus bestehen hier öffentliche Belange von Gewicht, die für ein Entfallen der grundsätzlich in § 80 Abs. 1 VwGO angeordneten Suspensivwirkung des Widerspruchs streiten. Da der Antragsteller wegen des zu vermutenden Alkoholmissbrauchs als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen angesehen werden muss, ist bei seiner weiteren Teilnahme am Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeuges eine nicht hinnehmbare Gefährdung der höchstrangigen Rechtsgüter Leib und Leben der anderen Verkehrsteilnehmer zu besorgen. Dies gilt umso mehr als der Antragsteller offenbar seine Alltagsgeschäfte mehrfach unter deutlicher Alkoholeinwirkung bewältigt hat. So hat der Antragsgegner - vom Antragsteller unwidersprochen - dargelegt, dass der Antragsteller bei seinen Vorsprachen bei der Fahrerlaubnisbehörde merklich Alkohol genossen habe. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich das bei ihm zu vermutende mangelnde Trennvermögen bereits während eines Rechtsmittelverfahrens in einer Teilnahme am Straßenverkehr in alkoholisiertem Zustand auswirken wird. In Anbetracht dieser Gefahr muss das Interesse des Antragstellers an dem Gebrauch seines Kraftfahrzeuges bis zur abschließenden Klärung der Rechtmäßigkeit des Entzugs zurückstehen. ..."



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