Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 25.02.1998 - 2 Ss 353/97 - Zu den Anforderungen an eine Geschwindigkeitsfeststellung durch Tachovergleich

KG Berlin v. 25.02.1998: Zu den Anforderungen an eine Geschwindigkeitsfeststellung durch Tachovergleich - Nachfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 25.02.1998 - 2 Ss 353/97) hat entschieden:
Bei einer von dem Tachometer des Polizeifahrzeugs abgelesen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich einen Höchstabstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem verfolgten Fahrzeug von 100 Metern und eine Mindestmessstrecke von 500 Metern. Feste Messpunkte sind bei dieser Messmethode nicht erforderlich. Für etwaige Messungenauigkeiten, auch im Hinblick auf die Abstandsschätzung, sowie für die fehlende Eichung des Tachometers des Polizeifahrzeugs genügt der hier berücksichtigte Toleranzwert von 20%.


Siehe auch Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren


Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 2 Nr. 7 (Zeichen 274), 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 650,00 DM verurteilt und gegen ihn ein zweimonatiges Fahrverbot angeordnet. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG zulässig; sie hat jedoch keinen Erfolg.

1. Die Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch, die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer Strecke von etwa einem Kilometer vorsätzlich um 46 km/h und sie auf etwa 600 Metern dieser Strecke fahrlässig um weitere 20 km/h überschritten zu haben.

Die Urteilsgründe weisen aus, dass sich das Amtsgericht an die in der obergerichtliche Rechtsprechung für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit Tachometervergleich entwickelten Grundsätze gehalten hat. Bei der von dem Tachometer des Polizeifahrzeugs abgelesen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich einen Höchstabstand zwischen dem Polizeifahrzeug und dem verfolgten Fahrzeug von 100 Metern und eine Mindestmessstrecke von 500 Metern (OLG Düsseldorf VRS 74, 289, 290; OLG Köln VRS 70, 38, 39; OLG Braunschweig DAR 1989, 110; Senatsbeschluss vom 3. Februar 1997 - 3 Ws (B) 643/96 -). Diese Richtwerte hat der Tatrichter hier beachtet. Für die gemessene Geschwindigkeit von 120 km/h waren die Messstrecke von etwa einem Kilometer genügend lang und der Abstand von 50 bis 70 Metern günstig. Feste Messpunkte sind bei dieser Messmethode nicht erforderlich. Für etwaige Messungenauigkeiten, auch im Hinblick auf die Abstandsschätzung, sowie für die fehlende Eichung des Tachometers des Polizeifahrzeugs genügt der hier berücksichtigte Toleranzwert von 20%.

Der Grundsatz in dubio pro reo ist nicht verletzt. Er bezieht sich auf den Fall der Unmöglichkeit, bestimmte Feststellungen treffen zu können (vgl. BGHSt 19, 33, 36), nicht jedoch darauf, dass das Gericht Zweifel hätte haben müssen (vgl. BGH GA 1970, 86).

Die Urteilsfeststellungen weisen aus, dass der Betroffene bei dem Befahren der Messstrecke nicht nur auf einer Länge von 400 Metern die innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit (von offensichtlich 50 km/h) um 46 km/h überschritten, sondern diese überhöhte Geschwindigkeit auch auf dem weiteren Teilstück der Messstrecke von etwa 600 Metern unverändert beibehalten hat. Angesichts der Höhe dieser Überschreitung um fast 100% bedarf es keiner weiteren Erörterung, dass der Tatrichter insoweit zu Recht von einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung ausgegangen ist.

Für die Feststellung, der Betroffene habe gewusst oder zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass auf der zuvor erwähnten Teilstrecke von 600 Metern die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h herabgesetzt war, genügt die Feststellung, dass deutlich sichtbare Verkehrsschilder vorhanden gewesen seien, nicht. Denn diese Tatsache allein schließt nicht ohne weiteres aus, dass der Betroffene diese Schilder übersehen hat, zumal nähere Feststellungen über deren Anzahl und jeweiligen Sichtbarkeit fehlen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. November 1996 - 3 Ws (B) 554/96 -). Insoweit kann dem Betroffenen lediglich Fahrlässigkeit angelastet werden.

2. Der Rechtsfolgenausspruch weist deshalb einen Rechtsfehler auf.

Bei der Bemessung der Geldbuße hat der Tatrichter zu Unrecht darauf abgestellt, der Betroffene habe bewusst und gewollt die auf der zuvor erwähnten Teilstrecke von 600 Metern zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um das dreifache überschritten.

Dieser Fehler nötigt nicht, die Sache zu neuer Entscheidung über den Rechtsfolgenausspruch an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Auf der Grundlage der von dem Tatrichter getroffenen Feststellungen kann der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG über den Rechtsfolgenausspruch selbst entscheiden.

Der Senat hält ein Bußgeld von 650,00 DM für erforderlich. Die Regelbuße von 450,00 DM (lfd. Nr. 5.3 BKat i.Vb.m. Tabelle la lfd. Nr. 5.3.6) berücksichtigt nicht die Vorbelastungen des Betroffenen. Gegen ihn sind bereits mit Bußgeldbescheiden vom 16. März 1994 - rechtskräftig seit dem 14. April 1994 - und vom 28. Juli 1995 - rechtskräftig seit dem 17. August 1995 - wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen Geldbußen von 200,- bzw. 120,00 DM festgesetzt worden. Diese Vorbelastungen sind verwertbar, denn die Tilgungsfrist ist nicht abgelaufen. Hinzu kommt die besondere Höhe der zuvor erwähnten vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h. Andererseits gebieten die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen keine andere Entscheidung.

Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Regelfahrverbots von zwei Monaten (§ 2 1 Nr. 1 BKatV i.Vb.m. lfd. Nr. 5.3, Tabelle 1 a lfd. Nr. 5.3.6 BKat) liegen vor. Die Anwendung der Regelbeispieltechnik und die darin enthaltene normative Vorbewertung als grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrers ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG NZV 1996, 284). Von einem Regelfahrverbot kann nur dann abgewichen werden, wenn der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass der Einzelfall als Ausnahmefall zu werten ist (vgl. BayObLG VM 1994, 92). Einen solchen Sachverhalt weisen die Urteilsfeststellungen nicht aus. Hier kommt hinzu, dass gegen den Betroffenen durch den zuvor erwähnten Bußgeldbescheid vom 16. März 1994 schon ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet worden war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO



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