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Landgericht Hamburg Urteil vom 30.01.2008 - 603 Qs OWi 28/08 - Die Kosten für einen privaten Sachverständigen können ausnahmsweise als notwendige Auslagen zu erstatten sein

LG Hamburg v. 30.01.2008: Die Kosten für einen privaten Sachverständigen können ausnahmsweise als notwendige Auslagen zu erstatten sein


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 30.01.2008 - 603 Qs OWi 28/08) hat entschieden:
Ist anzunehmen, dass sich ohne ein privates Gutachten die Beweislage hinsichtlich der Personenidentität eines Fahrzeugführers deutlich verschlechtern wird, sind die Kosten für das Gutachten ausnahmsweise als notwendige Auslagen des Betroffenen erstattungsfähig. Schlagen Versuche des Verteidigers, gewichtige Einwände gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen beim Gericht geltend zu machen, unverschuldet fehl, besteht keine andere Möglichkeit, als die Einholung eines eigenen Gutachtens.


Aus den Entscheidungsgründen:

"Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 464b Satz 3 StPO, 46 Abs. 1 OWiG, 104 Abs. 3 Satz 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG) und zum überwiegenden Teil begründet. Die Kammer hält in Übereinstimmung mit dem Amtsgericht die Erstattung von nur leicht über den Mittelgebühren liegenden Gebühren für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem Amtsgericht für angemessen (dazu 1.). Der nahe an den Höchstgebühren liegende Kostenansatz des Antragstellers ist überzogen. Darüber hinaus sind vorliegend ausnahmsweise die Kosten des vom Beschwerdeführer beauftragten Sachverständigen zu erstatten (2.).

1. Vorliegend ist lediglich die Festsetzung von leicht über der Mittelgebühr liegenden Gebühren für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nr. 5103 VV RVG) und im ersten Rechtszug (Nr. 5109 VV RVG) in Höhe von jeweils 160,- € gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG gerechtfertigt. Die vom Verteidiger begehrte Festsetzung im Bereich des oberen Gebührenrahmens in Höhe von 200,- € bzw. 220,- € ist unbillig und damit nicht verbindlich gem. § 14 Abs. 1 S. 3 RVG.

Gem. § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen. Bereits der Rahmenmittelsatz ist in Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren nur dann angemessen, wenn das im Einzelfall zu bewertende Verfahren in Relation zum gesamten Spektrum regelmäßig vorkommender Bußgeldsachen, also auch zu solchen aus etwa den Bereichen des Bau-, Gewerbe-, Umwelt- oder Steuerrechts, e.t.c., die häufig mit gegenüber Verkehrsordnungswidrigkeiten deutlich höheren Bußgeldern geahndet werden sowie oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden sind, nach den genannten Kriterien als durchschnittlich erscheint.

Unter Anlegung dieses Maßstabs sind nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. grundlegend dazu den Beschluss vom 24.04.2006, Az.: 603 Qs OWi 156/06) bei einfach gelagerten Verkehrsordnungswidrigkeiten grundsätzlich noch nicht einmal Mittelgebühren in Ansatz zu bringen. Das Honorar des Verteidigers ist angesichts des Umfangs und der Bedeutung derartiger Bußgeldverfahren sowie der meist geringen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, die mit der Wahrnehmung eines solchen Mandats verbunden sind, normalerweise deutlich unter dem jeweiligen Rahmenmittelsatz anzusiedeln (vgl. insoweit auch LG Göttingen, Beschluss vom 12.12.2005, 17 Qs 131/05; LG Dortmund, Beschluss vom 30.09.2005, 14 Qs 46/05). Anderes kann - insbesondere bei Zusammentreffen mehrerer der nachfolgend genannten Umstände - im Einzelfall dann gelten, wenn etwa die Beweislage schwierig ist, das Verfahren aus anderen Gründen ein aufwändige Bearbeitung erfordert oder wenn es für den Betroffenen von besonderem Gewicht ist, etwa weil ein Fahrverbot angeordnet ist oder weil im Falle der Verurteilung der Betroffene nach § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG als ungeeignet zum führen von Kraftfahrzeugen zu gelten hätte.

Ein solcher Fall ist hier zu bejahen. Tatvorwurf war zwar nur ein einfach gelagerter Verkehrsverstoß in Form einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Jedoch war eine vergleichsweise strenge Sanktion verhängt worden, nämlich eine Geldbuße von 600,- € und insbesondere auch ein zweimonatiges Fahrverbot. Gerade dieses Fahrverbot war für den Betroffenen besonders bedeutsam, da er beruflich als Geschäftsstellenleiters eines Finanzdienstleisters zur Durchführung von Kundenbesuchen dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist. Auch drohten ihm wegen der bereits vorhandenen Eintragung von 13 Punkten im Verkehrszentralregister Maßnahmen bis hin zur Entziehung der Fahrerlaubnis. Die Einkommensverhältnisse des Betroffenen sind überdurchschnittlich. Ebenso war der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit vorliegend für eine Verkehrsordnungswidrigkeit recht aufwändig. Bereits im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde wurden - wenngleich für derartige Sachverhalte - standardisierte Einwände und Beweisanregungen vorgetragen. Nachdem die Akte bei Gericht eingegangen war und seitens des Gerichts der Sachverständige bestellt war, wurden seitens der Verteidigung schriftsätzlich Einwände gegen den Sachverständigen erhoben und ein eigener Sachverständiger ausgewählt und beauftragt. Überdies wurde zweimal Akteneinsicht genommen und vielfach versucht, die Sache mündlich mit dem Gericht zu erörtern.

Dies rechtfertigt es vorliegend, für die Gebühren gem. Nr. 5103 und 5109 VV RVG jeweils über der Mittelgebühr liegende Gebühren in Höhe von je 160,- € festzusetzen.

2. Die Beschwerde ist vollen Umfangs begründet, soweit es die Kostenerstattung für die Tätigkeit des vom Freigesprochenen beauftragten Sachverständigen Dr. G. betrifft.

Grundsätzlich gehören die Kosten für sog. „Privatgutachten“ nicht zu den notwendigen Auslagen, die einem Freigesprochenen aus der Staatskasse zu erstatten sind.

Zu den notwendigen Auslagen im Sinne des § 464a StPO zählen alle dem früheren Angeklagten erwachsenen, in Geld messbaren Aufwendungen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderlich waren oder seinem berechtigten Schutzinteresse entsprachen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Aufwendungen in nachträglicher Schau objektiv geboten waren. Entscheidend ist vielmehr, ob der Beschuldigte die Aufwendungen zum Zeitpunkt ihrer Entstehung aus seiner Sicht bei verständiger Betrachtungsweise als für seine Verteidigung erforderlich ansehen konnte bzw. durfte.

Dieser Grundsatz gilt allerdings nur mit Einschränkungen. Denn die Interessen des Beschuldigten bei der Tatsachenfeststellung werden in der Regel bereits ausreichend durch das Prinzip der umfassenden Aufklärung, sein Recht zur Stellung von Beweisanträgen und den Grundsatz „in dubio pro reo“ hinreichend geschützt. Die private Beschaffung von Beweismitteln kann deshalb nur im Ausnahmefall unter strengen Voraussetzungen als notwendig anerkannt werden. Grundsätzlich ist der Beschuldigte gehalten, zunächst seine prozessualen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Staatsanwaltschaft und das Gericht zu entsprechenden Ermittlungen zu veranlassen. Ausnahmsweise sind jedoch Kosten für ein privat eingeholtes Gutachten dann erstattungsfähig, wenn der Beschuldigte bei verständiger Würdigung des Sach- und Streitstandes annehmen muss, dass sich ohne die private Heranziehung eines (weiteren) Sachverständigen seine Prozesslage alsbald verschlechtern wird (OLG Düsseldorf, NStZ, 1997, 511f mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

So liegt der Fall hier. Grundsätzlich hätte der Beschuldigte im Zwischenverfahren, sei es vor der Verwaltungsbehörde oder vor dem Gericht, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen können und auch müssen zu der Frage, ob es sich bei der auf dem Messfoto abgebildeten Person um ihn selbst handelt oder nicht. Ausnahmsweise sind dem Betroffenen im vorliegenden Fall trotzdem die Kosten des Privatgutachtens zu erstatten. Der Betroffene hatte keine andere Möglichkeit, seine Rechte zu wahren, als privat einen Gutachter zu beauftragen.

Er hatte gewichtige Einwände gegen die Qualifikation des vom Gericht beauftragten Sachverständigen Dr. S., da ihm bzw. seinem Verteidiger dieser Sachverständige durch die Berichterstattung über (Falsch-)Begutachtungen in früheren Verfahren bekannt war. Er konnte jedoch mit seinen Einwänden gegen den Sachverständigen bei Gericht nicht durchdringen. Ohne Gewährung rechtlichen Gehörs hatte das Gericht den Sachverständigen Dr. S. im Rahmen der Anberaumung der Hauptverhandlung in der Terminsverfügung vom 01.12.2006 bestellt. Dem Betroffenen blieb keine Möglichkeit, das Tätigwerden dieses Sachverständigen zu verhindern. Versuche seines Verteidigers, mit der zuständigen Richterin ins Gespräch zu kommen, schlugen fehl. Bitten seines Verteidigers um Rückruf blieben seitens der Richterin unbeantwortet. Die ursprünglich für den 12.03.2007 anberaumte Hauptverhandlung stand, als der Verteidiger durch die am 22.01.2007 gewährte Akteneinsicht von der Beauftragung des Sachverständigen Dr. S. positiv Kenntnis erlangte, relativ zeitnah bevor.

Vor diesem Hintergrund war dem Betroffenen ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar. Da es ein vorbereitendes schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dr. S. nicht gab, konnte der Betroffene vor der Hauptverhandlung nicht wissen, zu welchem Ergebnis der Sachverständige kommen würde. Ein Abwarten bis zur Erstattung des Gutachtens in der Hauptverhandlung war nicht zumutbar. Wäre das Gutachten Dr. S. für den Betroffenen ungünstig ausgegangen, so hätte ein Beweisantrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens in dieser Situation kaum Aussicht auf Erfolg gehabt, weil im Ordnungswidrigkeitenverfahren Beweisanträge gem. § 77 Abs. 2 OWiG unter erweiterten Voraussetzungen zurück gewiesen werden können.

Da der Betroffene befürchten musste, dass sich seine Prozesslage ohne Privatgutachten alsbald verschlechtern würde, kann er vorliegend ausnahmsweise die Kosten des Sachverständigen geltend machen. ..."



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