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BGH Urteil vom 12.07.2012 - IX ZR 96/10 - Zur Sekundärhaftung des Rechtsanwalts wegen Unterlassener Anordnung einer Wiedervorlage

Zur Sekundärhaftung des Rechtsanwalts bei Verjährungseintritt wegen Unterlassener Anordnung einer Wiedervorlage


Der BGH (Urteil vom 12.07.2012 - IX ZR 96/10) hat entschieden:
Die unterlassene Anordnung einer routinemäßigen Wiedervorlage einer Mandantenakte stellt keinen Anlass dar, der die Sekundärhaftung nach altem Verjährungsrecht auszulösen vermag.


Tatbestand:

Der am 1. August 1958 geborene Kläger erlitt am 8. Februar 1989 mit seinem PKW einen Verkehrsunfall, als auf sein Fahrzeug ein Kühlzug auffuhr. Hierdurch zog er sich schwerste Brandverletzungen zu; seine mitfahrende Tochter verstarb an den Unfallfolgen. Der Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers erkannte gegenüber dem Kläger seine Einstandsverpflichtung in vollem Umfang an. Am 18. März 1991 schloss der Kläger unter Mitwirkung seines damaligen Rechtsanwalts Dr. W. mit dem Versicherer einen Teilvergleich, wonach zur Abgeltung aller materiellen Schäden bis zum 31. Dezember 1992 eine Teilabfindung in Höhe von 480.000 DM gezahlt werden sollte. Der Versicherer zahlte an den Kläger die Vergleichssumme und weitere Abschläge bis Juni 1995 für zusätzliche materielle Ansprüche des Klägers. Im Juli 2000 beauftragte der Kläger den beklagten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen. Der Haftpflichtversicherer berief sich nunmehr auf Verjährung. Der Kläger ist ausweislich des Rentenbescheids vom 17. August 2005 seit dem 1. Juni 2004 unfallbedingt wegen voller Erwerbsminderung nicht erwerbsfähig. Mit Klageschrift vom 30. Dezember 2005 nahm der Kläger den Versicherer auf Zahlung von Verdienstausfallschaden sowie Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht in Anspruch. Gleichzeitig verkündete er dem Beklagten den Streit; die Streitverkündungsschrift wurde diesem Anfang Februar 2006 zugestellt. Im Rahmen des gegen den Haftpflichtversicherer angestrengten Verfahrens schloss der Kläger mit dem Versicherer, der die Einrede der Verjährung aufrechterhielt, einen weiteren Abgeltungsvergleich in Höhe von 65.000 €.

Der Kläger nimmt nunmehr den Beklagten auf Ersatz des über die Vergleichssumme hinausgehenden Schadens in Anspruch. Er macht geltend, der Beklagte hätte sowohl die Ansprüche gegen den Versicherer weiterverfolgen und sichern sowie für den Fall der Verjährung Schadensersatzansprüche gegen den früheren Anwalt Dr. W. geltend machen müssen. Diesem sei anzulasten, dass er bei Abschluss des Abfindungsvergleichs und später nicht dafür gesorgt habe, die zukünftigen Ansprüche des Klägers zu sichern.

Das Landgericht hat der (Zahlungs- und Feststellung-)Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klagabweisungsantrag weiter.


Entscheidungsgründe:

Die Revision des Beklagten hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen den beklagten Rechtsanwalt ein Schadensersatzanspruch wegen Unterlassung der rechtzeitigen Einleitung verjährungshemmender Maßnahmen gegen den früheren Bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. W. zu. Der Beklagte habe pflichtwidrig die tatsächlich geltende Verjährungsfrist hinsichtlich der Ansprüche gegen den Versicherer nicht neu geprüft und die dem Kläger gegen Dr. W. zustehenden Ersatzansprüche nicht gesichert. Diese Ersatzansprüche seien zum Zeitpunkt der Begründung des Anwaltsmandats mit dem Beklagten noch nicht verjährt gewesen. Das mit Dr. W. bestehende Mandatsverhältnis sei jedenfalls im Jahre 1998 noch nicht beendet gewesen. Der Aussage des Zeugen Dr. W. vor dem Landgericht sei zu entnehmen, dass er selbst 1992/93 davon ausgegangen sei, er werde weiterhin im Sinne eines "Dauermandats" für den Kläger tätig sein. Auch aus der Aussage der als Zeugin gehörten Ehefrau des Klägers seien keine Umstände dafür zu entnehmen, dass das Mandat bereits im Jahre 1998 beendet gewesen sei. Der durch Dr. W. verursachte Schaden des Klägers sei mit Eintritt der Verjährung von dessen Ansprüchen gegen den Haftpflichtversicherer im Juni 1998 entstanden. Gemäß § 51b Satz 1 BRAO seien die Ersatzansprüche des Klägers gegen Dr. W. im Juni 2001 verjährt. Dies hätte der Beklagte durch Erhebung einer rechtzeitigen Feststellungsklage verhindern können und müssen.

Der Beklagte selbst könne sich hingegen nicht auf Verjährung berufen. Zwar sei die Verjährung des gegen ihn gerichteten Primäranspruchs drei Jahre nach Schadenseintritt, mithin drei Jahre nach Verjährung der gegen Dr. W. bestehenden Ersatzansprüche, im Juni 2004 eingetreten. Dem Kläger stehe aber gegen den Beklagten ein sekundärer Schadensersatzanspruch zu, weil der Beklagte es unterlassen habe, den Kläger auf den gegen ihn bestehenden Regressanspruch hinzuweisen. Ein sorgfältig arbeitender Anwalt hätte sich die Akte mehrfach, jedenfalls drei Jahre nach der Mandatserteilung, vorlegen lassen. Da der Beklagte dies unterlassen habe, habe er seinen Fehler nicht erkannt und infolgedessen auch nicht die erforderlichen Hinweise erteilt.


II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Ersatzanspruch gegen den Beklagten ist jedenfalls verjährt.

1. § 51b BRAO, der durch das Verjährungsanpassungsgesetz mit Wirkung vom 15. Dezember 2004 aufgehoben wurde, ist auf beide Regressfälle noch anzuwenden. Die danach maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist war im Zeitpunkt der an den Beklagten gerichteten Streitverkündung bereits abgelaufen.

a) Die Regelung des § 51b BRAO ist gemäß Art. 229 § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 in Verbindung mit Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB weiter anzuwenden, falls der primäre Schadensersatzanspruch vor dem 15. Dezember 2004 entstanden ist (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - IX ZR 4/08, WM 2009, 629 Rn. 6). Bestimmt sich die Verjährung des Primäranspruchs nach § 51b BRAO, so gilt diese Vorschrift auch für den Sekundäranspruch, weil er lediglich ein Hilfsrecht und unselbständiges Nebenrecht des primären Regressanspruchs bildet (BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 - IX ZR 149/04, WM 2008, 946 Rn. 30, 33; vom 13. November 2008 - IX ZR 69/07, NJW 2009, 1350 Rn. 8).

b) Der in Betracht zu ziehende Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Beklagten liegt in dem Vorwurf, verjährungshemmende Maßnahmen gegen Rechtsanwalt Dr. W. unterlassen zu haben. Ein solcher Anspruch wäre, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, im Jahre 2001 entstanden. Die Versäumung der Verjährungsfrist lässt bereits den Schaden entstehen; auf die Ausübung der Einrede kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 14. Juli 1994 - IX ZR 204/93, WM 1994, 2162, 2163, vom 9. Dezember 1999 - IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 960; Bamberger/Roth/D. Fischer, BGB, 3. Aufl., § 675 Rn. 31). Da der Anspruch vor dem 15. Dezember 2004 begründet wurde, richtet sich die Verjährung nach § 51b BRAO. Die nach dieser Bestimmung maßgebliche dreijährige Verjährungsfrist war gerechnet von dem im Jahre 2001 eingetretenen Schaden bereits 2004 und damit lange vor der hier im Februar 2006 erfolgten Streitverkündung abgelaufen.

2. Zu Unrecht bejaht das Berufungsgericht einen sekundären Ersatzanspruch gegen den Beklagten. Dieser scheidet nach dem unstreitigen und nicht weiter klärungsbedürftigen Sachverhalt aus, weil entgegen der Annahme des Berufungsgerichts für den Beklagten keine Veranlassung bestand, sich jedenfalls drei Jahre nach Mandatserteilung die Akte erneut vorlegen zu lassen.

a) Für den Anwalt kann sich bei der Wahrnehmung des Mandats oder bei einem neuen Auftrag über denselben Gegenstand (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2008, aaO Rn. 34) ein begründeter Anlass ergeben zu prüfen, ob er dem Mandanten durch einen Fehler einen Schaden zugefügt hat. Unterlässt er die erforderliche Überprüfung seines eigenen Verhaltens oder erkennt er dabei nicht seinen Fehler und gibt er infolgedessen nicht den erforderlichen Hinweis auf die Möglichkeit eines Regressanspruchs und auf die Verjährungsfrist auf § 51b BRAO, kann dies den Sekundäranspruch auslösen (BGH, Urteil vom 23. Mai 1985 - IX ZR 102/84, BGHZ 94, 380, 386; vom 13. November 2008, aaO Rn. 11). Der Sekundäranspruch setzt mithin eine neue, schuldhafte Pflichtverletzung voraus. Die den Regressfall auslösende Pflichtwidrigkeit kann nicht gleichzeitig die Nichterfüllung einer Pflicht zur Aufdeckung des Primäranspruchs darstellen. Der Sekundäranspruch entsteht vielmehr nur, wenn eine weitere Pflichtwidrigkeit zu einer Zeit begangen wird, zu welcher der Regressanspruch noch durchgesetzt werden kann, insbesondere noch nicht verjährt ist (BGH, Urteil vom 23. Mai 1985, aaO S. 387; vom 10. Oktober 1985 - IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 583; vom 14. Dezember 2000 - IX ZR 332/99, NJW 2001, 826, 828; vom 13. November 2008, aaO). Der Rechtsberater muss bei der weiteren Wahrnehmung seines Mandats aufgrund objektiver Umstände begründeten Anlass haben, zu prüfen, ob er durch eine Pflichtverletzung seinen Mandanten geschädigt hat (Chab in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl. Rn. 1394). Ein begründeter Anlass in diesem Sinne kann etwa vorliegen, wenn der Rechtsanwalt seinen Prozessantrag umstellen muss, gegen den Mandanten eine nachteilige gerichtliche Entscheidung ergangen ist, die Gegenseite die Einrede der Verjährung erhebt oder sonstige Einwendungen geltend gemacht werden (Zugehör/Chab, aaO Rn. 1395 mwN).

b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann in einer unterlassenen - routinemäßigen - Wiedervorlage kein bei der Wahrnehmung des Mandats begründeter Anlass zur Prüfung der eigenen Tätigkeit im Sinne der Senatsrechtsprechung gesehen werden, der geeignet ist, die Sekundärhaftung auszulösen. Der Senat hat bereits entschieden, dass während eines laufenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die Nichteinhaltung einer halbjährlichen Wiedervorlage- oder Kontrollpflicht keine eigenständige Pflichtwidrigkeit im Sinne der Sekundärhaftung zu begründen vermag (BGH, Urteil vom 13. November 2008, aaO, Rn. 12). Für den hier vorliegenden Fall einer vorprozessualen Mandatsausübung gilt nichts anderes. Ein eigenständiger mandatsbezogener Anlass für eine gesonderte Überprüfung der bisherigen Handhabung ergab sich für den Beklagten nach dessen letztem Schreiben vom 1. Juni 2001 nicht mehr. In diesem Schreiben bestätigte der Beklagte, dass ein Verdienstausfallschaden ausgeschlossen sei für Zeiträume, in denen dieser einen hohen Verdienst erzielt habe. Für den Fall, dass der Kläger in näherer Zukunft wegen eintretender unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit Verdienstausfall erleide, sei allerdings ein Verdienstausfallschaden denkbar. Im Anschluss an dieses Schreiben hat der Beklagte, wie das Berufungsgericht selbst feststellt, die Akte weggelegt und keine weiteren Aktivitäten mehr entfaltet.


III.

Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kann dem Beklagten als Pflichtverletzung nicht angelastet werden, gegen den Haftpflichtversicherer keine verjährungsunterbrechenden Maßnahmen ergriffen zu haben. Zum Zeitpunkt der Mandatsübernahme durch den Beklagten im Juli 2000 waren die Ansprüche des Klägers gegen den Versicherer bereits verjährt.

Wie das Berufungsgericht im Anschluss an das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind diese Ansprüche bereits im Jahre 1998 verjährt. Das Landgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass die dreijährige Verjährungsfrist im Hinblick auf die nach § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG aF beachtliche Verjährungshemmung mit Annahme der vom Kläger am 18. März 1991 unterzeichneten Erklärung und Zahlung des Abfindungsbetrages wieder in Lauf gesetzt wurde. Dieser Beurteilung liegt die tatrichterliche Würdigung zugrunde, dass es sich hierbei um eine abschließende Regelung im Sinne der zu dieser Vorschrift ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 2002 - VI ZR 230/01, NJW 2002, 1878, 1880) gehandelt hat. Die in der Revisionsinstanz vom Kläger vertretene Auffassung, die Hemmung habe fortgedauert, weil die Parteien nach Abschluss des Abfindungsvergleichs über die vorbehaltenen Ansprüche weiterverhandelt hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 1995 - VI ZR 395/94, VersR 1996, 78), ist nicht geeignet, die tatrichterliche Beurteilung der streitgegenständlichen Abrede als eine abschließende Regelung in Frage zu stellen. Im Übrigen ergibt sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen der Vorinstanzen, dass der Versicherer des Unfallverursachers seine Einstandspflicht voll anerkannt hatte und im Hinblick auf diese positive Entscheidung von einer Fortdauer der Hemmungswirkung nicht auszugehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1991 - VI ZR 229/90, BGHZ 114, 299, 301f; KG VersR 1980, 156, 157).

Wie die Vorinstanzen ferner zutreffend ausgeführt haben, ist selbst dann, wenn in den bis Juni 1995 erfolgten Abschlagszahlungen eine die Verjährung unterbrechende Anerkennung des Regressanspruches (§ 208 BGB aF) zu sehen sein sollte (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1970 - VI ZR 148/68, NJW 1970, 1119, 1120), Verjährung spätestens im Jahre 1998 eingetreten.


IV.

Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Der Eintritt der Verjährung der Ansprüche gegen den Beklagten kann, wie unter Punkt Ziffer II 2 näher ausgeführt, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht unter dem Gesichtspunkt eines Sekundäranspruchs abgelehnt werden. Die Frage eines etwaigen Sekundäranspruchs war bereits Gegenstand des Berufungsverfahrens. Der Beklagte hat in seiner Berufungsbegründung vom 11. Februar 2009 hierzu eingehend vorgetragen. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung besteht daher keine Veranlassung, dem Kläger, der für den Sekundäranspruch die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 2007 - IX ZR 180/04, WM 2007, 801 Rn. 14; Zugehör/Chab, aaO Rn. 1407), durch Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erneut Gelegenheit zu geben, zur Frage anlassbezogener Umstände Vortrag zu halten. Die eingetretene Verjährung beruht nicht auf einem Verhalten des Anwalts und kann ihm nicht als Verletzung seines Auftrags zugerechnet werden, wenn für ihn - wie im Streitfall - während des Verjährungslaufs kein verfahrensbezogener Anlass bestand, eine durch seine Pflichtwidrigkeit verursachte Schädigung des Mandanten zu erkennen und diesem die Durchsetzung des Regressanspruchs zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 13. November 2008, aaO Rn. 12).

Das Revisionsgericht kann deshalb in der Sache selbst entscheiden. Die Klage ist wegen Ablaufs der Verjährungsfrist auf die von dem Beklagten erhobene Einrede abzuweisen.