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Landgericht Hamburg Urteil vom 05.03.2010 - 331 S 57/09 - Zur Unwirksamkeit einer Automietvertragsklausel mit der Pflicht der Polizeibenachrichtigung nach neuem VVG-Recht

LG Hamburg v. 05.03.2010: Zur Unwirksamkeit einer Automietvertragsklausel mit der Pflicht der Polizeibenachrichtigung nach neuem VVG-Recht


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 05.03.2010 - 331 S 57/09) hat entschieden:
Eine Klausel in einem Fahrzeugmietvertrag, die bestimmt, dass ein wirksamer Versicherungsschutz im Falle eines Unfalles nur dann gegeben ist, wenn die Polizei hinzugezogen wird, benachteiligt den Fahrzeugmieter seit der Änderung des VVG in unangemessener Weise und ist deshalb - jedenfalls unter der Geltung des neuen VVG - unwirksam.


Tatbestand:

Der Kläger betreibt als Lizenznehmer der ... GmbH in Hamburg-... eine gewerbliche KfZ-Vermietung und verlangt von dem Beklagten, seinem Mieter, Schadensersatz wegen der Beschädigung eines seiner Fahrzeuge.

Am 25.6.2008 vermietete der Kläger an den Beklagten ein Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen HH-.... Die Rückgabe des Fahrzeugs war für den 26.6.2008 vorgesehen. Es wurde eine Haftungsfreistellung mit einer Selbstbeteiligung von 550 € vereinbart. Das Mietvertragsformular, das der Beklagte unterzeichnet hat, enthält folgende Passage: "„ Ich akzeptiere diesen Mietvertrag, die Zustandsbeschreibung des Fahrzeugs sowie die ausliegenden Geschäfts- und Vertragsbedingungen. Jegliche Haftungsreduzierung entfällt bei vorsätzlichen, grob fahrlässigen oder alkoholbedingten Beschädigungen oder Unfällen, dem Nichthinzuziehen der Polizei bei Schadensfällen oder Grenzüberschreitungen." Die Vermietungsbedingungen (Anlage K 3) des Klägers, die im Geschäftslokal des Klägers an gut sichtbarer Stelle aushängen, lauten auszugsweise wie folgt:
"F II. Unfallschäden im Sinne dieser Bestimmungen ist jedes Ereignis im öffentlichen und privaten Straßenverkehr, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und einen Sachschaden am Mietwagen zur Folge hat, ob an dem Unfall ein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt ist oder nicht.

Bei jedem Unfall hat der Mieter

a) sofort die Polizei zu verständigen und an der Unfallstelle zu verbleiben, bis zum Eintreffen der benachrichtigen Polizei

G III. Mieter und Lenker haften ungeachtet der unter G I und II vereinbarten Haftungsbeschränkung dem Vermieter in voller Höhe als Gesamtschuldner auf Schadensersatz

...

c) bei Verstoß gegen die in F I und II übernommenen Verpflichtungen durch den Mieter, insbesondere bei vertragswidrigem Verlassen der Unfallstelle bzw. bei vertragswidrigem Nichthinzuziehen der Polizei (vgl. F II a), auch wenn andere Personen oder Fahrzeuge aus dem Unfall nicht beteiligt waren bzw. kein Fremdschaden, sondern lediglich Schaden am Mietwagen entstanden ist."
Bei der Übergabe an den Beklagten wies das Fahrzeug keinerlei Schäden auf. Der Beklagte wurde durch einen Mitarbeiter des Klägers darauf hingewiesen, dass bei allen Schadensfällen die Polizei sofort zur Unfallstelle hinzuzuziehen und der Vorfall polizeilich aufzunehmen ist; bei Unfällen solle in jedem Fall die Polizei hinzugezogen werden. Während der Besitzzeit des Beklagten erlitt das Fahrzeug einen Schaden. Die Polizei verständigte der Beklagte nicht. Bei der Rückgabe des Fahrzeugs stellte der Kläger fest, dass während der Mietzeit ein erheblicher Schaden entstanden war. Auf der Beifahrerseite war eine Beschädigung festzustellen; Schiebetür und Seitenwand waren eingebeult und verschrammt. Die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens zur Schadenshöhe betragen 28 €.

Diese Positionen macht der Kläger neben Reparaturkosten in Höhe von 4030,43 €, einer Wertminderung von 250 € zuzüglich einer Kostenpauschale in Höhe von 20 € und abzüglich eines Guthabens des Beklagten in Höhe von 125,42 € sowie von dem Beklagten gezahlter 424,58 € nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend.

Der Kläger hat beantragt,
  1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3778,43 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.9.2008 zu bezahlen,

  2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn als den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderung 338,50 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 %-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.9.2008 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Widerklagend hat er beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an ihn 402,82 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5% Punkte über Basiszins seit Rechtshängigkeit dieses Antrags zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat die Klage mit Urteil vom 17.3.2009 abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Es ist der Ansicht gewesen, dass die Klauseln des Klägers unwirksam seien. Gegen dieses am 20.3.2009 dem Kläger zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14.4.2209 am 14.4.2009 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.5.2009 (eingegangen am 20.5.2009) begründet.

Der Kläger trägt vor, er habe einen ausdrücklichen Hinweis auf seine Vermietungsbedingungen in seiner Tarifaufstellung, die auf dem Tresen ausliege, hinterlegt. Die unfallbedingten Reparaturkosten würden 4030,43 € betragen. Die Wertminderung würde 250 € betragen. Die Polizei wäre zur Unfallstelle gefahren, wenn der Beklagte erklärt hätte, einen Fremdschaden verursacht zu haben. Der Beklagte habe auch arglistig gehandelt, als er die Polizei nicht hinzugezogen habe.

Er ist der Ansicht, dass die sogenannte Polizeiklausel wirksam sei und für den Mieter auch nicht überraschend. Dies gelte auch für die Heranziehung des neuen VVG. Es liege keine Abweichung vom Leitbild der Kaskoversicherung vor.

Der Kläger beantragt,
das am 20.3.2009 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf zur Geschäfts-Nr.: 409 C 378/08 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3778,43 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.9.2008 sowie als den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderung weitere 338,50 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 2.9.2008 zu bezahlen und die Widerklage abzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, nachdem er das klägerische Fahrzeug in Empfang genommen habe, habe er seinen Cousin abgeholt und man sei zu seiner alten Wohnung gefahren. Gemeinsam mit seinem Cousin und dem Schwager, die beim Einladen geholfen hätten, sei man zur Wohnung seiner Eltern gefahren. Vor dieser Wohnung befinde sich ein breiter Zugangsweg, vor dem eine feste Schranke angebracht sei. Bei der Abfahrt von der Wohnung seiner Eltern habe er diese Schranke übersehen und sei mit dem Pfosten der Schranke kollidiert. Die Schranke sei nicht beschädigt worden durch die Kollision. Ein Hinzuziehen der Polizei sei nicht erforderlich gewesen, weil es sich nicht um einen Verkehrsunfall gehandelt habe. Es sei weder Eigentum Dritter beschädigt noch seien dritte Personen verletzt worden. Die Polizei wäre mangels Personen- oder Drittschaden nicht zur Schadensverursachungsstelle gekommen. Er habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die AGB des Klägers verstoßen, weil ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er einen Unfall verursacht habe.

Zudem behauptet er, die AGB des Klägers seien ihm nicht ausgehändigt worden. Er habe weder Alkohol noch Drogen zu sich genommen gehabt und auch nicht unter dem Einfluss der selbigen gestanden.

Er ist der Ansicht, die Polizeiklausel sei überraschend, weil der Begriff Unfall unüblich definiert sei.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache im Ergebnis keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

Auch nach Ansicht der Kammer hat der Kläger gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Ersatz weiteren Schadens. Gemäß §§ 535, 280 Abs. 1 BGB besteht zwar seinerseits grundsätzlich eine Pflicht zur Leistung von Schadenersatz. Allerdings haben die Parteien unstreitig eine Haftungsreduzierung vereinbart. Die vereinbarte Selbstbeteiligung hat der Beklagte beglichen. Weiteren Schadensersatz kann der Kläger nicht ersetzt verlangen. Die Klauseln in seinen AGB sind nämlich nach Ansicht der Kammer nicht wirksam und verstoßen gegen § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sie benachteiligen den Mieter unangemessen.

Von einer wirksamen Einbeziehung der AGB ist im vorliegenden Fall auszugehen. So ist der Beklagte ausweislich des eingereichten Mietvertrags auf die ausliegenden Geschäfts- und Vertragsbedingungen hingewiesen worden. Den dort ebenfalls vorformulierten Wegfall der Haftungsbeschränkung hat der Beklagte unterzeichnet. Unwidersprochen hat der Kläger zudem vorgetragen, dass die Vermietungsbedingungen in seinem Geschäftslokal aushängen.

Grundsätzlich ist auch die Kammer der Ansicht, dass der Kläger als Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Einschaltung der Polizei hat und dass die streitgegenständliche Klausel nach alter Rechtslage (Geltungsbereich altes VVG) wirksam war. Jedoch erachtet die Kammer im vorliegenden Fall, der sich im Jahr 2008 und damit im Geltungszeitraum des neuen Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ereignet hat, die streitgegenständliche Klausel für unwirksam.

Nach Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich die Kammer grundsätzlich anschließt, ist der Vermieter gehalten, die Haftungsbefreiung nach dem Leitbild der Kaskoversicherung auszugestalten (vgl. BGH, NJW 1982, 1383 ff.). Zuzugeben ist, dass in der Vereinbarung, dass bei jedem Unfall die Polizei hinzuzuziehen ist - im Begriff der Kaskoversicherung umgesetzt - eine Obliegenheit des Mieters zu sehen ist. Auch nach Ansicht der Kammer fügt sich diese Obliegenheit in das Leitbild der Kaskoversicherung ein. Allerdings hat sich die Freistellungszusage auch hinsichtlich der Rechtsfolgen, am Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren (vgl. BGH, a.a.O: BGH, NJW 2009, 3229 ff., BGH, Urteil vom 2.12.2009; Az.: XII ZR 117/08).

Vor dem Hintergrund, dass sich mit Inkrafttreten des neuen VVG hinsichtlich der Rechtsfolgen Neuerungen ergeben haben, hat die Kammer erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der uneingeschränkten Versagung der individuell vereinbarten Haftungsbeschränkung. Zwar ist im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Klausel eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. Die Kammer ist der Ansicht, dass der Vermieter grundsätzlich auch bei Unfällen ohne Personenschaden ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallgeschehens hat und dabei auf die Mithilfe der Polizei angewiesen ist (vgl. BGH, Urteil vom 2.12.2009, a.a.O.). Jedoch galt nach alter Rechtslage (§ 6 VVG a.F.) eine Vorsatzvermutung, die der Versicherungsnehmer zu entkräften hatte. Eine Kausalität war bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung grundsätzlich nicht notwendig (Einschränkung nur durch die Relevanzrechtsprechung). Nach der neuen Rechtslage wird dagegen nur noch grobe Fahrlässigkeit vermutet. Zudem sieht § 28 VVG nicht per se eine vollständige Leistungsfreiheit vor. Denn auch im Falle einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung ist der Versicherer gemäß § 28 Abs. 3 VVG zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Von den Vorschriften des § 28 Abs. 1- 4 VVG darf gemäß § 32 VVG nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers abgewichen werden.

Zwar ist zuzugeben, dass die Nichthinzuziehung der Polizei in vielen Fällen vorsätzlich geschehen wird. Allerdings sind auch Konstellationen denkbar, in denen das Nichthinzuziehen nur grob fahrlässig ist. in diesem Fall kommt nach dem Leitbild der Kaskoversicherung (§ 28 Abs. 2 VVG) grundsätzlich nicht mehr eine vollständige Leistungsfreiheit in Betracht, sondern vielmehr wäre der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Derartige Rechtsfolgen sieht die Klausel jedoch nicht vor.

Die Kammer verkennt nicht, dass in Fallkonstellationen, die im Anwendungszeitraum des alten VVG stattgefunden haben, durch die höchstrichterliche Rechtsprechung vor dem Hintergrund des Leitbilds der Kaskoversicherung ausgeführt worden ist, dass es entgegen dem Wortlaut der jeweiligen Klauseln nur dann zu einem Wegfall der Haftungsreduzierung komme, wenn den Mieter ein erhebliches Verschulden treffe und der Pflichtenverstoß relevant gewesen sei.

Allerdings muss vor dem Hintergrund, dass sich die Rechtsfolgen an dem Leitbild der Kaskoversicherung zu orientieren haben, nach Ansicht der Kammer unter Berücksichtigung der Regelungen des § 28 VVG entgegen dem Wortlaut der streitgegenständlichen Klausel zu viel hinein interpretiert werden; so müsste zwischen Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sowie vollständigem Wegfall der Haftungsbeschränkung und eventuellen Kürzungen des Wegfalls der vereinbarten Haftungsfreistellung unterschieden werden. Diese Vorgehensweise widerspricht nach Ansicht der Kammer dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion. So sehen auch die Musterbedingungen der AKB 2008 (Punkt E. 6.1 und 6.2. der unverbindliche Musterbedingungen des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. - GDV in der Fassung der Bekanntgabe vom 09.07.2008) eine Unterscheidung zwischen vorsätzlicher und grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung hinsichtlich der Rechtsfolgen vor und gestatten in beiden Fällen ausdrücklich den Kausalitätsgegenbeweis.

Nach alledem hat der Kläger keinen weiteren Schadensersatzanspruch.

Die Widerklage ist dagegen begründet. Der Beklagte hat elften Anspruch auf Zahlung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten/insoweit wird auf die zutreffenden Erwägungen des amtsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Soweit die nicht nachgelassenen Schriftsätze neue Angriffs- bzw. Verteidigungsmittel enthalten, waren diese gemäß § 296 a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen; sie boten auch keinen Anlass zur Wiedereröffnung gemäß § 156 ZPO.

Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO war die Revision zuzulassen. Die Rechtssache hat im Hinblick auf die bisherigen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und die Frage der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Klauseln vor dem Hintergrund des neuen VVG grundsätzliche Bedeutung. Zudem erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.



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