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Landgericht Potsdam Beschluss vom 31.03.2009 - 24 Qs 206/08 - Keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger ohne Vollmacht

LG Potsdam v. 31.03.2009: Keine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger ohne Vollmacht


Das Landgericht Potsdam (Beschluss vom 31.03.2009 - 24 Qs 206/08) hat entschieden:
Eine Doppelzustellung im Sinne des § 37 Abs. 2 StPO liegt nicht vor, wenn die später bewirkte Zustellung an den Verteidiger deshalb unwirksam ist, weil zum Zustellungszeitpunkt sich weder eine Vollmachtsurkunde bei den Akten befunden hat noch eine Vollmacht in der mündlichen Verhandlung erteilt und im Sitzungsprotokoll beurkundet worden ist. Eine Wiedereinsetzungsfrist beginnt dann mit der Zustellung an den Betroffenen.


Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid des Zentraldienstes der Polizei – Zentrale Bußgeldstelle – des Landes Brandenburg vom 7. März 2007 – Az.: … – wird dem Betroffenen vorgeworfen, am 29. Januar 2007 mit seinem PKW VW-Golf – amtliches Kennzeichen: XY 3000- die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 79 km/h überschritten zu haben. Die Bußgeldbehörde stellte dabei eine Geschwindigkeit (abzüglich Toleranz) von 199 km/h fest. Es wurde deshalb gegen ihn eine Geldbuße in Höhe von 375,00 € festgesetzt und ein Fahrverbot von 3 Monaten angeordnet. Nachdem er rechtzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hatte, wurde vor dem Amtsgericht Brandenburg an der Havel das gerichtliche Bußgeldverfahren durchgeführt. Ein erster Termin zur Hauptverhandlung wurde auf den 2. Juli 2007 bestimmt. Die in der Folgezeit bestimmten Hauptverhandlungstermine (15. August 2007, 10. September 2007, 24. Oktober 2007, 7. November 2007, 23. Januar 2008) mussten aufgehoben werden, weil entweder der Betroffene oder sein Verteidiger erkrankt war.

Zu dem dann auf den 27. Februar 2008 bestimmten Termin zur Hauptverhandlung erschien weder der Betroffene noch sein Verteidiger. Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat daraufhin mit Urteil vom 27. Februar 2008 den Einspruch des Betroffenen gegen den vorgenannten Bußgeldbescheid gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen.

Nachdem der Betroffene erneut eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – diesmal für den Zeitraum 26. Februar 2008 bis 4. März 2008 – vorgelegt hatte, wurde ihm durch Beschluss des Amtgerichts Brandenburg an der Havel vom 6. März 2008 von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins am 27. Februar 2008 gewährt.

Neuer Termin zur Hauptverhandlung wurde auf den 7. Mai 2008 bestimmt.

Nachdem der Betroffene – der zuvor wegen Krankheit um Terminsverlegung gebeten hatte – zu diesem Termin erneut nicht erschienen war, verwarf das Amtsgericht Brandenburg an der Havel durch Urteil vom 7. Mai 2008 den Einspruch des Betroffenen. Gleichzeitig ordnete es durch Beschluss vom 7. Mai 2008 die amtsärztliche Untersuchung des Betroffenen an.

Das amtsgerichtliche Urteil vom 7. Mai 2008 wurde dem Betroffenen am 10. Mai 2008 zugestellt.

Nachdem die Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen für den 7. Mai 2008 durch den Amtsarzt bestätigt worden war, gewährte das Amtsgericht durch Beschluss vom 22. Mai 2008 erneut Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung am 7. Mai 2008.

Auch zu der dann am 7. Juli 2008 durchgeführten Hauptverhandlung erschien der Betroffene nicht. Sein Verteidiger hatte zuvor mit Schriftsatz vom 7. Juli 2008 erneut um Aufhebung des Termins gebeten, da sein Mandant wegen Krankheit verhandlungsunfähig sei. Der Einspruch des Betroffenen wurde daraufhin durch Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 7. Juli 2008 verworfen, weil er ohne genügende Entschuldigung in der Hauptverhandlung ausgeblieben sei, ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden gewesen zu sein. Aufgrund der bisherigen zahlreichen Verlegungsanträge sei sowohl dem Betroffenen als auch seinem Verteidiger zuvor mitgeteilt worden, dass eine nochmalige Verlegung nur bei Vorlage eines amtsärztlichen Attestes in Frage käme.

Das den Einspruch verwerfende Urteil wurde dem Betroffenen am 10. Juli 2008 zugestellt.

Dem Verteidiger wurde eine Ausfertigung des Urteils am 17. Juli 2008 zugestellt.

Am 23. Juli 2008 hat der Betroffene die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung am 7. Juli 2008 beantragt. Gleichzeitig hat er Rechtsbeschwerde gegen das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 7. Juli 2008 eingelegt. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes seines Verteidigers vom 23. Juli 2008 Bezug genommen.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. Juli 2008 wurde der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig verworfen. Zur Begründung wird ausgeführt, die einwöchige Frist des § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG, innerhalb der der Betroffene um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachsuchen könne, sei nicht gewahrt, denn der Antrag auf Wiedereinsetzung bezüglich des am 10. Juli 2008 zugestellten Urteils sei erst am 23. Juli 2008 beim Amtsgericht eingegangen.

Der Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 30. Juli 2008 wurde dem Betroffenen am 2. August 2008 zugestellt.

Am 6. August 2008 legte der Betroffene sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30 Juli 2008 ein. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die einwöchige Frist des § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG sei gewahrt worden. Es sei nicht nur an den Betroffenen, sondern am 17. Juli 2008 auch an den Verteidiger zugestellt worden. Im Falle einer derartigen Doppelzustellung sei hinsichtlich der Berechnung der Frist nach § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG von der zuletzt bewirkten Zustellung an den Verteidiger am 17. Juli 2008 auszugehen. Der am 23. Juli 2008 durch den Verteidiger beim zuständigen Amtsgericht gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei damit rechtzeitig. Wegen der Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Verteidigers vom 6. August 2008 Bezug genommen.


II.

Die sofortige Beschwerde des Betroffenen ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen, denn der Antrag wurde nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 4 Satz 1 OWiG gestellt.

Die Antragsfrist beginnt nach dieser Vorschrift mit Zustellung des Urteils, die ausweislich der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 10. Juli 2008 an den Betroffenen erfolgte. Die zusätzlich am 17. Juli 2008 erfolgte Zustellung einer Ausfertigung des amtsgerichtlichen Urteils vom 7. Juli 2008 an den Verteidiger führte nicht dazu, dass die durch die erste Zustellung an den Betroffenen eröffnete Frist erneut eröffnet wurde.

Zwar richtet sich nach § 37 Abs. 2, § 46 Abs. 1 OWiG in Fällen, in denen die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt wird, die Berechnung einer Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen jedoch hier nicht vor. Der Verteidiger ist zum Zeitpunkt der an ihn bewirkten Zustellung des Urteils kein (weiterer) Empfangsberechtigter im Sinne des § 37 Abs. 2 StPO gewesen. Denn damals befand sich noch keine Vollmacht des Verteidigers bei den Akten. Bei einer Wahlverteidigung genügt grundsätzlich nicht das Bestehen einer schriftlich oder mündlich erteilten Vollmacht; vielmehr muss sich die Vollmachtsurkunde in den Akten befinden (Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 145a Rn. 8 m.w.N.).

Da das Gesetz eine schriftliche Bevollmächtigung nicht verlangt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, Rn. 9 vor § 137), ist § 145a Abs. 1 StPO auch anwendbar, wenn die Vollmacht in der Hauptverhandlung mündlich erteilt und das im Sitzungsprotokoll beurkundet worden ist (vgl. BayObLG VRs Bd. 50/76, S. 292; OLG Celle NJW 1984, 444; OLG Düsseldorf VRs Bd. 68, 85, 461). Eine derartige Beurkundung ist hier indes nicht erfolgt. Der Umstand, dass der Verteidiger die Interessen des Betroffenen wahrgenommen hat, reicht nicht aus, um daraus eine Ermächtigung im Sinne des § 145a Abs. 1 StPO abzuleiten, Zustellungen in Empfang zu nehmen (vgl. OLG Celle MDR 1984, 336).

Eine Doppelzustellung im Sinne des § 37 Abs. 2 StPO liegt demnach nicht vor, wenn die später bewirkte Zustellung an den Verteidiger deshalb unwirksam ist, weil zum Zustellungszeitpunkt sich weder eine Vollmachtsurkunde bei den Akten befunden hat noch eine Vollmacht in der mündlichen Verhandlung erteilt und im Sitzungsprotokoll beurkundet worden ist (so auch: OLG Düsseldorf NStZ 1988, 327; BayObLG MDR 1993, 459: a.A.: OLG Düsseldorf VRS Bd. 73/87S. 389).


III.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.



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