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Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 27.01.2010 - 2-16 S 162/09 - Zum Gebührenansatz in der Unfallschadenregulierung

LG Frankfurt am Main v. 27.01.2010: Zum Gebührenansatz in der Unfallschadenregulierung


Das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 27.01.2010 - 2-16 S 162/09) hat entschieden:
  1. Nach § 249 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB sind vom Schädiger alle diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten in Form vorprozessualer, nicht anrechenbaren Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. An die Voraussetzungen des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Erkennt die Versicherung des Schädigers nicht sofort vorbehaltlos an und reguliert sie den Schaden nicht sofort, ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch den Geschädigten gerechtfertigt.

  2. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren wie der hier interessierenden Geschäftsgebühr i.S. der Nr. 2300 RVG VV der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, wobei die Kommentarliteratur und der BGH im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes dem Rechtsanwalt eine Toleranzgrenze von 20% zugestehen. Der Ansatz einer 1,5-Geschäftsgebühr anstelle einer angemessenen 1,3-Gebühr ist deshalb nicht zu beanstanden.

Gründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. EUR 869,00 nebst Zinsen zu.

Wegen des der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalts wird zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, wobei Folgendes zu ergänzen ist:

Die Klägerin beauftragte mit der außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche ihren hiesigen Prozessvertreter; dieser forderte mit Schreiben vom 07.11.2007 unter Schilderung des Unfallverlaufes und unter detaillierter Darlegung der beanspruchten Schadenspositionen die Beklagte zur Zahlung von EUR 15.152,40 auf. Dem Forderungsschreiben beigefügt war ferner das KFZ-Schadensgutachten, aus dem sich der Sachschaden an dem Fahrzeug der Klägerin ergab.

Die Beklagte teilte durch die Firma ... unter dem 27.11.2007 mit, dass die eigenen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien und man sich derzeit um die Polizeiakte bemühe. Zugleich forderte die Firma ... den anwaltlichen Vertreter der Klägerin auf, den Unfallverlauf schriftlich zu schildern und die polizeiliche Ermittlungsakte zu beschaffen. Schließlich bestätigte die Firma ... die Einstandspflicht dem Grunde, nicht jedoch der Höhe nach.

Mit Schreiben vom 21.04.2008 teilte der anwaltliche Vertreter der Klägerin der Firma ... mit, dass eine Ermittlungsakte nicht habe besorgt werden könne und bat erneut um Begleichung des Unfallschadens in Höhe von nunmehr EUR 14.786,70.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren Anspruch aus erster Instanz mit der Maßgabe weiter, dass sie nunmehr nicht mehr die Freistellung, sondern die Zahlung des Betrages von EUR 869,00 nebst Zinsen an sich verlangt.

Die Klägerin meint, das Amtsgericht habe verkannt, dass die Fälligkeit des Freistellungsanspruchs gegenüber einem Dritten nicht der Stellung einer Kostennote nach § 10 RVG bedürfe. Die Klägerin behauptet, sie habe am 08.10.2009 EUR 869,00 an den Rechtsanwalt ... gezahlt. Im Übrigen wiederholt und vertieft sie ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß dem Beweisbeschluss vom 13.01.2010 durch Vernehmung des Zeugen ... .


II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß erhoben.

Soweit die Klägerin in der Berufungsinstanz nunmehr nicht mehr die Freistellung von den Rechtsanwaltkosten, sondern deren Erstattung an sich begehrt, begegnet diese Umstellung des Klageantrages keinen Zulässigkeitsbedenken. Ein Fall der Klageänderung liegt nicht vor, da die Umstellung des Freistellungsbegehrens auf ein Zahlungsbegehren gemäß § 264 Nr. 3 ZPO Kraft Gesetz nicht als Klageänderung zu behandeln ist (vgl. Zöller, ZPO, 27. A., § 264 Rn. 5).

Die Berufung ist begründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. EUR 869,00 gemäß §§ 7, 17 StVG, § 249 BGB zu.

Nach § 249 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BGB sind vom Schädiger alle diejenigen adäquat verursachten Rechtsverfolgungskosten in Form vorprozessualer, nicht anrechenbaren Anwaltskosten zu ersetzen, die aus Sicht des Schadensersatzgläubigers zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH NJW 1995, 446 ff. m.w.N; ständige Rechtsprechung des BGH, vgl. BGHZ 30, 154 (157); 39, 73 (74); 127, 348; BGH NJW 1970, 1122; 1986, 2243 (2245); 2004, 444 (446); 2006, 1065; KG VRS 106 [2004] 356 (357); LG Bonn NJW 2005, 1873 (1874); Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. 2005, § 12 StVG Rz. 50 m.w.N,; Beck'scher Online-Kommentar, Bamberger/Roth, BGB, Stand 01.02.2007, § 249 Rz. 74; Palandt/Heinrichs, BGB, 69. A., § 249 Rz. 56 und insbes. 57 m.w.N.).

Stellt damit die Ersatzpflicht den gesetzlichen Regelfall dar und hat demgemäß der Schädiger grundsätzlich für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen, sind an die Voraussetzungen des materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruchs keine überzogenen Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1995, 446 (447)).

Nach der maßgeblichen Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1995, 446 ff) ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes zum Zwecke der Rechtsverfolgung damit nur dann nicht zweckmäßig, wenn die Verantwortlichkeit für den Schaden und damit die Haftung von vornherein nach Grund und Höhe derart klar ist, daß aus der Sicht des Geschädigten kein vernünftiger Zweifel daran bestehen kann, daß der Schädiger ohne weiteres seiner Ersatzpflicht nachkommen werde.

Diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Schädiger für alle durch das Schadensereignis verursachten Kosten einzustehen hat, erfährt jedoch eine maßgebliche Rückausnahme, da der BGH ausdrücklich festgestellt hat, dass auch bei einfach gelagerten Fällen die Kosten der Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes dann erstattungsfähig sind, wenn der Schädiger den Schaden nicht bereits aufgrund der ersten Anmeldung reguliert (BGH NJW 1995, 446 (447)).

Diese Maßstäbe zu Grunde gelegt, war die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes seitens der Klägerin zur außergerichtlichen Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche aus dem Unfallgeschehen vom 25.09.2007 bereits aufgrund des von der Beklagten an den Tag gelegten Regulierungsverhaltens erstattungsfähig.

Die Beklagte hat den Schaden gerade nicht bereits aufgrund der ersten Anmeldung dem Grunde und der Höhe nach anerkannt und reguliert. Zwischen dem Unfallereignis vom 25.09.2007 und der Regulierung des Schadens im Mai 2008 liegen vielmehr annähernd 7 Monate. Auf das erste anwaltliche Forderungsschreiben der Klägerin vom 07.11.2007 hin hat die Beklagte mit Schreiben vom 27.11.2007 (Blatt 41 d.A.) den Schaden nicht dem Grunde und der Höhe nach sofort und vollständig anerkannt und reguliert, sondern vielmehr im Gegenteil mitgeteilt, dass die eigenen Ermittlungen noch nicht abgeschlossen seien und die Klägerin darüber hinaus aufgefordert, die amtliche Ermittlungsakte zu beschaffen und eine schriftliche Unfallschilderung abzugeben. Ob es sich vorliegend um einen "einfachen Fall" handelt, mag somit ebenso dahinstehen wie die weitere Frage, ob die Klägerin über eine eigene Rechtsabteilung verfügt.

Der Zahlungsanspruch der Klägerin ist auch der Höhe nach begründet.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte im Rahmen der §§ 7, 17 StVG in Bezug auf den streitgegenständlichen Verkehrsunfall die volle Haftung trifft.

Soweit die Beklagte meint, die von dem Anwalt der Klägerin in Ansatz gebrachte 1,5 Geschäftsgebühr sei überhöht, dringt sie hiermit nicht durch. Nach § 14 Abs. 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren wie der hier interessierenden Geschäftsgebühr i.S. der Nr. 2300 RVG VV der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr - wie hier - von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist, wobei die Kommentarliteratur und der BGH im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes dem Rechtsanwalt eine Toleranzgrenze von 20% zugestehen (vgl. BGH NZV 2007, 181 m.w.N.).

Demnach sind die in Ansatz gebrachten EUR 849,00 als 1,5 -fache Geschäftsgebühr im Ergebnis nicht zu beanstanden, da die jedenfalls angefallenen 1,3-fache Geschäftsgebühr 756,00 EUR betrüge und die Hinzurechnung der 20 %-igen Toleranzgrenze einen noch zulässigen Gebührenbetrag von EUR 907,00 EUR ergäbe.

Schließlich steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin den Betrag von EUR 869,00 am 08.10.2009 an ihren Prozessbevollmächtigten geleistet hat, ihr mithin in dieser Höhe auch tatsächlich ein Schaden entstanden ist. Die Kammer hegt keine Zweifel an den Bekundungen des vernommenen glaubwürdigen Zeugen ... dass die Klägerin diesen Rechnungsbetrag unter dem 08.10.2009 im Wege einer Sammelüberweisung auf das Konto seiner Kanzlei überwiesen hat und legt dessen glaubhaften Angaben ihren Feststellungen uneingeschränkt zu Grunde. Der Zeuge hat seine Angaben zudem durch die Vorlage der Buchungsunterlagen und des entsprechenden Kontoauszuges untermauert und anschaulich gemacht.

Darauf, ob der Zeuge ... der Klägerin für seine außergerichtliche Tätigkeit eine den Vorgaben des § 10 RVG entsprechende Kostennote erteilt hat, kommt es in dem vorliegenden Fall, in dem die Klägerin ihre Rechtsanwaltskosten als materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen einen Dritten geltend macht, ebenfalls nicht an. Der Dritte kann sich in diesem Falle nicht darauf berufen, dass der Rechtsanwalt gegenüber dem Mandanten noch keine Kostennote i.S.d. § 10 RVG gestellt hat (vgl. Anwaltskommentar RVG, 4. A., § 10 Rn. 11 und 104; Mayer/Kroiß, RVG, 4. A., § 10 Rn. 7; Mathias, RVG, 3. A., § 10 Rn. 10 m.w.N., u.a. auf OLG München ZfSch 2007), da § 10 RVG nur das Verhältnis des Mandanten zum Rechtsanwalt betrifft.

Die ausgeurteilten Zinsen stehen der Klägerin gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache gegeben ist noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich ist, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.



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