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BGH Beschluss vom 21.09.1999 - 4 StR 71/99 - Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung bei Verwendung reflektierender Mittel auf Kfz-Kennzeichen

BGH v. 21.09.1999: Zum Problem der Strafbarkeit wegen Urkundenfälschung bei Verwendung reflektierender Mittel auf Kfz-Kennzeichen


Der BGH (Beschluss vom 21.09.1999 - 4 StR 71/99) hat entschieden:
Keine Urkundenfälschung liegt vor, wenn das amtliche Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so dass die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist.


Siehe auch Kennzeichenmissbrauch und Missbrauch von roten Kennzeichen - Kurzkennzeichen - Saisonkennzeichen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Kennzeichenmissbrauchs zu einer Geldstrafe verurteilt und ein Fahrverbot angeordnet. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht ihn der Urkundenfälschung schuldig gesprochen. Nach den Feststellungen übersprühte der Angeklagte die Kennzeichenschilder seines auf ihn zugelassenen Pkw mit einer farblosen Flüssigkeit, wodurch bei Blitzlicht-Fotoaufnahmen eine so starke Reflexion auftrat, dass die schwarzen Buchstaben und Zahlen "überblendet" wurden und auf dem Lichtbild ohne lichtbildtechnische Nachbehandlung nicht erkennbar waren. Er wollte damit bei etwaigen Geschwindigkeitskontrollen die Ermittlung seiner Personalien anhand der Kennzeichen des Fahrzeugs unmöglich machen. Als der Angeklagte das Fahrzeug am 29. August 1997 mit überhöhter Geschwindigkeit fuhr, wurden die mit dem Spray behandelten amtlichen Kennzeichen bei einer Verkehrskontrolle entdeckt.

Gegen das Berufungsurteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt.


II.

Das Bayerische Oberste Landesgericht möchte auf die Sachrüge den Schuldspruch dahin abändern, dass der Angeklagte nicht der Urkundenfälschung, sondern des Kennzeichenmissbrauchs schuldig ist. Es ist der Ansicht, dass der Erklärungsinhalt des Kraftfahrzeugkennzeichens durch dessen Besprühen mit dem Speziallack nicht verändert wurde. Der Angeklagte habe aber die Erkennbarkeit des Kennzeichens in rechtswidriger Absicht beeinträchtigt und sich daher wegen Kennzeichenmissbrauchs strafbar gemacht (§ 22 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StVG).

An der beabsichtigten Entscheidung sieht es sich durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 3. Februar 1997 - 2 Ss 267/96 - 73/96 III - (NJW 1997, 1793 m. abl. Anm. Krack NStZ 1997, 602 = NZV 1997, 319 = DAR 1997, 284 = JR 1998, 303 m. abl. Anm. Lampe = VD 1997, 230) gehindert. Dieser Entscheidung liegt zugrunde, dass amtliche Kraftfahrzeugkennzeichen nachträglich mit "Antiblitzbuchstaben", bei denen es sich um reflektierende Folien handelte, versehen wurden. Sie führten dazu, dass bei polizeilichen Geschwindigkeitskontrollen oder Rotlichtüberwachungen die Identifizierung des fotografierten Fahrzeugs anhand der Kennzeichen unmöglich gemacht, jedenfalls wesentlich erschwert wurde. Das Oberlandesgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, dass die Kraftfahrzeug-Zulassungsstelle durch das Abstempeln der Kennzeichen mit beweiserheblicher Bedeutung bescheinige, dass die Kennzeichenschilder den technischen Vorschriften entsprechen und uneingeschränkt ablesbar sind. Diese Beweisrichtung sei "durch Beibehaltung der Anbringung" der Kennzeichen nach dem Versehen mit "Antiblitzbuchstaben" verändert worden. Da die Manipulationen vorgenommen worden seien, um polizeilichen Feststellungen zu entgehen, sei zur Täuschung im Rechtsverkehr gehandelt worden. Es liege daher Urkundenfälschung (§ 267 StGB) vor.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache gemäß § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
"Liegt Urkundenfälschung (§ 267 StGB) oder Kennzeichenmissbrauch (§ 22 StVG) vor, wenn das amtliche Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so dass die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist ?"
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
"Es liegt keine Urkundenfälschung (§ 267 StGB) vor, wenn das amtliche Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so dass die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei technischen Überwachungsmaßnahmen beeinträchtigt ist."


III.

Die Vorlegungsvoraussetzungen sind erfüllt. Das Bayerische Oberste Landesgericht kann nicht wie beabsichtigt entscheiden, ohne von dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf abzuweichen. Beiden Verfahren liegt die Frage zugrunde, ob die Beeinträchtigung der Erkennbarkeit des amtlichen Kennzeichens eines Kraftfahrzeugs bei Blitzlichtaufnahmen durch reflektierende Mittel eine Urkundenfälschung darstellt. Bei der Vorlegungsfrage handelt es sich um eine Rechtsfrage, denn es geht um die rechtliche Bewertung von bestimmten Manipulationen zur Erreichung der Unlesbarkeit amtlicher Kraftfahrzeugkennzeichen. Trotz unterschiedlicher Fallgestaltung in tatsächlicher Hinsicht kann wegen der Gleichheit der Rechtsfrage die Entscheidung hier nur einheitlich ergehen (vgl. BGHSt 13, 5, 6 f.; 18, 279, 281; 29, 252, 254; 44, 107, 110; Hannich in KK-StPO 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 34).

Die Vorlegungsfrage ist jedoch zu weit gefasst. Ob wegen des Besprühens der Kennzeichen ein Kennzeichenmissbrauch (§ 22 StVG) vorliegt, bedarf im Rahmen der Vorlegung keiner Entscheidung.

Der Senat formuliert deshalb die Rechtsfrage wie folgt:
Liegt eine Urkundenfälschung vor, wenn das amtliche Kennzeichen eines Kraftfahrzeugs mit einem reflektierenden Mittel versehen wird, so dass die Erkennbarkeit der Buchstaben und Ziffern bei Blitzlichtaufnahmen beeinträchtigt ist?


IV.

Die Frage ist zu verneinen:

1. Bei dem mit einer Stempelplakette der Zulassungsstelle versehenen, an dem Kraftfahrzeug, für das es zugeteilt ist, angebrachten Kraftfahrzeugkennzeichen (§§ 18 Abs. 1, 23 StVZO) handelt es sich um eine (zusammengesetzte) Urkunde im Sinne des § 267 Abs. 1 StGB (vgl. BGHSt 16, 94, 95; 18, 66, 70; 34, 375, 376; BGHR StGB § 267 Abs. 1 Urkunde 2; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 267 Rdn. 4 m.w.N.). Das Kennzeichen verkörpert die Erklärung der Zulassungsstelle als Ausstellerin, dass das Fahrzeug unter diesem Kennzeichen für einen bestimmten, im Fahrzeugregister eingetragenen Halter (§ 33 StVG) zum öffentlichen Verkehr zugelassen worden ist (vgl. BGHSt 34, 375, 377; BGH bei Dallinger MDR 1970, 731; BayObLG DAR 1978, 52; OLG Hamburg NJW 1966, 1827; OLG Stuttgart VRS 47, 25).

Es enthält - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (aaO) - jedoch nicht die zusätzliche beweisbestimmte und beweisgeeignete Erklärung (vgl. BGHSt 24, 140, 141), dass das Kennzeichen - fortwährend - uneingeschränkt ablesbar ist:

Bei der Abstempelung des amtlichen Kennzeichens prüft die Zulassungsstelle die nach § 23 StVZO erforderlichen Zulassungsvoraussetzungen (BGHSt 11, 165, 167 f.; vgl. dazu im einzelnen Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 23 StVZO Rdn. 16 ff.), auch, ob die Ausgestaltung des Kennzeichens der Vorschrift des § 60 StVZO entspricht (§ 23 Abs. 3, Abs. 4 Satz 6 StVZO). Danach müssen Kennzeichen normgerecht (§ 60 Abs. 1 Satz 5, Abs. 1 a, Abs. 1 b StVZO) und so ausgestaltet sein, dass nur der Kennzeichenhintergrund, nicht jedoch die Buchstaben-Ziffern-Kombination reflektiert (§ 60 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 a StVZO; vgl. Lampe JR 1998, 304, 305). Außerdem dürfen sie nicht spiegeln, "weder verdeckt noch verschmutzt" noch "mit Glas, Folien oder ähnlichen Abdeckungen" versehen sein (§ 60 Abs. 1 Satz 4 StVZO). Diese Prüfung erfolgt durch Inaugenscheinnahme der Kennzeichen.

Es erscheint bereits zweifelhaft, bedarf hier aber keiner Entscheidung, ob das Anbringen der Stempelplakette auf dem Kennzeichen beweist, dass ein ordnungsgemäßes Kennzeichen verwendet wurde, soweit es dessen Ablesbarkeit unter besonderen Voraussetzungen betrifft (vgl. OLG Hamm VRS 7, 390; Lampe JR 1998, 304, 305; Tröndle/Fischer aaO § 267 Rdn. 19). Jedenfalls soll und kann das abgestempelte Kennzeichen keinen Beweis über seine fortdauernde Ablesbarkeit nach der Zulassung des Fahrzeugs erbringen (Krack NStZ 1997, 602 f.). Das ergibt sich - wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat - schon daraus, dass etwa die nach § 23 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 4 StVZO durch die Zulassungsstelle bei der Abstempelung vorzunehmende Prüfung, dass das Kennzeichen nicht verschmutzt ist, naturgemäß keine weiter gehende Bedeutung haben kann als die, dass das Kennzeichen bei der Zulassung nicht verunreinigt war (vgl. dazu § 23 Abs. 1 Satz 3 StVO).

2. Die Voraussetzungen der - hier allein in Betracht kommenden - Tatbestandsalternative des Verfälschens einer echten Urkunde (§ 267 Abs. 1 2. Alt. StGB) liegen nicht vor:

Eine echte Urkunde wird verfälscht, wenn unbefugt nachträglich ihr Gedankeninhalt verändert wird, so dass sie etwas anderes als zuvor zum Ausdruck bringt (vgl. Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 267 Rdn. 20 m.w.N.). Entscheidend ist, dass die Urkunde infolge der Verfälschung einen irreführenden Beweisgehalt vermittelt, der vom angeblichen Urheber herzurühren scheint (vgl. Tröndle in LK-StGB 10. Aufl. § 267 Rdn. 144).

Hier wurde - wie das Bayerische Oberste Landesgericht zutreffend annimmt - der Erklärungsinhalt der Urkunde durch das Besprühen des Kennzeichens mit dem farblosen Speziallack nicht verändert. Das Kennzeichen entsprach zwar danach nicht mehr den Anforderungen des § 60 StVZO, der Erklärungsinhalt blieb aber derselbe. Durch die Maßnahme des Angeklagten wurde lediglich die Ablesbarkeit des Kennzeichens unter bestimmten Voraussetzungen (Blitzlichtaufnahmen) - also der Beweisinhalt der Urkunde in seiner Erkennbarkeit - beeinträchtigt. Darin liegt kein Verfälschen einer Urkunde (vgl. RGSt 62, 11, 12; Fahl JA 1997, 925, 926; Geppert JK 1997, StGB § 267/ 22; Tröndle/Fischer aaO § 267 Rdn. 19; Lackner/Kühl aaO § 267 Rdn. 20). Das gilt auch dann, wenn die Abstempelung des Kennzeichens durch die Zulassungsstelle den Beweis dafür erbrächte, dass zu diesem Zeitpunkt das Kennzeichen den Vorschriften entsprach; denn in diesen Aussagegehalt wurde durch die spätere Manipulation nicht eingegriffen (vgl. Krack aaO S. 603; Lampe aaO S. 305; Hoyer in SK-StGB § 267 Rdn. 36).

3. Ob der Angeklagte durch sein Verhalten einen anderen Straftatbestand als den des § 267 Abs. 1 StGB erfüllt oder er (nur) ordnungswidrig gehandelt hat (vgl. dazu Fahl aaO S. 926 ff.; Geppert aaO; Krack aaO S. 603; Lampe aaO S. 305), hat der Senat nicht zu entscheiden.