Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Saarbrücken Urteil vom 17.11.2009 - 4 U 244/09 - Zur Bindungswirkung der Klageabweisung bezüglich der Versicherung für alle Gesamtschuldner

OLG Saarbrücken v. 17.11.2009: Zur Bindungswirkung der Klageabweisung bezüglich der Versicherung für alle Gesamtschuldner


Das OLG Saarbrücken (Urteil vom 17.11.2009 - 4 U 244/09) hat entschieden:
  1. Unterliegt die gegen den Haftpflichtversicherer gerichtete Schadensersatzklage im Verkehrsunfallprozess deshalb der Abweisung, weil der Kläger den ihm obliegenden Beweis für das streitgegenständliche Unfallgeschehen nicht führen kann, so steht aufgrund der Bindungswirkung des § 124 Abs. 1 VVG auch im Verhältnis zum gesamtschuldnerisch mitverklagten Fahrer fest, dass dem Kläger kein Ersatzanspruch zusteht. Dies gilt auch dann, wenn der Fahrer das Unfallereignis zugestanden hat.

  2. Ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung nicht gegeben, kann im selben Urteil eine Klageabweisung gegen alle Gesamtschuldner erfolgen.


Gründe:

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt der Kläger die Beklagte zu 1) als Haftpflichtversicherer und die Beklagte zu 2) als Fahrerin des Fahrzeugs der Marke Volkswagen, Golf IV mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf Schadensersatz in Anspruch.

Der Kläger hat behauptet, er sei Eigentümer des Fahrzeugs Mercedes-Benz E 270 CDI Avantgarde mit dem amtlichen Kennzeichen ... gewesen. Am 29.4.2008 habe die Zeugin R. gegen 21:30 Uhr mit diesem Fahrzeug die B. Straße aus Richtung H. in Richtung B. befahren. Die Beklagte zu 2) sei mit dem Volkswagen unter Missachtung der Vorfahrt der Zeugin R. von dem Beschleunigungsstreifen aus Richtung K. kommend nach links in die Vorfahrtstraße eingebogen und gegen die rechte Seite des Pkws des Klägers gestoßen. Infolgedessen sei dem Kläger ein Schaden in Höhe von insgesamt 11 118,24 EUR entstanden, hinsichtlich dessen Einzelheiten auf die Klageschrift verwiesen wird (GA I Bl. 4 ff.).

Der Kläger hat (zuletzt) beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen,
  1. an den Kläger 10 334,27 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 8 596,27 EUR seit dem 21.5.2008 und aus weiteren 1 738 EUR, und zwar die Beklagte zu 1) seit dem 15.9.2008 und die Beklagte zu 2) seit dem 13.9.2008, zu zahlen;

  2. an den Sachverständigen K.-H. L., , zur Gutachtennummer ~…1 einen Betrag von 783,97 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.5.2008 zu zahlen;

  3. den Kläger von Gebührenansprüchen des Rechtsanwalts V. K. in Höhe von 837,52 EUR freizustellen.
Die Beklagte zu 1) hat – zugleich als Streithelferin der Beklagten zu 2) – beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 1) hat bestritten, dass es überhaupt zu dem behaupteten Unfallgeschehen an Ort und Stelle zur angegebenen Zeit gekommen sei. Insbesondere hat die Beklagte zu 1) bestritten, dass der Unfall ohne beziehungsweise gegen den Willen der Beteiligten geschehen sei. Für eine Unfallmanipulation spreche insbesondere das an beiden Fahrzeugen entstandenen Schadensbild: Unstreitig fanden sich an beiden Kraftfahrzeugen lediglich oberflächliche Streifbeschädigungen. Dieses Schadensbild habe – so die die Auffassung der Beklagten zu 1) – den Vorteil, dass die Schadensbeseitigung mit einem Bruchteil des Aufwandes möglich sei, den ein Kfz-Sachverständiger für eine fachgerechte Reparatur für erforderlich erachte. In Anbetracht der Örtlichkeit sei es bei auch nur geringster Aufmerksamkeit ausgeschlossen, beim Einbiegen auf die bevorrechtigte J. Straße den vorfahrtsberechtigten Verkehr einfach zu übersehen, wie dies der Beklagten zu 2) angeblich unterlaufen sei. Eine Kollision wäre ohne weiteres vermeidbar gewesen, wenn entweder der Mercedes des Klägers leicht nach links beziehungsweise der Golf der Beklagten zu 2) leicht nach rechts gezogen worden wäre. Es spreche alles dafür, dass sich die Beteiligten vor dem Unfallereignis bestens gekannt hätten.

Die Beklagte zu 2) hat vorgetragen, die Vermutung der Beklagten zu 1), wonach es sich um einen manipulierten Verkehrsunfall handele, sei unzutreffend. Die Unfallbeteiligten hätten sich vor dem Unfallereignis nie gesehen. Die Beklagte zu 2) habe aus ihrem Fahrzeug heraus die Situation falsch eingeschätzt und einen zum Unfall führenden Fehler begangen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter. Er wendet sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und vertritt die Auffassung, das Landgericht sei aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger den ihm obliegenden Beweis dafür, dass sich der in der Klageschrift beschriebene Unfall tatsächlich ereignet habe, nicht geführt habe. Der Auffassung des Landgerichts, die Aussage der Zeugin R. sei nicht glaubhaft, könne nicht gefolgt werden. Die Zeugin sei italienische Staatsangehörige und spreche kein Deutsch. Sie sei zum ersten Mal in einen Verkehrsunfall verwickelt gewesen und habe den Unfall so geschildert, wie sie ihn noch in Erinnerung gehabt habe. Ihre ganze Sorge habe nach dem Unfall ihren beiden Kindern gegolten. Sowohl die Zeugin als auch die Beklagte zu 2) hätten die Unfallörtlichkeit genau bezeichnet. Aufgrund der genauen Angaben von Ort und Zeit bestünden keine Zweifel daran, dass sich der Unfall zu der angegebenen Zeit tatsächlich ereignet habe.

Weiterhin lägen auch die Voraussetzungen eines sog. gestellten Unfalles nicht vor. Weder kenne der Kläger die Beklagte zu 2), noch deren Ehemann. Die Zeugin habe die Beklagte zu 2) vor dem Unfall nie gesehen. Es stelle sich von daher die Frage, wann der Unfall bei welcher Gelegenheit und wie verabredet worden sei.

Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 1.4.2009 – 9 O 246/08 – nach Maßgabe der erstinstanzlichen Anträge zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt – zugleich als Streithelferin zu 2) –,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte zu 1) verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Auch die Beklagte zu 2) wendet sich gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung und bekräftigt ihr Vorbringen, wonach der Unfall nicht abgesprochen gewesen sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 14.7.2009 (GA II Bl. 188 ff.) und auf die Berufungserwiderung vom 17.8.2009 (GA II Bl. 195 ff.) Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll (GA II Bl. 212 ff.) verwiesen.


II.

A. Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, da die angefochtene Entscheidung im Ergebnis nicht auf einem Rechtsfehler beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage unterliegt deshalb der Abweisung, weil das Landgericht in rechts- und verfahrensfehlerfreier Weise, mithin gem. § 529 ZPO für den Senat bindend, festgestellt hat, dass der Kläger den ihm obliegenden vollen Beweis dafür, dass sich der Unfall auf die von ihm geschilderte, im Tatbestand beschriebene Weise, zur angegebenen Uhrzeit und Örtlichkeit ereignete, nicht erbracht hat (1.). Aufgrund Rechtskrafterstreckung musste mit der sogleich eintretenden Rechtskraft der im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) ergangenen Entscheidung auch die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage der Abweisung unterliegen (2.).

1. Zum Prozessrechtsverhältnis zwischen Kläger und der Beklagten zu 1)

Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg, soweit das Landgericht die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage abgewiesen hat. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht der Klage deshalb den Erfolg versagt, weil der Kläger den ihm obliegenden Beweis dafür, dass sich der in der Klageschrift beschriebene Unfall tatsächlich ereignete, nicht geführt hat.

a) Das Prozessprogramm des Zivilprozesses wird durch den Streitgegenstand definiert, indem der Kläger die von ihm in Anspruch genommene Rechtsfolge aus einem tatsächlichen Geschehen, dem sog. Lebenssachverhalt (Klagegrund), herleitet, dessen Elemente auf der Ebene des Rechts die tatsächlichen Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm ausfüllen (zum zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff vgl. BGHZ 154, 342, 348; 153, 173, 175; 117, 1, 5; BGH, Urt. v. 7.12.2000 – I ZR 146/98, GRUR 2001, 755, 756 – Telefonkarte; Prütting/Gehrlein/Prütting, ZPO, Einleitung Rdnr. 17 ff.). Nur der vom Kläger vorgetragene Lebenssachverhalt bildet den Streitgegenstand der Klage, dessen tatsächliches Vorliegen der Kläger auch im Anwendungsbereich des § 7 StVG mit dem vollen Beweismaß des § 286 ZPO beweisen muss.

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Dieses Beweismaß ist nicht bereits dann erreicht, wenn die zu beweisende Tatsache hinreichend plausibel oder gar in einem naturwissenschaftlich-mathematischen Sinn „mit an Sicherheit grenzend“ überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr muss der Richter die volle Überzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache gewinnen. Andererseits darf der Richter nicht die absolute Wahrheit zur Voraussetzung seiner Entscheidungsfindung machen (vgl. Katzenmeier ZZP 117, 195 f., 201 f.). Entscheidend ist vielmehr die subjektive Überzeugung des Richters, die keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit verlangt. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 254, 256; 61, 165, 169 f.; Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rdnr. 19; Prütting/Gehrlein/Prütting, aaO, § 286 Rdnr. 21).

Angewandt auf die im vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Beweissituation eines streitigen Unfallgeschehens genügt der aus dem Unfallgeschehen Ansprüche geltend machende Geschädigte seiner Beweislast noch nicht, wenn sich nach Durchführung der Beweisaufnahme zwar Zweifel an Ort und Zeit des tatsächlichen Geschehens ergeben, gleichzeitig allerdings Anhaltspunkte dafür vorhanden sein mögen, dass beide Fahrzeuge eventuell an anderer Stelle unter nicht dargelegten Umständen miteinander zusammengestoßen sind. Die prozessuale Darstellung des Lebenssachverhalts darf sich nicht auf die isolierte Beschreibung des Schadenserfolges beschränken, solange die weiteren tatsächlichen Umstände in örtlicher und zeitlicher Hinsicht nicht insoweit determiniert sind, dass alle zur Ausfüllung der Haftungsnorm relevanten Tatbestandsmerkmale der Tatsachengrundlage eindeutig zugeordnet werden können (Senat, OLGR 2007, 351). Mithin ist auch der Beweis für das den Anspruch begründende Schadensereignis erst dann erbracht, wenn das Gericht die volle Überzeugung gewonnen hat, dass sich der Unfall in der vom Kläger nach Ort und Zeit beschriebenen Weise tatsächlich zutrug (Senat, OLGR 2009, 394).

b) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen ist das Landgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht hintanzustellende Zweifel an der Schilderung des Klägervortrags verbleiben. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat im Rahmen des eingeschränkten Prüfungsmaßstabes des § 529 ZPO gebunden, da die Tatsachenfeststellung des Landgerichts frei von Verfahrensfehlern getroffen worden ist und keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung wecken.

aa) Die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin R. und der Angaben der Beklagten zu 2) resultieren zunächst daraus, dass die Unfallschilderungen beider Personen letztlich nicht plausibel sind: Zwar erscheint es nicht erfahrungswidrig, dass die Beklagte zu 2) ein seitlich neben ihr fahrendes Fahrzeug übersehen haben mag, wenn sie die Einfädelspur befuhr und vor dem Einordnen in die Vorfahrtstraße lediglich in den Rückspiegel blickte. In einer solchen Unfallsituation ist es jedenfalls an der vom Kläger benannten Unfallörtlichkeit (google Bildaufnahme GA I Bl. 106) dann aber schlechterdings unverständlich, dass auch der auf der Vorfahrtstraße fahrende Fahrer das sich einfädelnde Fahrzeug übersehen kann. Gerade in diesem Sinne hat sich jedoch die Zeugin R. geäußert, die ausgesagt hat, sie habe das andere Fahrzeug überhaupt nicht kommen sehen; sie habe vielmehr plötzlich einen „Knall“ gehört (dessen Entstehung – worauf das Landgericht mit Recht anmerkt – mit Blick auf die eingetretenen Beschädigung nicht plausibel erscheint).

bb) Kaum glaubhaft ist weiterhin die Aussage der Zeugin R., beide Fahrzeuge wären nach dem Zusammenstoß an Ort und Stelle verblieben: Die Beklagte zu 2) habe rechts auf dem Beschleunigungsstreifen gestanden; sie selbst habe auf dem rechten Fahrstreifen gestanden. So seien die Fahrzeuge bis zum Eintreffen des Klägers verblieben. Ein solches Verhalten hätte den dort herrschenden, nicht unerheblichen Verkehr stark behindert. Dennoch will die Zeugin von einer Verkehrsbehinderung nichts bemerkt haben. Hinzukommen die vom Landgericht zutreffend herausgearbeiteten Ungereimtheiten hinsichtlich der von der Zeugin R. beschriebenen Unfallendstellungen beider Fahrzeuge, die die Zeugin dazu veranlassten, ihre Aussage dahingehend anzupassen, die Beklagte zu 2) habe das Fahrzeug auf der Beifahrerseite verlassen.

cc) Die Glaubhaftigkeit wird auch dadurch herabgesetzt, dass die Unfallbeteiligten keinerlei Anstalten unternahmen, um die Unfallsituation zu dokumentieren. Beide Frauen hatten nach ihren Einlassungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (GA I Bl. 88 ff.) Handys dabei, um ihre Ehemänner zu informieren. Dennoch wurden an der Unfallstelle offensichtlich keinerlei Fotos von der Unfallsituation gefertigt.

dd) Soweit die Zeugin R. ausgesagt hat, sie selbst habe der Beklagten zu 2) alle Angaben gemacht, erscheint auch diese Aussage angesichts der Sprachschwierigkeiten nicht glaubhaft: Die Beklagte zu 2) spricht nach ihrer eigenen Aussage kein Italienisch; die Zeugin R. nach ihrer eigenen Aussage nicht richtig Deutsch. Dessen ungeachtet will die Zeugin eine Verständigung über die Versicherungsnummer herbeigeführt haben und die Umstände erfahren haben, die eine Hinzuziehung der Polizei als nicht sachdienlich erscheinen ließen. Hinzukommt, dass die Zeugin nach ihrer eigenen Aussage nicht etwa die Versicherungsnummer der Beklagten zu 2) als eigentliche Unfallverursacherin erfahren habe, sondern sie ihrerseits der Dame „alle Angaben, also Versicherungsnummer usw.“ gemacht haben will.

ee) Zwar ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den aus der Zeugenaussage resultierenden Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit der Aussage mit der Behauptung entgegengetreten, die erforderlichen Angaben seien dem an die Unfallstelle gekommenen Ehemann der Zeugin, dem Kläger, erteilt worden. Jedoch steht dieser Vortrag mit der protokollierten Aussage der Zeugin R. nicht in Einklang: Die Zeugin hat in ihrer Vernehmung ausgesagt, sie selbst habe der Dame alle Angaben gemacht. Auch auf das Problem der Sprachschwierigkeiten ist die Zeugin eingegangen: Die Zeugin hat im selben Aussagezusammenhang (GA I Bl. 95) angegeben, dass eine richtige Verständigung mit der Dame nicht möglich gewesen sei, da sie selbst, die Zeugin R., nicht richtig Deutsch spreche. Diese Aussage steht zum Vortrag des Klägervertreters, wonach der Kläger die Schadensabwicklung an Ort und Stelle vorgenommen habe, in offenem, unvereinbarem Widerspruch, der nicht leichthin mit dem Hinweis aufgelöst werden kann, die Zeugin sei einfach strukturiert und habe noch nie vor einem Gericht gestanden.

ff) Ebenso wenig können die Zweifel an der Wahrhaftigkeit der klägerischen Unfallschilderung mit der Wertung ausgeräumt werden, dass keine verantwortungsvolle Mutter ihre kleinen Kinder vorsätzlich einer Gefahr aussetzen würde. Denn dieses Argument überzeugt nur dann, wenn die Richtigkeit des klägerischen Sachvortrags zu den Umständen und dem Ablauf des Unfallereignisses feststünde. Davon kann indes nicht ausgegangen werden.

Zusammenfassend verbleiben valide Zweifel an der Unfallschilderung des Klägers: Da es mit Ausnahme der Unfallschilderungen der Zeugin R. und den Angaben der Beklagten zu 2) keinerlei objektive, neutrale Beweismittel gibt, die das behauptete Unfallgeschehen belegen, sah sich das Landgericht, ohne die Beweisanforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO zu überspannen, aufgrund der aufgezeigten Glaubwürdigkeitsdefizite der Zeugenaussage dazu außerstande, die volle Überzeugung von der Wahrhaftigkeit der Unfallschilderung zu gewinnen. Der Senat teilt diese Einschätzung.

2. Zum Prozessrechtsverhältnis zwischen Kläger und der Beklagten zu 2)

a) Die Beklagte zu 2) hat das Unfallereignis zugestanden. Haftpflichtversicherer und Versicherungsnehmer sind als einfache Streitgenossen zu betrachten, mit der Folge, dass das Verfahren eines jeden Streitgenossen getrennt zu beurteilen ist (BGHZ 63, 51, 53; Senat OLGR 2007, 351; Zöller/Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 62 Rdnr. 8a mit weiterem Nachweis). Da die Prozessführung des einen Streitgenossen durch die Prozessführung des anderen weder beeinträchtigt noch begünstigt werden darf, entfiele die Bindungswirkung eines Geständnisses im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und dem Zugestehenden nur bei offenkundiger Unwahrheit des Geständnisses sowie dann, wenn der Zugestehende betrügerisch zum Nachteil eines Dritten, im konkreten Fall: der Versicherung, zusammenwirkt (OLGR Saarbrücken 2007, 351; Zöller/Greger, aaO., § 288 Rdnr. 7; Prütting/Gehrlein/Laumen, aaO, § 288 Rdnr. 8).

Soweit das Landgericht unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze den Nachweis für ein manipuliertes Unfallgeschehen als geführt erachtet hat, vermag die Entscheidung nicht zu überzeugen: Es erscheint bedenkenswert, ob das Landgericht hinsichtlich des mit dem Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO zu erbringenden, vollen Nachweises des Manipulationsvorwurfes ein zu geringes Beweismaß zugrunde gelegt hat:

aa) Von den für den Manipulationsvorwurf anerkannten Indizien (aus der Rspr. vgl. nur Senat OLGR 2009, 394; 2007, 310; OLGR Celle 2007, 468; 2006, 273; KG OLGR 2008, 137; 2007, 265, 304; 2006, 526, 425) ist zum einen nachgewiesen, dass das Fahrzeug des Klägers und die Art der Schadensabrechnung in das Manipulationsschema passen: Das Fahrzeug war relativ kostspielig und überstieg jedenfalls die im Prozess offengelegten finanziellen Verhältnisse des Klägers. Das Fahrzeug war finanziert. Die Abrechnung auf Gutachterbasis versetzte den Kläger dazu in die Lage, den noch nicht abgezahlten Kredit zu tilgen. Überdies weist der Beklagtenvertreter mit Recht darauf hin, dass trotz der hohen Reparaturkosten keine nennenswerte Substanzschädigung am PKW des Klägers eingetreten war. Der Senat teilt die Auffassung der Beklagten zu 1), dass eine in technischer Hinsicht gleichwertige und in optischer Hinsicht annehmbare Reparatur der entstandenen Schäden durchaus mit einem wesentlich geringeren Kostenaufwand möglich gewesen wäre. Auch die zeitnahe Weiterveräußerung des Fahrzeugs wird in der Rechtsprechung als Beweisanzeichen für einen Manipulationsvorwurf gewertet. Allerdings ist die Aussagekraft der Abrechnung auf Gutachterbasis und die Weiterveräußerung des Fahrzeugs nicht allzu stark.

bb) Die Unfallbeteiligten veranlassten keine polizeiliche Unfallaufnahme: Zwar lag in Anbetracht der relativ geringfügigen Beschädigungen und des Umstandes, dass keine Personen verletzt wurden, die Benachrichtigung der Polizei im vorliegenden Fall nicht nahe. Auffallend ist jedoch, dass die Unfallbeteiligten Personen auch sonst keine Anstalten trafen, um den Unfall als solchen an der Unfallstelle zu dokumentieren.

cc) Als weitere Indizien sind die Glaubwürdigkeitsdefizite bei der Unfallschilderung einzubeziehen.

dd) Demgegenüber ist nicht positiv bewiesen, dass sich die Unfallbeteiligten kannten: Die Zeugin B. hat eine enge Bekanntschaft zwischen den Unfallbeteiligten nicht bestätigt. Auch ist nicht vorgetragen, dass die Unfallbeteiligten oder ihre Ehemänner vor dem streitgegenständlichen Unfall in vergleichbare Unfälle verstrickt waren. Ferner waren am Kfz des Klägers keine nachgewiesenen Vorschäden vorhanden. Schließlich ist nicht nachgewiesen, dass das behauptete Schadensbild am klägerischen Fahrzeug nur durch eine bewusste Lenkbewegung zum „Unfallopfer“ hin entstehen konnte.

b) Im Ergebnis kann die abschließende Bewertung des Beweisergebnisses zum Manipulationseinwand unterbleiben, da bereits die Rechtskrafterstreckung des § 3 Nr. 8 PflVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung bzw. der inhaltsgleichen Vorschrift des § 124 Abs. 1 VVG eine Klageabweisung verlangt. Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, wann der Haftpflichtversicherungsvertrag hinsichtlich des Beklagtenfahrzeugs abgeschlossen wurde. Folglich bleibt offen, ob der Schadensfall nach Art. 1 Abs. 1 EGVVG nach neuem oder altem Recht zu beurteilen ist. Da im hier interessierenden Regelungszusammenhang mit der Reform des VVG keine Änderung des materiellen Rechts einhergegangen ist, besitzt die Frage nach der richtigen „Hausnummer“ der die Rechtskrafterstreckung regelnden Norm keine Relevanz.

aa) Mit der die Klage abweisenden Entscheidung im Verhältnis zur Beklagten zu 1) wird zugleich festgestellt, dass dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) kein Ersatzanspruch zusteht. Diese Feststellung, die in der Terminologie des § 3 Nr. 8 PflVG a.F. /§ 124 Abs. 1 VVG zwischen dem Dritten, dem Geschädigten, und dem Versicherer ergeht, wirkt nicht nur zugunsten des Versicherungsnehmers. Denn die Bindungswirkung des § 3 Nr. 8 PflVG a.F./§ 124 Abs. 1 VVG gilt über ihren Wortlaut hinaus auch im Verhältnis des mitversicherten Fahrers zum Versicherer und umgekehrt (BGHZ 96, 18, 22; aus der neueren Rspr.: OLGR Brandenburg 2009, 646; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 27. Aufl., § 3 Nr. 8 PflVG Rdnr. 1; Schwintowski/Brömmelmayer, Praxiskommentar zum VVG, § 124 VVG Rdnr. 28; Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungshandbuch, 2. Aufl., § 24 Rdnr. 181; Feyock/Jacobsen/Lemor, Kfz-Versicherung, 3. Aufl., § 124 VVG Rdnr. 2; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 3 PflVG Rdnr. 31). Zwar wird in der Lit. die Auffassung vertreten, zu einer Rechtskrafterstreckung komme es nicht, wenn der Geschädigte in der Kfz-Haftpflichtversicherung zunächst nur den Lenker – und dazu die Kfz-Haftpflichtversicherung, nicht aber den Halter belange (Schwintowski/Brömmelmayer, aaO., Rdnr. 29).

bb) Allerdings ist diese Rechtsmeinung nicht dahin zu verstehen, dass ein klageweisendes Urteil gegen den Versicherer keine Rechtskraft im Verhältnis zum Mitversicherten entfalten kann. Vielmehr will die Aussage zur fehlenden Rechtskrafterstreckung einer nicht gegenüber allen Solidarschuldnern ergangenen Entscheidung lediglich verdeutlichen, dass der Geschädigte nicht daran gehindert ist, etwa nach rechtskräftiger Abweisung seiner Klage gegen den Halter in einem neuen Prozess nunmehr den Fahrer und – wegen dessen Haftung – auch den Haftpflichtversicherer in Anspruch zu nehmen (BGHZ 96, 18, 22; Beckmann/Matusche-Beckmann, aaO., § 24 Rdnr. 181; Feyock/Jacobsen/Lemor, aaO., § 124 VVG Rdnr. 4; Römer/Langheid, aaO, Rdnr. 32). Diese Einschränkung korreliert unmittelbar mit allgemeinen Grundsätzen zum Umfang der materiellen Rechtskraft: Wird eine gegen den Halter gerichtete Klage in wirksamer Beschränkung des Streitgegenstandes nur auf die Haftungstatbestände der Gefährdungshaftung gestützt, so wäre der Geschädigte nicht gehindert, nach einem klageabweisenden Urteil den Halter ohne Bindung an die materielle Rechtskraft in einem neuen Prozess unter Darlegung eines auf die deliktische Haftung gestützten Lebenssachverhalts zu verklagen. Diese Option muss dem Geschädigten erst recht erhalten bleiben, wenn die Haftungssysteme die Inanspruchnahme personenverschiedener Schädiger erlauben. Hier darf dem Geschädigten die Möglichkeit, etwa den Halter des Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, nicht mit dem Hinweis auf die Rechtskrafterstreckung eines gegenüber dem Fahrer ergangenen klageabweisenden Urteils abgeschnitten werden.

Ebenso tritt eine Rechtskrafterstreckung nicht ein, wenn der Geschädigte den Anspruch gegen einen Streitgenossen auf eine Anspruchsgrundlage stützt, die den Versicherer nicht bindet. Paradigmatisch ist an den Fall zu denken, dass ein Unfallbeteiligter ein Schuldanerkenntnis abgibt, das keine materiellrechtliche Wirkung hinsichtlich des Direktanspruchs gegenüber dem Versicherer entfaltet. Hier wäre es dem Geschädigten nicht verwehrt, den Versicherten oder den Versicherungsnehmer auch nach der rechtskräftigen Abweisung des Direktanspruchs aus dem Schuldanerkenntnis in Anspruch zu nehmen (OLGR Brandenburg 2009, 646).

cc) Demgegenüber stehen diese Rechtsgrundsätze einer aus § 3 Nr. 8 PflVG a.F./§ 124 Abs. 1 VVG herzuleitenden Rechtskrafterstreckung eines gegenüber der Versicherung ergangenen klageabweisenden Urteils auf die Rechtsverhältnisse zwischen dem Geschädigten den dem Haftungssystem des StVG unterliegenden, versicherten Personen nicht entgegen: Hier verlangt § 3 Nr. 8 PflVG a.F./§ 124 Abs. 1 VVG eine Rechtskrafterstreckung eines gegenüber der Versicherung erstrittenen Urteils gegen die weiteren Schadensersatzschuldner jedenfalls dann, wenn der Geschädigte alle in Betracht kommenden Schadensersatzforderungen gegen den Versicherer geltend gemacht hat (nach Prölss/Martin/Knappmann, aaO, Rdnr. 5 ist die umfassende Rechtskrafterstreckung die Regel). Hat der Geschädigte den Versicherer allerdings nur wegen seiner gegen den Versicherten gerichteten Ansprüche im Wege des Direktanspruchs verklagt, mag es ihm unbenommen sein, in einem Folgeprozess den Versicherungsnehmer zu verklagen (Johannsen, in: Bruck/Möller/Sieg, VVG, 8. Aufl., B 38).

Stützt der Geschädigte demgemäß seine Direktklage auf die Haftung des Versicherten, so tritt gegenüber dem Versicherten die Rechtskraftwirkung des § 3 Nr. 8 PflVG a.F. /§ 124 Abs. 1 VVG ein (vgl. OLG Karlsruhe, VersR 1991, 539). Nur das hier vertretene Ergebnis wird der gesetzgeberischen Intention gerecht, die darin besteht, eine doppelte Befassung der Gerichte mit demselben Haftpflichtanspruch zu vermeiden (Schwintowski/Brömmelmayer, aaO, § 124 Rdnr. 3). Darüber hinaus dient die Vorschrift dem Schutz des Versicherers, der nicht Gefahr laufen soll, trotz des für ihn günstigen Urteils im Fall der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genommen zu werden (BGH, Urt. v. 15.1.2008 – VI ZR 131/07, MDR 2008, 485).

dd) Unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze liegen die Voraussetzungen einer wirksamen Rechtskrafterstreckung im vorliegend zu entscheidenden Rechtsstreit vor: Der Kläger nimmt die Beklagte zu 1) im Wege des Direktanspruchs ersichtlich unter allen denkbaren rechtlichen Aspekten auf Schadensersatz in Anspruch. Für eine Beschränkung des Klagegrundes bietet der Prozessvortrag keinen Anhalt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Kläger die gegen die Beklagte zu 2) gerichtete Klage auf einen selbstständigen rechtlichen Aspekt stützt, der nur im Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2) eine materiellrechtliche Wirkung entfalten würde.

ff) Schließlich steht es der Rechtskrafterstreckung nicht entgegen, dass der Haftpflichtversicherer und die mitversicherte Fahrerin im vorliegenden Rechtsstreit gleichzeitig in Anspruch genommen worden sind und zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eine rechtskräftige Entscheidung gegenüber der Beklagten zu 1) noch nicht vorlag: Ist ein Rechtsmittel nämlich nicht gegeben (im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt ist die Erwachsenheitssumme für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht erreicht, die Revision war mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen nicht zuzulassen), kann auch sofort eine Klageabweisung gegen alle Gesamtschuldner erfolgen (vgl. BGHZ 71, 339; MDR 2008, 448; OLG Karlsruhe, VersR 1991, 539; Prölss/Martin/Knappmann, aaO, Rdnr. 4; Beckmann/Matusche-Beckmann, aaO., § 24 Rdnr. 183; Schwintowski/Brömmelmayer, aaO., § 124 Rdnr. 33).


B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).


Datenschutz    Impressum