Das Verkehrslexikon

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OVG Münster Beschluss vom 11.09.2012 - 16 B 944/12 - Zur Begründung des Sofortvollzugs bei Kokainkonsum

OVG Münster v. 11.09.2012: Zur Begründung des Sofortvollzugs bei Kokainkonsum


Das OVG Münster (Beschluss vom 11.09.2012 - 16 B 944/12) hat entschieden:
Die zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs gewählte Begründung mit der Gefährdung durch Rauschfahrten bei Kokainkonsum stellt keine unzulässige Verallgemeinerung dar.


Gründe:

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Die gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die dargelegten Gründe beschränkte Überprüfung des angefochtenen Beschlusses führt zu keiner für ihn günstigeren Entscheidung.

Der Einwand des Antragstellers, die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 21. Juni 2012 sei entgegen § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO unzureichend begründet worden, dringt nicht durch. Die Beschwerde macht insoweit geltend, die Begründung passe nicht zu dem für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakt. Der Antragsgegner begründe die sofortige Vollziehung mit der Gefährdung durch Rauschfahrten. Das sei zu allgemein gehalten. Es müsse unterschieden werden zwischen der Gefährdung durch Rauschfahrten und der Rückfallgefahr bei der nur einmaligen Einnahme von harten Drogen. Dem ist nicht zu folgen. Die Beschwerde übergeht, dass nach inzwischen einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung im Regelfall bereits der einmalige Konsum von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) die Kraftfahreignung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV i. V. m. Nr. 9.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung entfallen lässt. Diese Sichtweise findet ihre Berechtigung nicht zuletzt in dem hohen Missbrauchspotenzial sog. harter Drogen, das bis zum Nachweis einer verlässlichen Abkehr vom Konsum eine hinreichende abstrakte Gefahr von Fahrten unter dem Einfluss derartiger Substanzen begründet.
Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 6. August 2012 - 16 B 856/12 -, mit weiteren Nachweisen.
Ausgehend davon stellt die vom Antragsgegner zur Rechtfertigung des Sofortvollzugs gewählte Begründung keine unzulässige Verallgemeinerung dar. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Einnahme harter Drogen eine typische Gefahrenlage beinhaltet, die in gleicher oder ähnlicher Weise in einer Vielzahl von Fällen vorkommt, sodass eine gewisse Formelhaftigkeit der Begründung im Ergebnis ohnehin unvermeidlich ist.

In der Sache rügt die Beschwerde erfolglos, dass das Verwaltungsgericht von einem Kokainkonsum des Antragstellers ausgegangen sei. Nach dem toxikologischen Befund des Instituts für Rechtsmedizin - Universitätsmedizin Mainz - vom 19. März 2012 hat die Analyse der dem Antragsteller entnommenen Blutprobe eine Konzentration des Kokain-Abbauprodukts Benzoylecgonin von 11 ng/ml Serum ergeben. Damit steht mit einer für den Entzug der Fahrerlaubnis hinreichenden Sicherheit fest, dass der Antragsteller im Vorfeld der Blutentnahme Kokain zu sich genommen hat. Konkrete Anhaltspunkte für eine methodische und/oder quantitative Fehlerhaftigkeit der Messung sind bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Auch die Beschwerde kann solche nicht benennen, sondern bezweifelt lediglich in abstrakter Form die Validität des Analyseergebnisses. Das verfängt nicht. Es unterliegt namentlich keinen ernsthaften Bedenken, dass die fragliche toxikologische Untersuchung den einschlägigen Richtlinien der Gesellschaft für toxikologische und chemische Chemie (GTFCh) entsprechend durchgeführt worden ist und daher den dort definierten Qualitätskriterien genügt. Wie sich dem Befundbericht vom 19. März 2012 entnehmen lässt, ist das Institut für Rechtsmedizin nach DIN EN ISO/IEC 17025 ("Allgemeine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien") akkreditiert. Die Akkreditierung gilt ausweislich der Anlage zur Akkreditierungsurkunde D-PL-13258-01-00 (nachlesbar unter http://www. dakks.de/as/ast/d/D-PL-13258-01-00.pdf) u. a. für das Prüfgebiet "Forensische Toxikologie, inkl. Fahreignungsdiagnostik" und das vorliegend angewendete Prüfverfahren "Flüssigkeitschromatographie (HPLC, LC/MS)". Der verantwortliche Gutachter Dr. rer. nat S. verfügt zudem über die notwendige forensisch- toxikologische Erfahrung, die durch seine Anerkennung als "Forensischer Toxikologe GTFCh" nachgewiesen ist.
Vgl. allgemein zu den Anforderungen an die Qualitätssicherung chemisch-toxikologischer Untersuchungen Mußhoff/Madea, Chemisch- toxikologische Analysen auf berauschende Mittel im Rahmen der Fahreignungsdiagnostik, NZV 2008, 485, 489 ff.
Die vorgenommene Koppelung des Massenspektrometrie mit einer Flüssigkeitschromatographie entspricht dem gegenwärtigen Stand der Technik und gehört in der forensischen Toxikologie derzeit zu den chromatographisch- spektrometrischen Methodenkombinationen der Wahl, die einen forensisch gesicherten Substanznachweis gewährleisten, der allein mit immunologischen Messverfahren nicht möglich ist.
Vgl. Mußhoff/Madea, a. a. O., S. 490; Möller, in: Hettenbach/Kalus/Möller/Uhle, Drogen im Straßenverkehr, 2. Aufl. 2010, § 3 Rdnr. 162, 164.
Die gemessene Benzoylecgonin-Konzentration von 11 ng/ml Serum übersteigt schließlich deutlich die Nachweisgrenze (nach DIN 32645) des hier zum Nachweis von Benzoylecgonin im Serum angewendeten Analyseverfahrens, sodass auch von einem qualitativen Substanznachweis ausgegangen werden muss. Das Institut für Rechtsmedizin hat auf Nachfrage des Senats unter dem 21. August 2012 mitgeteilt, die im Rahmen der Validierung der LC-MS/MS-Methode über das Signal-Rausch- Verhältnis ermittelte physikalische Nachweisgrenze liege bei 2,5 ng/ml Serum. Der Senat sieht keinerlei Grund, die Richtigkeit dieser auch von der Beschwerde nicht angegriffenen Angabe in Frage zu stellen.

Zu der von der Beschwerde im Übrigen für erforderlich gehaltenen Einholung eines DNA-Tests bestand keine erkennbare Veranlassung. Ein solches Vorgehen erscheint nur dann geboten, wenn begründete Anhaltspunkte für eine Verwechselung des Probenmaterials vorliegen. Das ist nicht der Fall, zumal die in dem Einsatzbericht der Polizei vom 23. Januar 2012 genannte Venülennummer, unter der die Blutprobe des Antragstellers registriert worden ist, mit der im toxikologischen Befundbericht wiedergegebenen offensichtlich übereinstimmt.

Weckt demnach das Beschwerdevorbringen keine durchgreifenden Zweifel an einem Kokainkonsum des Antragstellers und - daraus folgend - der Rechtmäßigkeit der in der Hauptsache streitigen Entziehungsverfügung, begegnet auch die vom Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage getroffene Interessenabwägung keinen Bedenken. In aller Regel trägt allein die voraussichtliche Rechtmäßigkeit einer auf den Verlust der Kraftfahreignung gestützten Ordnungsverfügung die Aufrechterhaltung des Sofortvollzugs. Zwar kann die Fahrerlaubnisentziehung die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers und seiner Familie gravierend beeinflussen. Derartige Folgen, die bis zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage reichen können, muss der Betroffene jedoch angesichts des von fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern ausgehenden besonderen Risikos für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs und des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbaren Auftrags zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben hinnehmen.
Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Juni 2002 - 1 BvR 2062/96 -, juris, Rdnr. 50 f. (= NJW 2002, 2378), und Beschluss vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, juris, Rdnr. 4 (= NJW 2001, 357).
Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist daher auch in diesen Fällen regelmäßig nur unter der Voraussetzung gerechtfertigt, dass der betroffene Fahrerlaubnisinhaber die Fahreignung zum Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückerlangt hat, was hier aber nicht ansatzweise feststellbar ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).