Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Beschluss vom 29.03.2011 - 7 L 271/11 - Zum Entzug der Fahrerlaubnis beim Erreichen von 18 Punkten

VG Gelsenkirchen v. 29.03.2011: Zum Entzug der Fahrerlaubnis beim Erreichen von 18 Punkten


Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Beschluss vom 29.03.2011 - 7 L 271/11) hat entschieden:
Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG derjenige als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt, für den sich im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte ergeben; in diesem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass ihr ein Ermessensspielraum eingeräumt wäre. Da die Gefahren, die mit der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zwangsläufig verbunden sind, umso größer sind, je mehr ein Kraftfahrer fährt, müssen gerade vielfahrende Berufskraftfahrer - auch wenn sie unter dem vom Antragssteller geschilderten Zeitdruck stehen - die Verkehrsregeln strikt einhalten, um die von ihrer Verkehrsteilnahme ausgehenden Risiken zu minimieren.


Siehe auch Punktsystem und Fahrerlaubnis-Themen

Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbeschadet der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse des Antragstellers abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, wie sich aus Nachstehendem ergibt, keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg bietet, § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

Der sinngemäß gestellte Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 1143/11 des Antragstellers gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 8. März 2011 anzuordnen,
ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Das öffentliche Interesse an der in § 4 Abs. 7 Satz 2 des Straßenverkehrsgesetzes - StVG - gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehungsverfügung überwiegt gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers an einem Vollstreckungsaufschub, weil die Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit großer Wahrscheinlichkeit rechtmäßig ist. Zur Begründung verweist die Kammer zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung, denen sie folgt (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).

Im Hinblick auf die Klage- und Antragsbegründung ist hinzuzufügen, dass gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG derjenige als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen gilt, für den sich im Verkehrszentralregister 18 oder mehr Punkte ergeben; in diesem Fall hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass ihr ein Ermessensspielraum eingeräumt wäre. Insbesondere ist nach den maßgeblichen Vorschriften ohne Belang, ob diese Fahrten privat oder beruflich veranlasst sind und welche Strecken ein Fahrerlaubnisinhaber in einer bestimmten Zeit zurücklegt. Da die Gefahren, die mit der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr zwangsläufig verbunden sind, umso größer sind, je mehr ein Kraftfahrer fährt, müssen gerade vielfahrende Berufskraftfahrer - auch wenn sie unter dem vom Antragssteller geschilderten Zeitdruck stehen - die Verkehrsregeln strikt einhalten, um die von ihrer Verkehrsteilnahme ausgehenden Risiken zu minimieren. Deshalb hat der Gesetzgeber aus guten Gründen und in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise im Rahmen der Punkteregelung nicht auf die Fahrleistung der Betroffenen abgestellt. Weil es sich bei der Entziehung der Fahrerlaubnis um eine gebundene Entscheidung handelt, ist es darüber hinaus weder dem Antragsgegner noch dem Gericht möglich, etwaige berufliche oder sonstige Schwierigkeiten des Antragstellers, die sich aus dem Verlust der Fahrerlaubnis ergeben, zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt darin nicht.

Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG ist die Fahrerlaubnisbehörde an die rechtskräftigen Entscheidungen über Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gebunden. Daher sind die ohnehin nur pauschal erhobenen Einwände des Antragstellers gegen die Bußgeldbescheide rechtlich unerheblich. Hiervon ausgehend ist der Antragsteller mit 18 Punkten im Verkehrszentralregister eingetragen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Bei der Verwarnung vom 22. Januar 2007 hatte der Antragsteller fünf Verkehrsverstöße begangen. Diese schlugen mit insgesamt neun Punkten zu Buche, so dass die Verwarnung gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG zu Recht erfolgt ist. Als der Antragsgegner den Antragsteller mit Verfügung vom 25. März 2009 gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG aufforderte, an einem Aufbauseminar teilzunehmen, hatte dieser drei weitere mit insgesamt fünf Punkten bewertete Verkehrsverstöße begangen, nämlich am 9. Oktober 2007, 7. Mai 2008 und 7. November 2008. Daher hatte er nunmehr 14 Punkte, so dass die Aufforderung ebenfalls rechtmäßig war.

Dem Antragsteller können für die Teilnahme an dem Aufbauseminar keine Punkte abgezogen werden. Einen Rabatt für die Teilnahme an einem solchen Seminar erhält gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 StVG nur, wer bei der Teilnahme noch keine 14 Punkte erreicht hatte. Bei Abschluss des Aufbauseminars am 28. April 2009 hatte der Antragsteller wie dargestellt Verkehrsverstöße begangen, die zusammen bereits 14 Punkte ergaben.

Auch die erneute Verwarnung vom 9. März 2010 - die erneute Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar kam nicht in Betracht, da der Antragsteller in den letzten fünf Jahren bereits an einem solchen Seminar teilgenommen hatte - erfolgte gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG zu Recht. Denn die Fahrerlaubnisbehörde hat die in dieser Vorschrift vorgesehenen Maßnahmen nicht nur bei einem erstmaligen Erreichen oder Überschreiten von 14 Punkten zu ergreifen, sondern auch dann, wenn sich der Punktestand in der Folgezeit etwa auf Grund der Tilgung von Eintragungen auf unter 14 Punkten reduziert und sich nach der Reduzierung bei dem Betroffenen erneut 14 Punkte ergeben.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG -, Beschlüsse vom 27. Dezember 2005 - 16 B 1430/05 - und vom 21. März 2003 - 19 B 337/03 -.
Das war vorliegend der Fall. Das Punktekonto des Antragstellers ist nach Eintritt der Tilgungsreife der Eintragung aus dem Jahr 2004 (1 Punkt) auf unter 14 Punkte gesunken. Die Tilgungsreife der vorgenannten Eintragung trat gemäß § 29 Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 4 Nr. 3 StVG am 15. September 2009 ein, so dass das Punktekonto nach Reduzierung des Punktestandes um den getilgten Punkt insgesamt 13 Punkte aufwies. Da der Antragsteller am 15. Dezember 2009 einen weiteren Verkehrsverstoß (1 Punkt) begangen hat, stieg sein Punktekonto wieder auf 14 Punkte an, so dass die in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG vorgesehene Maßnahme ein zweites Mal zu ergreifen war.

Am 26. April 2010 hat der Antragsteller einen weiteren Verkehrsverstoß (3 Punkte) begangen, so dass er einen Punktestand von insgesamt 17 Punkten aufwies. Nach Eintritt der Tilgungsreife der beiden Eintragungen aus dem Jahr 2005 (jeweils 1 Punkt) reduzierte sich das Punktekonto des Antragstellers sodann auf 15 Punkte. Die Tilgungsreife dieser Eintragungen trat nach den genannten Vorschriften am 18. August 2009 bzw. am 23. September 2009 ein. Da das Punktekonto des Antragstellers auch mit Eintritt der Tilgungsreife dieser beiden Eintragungen nicht auf unter 14 Punkte gesunken ist, bedurfte es insoweit keiner erneuten Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG.

Da der Antragsteller am 21. Oktober 2010 wiederum einen Verkehrsverstoß begangen hat, entspricht die Entziehung mit nunmehr 18 Punkten der Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG. Hieran ändert auch sein Vorbringen nichts, die Verkehrsverstöße vom 23. Januar 2006 und 11. Mai 2006 lägen lange zurück bzw. seinen ebenfalls tilgungsreif. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entziehungsverfügung vom 8. März 2011 lag eine Tilgungsreife hinsichtlich der in Rede stehenden Eintragungen noch nicht vor. Diese tritt gemäß § 29 Abs. 6 Satz 3 i. V. m. Abs. 4 Nr. 3 StVG vielmehr erst am 4. April 2011 bzw. am 12. Oktober 2011 ein, so dass die Eintragungen weiterhin zu berücksichtigen sind. Später eintretende Tilgungen wären rechtlich ohnehin ohne Bedeutung.
Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. September 2008 - 3 C 21/07 -; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. Dezember 2010 - 10 S 2053/10 -.
Da die Fahrerlaubnis, wie eingangs erwähnt, bei einem Stand von 18 Punkten zwingend zu entziehen ist, kommt die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung anstelle der Entziehung entgegen dem Vorbringen des Antragstellers nicht in Betracht.

Angesichts der Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch die Zwangsgeldandrohung nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und entspricht der aktuellen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen bei Streitigkeiten um eine Fahrerlaubnis in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren eines Berufskraftfahrers, vgl. Beschluss vom 4. Mai 2009 - 16 E 550/09 -, nrwe.de.