Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BGH Beschluss vom 21.12.2010 - VI ZB 28/10 - Zu den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur

BGH v. 21.12.2010: Zu den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur bei der elektronischen Übermittlung einer Berufungsbegründung


Der BGH (Beschluss vom 21.12.2010 - VI ZB 28/10) hat entschieden:
Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung muss die qualifizierte elektronische Signatur grundsätzlich durch einen zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt erfolgen. Dieses Formerfordernis ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn die Signatur von einem Dritten unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts vorgenommen wird, ohne dass dieser den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu eigen gemacht hat.


Siehe auch Textform und Schriftform und Elektronische Signatur


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Beleidigung auf Unterlassung und Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2009 abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 7. Januar 2010 zugestellt worden. Mit einem im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten anwaltlichen Schriftsatz vom 14. Januar 2010 hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Rechtsmittelschrift war mit elektronischer Signatur versehen. Am 8. März 2010, einem Montag, ist beim Landgericht eine ebenfalls im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte Berufungsbegründung eingegangen, die den Vermerk "Elektronisch signiert" trägt. Das vom Landgericht über den Empfang dieses Schriftsatzes erstellte Protokoll enthält unter der Rubrik "Signatur vorhanden und zentral geprüft - Ergebnis:" den Eintrag: "Fehler". Nach gerichtlichem Hinweis vom 17. März 2010 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22. März 2010 eine gleichlautende, von Rechtsanwalt M. unterzeichnete Berufungsbegründung per Fax übermittelt. Mit gerichtlicher Verfügung vom 7. April 2010 sind die Prozessbevollmächtigten des Klägers darauf hingewiesen worden, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, weil der im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Berufungsbegründung offenbar die Signatur des Absenders gefehlt habe. Daraufhin teilten die Klägervertreter unter Beifügung einer eidesstattlichen Versicherung der bei ihnen angestellten Rechtsanwaltsgehilfin L. mit, diese habe am 8. März 2010 die Berufungsbegründung nach Diktat von Rechtsanwalt M. geschrieben. Der Text sei zunächst als RTF-Datei gespeichert und danach in eine PDF-Datei umgewandelt und abgespeichert worden. Diese Datei habe Frau L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. elektronisch signiert und am selben Tag gegen 14:18 Uhr an den elektronischen Briefkasten des Landgerichts übermittelt. Es sei technisch ausgeschlossen, dass eine nicht signierte Datei übermittelt worden sei, denn das Signaturprogramm habe die erfolgreiche Signatur mit der Meldung "pk7" bestätigt. Bei den Klägervertretern sei auch eine Eingangsbestätigung des Landgerichts eingegangen, die sie im Falle der Übermittlung eines nicht signierten Schriftsatzes nicht erhalten hätten. Vorsorglich hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er ausgeführt, dass, wenn seine Prozessbevollmächtigten die Eingangsbestätigung nicht erhalten hätten oder ihnen mitgeteilt worden wäre, dass eine unsignierte Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen sei, sie am Tag des Fristablaufs entweder die Übersendung der signierten Berufungsbegründung hätten nachholen oder den Schriftsatz sicherheitshalber per Fax oder im Original hätten nachreichen können.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es könne dahinstehen, ob die elektronisch übermittelte Berufungsbegründung signiert gewesen sei. Aus dem Schriftsatz der Klägervertreter und der eidesstattlichen Versicherung ihrer Angestellten L. ergebe sich, dass eine eventuelle Signatur nicht ordnungsgemäß erfolgt sei, da Rechtsanwalt M. den von Frau L. nach Diktat geschriebenen Schriftsatz nicht mehr gesehen bzw. gelesen und deshalb dessen Inhalt auch nicht mehr kontrolliert habe. Daher habe er auch nicht die Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes übernommen. Zudem fehle es auch deshalb an der Unterzeichnung durch einen Rechtsanwalt, weil die Signatur nicht von den Prozessbevollmächtigten, sondern von Frau L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. vorgenommen worden sei. Die Berufung sei unzulässig, weil die per Fax eingereichte und anwaltlich unterzeichnete Berufungsbegründung erst nach Fristablauf bei Gericht eingegangen sei. Bei dieser Sachlage komme eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch zulässig, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO).

2. Die Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der Kläger hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Die Fristversäumung beruht auf einem Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten, welches er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

a) Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Auffassung des Berufungsgerichts, dass im elektronischen Rechtsverkehr bestimmende Schriftsätze von der verantwortenden Person mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - VII ZB 112/08, BGHZ 184, 75 Rn. 15).

b) Soweit sich die Rechtsbeschwerde dagegen wendet, dass das Berufungsgericht die gegebenenfalls erfolgte Signatur als nicht ordnungsgemäß bewertet hat, hat sie keinen Erfolg.

aa) Nach § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO hat die das Dokument zu verantwortende Person die elektronische Signatur vorzunehmen. Daran fehlt es hier, weil die Signatur gegebenenfalls nicht von einem der Prozessbevollmächtigten des Klägers, sondern von der Rechtsanwaltsgehilfin L. unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts M. vorgenommen worden ist. Wird die Berufungsbegründung im Original oder per Fax eingereicht, muss sie als bestimmender Schriftsatz nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich von einem zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, NJW 2005, 2709; Versäumnisurteil vom 20. Juli 2010 - KZR 9/09, NJW 2010, 3661 Rn. 11 m.w.N.). Als Ersatz für die bei elektronischer Übermittlung technisch nicht mögliche Unterzeichnung erlaubt § 130a Abs. 1 Satz 2 ZPO die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur. Diese muss, um einer eigenhändigen Unterzeichnung gleichwertig zu sein, von demjenigen vorgenommen werden, dessen Unterschrift dem Formerfordernis genügen würde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. September 2010 - 7 B 15/10, juris Rn. 24). Bei einer elektronisch übermittelten Berufungsbegründung muss die qualifizierte elektronische Signatur deshalb grundsätzlich durch einen zur Vertretung bei dem Berufungsgericht berechtigten Rechtsanwalt erfolgen. Dieses Formerfordernis ist jedenfalls dann nicht gewahrt, wenn die Signatur von einem Dritten unter Verwendung der Signaturkarte des Rechtsanwalts vorgenommen wird, ohne dass dieser den Inhalt des betreffenden Schriftsatzes geprüft und sich zu eigen gemacht hat.

bb) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wäre die von der Rechtsanwaltsgehilfin L. gegebenenfalls vorgenommene Signatur auch nicht nach den für Blanko-Unterschriften geltenden Grundsätzen als formgerecht zu bewerten. Ein mittels Blanko-Unterschrift des Rechtsanwalts weisungsgemäß erstellter bestimmender Schriftsatz erfüllt die gesetzlichen Formerfordernisse nur, wenn der Anwalt den Inhalt des Schriftsatzes so genau festgelegt hat, dass er dessen eigenverantwortliche Prüfung bestätigen kann. Das kann im Einzelfall bei einem weitgehend formalisierten Text der Fall sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Dezember 1965 - VIII ZB 33/65, VersR 1966, 168 und vom 23. Juni 2005 - V ZB 45/04, aaO S. 2710), scheidet jedoch bei Rechtsmittelbegründungen regelmäßig aus, weil der Anwalt die ihm obliegende eigenverantwortliche Prüfung hier nur bestätigen kann, wenn er den Text im Einzelnen kennt (vgl. BAG NJW 1983, 1447). Dazu reicht das Diktat des Schriftsatzes grundsätzlich nicht aus. Da Übertragungsfehler nicht ausgeschlossen werden können, muss der Rechtsanwalt jedenfalls den Text längerer Schriftsätze nach deren Ausdruck prüfen. Nach diesen Grundsätzen wäre vorliegend die gesetzlich vorgeschriebene Unterzeichnung der mehrseitigen Berufungsbegründungsschrift im Falle einer Blanko-Unterschrift nicht gewahrt. Entsprechendes gilt für eine elektronische Signatur.

c) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann die Frage, ob die in elektronischer Form übermittelte Berufungsbegründungsschrift mit einer Signatur versehen war, dahinstehen. Das Vorbringen des Klägers dazu, dass seine Prozessbevollmächtigten angesichts der ihnen zugegangenen Eingangsbestätigung auf die erfolgreiche Signatur des Schriftsatzes vertraut hätten, vermag die vorsorglich begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis nämlich nicht zu rechtfertigen. Der Kläger hat nicht hinreichend vorgetragen, dass, wenn seine Prozessbevollmächtigten die Eingangsbestätigung nicht erhalten hätten oder ihnen mitgeteilt worden wäre, dass eine unsignierte Berufungsbegründung bei Gericht eingegangen sei, eine unterzeichnete oder ordnungsgemäß elektronisch signierte Berufungsbegründung rechtzeitig beim Landgericht eingegangen wäre. Nach seinem Vorbringen ist nicht auszuschließen, dass Frau L. am selben Tag nochmals eine elektronische Übermittlung versucht und diese Erfolg gehabt hätte. Damit wäre aber wiederum die vorgeschriebene Form nicht gewahrt worden, weil es dafür an der erforderlichen ordnungsgemäßen, nämlich von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt vorgenommenen Signatur fehlte. Dass auch die Möglichkeit bestanden hätte, den Schriftsatz rechtzeitig im Original einzureichen oder per Fax zu übermitteln, besagt nicht, dass dieser Weg - statt einer nochmaligen elektronischen Übermittlung - beschritten worden wäre.

Dass die Rechtsanwaltsgehilfin L. die elektronische Signatur weisungswidrig selbst vorgenommen habe, macht der Kläger nicht geltend. Mithin ist insoweit von einem anwaltlichen Organisationsfehler auszugehen. Diesen muss sich der Kläger als eigenes Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.