Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Leipzig Beschluss vom 13.02.2007 - 1 K 1547/06 - Zur ausnahmsweisen Erteilung einer Fahrerlaubnis bei Methadon-Substitution

VG Leipzig v. 13.02.2007: Zur ausnahmsweisen Erteilung einer Fahrerlaubnis bei Methadon-Substitution


Das Verwaltungsgericht Leipzig (Beschluss vom 13.02.2007 - 1 K 1547/06) hat entschieden:
Studien belegen, dass in der überwiegenden Mehrzahl die psychophysische Leistungsfähigkeit von Substitutionspatienten mit der von Vergleichsprobanden (nämlich gesunden Personen bzw. drogenfreien ehemaligen Heroinabhängigen) als gleichwertig anzusehen sind; sofern die Substitutionspatienten zusätzlich zum Methadon keine psychotropen Medikamente einnehmen und sie über einen so langen Zeitraum substituiert werden, dass sie nach der Adaption an die Dosis eine gesundheitliche Stabilisierung erreichen, sodass man sie als fahrtüchtig bezeichnen kann.


Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Der 1977 geborene Antragsteller erwarb im Jahre 2005 die Fahrerlaubnis der Klassen B, M, L und T/S.

Anlässlich einer Verkehrskontrolle am 3.8.2006 stellten die Polizeibeamten der Polizeidirektion Leipzig bei dem Antragsteller auf Grund eines Drugwipe-Tests die Einnahme von Opiaten fest. Eine Blutentnahme wurde angeordnet. Bei der toxikologischen Untersuchung der Blutprobe durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig wurde festgestellt, dass der Antragsteller Methadon aufgenommen hatte. Die quantitative Bestimmung ergab 410 ng/ml Methadon. Diese Konzentration liegt laut dem toxikologischen Gutachten vom 31.8.2006 “im oberen therapeutischen Bereich”.

Mit Schreiben vom 1.11.2006 hörte die Antragsgegnerin den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller erklärte, sich seit zwei Jahren in einer ärztlichen Substitutionsbehandlung bei Herrn Dr. med …, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Leipzig zu befinden, der ihn gegen seine Sucht behandle und ihm regelmäßig Methadon verabreiche. Es handele sich daher um eine ärztlich verordnete Medikation, so dass er keinen Missbrauch von Betäubungsmitteln betreibe. Entscheidend sei aber, dass die Substitutionsbehandlung mit Methadon nicht von Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung - FeV - erfasst sei. Darüber hinaus müsse berücksichtigt werden, dass er sich in einer psychosozial stabilen Integration befinde und auch keine anderen psychoaktiv wirkenden Stoffe - einschließlich Alkohol - einnehme. Er habe sich stets verkehrsgerecht verhalten und sei daher geeignet, im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug zu führen. Auf Grund seiner Tätigkeit als Maurer benötige er auch die Fahrerlaubnis.

Mit Bescheid vom 24.11.2006, dem Antragsteller zugestellt am 28.11.2006, entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller auf der Grundlage von § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis (Ziffer 1). Zugleich wurde er aufgefordert, seine Führerscheine binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides abzugeben (Ziffer 2). Die sofortige Vollziehung der unter Ziffer 1 und 2 getroffenen Regelungen wurde angeordnet (Ziffer 3). Falls der Antragsteller seiner Pflicht zur Abgabe der Führerscheine in der gesetzten Frist nicht nachkomme, drohte die Antragsgegnerin ein Zwangsgeld i.H.v. 250,00 EUR an (Ziffer 4). Zur Begründung führte sie aus, der Antragsteller sei mit einer Methadon-Konzentration von 410 ng/ml bei einer Verkehrsüberwachung angehalten worden. Gemäß § 11 Abs. 1 FeV i.V.m. Anlage 4, Pkt. 9.1, 9.3 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV sei er damit zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.

Da der Antragsteller seiner Pflicht zur Abgabe der Führerscheine binnen der gesetzten Frist nicht nachkam, setzte die Antragsgegnerin gegen den Antragsteller mit Bescheid vom 13.12.2006 ein Zwangsgeld i.H.v. EUR 250,00 fest. Unter dem 19.12.2006 gab der Antragsteller seine in seinem Besitz befindlichen Führerscheine in der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin ab. Dabei unterzeichnete er nachfolgendes Schriftstück:
“Empfangsbestätigung

Ich habe heute alle sich in meinem Besitz befindlichen Führerscheine in der Fahrerlaubnisbehörde des Ordnungsamtes Leipzig abgegeben. …

Ich erkläre, dass ich auf Rechtsmittel verzichte.

Unterschrift”
Mit Schreiben vom 22.12.2006 legte der Antragsteller gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.11.2006 (Entziehung) und vom 13.12.2006 (Zwangsgeld) Widerspruch ein.

Am 27.12.2006 hat der Antragsteller vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Leipzig beantragt. Ergänzend zu seinen Ausführungen im Anhörungsverfahren meint er, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruches sei wiederherzustellen, da die Behörde den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht entsprochen habe. Mit der Begründung, der Antragsteller sei “erwiesenermaßen” ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, habe die Antragsgegnerin lediglich Gründe für die Entziehung der Fahrerlaubnis selbst, nicht jedoch solche für eine sofortige Vollziehung dargetan. Der Notwendigkeit der sofortigen Vollziehung stehe auch entgegen, dass seit Kenntnis der Blutprobenanalyse vom 31.8.2006 zwei Monate “ins Land gegangen seien”, bevor die Antragsgegnerin Maßnahmen gegenüber dem Antragsteller eingeleitete habe. In der Sache sei zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller als ehemals Heroinabhängiger seit zwei Jahren in einer ärztlichen Substitutionsbehandlung befinde. Nicht alle Personen, die mit Methadon substituiert werden, seien per se fahruntauglich. In Einzelfällen sei sehr wohl von einer Fahreignung auszugehen, nämlich dann, wenn die Substitution länger als ein Jahr andauere, eine psychosozial stabile Integration des Betroffenen gegeben sei und auch Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen einschließlich Alkohol bestehe. Dies alles liege bei ihm vor, was eine ärztliche Bescheinigung des behandelnden Arztes Dr. med. … vom 18.1.2007 bestätige. Von einem Rechtsmittelverzicht könne darüber hinaus keine Rede sein. Er habe mit der Unterzeichnung der “Empfangsbestätigung” lediglich die Abgabe seines Führerscheins dokumentieren wollen. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass die Erklärung zugleich einen Rechtsmittelverzicht beinhaltet, zumal ihn die zuständige Sachbearbeiterin darauf auch nicht hingewiesen habe.

Der Antragsteller beantragt sachdienlich gefasst,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.11.2006 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, der Antrag sei bereits unzulässig, da der Antragsteller am 19.12.2006 einen Rechtsmittelverzicht erklärt habe. Darüber hinaus sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung ausreichend begründet. Denn für den Fall, dass sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise, müsse es nicht nur zur Entziehung der Fahrerlaubnis kommen, sondern diese Anordnung sei auch stets für sofort vollziehbar zu erklären, um den ungeeigneten Fahrerlaubnisinhaber unverzüglich von der weiteren Teilnahme am Straßenverkehr auszuschließen. Von dem Ausnahmefall der Fahreignung des Antragstellers sei ferner nicht auszugehen, da weder die angekündigten ärztlichen Atteste noch ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorgelegt worden sei. Auch sei zu berücksichtigen, dass die festgestellte Methadon-Konzentration von 410 ng/ml im Blut im oberen therapeutischen Bereich liege und die Wirkung eines Medikamentes habe, welches das Reaktionsvermögen beeinträchtige.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die von der Antragsgegnerin vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung waren.


II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Grundsätzlich entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfallt hier jedoch, da in Ziffer 3 des Bescheides die Antragsgegnerin die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Pflicht zur Abgabe des Führerscheins gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat, hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung folgt dies aus § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO i.V.m. § 11 SächsVwVG. Auf Antrag kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO im Rahmen einer eigenen Interessenabwägung ganz oder teilweise die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs - hier des Widerspruchs - wiederherstellen bzw. anordnen. Im Rahmen dieser Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse am Sofortvollzug regelmäßig dann, wenn die angefochtene Entscheidung offensichtlich rechtmäßig, ein hiergegen eingelegtes Rechtsmittel also aussichtslos ist. Erscheint das Rechtsmittel dagegen als offensichtlich begründet, verdient das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung den Vorrang, da an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes regelmäßig kein öffentliches Interesse besteht.

1. Ob der eingelegte Rechtsbehelf aufgrund des “Rechtsmittelverzichtes” in der Hauptsache zulässig ist, ist derzeit als offen zu beurteilen. Der Vortrag der Antragsgegnerin, den Antragsteller über den im Schreiben vom 19.12.2006 erklärten Rechtsmittelverzicht ausreichend und umfangreich informiert zu haben, wird von diesem bestritten. Den Einlassungen des Antragstellers steht die vorgelegte dienstliche Stellungnahme der Sachbearbeiterin … vom 4.1.2007 entgegen. Danach sei eine Empfangsbestätigung mit einem Verzicht auf Rechtsmittel vom Antragsteller “durchgelesen und unterzeichnet” worden. Unter Einbeziehung des Hinweisblattes zur Neuerteilung der Fahrerlaubnis sei dem Antragsteller die Verfahrensweise zur Neuerteilung erläutert worden. Dass der Antragsteller über die Folgen eines Rechtsmittelverzichtes aufgeklärt wurde, ist aus der dienstlichen Stellungnahme jedoch nicht zu entnehmen. Insofern ist der Vortrag des Antragstellers, er habe den Rechtsmittelverzicht nicht wahrgenommen und diesen nicht erklären wollen, zumal das Schriftstück nur mit “Empfangsbestätigung” überschrieben gewesen sei, nicht unbeachtlich. In der Sache ist daher nicht auszuschließen, dass sich der Antragsteller bei Unterzeichnung der Empfangsbestätigungen über den Inhalt und die Tragweite seiner Erklärung des Rechtsmittelverzichtes im Irrtum befunden hat (Inhaltsirrtum gem. § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) und er diese Erklärung konkludent durch Einlegung des Widerspruchs am 22.12.2006, spätestens aber mit Schreiben vom 22.1.2007, angefochten hat. Da die Regelungen des Anfechtungsrechts nach §§ 119ff BGB für Erklärungen einer Partei im Verwaltungsverfahren zumindest entsprechend anzuwenden sind, sind im Hauptsacheverfahren nach Auffassung der Kammer weitere Nachforschungen und ggf. auch Beweiserhebungen erforderlich.

Das Gericht weist jedoch daraufhin, dass die Handhabung der Antragsgegnerin in einer Empfangsbestätigung betreffend die Abgabe der Führerscheine zugleich auch eine Erklärung über einen Rechtsmittelverzicht aufzunehmen, äußerst fragwürdig und bedenklich erscheint. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Fahrerlaubnisinhaber nicht über die Folgen eines Rechtsmittelverzichtes aufgeklärt wurde.

2. Vorliegend fällt jedoch die Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und dem Anordnungsinteresse zugunsten des Antragstellers aus. Nach der hier allein möglichen, aber auch hinreichenden summarischen Prüfung erscheint der Widerspruch des Antragstellers gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis als begründet, weil ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestehen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO entsprechend).

a) Zwar kann dieser nicht einwenden, die Antragsgegnerin habe gegen das Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO verstoßen. Denn die Behörde hat die Anordnung des Sofortvollzuges im Bescheid vom 24.11.2006 in ausreichender Weise unter Berücksichtigung der Besonderheiten des konkreten Einzelfalls begründet. Sie hat genügend einzelfallbezogen ausgeführt, dass bei einer Abwägung das private Interesse des Antragstellers hinter dem öffentlichen Interesse an der effektiven Gefahrenabwehr für Verkehrsteilnehmer zurückstehen müsse. Im Übrigen ergibt sich im Bereich des Sicherheitsrechts das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung häufig - so auch hier - gerade aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsaktes selbst maßgebend waren (BayVGH, Beschl. v. 14.12.1994, NZV 1995, 167).

b) Derzeit liegen die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG und § 46 Abs. 1 S. 1 FeV nicht vor.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. In Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung wird ausgeführt, dass die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei Einnahme von Betäubungsmitteln i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis; vgl. hierzu Nr. 9.2.1 und Nr. 9.2.2.) nicht besteht. Nach Nr. 9.3 der Anlage 4 FeV ist auch ungeeignet, wer von Betäubungsmitteln i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes oder von anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen abhängig ist.

Da der Antragsteller den Konsum von Methadon selbst einräumt - auf die Frage, ob die Blutentnahme vom 3.8.2006 durch einen Mediziner oder Nichtmediziner erfolgte, kommt es daher nicht an - und dieser Stoff in der Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführt ist, er mithin ein Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes darstellt, liegen die Voraussetzungen der Nummer 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vor. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Erwägung, dass die Aufnahme in ein Methadonprogramm eine seit längerer Zeit bestehende, manifeste Opioidabhängigkeit voraussetzt (vgl. Niederhuber im Tagungsbericht “Substitution und Fahrerlaubnis”, hrsg. von der Bayerischen Akademie für Suchtfragen in Forschung und Praxis, S. 23). Aus der Tatsache, dass dem Antragsteller Methadon ärztlich verordnet wird, folgt mithin, dass er jedenfalls in der Vergangenheit andere Betäubungsmittel als Cannabis konsumiert hat. Daher müssen die Tatbestandsmerkmale der Nummer 9.1 zunächst bejaht werden.

Die Bewertungen der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung gelten nach Satz 1 der Vorbemerkung 3 zu diesem Regelwerk jedoch nur für den Regelfall; Kompensationen sind u.a. durch besondere Verhaltenssteuerung und -umstellung möglich (vgl. Satz 2 der Vorbemerkung 3). In Rechtsprechung und Schrifttum besteht Einvernehmen darüber, dass die Fahreignung von Personen, die sich in einer lege artis durchgeführten Methadonsubstitution befinden, in Einzelfällen fortbesteht, obwohl bei dieser Behandlungsform von einer Betäubungsmittelabhängigkeit auszugehen ist. Hintergrund sind zahlreiche Studien (vornehmlich aus dem angelsächsischen Raum), die zu dem Ergebnis gelangt sind, dass mit Methadon substituierte Patienten nur relativ wenige signifikante Verschlechterungen in den fahrrelevanten psychophysischen Leistungen gegenüber Personen aus Kontrollgruppen zeigen (vgl. hierzu BayVGH Beschl. v. 23.5.2005 - 11 C 04.2992 -). Deutsche Studien belegen ferner, dass in der überwiegenden Mehrzahl die psychophysische Leistungsfähigkeit von Substitutionspatienten mit der von Vergleichsprobanden (nämlich gesunden Personen bzw. drogenfreien ehemaligen Heroinabhängigen) als gleichwertig anzusehen sind; sofern die Substitutionspatienten zusätzlich zum Methadon keine psychotropen Medikamente einnehmen und sie über einen so langen Zeitraum substituiert werden, dass sie nach der Adaption an die Dosis eine gesundheitliche Stabilisierung erreichen, sodass man sie als fahrtüchtig bezeichnen kann (Berghaus/Friedel, NZV 1994, 377ff).

Von einer solchen Möglichkeit, die allerdings nur in “seltenen Ausnahmefällen” und nur dann Platz greife, “wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen”, gehen auch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 115, Bremerhaven 2000, Abschnitt 3.12.1) des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit aus. Voraussetzung ist, dass der Betroffene unter anderem den Nachweis führt, dass kein Konsum von Betäubungsmitteln mehr besteht. Nach Nr. 9.5 der Anlage 4 zur FeV ist hierfür eine Entgiftung/Entwöhnung sowie eine einjährige Abstinenz zu belegen (vgl. Begutachtungsrichtlinien). Unter Berücksichtigung von wissenschaftlichen Erkenntnissen wurde in Nr. 3.12.1 der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung für den konkreten Fall der Methadon-Substitution ausgeführt, dass derjenige, der als Betäubungsmittelabhängiger mit Methadon substituiert wird, “im Hinblick auf eine ausreichend beständige Anpassungs- und Leistungsfähigkeit in der Regel nicht geeignet ist, ein Kraftfahrzeug zu führen. Nur in seltenen Ausnahmefällen ist eine positive Beurteilung möglich, wenn besondere Umstände dies im Einzelfall rechtfertigen. Hierzu gehören unter anderem eine mehr als einjährige Methadon-Substitution, eine psychosoziale stabile Integration, die Freiheit vom Beigebrauch anderer psychoaktiver Substanzen, inklusive Alkohol, seit mindestens einem Jahr, nachgewiesen durch geeignete regelmäßige, zufällige Kontrollen (z.B. Urin, Haar) während der Therapie, der Nachweis für Eigenverantwortung und Therapie-Compliance sowie das Fehlen einer Störung der Gesamtpersönlichkeit”. In diesen Fällen kommt nach den Begutachtungs-Leitlinien “neben den körperlichen Befunden den Persönlichkeits-, Leistungs-, Verhaltens- und den sozialpsychologischen Befunden erhebliche Bedeutung für die Begründung von positiven Regelausnahmen zu”.

Angesichts dieser auf wissenschaftliche Erkenntnisse gestützten Bewertungen in Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung liegt damit bei Fahrerlaubnisinhabern, die mit Methadon substituiert werden, allein durch den Konsum des Betäubungsmittels nicht der Regelfall der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vor. Die Einnahme von Methadon ist lediglich geeignet, Zweifel an der Fahreignung des Betreffenden zu begründen, denen die Behörde mit den in § 46 Abs. 3 FeV und § 11 bis 14 FeV geregelten Aufklärungsmaßnahmen nachzugehen hat. Dazu gehört nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV auch die Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen (Berghaus/Friedel, a.a.O.).

Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin vorliegend jedoch nicht entsprochen, obwohl der Antragsteller bereits im Rahmen der Anhörung ausführlich das Vorliegen eines Ausnahmefalles dargelegt hat. So hat er bereits im Verwaltungsverfahren vorgetragen, länger als 2 Jahre an einer Substitutionsmaßnahme teilzunehmen, sich in einer psychosozial stabilen Integration zu befinden und auch keine anderen psychoaktiv wirkenden Stoffe - einschließlich Alkohol - einzunehmen. Es ist damit Aufgabe der Behörde, den Vortrag des Antragstellers zum Anlass zu nehmen, aufzuklären, ob die Möglichkeit eines Ausnahmefalls in der Person des Antragstellers tatsächlich vorliegt. Sie hätte also die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anordnen müssen. Nur dadurch lässt sich klären, ob der Betäubungsmittelkonsum, sprich die Teilnahme an einer Methadonsubstitution, tatsächlich der Fahreignung des Antragstellers entgegensteht. Der Umstand, dass die statistische Wahrscheinlichkeit eines dem Antragsteller günstigen Ergebnisses nach dem Vorgesagten nicht hoch ist, ändert an dieser Verpflichtung nichts, es sei denn, die Unrichtigkeit der Darstellung des Betroffenen zu den Umständen des Methadonkonsums steht fest.

Wegen des Versäumnisses der Antragsgegnerin, den Sachverhalt weiter aufzuklären, bestehen derzeit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Entzugs der Fahrerlaubnis.

3. Die in Ziffer 2 des Bescheides vom 24.11.2006 getroffene Anordnung zur Führerscheinabgabe ist vor diesem Hintergrund ebenfalls rechtswidrig, wie auch die in Ziffer 4 ausgesprochene Androhung eines Zwangsgeldes.

Die Antragsgegnerin ist als Unterlegene nach § 154 Abs. 1 VwGO verpflichtet, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG -. Hierbei orientiert sich das Gericht am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8.7.2004 beschlossenen Änderungen. Der Antragsteller verfügt über die Fahrerlaubnisklassen B und M, T, L. In Anlehnung an Nr. 46 des Streitwertkataloges wird für die Fahrerlaubnisklasse B der Auffangwert i.H.v. 5.000,00 EUR zu Grunde gelegt. Gegenüber dieser Klasse haben die übrigen Fahrerlaubnisklassen keine eigenständige Bedeutung, so dass sie bei der Streitwertfestsetzung unberücksichtigt bleiben. Der Betrag i.H.v. insgesamt 5 000,00 EUR war - wie üblich - wegen der Vorläufigkeit des Verfahrens zu halbieren.



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