Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht München (Urteil vom 12.03.2008 - M 7 K 07.4242 - In Bayern kann ein Krad nach einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung beschlagnahmt werden

VG München v. 12.03.2008: In Bayern kann ein Krad nach einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung beschlagnahmt werden


Das Verwaltungsgericht München (Urteil vom 12.03.2008 - M 7 K 07.4242) hat entschieden:
Eine Sicherstellung eines Fahrzeuges und der Fahrzeugschlüssel ist u.a. dann möglich, wenn vom Verhalten eines Fahrzeugführers gegenwärtige Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Dies gilt insbesondere in allen Fällen, in denen die Polizei die konkrete Gefahr der Wiederholung erheblicher Verkehrsverstöße durch den Betroffenen feststellen kann. Dies ist unmittelbar nach der Feststellung eines erheblichen Geschwindigkeitsverstoßes der Fall.


Siehe auch Beschlagnahme und Sicherstellung von Fahrzeugen in den verschiedenen Verfahrensarten und Stichwörter zum Thema Geschwindigkeit


Zum Sachverhalt:

Der Kläger ist Halter des Motorrades Marke Suzuki mit dem amtlichen Kennzeichen ….

Am 24. August 2007 führte die Verkehrspolizeiinspektion W. auf der Bundesstraße B 11 bei km 70,0 in Richtung K. eine Geschwindigkeitskontrolle betreffend Motorräder durch. Dieser kurvenreiche und bergige Abschnitt der Bundesstraße B 11 befindet sich in landschaftlich schöner Umgebung und ist besonders bei Motorradfahrern beliebt. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit ist in diesem Bereich auf 60 km/h beschränkt. Um 18:21 Uhr wurde der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 106 km/h, abzüglich 4 km/h Toleranz, also 102 km/h gemessen. Am selben Tag um 16:35 Uhr wurde der Kläger auf der Bundesstraße B 472 bei km 37,515 bereits mit einer Geschwindigkeit 64 km/h, abzüglich 3 km/h Toleranz, also 61 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gemessen.

Bei km 69,3 wurde der Kläger angehalten und sein Motorrad nach Art. 25 Nr. 1 PAG zur sonstigen Gefahrenabwehr wegen massiver Geschwindigkeitsüberschreitung sichergestellt und von einem Abschleppunternehmen abgeschleppt.

Mit Leistungsbescheid vom …. August 2007 forderte der Beklagte die Kosten der Abschleppmaßnahme in Höhe von EUR 277,42 vom Kläger.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25. September 2007, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tage, erhob der Kläger Klage und beantragte,
festzustellen, dass die Sicherstellung des Kraftfahrzeugs des Kläger mit dem amtlichen Kennzeichen … am 24. August 2007 und das anschließende Abschleppen rechtswidrig war,

und

festzustellen, dass die Erhebung von Kosten für das Abschleppen mit Leistungsbescheid vom …. August 2007 in Höhe von EUR 277,42 gegenüber dem Kläger rechtswidrig war,

hilfsweise,

den Leistungsbescheid vom 27. August 2007 aufzuheben.
Zur Begründung führte der Kläger aus, sowohl die Sicherstellung als auch der Leistungsbescheid hätten sich vor Klageerhebung erledigt. Daher sei die Fortsetzungsfeststellungsklage richtige Klageart. Dem Kläger stehe ein Rehabilitationsinteresse zu, da die Sicherstellung diskriminierende Wirkung gehabt habe und der Kläger vor anderen Motorradfahrern „gebrandmarkt“ worden sei. Er sei 60 km von seinem Wohnort nun ohne Transportmöglichkeit „ausgesetzt“ worden und hätte nur mit Hilfe anderer Motorradfahrer seine Heimreise organisieren können. Da die Polizei weitere Sicherstellungen auch durch Pressemitteilungen angekündigt habe, bestehe zudem eine Wiederholungsgefahr. Im Übrigen sei durch die Sicherstellung das Grundrecht auf Eigentum verletzt worden. Außerdem liege eine Ungleichbehandlung vor, da diese von der Polizei ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h angekündigten Sicherstellungen lediglich Motorräder, nicht aber PKW beträfen. Der Kläger sei kein Raser und habe auch kein Wettrennen mit anderen Fahrzeugführern veranstaltet. Er habe lediglich bei klarer Verkehrslage auf einer schnurgeraden Teilstrecke bergabwärts möglicherweise kurzfristig die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h überschritten, ohne jedoch sich oder andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Er sei auch nicht grob rücksichtslos gefahren. Er habe zudem nicht mehrere Verkehrsverstöße begangen. Der Kläger habe angeboten, die Strecke sofort zu verlassen und nach Hause zu fahren. Er gehöre weder der „Rennszene“ an, noch habe er vorgehabt, die Strecke mehrfach auf und ab zu fahren. Er sei ausschließlich von W. kommend bergab gefahren, um anschließend auf die Autobahn zu fahren. Die Sicherstellung sei unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft gewesen. Der Kläger habe angeboten, die Strecke zu verlassen, so dass ein Platzverweis als milderes Mittel in Betracht gekommen wäre. Die Polizeibeamten hätten zudem ihr Ermessen nicht ausgeübt. Sie hätten vielmehr erklärt, das Motorrad müsse sichergestellt werden. Über andere Möglichkeiten und Mittel sei nicht einmal nachgedacht worden. Es handele sich nach Fernsehberichten um eine Anweisung des Innenministeriums, auf dieser Strecke Motorräder ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h sicher zu stellen. Eine Sicherstellung sei nur möglich, wenn ein extremer Verkehrsverstoß mit Wiederholungsgefahr vorliege. Beides sei beim Kläger nicht gegeben. Es liege auch kein wiederholter Verstoß vor. Die Polizeibeamten hätten bei der Sicherstellung nichts von dem Verstoß auf der B 472 gewusst.

Der Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte führte zur Begründung aus, dass sich der streitgegenständliche Leistungsbescheid noch nicht erledigt habe und daher eine Fortsetzungsfeststellungsklage unzulässig sei. Die Sicherstellung als Primärmaßnahme sei nach Art. 25 Nr. 1 PAG rechtmäßig erfolgt. Zur Zeit der Sicherstellung hätten konkrete Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Kläger im Falle einer Weiterfahrt erneut durch erheblich zu schnelles Fahren sich und andere Verkehrsteilnehmer einer Gefahr für Leib und Leben aussetzen würde. Aufgrund der massiven Geschwindigkeitsüberschreitung insbesondere in Verbindung mit der bereits vorher am selben Tag begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung sei es wahrscheinlich gewesen, dass der Kläger im Verlauf der Weiterfahrt erneut deutlich die zulässige Geschwindigkeit überschreiten würde. Die Sicherstellung sei zur Abwehr weiterer erheblicher Gefährdung für Leben und Gesundheit des Klägers und sonstiger Verkehrsteilnehmer sowie zur Unterbindung weiterer schwerwiegender Verkehrsverstöße erfolgt. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, da andere mildere Mittel nicht zur Verfügung gestanden hätten. Die Strecke werde von Motorradfahrern als Rennstrecke missbraucht und bilde einen Unfallschwerpunkt. Das Motorrad des Klägers sei bereits im Jahr 2006 durch zwei Verstöße gegen das Überholverbot am selben Tag an derselben Stellen aufgefallen. Die Polizei und andere Behörden hätten bereits auf verschiedene Weise versucht, den Missbrauch dieser Strecke als Rennstrecke zu bekämpfen, beispielsweise durch verstärkte offene Polizeipräsenz, Geschwindigkeitsmessungen ohne Anhaltungen, Öffentlichkeitsarbeit, Fahrtenbuchauflagen und Anordnungen der Überprüfung der Eignung zum Führen eines Fahrzeugs. Die Strecke weise ein 30fach erhöhtes Unfallrisiko für Motorradfahrer auf. Ein Platzverweis sei kein geeignetes Mittel, da dieser sich nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand kontrollieren lasse und keine abschreckende Wirkung erziele. Auch die Sicherstellung von Fahrzeugschlüsseln erscheine angesichts der Existenz von Zweitschlüsseln nicht geeignet.

Die Klage blieb erfolglos.

Aus den Entscheidungsgründen:

"Die Klage ist hinsichtlich der beiden Hauptanträge bereits unzulässig, im Hilfsantrag unbegründet.

2. Der Klageantrag zu 1 ist unzulässig, da sich die Sicherstellung des Motorrades des Klägers am 24. August 2007 sowie das anschließende Abschleppen bereits vor Klageerhebung erledigt haben und dem Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der beiden Verwaltungsakte nicht zur Seite stand und steht.

Einzig statthafte Klageart ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO. Eine solche ist nur zulässig, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des sich erledigt habenden Verwaltungsaktes hat. Für dieses besondere Fortsetzungsfeststellungsinteresse haben sich in der verwaltungsgerichtlichen Praxis drei Hauptgruppen herausgebildet, bei deren Vorliegen regelmäßig ein berechtigtes Interesse zu bejahen ist, nämlich die Wiederholungsgefahr, die Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozesses und das so genannte Rehabilitierungsinteresse (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, § 113 RdNr. 86).

Soweit der Kläger geltend macht, es bestehe angesichts der in den Medien angekündigten weiteren Sicherstellungsaktionen der Polizei eine Wiederholungsgefahr, so kann dem nicht gefolgt werden. Das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger zukünftig erneut auf diesem Abschnitt der B 11 die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit in solch drastischer Weise zu überschreiten gedenkt und beabsichtigt, sich erneut verkehrsordnungswidrig zu verhalten.

Ein ideelles oder auch Rehabilitierungsinteresse des Klägers besteht nicht. Dieses ist dann gegeben, wenn ein Verwaltungsakt außer seiner erledigten - belastenden - Wirkung zusätzlich einen diskriminierenden, ehrenrührigen Inhalt hat, der dem Ansehen des Betroffenen abträglich ist (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, § 113 RdNr. 92). Die Beseitigung dieser Rufminderung kann ein Interesse an Rehabilitierung im Sinne einer Fortsetzungsfeststellungsklage rechtfertigen, wenn es nach der Sachlage als schutzwürdig anzuerkennen ist. Grundrechtsverletzungen können dann ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt einer Rehabilitierung begründen, wenn ein tief greifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriff vorlag (vgl. Schmidt in Eyermann, VwGO, § 113 RdNr. 93).

Zwar können polizeiliche Maßnahmen, bei denen der Betroffene nicht rechtzeitig eine gerichtliche Entscheidung erlangen kann, grundsätzlich ein Feststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung begründen. Voraussetzung ist aber, dass es sich um Fälle tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht fortwirkender Grundrechtseingriffe handelt. Hieran fehlt es. Zum einen wurde das Eigentumsrecht des Klägers an seinem Fahrzeug nicht berührt, da die polizeiliche Maßnahme nicht auf den rechtlichen oder tatsächlichen Entzug des Eigentums gerichtet war, sondern (nur) auf die Unterbindung grober Ordnungswidrigkeiten. In seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wurde der Kläger deshalb nicht verletzt, weil die von ihm als Brandmarkung gegenüber anderen Motorradfahrern bezeichnete Situation keinen tiefgreifenden Grundrechtseingriff darstellt. Es hätte sich um einen diskriminierenden, ehrenrührigen Akt handeln müssen, der dem Ansehen des Klägers abträglich ist. Der Wunsch nach bloßer Genugtuung reicht nicht aus.

4. Die Feststellungsklage in Bezug auf den Leistungsbescheid vom … August 2007 ist wegen des Subsidiaritätsprinzips gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO unzulässig, weil der Kläger seine Rechte durch Anfechtungsklage geltend machen kann.

6. Der auf Anfechtung des Leistungsbescheides vom …. August 2007 gerichtete Hilfsantrag ist zulässig, aber unbegründet.

Rechtsgrundlage des Leistungsbescheids ist Art. 1, 10 Abs. 1 Nr. 5 Kostengesetz (KG) i.V.m. Art. 25 Nr. 1, 9 Abs. 2, 76 Polizeiaufgabengesetz (PAG) i.V.m. § 1 Polizeikostenverordnung (PolKV). Entscheidend für die Rechtmäßigkeit der Kostenrechnung ist, dass sie dem Grunde und der Höhe nach ergehen durfte. Die Kostenrechnung ist dem Grunde nach rechtmäßig, wenn die Abschleppanordnung rechtmäßig ergangen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Abschleppanordnung ist derjenige des polizeilichen Einschreitens (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 11 RdNr. 22).

Die Polizeibeamten durften das Abschleppen des klägerischen Motorrades gemäß Art. 25 Nr. 1, 9 Abs. 1 PAG anordnen. Nach Art. 25 Nr. 1 PAG kann die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Der Begriff der „Gefahr“ erfordert dabei das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Eine solche besteht, wenn nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu befürchten ist, dass nach den gegebenen Tatsachen im weiteren Verlauf der zukünftigen Entwicklung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung eintreten wird (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 11 RdNr. 11). Unter öffentlicher Sicherheit versteht man die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Freiheit, Ehre und Vermögen sowie den Bestand und das Funktionieren des Staates. Unter öffentlicher Ordnung ist die Gesamtheit jeder ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen zu verstehen, deren Beachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes staatsbürgerliches Gemeinschaftsleben der in unserem Land wohnenden Menschen angesehen wird (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 11 RdNr. 12).

Eine Sicherstellung eines Fahrzeuges ist u.a. dann möglich, wenn vom Verhalten eines Fahrzeugführers gegenwärtige Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Dies gilt insbesondere in allen Fällen, in denen die Polizei die konkrete Gefahr der Wiederholung erheblicher Verkehrsverstöße durch den Betroffenen feststellen kann (vgl. Schmidbauer/Steiner, PAG, Art. 25 RdNr. 42 mit zahlreichen Beispielen).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um 42 km/h überschritten. Dieser Verkehrsverstoß steht angesichts des in den Akten befindlichen Messprotokolls für das Gericht fest. Dieses Verhalten stellt zudem ohne Zweifel einen durchaus schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Dafür spricht beispielsweise, dass die Rechtsprechung im Ordnungswidrigkeitenrecht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von mehr als 50 % regelmäßig von einem vorsätzlichem Verhalten ausgeht (vgl. KG Berlin, Beschl.v. 25. 8. 2006 - 2 Ss 214/06 / 3 Ws (B) 437/06, 2 Ss 214/06, 3 Ws (B) 437/06 -). Zudem ist eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung mit einem Bußgeld von EUR 100,- sowie mit einem Fahrverbot von einem Monat und drei Punkten bewehrt (vgl. 11.3.7 BKat). Zwar wurde die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer 250 m langen Geraden festgestellt und damit an einem grundsätzlich eher ungefährlicherem Streckenabschnitt. Eine verdeckte Geschwindigkeitsmessung mittels einer Laserpistole ist jedoch technisch nicht in Kurven möglich. Die Laserpistole erlaubt eine Messung auch aus größerer Entfernung, ohne dass der gemessene Kraftfahrer die Messung wahrnimmt. Andere, auch in Kurven mögliche Messmethoden wiederum erlauben keine verdeckte Messung. Eine offene Messstelle hingegen würde rasch entdeckt und keine Wirkung mehr entfalten. Zudem handelt es sich lediglich um eine kurze Geradeaus-Strecke zwischen zwei engen Kurven. Bei einem derart massiven Verstoß gegen die zulässige Höchstgeschwindigkeit und dies zudem auf gerader Strecke konnte die Polizei daher zu Recht davon ausgehen, dass der Kläger auch im unfallträchtigeren kurvenreichen Bereich dieses für Motorradfahrer besonders attraktiven Streckenabschnitts der B 11 mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet.

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung in diesem Maße ist zudem die Sicherstellung zur Abwehr von möglichen weiteren erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit sowohl des Klägers selbst als auch für andere Verkehrsteilnehmer auszugehen. Dies gilt im Besonderen, da der betroffene Streckenabschnitt einen Unfallschwerpunkt darstellt und ein 30fach erhöhtes Unfallrisiko für Motorradfahrer aufweist. Die Strecke dient als Bundesstraße zudem dem überregionalen Verkehr, ohne dass in diesem Bereich eine Ausweichmöglichkeit auf eine Bundesautobahn bestünde. Dies bedeutet, dass auf dieser Strecke auch normaler PKW- und Güterkraftverkehr stattfindet. Des weiteren ist die Strecke auch bei Radfahrer-Gruppen als Bergstrecke beliebt, so dass eine Gefährdung von anderen Verkehrsteilnehmern keinesfalls ausgeschlossen werden kann.

Die Sicherstellungsanordnung ist auch nicht unverhältnismäßig i.S.d. Art. 4 PAG. Insbesondere stand kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr zur Verfügung. Der betroffene Streckenabschnitt der B 11 erfreut sich wegen seiner kurvenreichen, bergigen Straßenführung sowie seines landschaftlichen Reizes vor allem bei Motorradfahrern seit Jahren großer Beliebtheit. Der Streckenabschnitt wird dabei auch als Rennstrecke missbraucht und weist im Vergleich zu anderen Bundesstraßen vor allem für Motorradfahrer eine erhebliche, nämlich 30fach erhöhte Unfallgefahr auf. Im Internet gibt es eine eigene Seite für Motorradfahrer zu dieser Strecke. Des Weiteren finden sich im Internet auf diversen Videoportal-Seiten zahlreiche Videos mit Rennszenen von dieser Strecke, bei welchen auch Tacho und Drehzahlmesser des jeweiligen Motorrades zu sehen sind, welche deutlich die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um ein Vielfaches erkennen lassen. Die Polizei hat in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichsten Mitteln versucht, diesen Unfallschwerpunkt zu entschärfen, ohne dass jedoch dauerhafte Erfolge erzielt werden konnten. So haben Polizei und Verwaltung beispielsweise offene Kontrollen zu den „motorradrelevanten Zeiten“ durchgeführt, Geschwindigkeitsmessungen ohne Anhaltungen gemacht, die Öffentlichkeitsarbeit intensiviert (z.B. durch Medienberichte, Plakat- und Handzettelaktionen), Fahrtenbuchauflagen erlassen und in Fällen besonders schwerer Verstöße auch die Überprüfung der Eignung zum Führen eines Fahrzeuges angeordnet. Alle Maßnahmen schlugen sich nicht nachhaltig in der Unfallstatistik nieder. Nach Überzeugung des Gerichts ist daher aufgrund dieser Vorgeschichte der bloße Platzverweis nach Art. 16 PAG nicht als milderes Mittel in diesem Zusammenhang geeignet. Ein solcher Platzverweis wäre aufgrund der Länge der Gesamtstrecke und deren Unübersichtlichkeit nur mit unverhältnismäßigen Mitteln kontrollierbar und im Ergebnis ein weiteres untaugliches Mittel. Auch eine Sicherstellung der Fahrzeugschlüssel stellt angesichts der Existenz von Zweitschlüsseln kein geeignetes Mittel zur Abwehr der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung dar.

Die Sicherstellung erfolgte zudem ermessensfehlerfrei (Art. 5 PAG, § 114 VwGO). Die Ermessensentscheidung der Polizei ist seitens des Gerichts nur eingeschränkt und nur auf Ermessensfehler hin überprüfbar. Als Ermessensfehler haben sich dabei in der Rechtsprechung drei Fallgruppen entwickelt, der Ermessensnichtgebrauch, der Ermessensfehlgebrauch und die Ermessensüberschreitung (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, § 114 RdNr. 10). Die Polizei hat die Sicherstellungen ab einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 km/h durch extensive Öffentlichkeitsarbeit angekündigt. Diese Grenze von 40 km/h wurde von der örtlichen Polizei mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern abgestimmt. Grundsätzlich liegt ein Ermessensnichtgebrauch nicht schon dann vor, wenn sich die ausführende Behörde an interne Weisungen oder Mitwirkungsakte anderer Stellen gebunden sieht (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, § 114 RdNr. 19). Es ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden, dass sich die örtliche Polizei an diese vorab mit dem Bayerischen Staatsministerium des Innern abgesprochene Einschreitensgrenze bei der Anordnung der Sicherstellungen gehalten hat. Die Grenze von 40 km/h, ab welcher die Sicherstellungen angeordnet werden, liegt zur Überzeugung des Gerichts im Rahmen des polizeilichen Ermessensspielraumes. Nach Nr. 11.3.7 BKat ist bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften von 40 km/h erstmals auch ein Fahrverbot von einem Monat vorgesehen. Neben einem Bußgeld von EUR 100,- wird die Ordnungswidrigkeit zudem mit dem Eintrag von drei Punkten in die Verkehrssünderkartei in Flensburg geahndet (Nr. 5.4 Anlage 13 zu § 40 FeV). Bei geringfügigeren Überschreitungen verbleibt es bei einer Geldbuße ohne Fahrverbot. Hinsichtlich der Auferlegung eines Fahrtenbuches nach § 31a StVZO genügt nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Beschl.v. 9.9.1999, BayVBl 2000, 380 = NZV 2000, 368) bereits ein lediglich mit einem Punkt bewerteter Verkehrsverstoß. Für das Einschreiten im Wege der Sicherstellung wurde hier seitens der Polizei und des Bayerischen Staatsministeriums des Innern eine deutlich höhere „Hürde“ betreffend die Schwere des Verkehrsverstoßes gewählt. Die Bußgeldkatalog-Verordnung sowie die sich aus der Fahrerlaubnisverordnung ergebende Punktebewertung stellen eine neutrale, auch jedem Führerscheininhaber bekannte Bewertung von Verkehrsordnungswidrigkeiten dar, an welcher sich die örtliche Polizei und das Bayerische Staatsministerium des Innern orientieren können hinsichtlich der Einschätzung der Schwere einer Verkehrsordnungswidrigkeit. Die Wahl dieser Grenze beruht somit auf sachlich genau abgrenzbaren Gründen. Ein Ermessensfehlgebrauch ist insoweit nicht erkennbar. Es kann dahinstehen, ob eventuell auch eine andere, höhere Grenze hätte gewählt werden können. Die gewählte Grenze ist jedenfalls sachlich begründet und auch nicht zu niedrig angesetzt.

Auch von einem Ermessensnichtgebrauch kann im Hinblick auf das generelle Einschreiten der Polizei bei Überschreiten der 40 km/h-Grenze nicht gesprochen werden. Aus den bei der Kammer anhängigen bzw. bereits abgeschlossenen weiteren Verfahren ist bekannt, dass im Einzelfall bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 40 km/h von einer Sicherstellung abgesehen bzw. der Leistungsbescheid aufgehoben wurde, wenn im Einzelfall besondere Gründe vorlagen. Dies zeigt deutlich, dass durchaus noch im Einzelfall eine Ermessensabwägung stattgefunden hat und nicht pauschal jedes Motorrad bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 40 km/h sichergestellt wurde. Im vorliegenden Fall war zudem das Fahrzeug des Klägers der Polizei bereits durch frühere Verkehrsverstöße auf diesem Streckenabschnitt bekannt (durch zwei Verstöße gegen das Überholverbot im Jahr 2006).

Bedenken gegen die Höhe der Gebühren und Auslagen bestehen nicht und wurden seitens des Klägers auch nicht geltend gemacht.

4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Berufung war nach §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. ..."