Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Dresden Urteil vom 09.12.1997 - 14 U 435/97 - Zum materiell-rechtlichen Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten trotz entgegenstehender Kostenentscheidung

OLG Dresden v. 09.12.1997: Zum materiell-rechtlichen Schadenersatzanspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten trotz entgegenstehender Kostenentscheidung


Das OLG Dresden (Urteil vom 09.12.1997 - 14 U 435/97) hat entschieden:
Eine Klage, die unter Berufung auf einen materiell-rechtlichen Ersatzanspruch im Ergebnis auf die Umkehrung einer prozessualen Kostenerstattungsregelung gerichtet ist, ist nicht wegen deren entgegenstehender Rechtskraft von vornherein unzulässig. Wäre es anders, würden die Rechte des prozessualen Kostenschuldners unzulässig eingeschränkt, denn er könnte die Frage, inwieweit ihm ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Schadensersatz im Hinblick auf die Prozesskosten gegen den Gegner zusteht, weder im Rahmen der prozessualen Kostenentscheidung - die sich mit den Voraussetzungen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nicht zu befassen hat - noch in einem gesonderten Erkenntnisverfahren zur Überprüfung stellen.


Gründe:

I.

Die Klage ist zulässig. Der Zulässigkeit steht die Rechtskraft der Kostenentscheidung des Landgerichts im Rahmen des Verfahrens der einstweiligen Verfügung nicht entgegen.

Die Klägerin begehrt Ersatz von Rechtsverfolgungskosten im Rahmen des Verzugsschadens. Ein derartiger materiell-rechtlicher Anspruch auf Schadensersatz hat - auch soweit er die Kosten eines gerichtlichen Verfahrens betrifft - seine Grundlage in den Regeln des materiellen Schadensersatzrechts, vorliegend in § 286 Abs. 1 BGB. Dieser materiell-rechtliche Schadensersatzanspruch hat unterschiedliche Voraussetzungen und knüpft an einen anderen Sachverhalt an als der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, welcher sich ausschließlich nach den Regeln der §§ 91 ff. ZPO richtet. Er kann deshalb grundsätzlich neben die prozessuale Kostenerstattungsregelung treten und dieser unter Umständen sogar entgegengerichtet sein (BGHZ 45, 251, 256 = MDR 1966, 739; BGH, Urt. v. 19.10.1994 - I ZR 187/92; GRUR 1995, 169, 170 f. = WRP 1995, 290 - Kosten des Verfügungsverfahrens bei Antragsrücknahme; Zöller/Herget, ZPO, 20. Aufl. 1997, vor § 90 Rn. 11 m.w.N.).

Daraus folgt aber, dass eine Klage, die - wie die vorliegende - unter Berufung auf einen materiell-rechtlichen Ersatzanspruch im Ergebnis auf die Umkehrung einer prozessualen Kostenerstattungsregelung gerichtet ist, nicht wegen deren entgegenstehender Rechtskraft von vornherein unzulässig ist (vgl. Becker-Eberhard, JZ 1995, 814, 817; a.A. Schneider, MDR 1981, 353, 360; vgl. auch BGH, Urt. v. 19.10.1994 a.a.O.; BGHZ a.a.O.; RGZ 130, 217, 220). Wäre es anders, würden die Rechte des prozessualen Kostenschuldners unzulässig eingeschränkt, denn er könnte die Frage, inwieweit ihm ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Schadensersatz im Hinblick auf die Prozesskosten gegen den Gegner zusteht, weder im Rahmen der prozessualen Kostenentscheidung - die sich mit den Voraussetzungen eines materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs nicht zu befassen hat - noch in einem gesonderten Erkenntnisverfahren zur Überprüfung stellen (Becker-Eberhard a.a.O., S. 817; vgl. auch Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl. 1993, vor § 91 Rn. 19).

Die Rechtskraft der Entscheidung über die prozessuale Kostentragungspflicht kann der Zulässigkeit einer Klage auf materiell-rechtliche Kostenerstattung nur dann im Wege stehen, wenn die Rechtskraft der Hauptsache selbst den Anspruch, aufgrund dessen die materiell-rechtliche Kostenerstattung begehrt wird, ausschließt (vgl. Stein/Jonas/Bork a.a.O., vor § 91 Rn. 17). Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, weil das Landgericht in der Hauptsache lediglich über den Verfügungsgrund der Dringlichkeit entschieden hat, nicht aber über das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verzuges.

II.

Jedoch ist die Klage unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte im Hinblick auf die ihr aufgrund des Verfahrens der einstweiligen Verfügung entstandenen Kosten ein Schadensersatzanspruch gemäß § 286 Abs. 1 BGB nicht zu.

Es kann insoweit offenbleiben, ob sich die Beklagte zum Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Verfügung mit der Herausgabe der Pkw in Verzug befunden hat. Selbst wenn man dies unterstellte, wären die Kosten des Verfügungsverfahrens keine adäquat auf den Verzug zurückzuführenden Schadensfolgen.

Erstattungspflichtig im Rahmen des § 286 Abs. 1 BGB sind nur solche Rechtsverfolgungskosten, die zweckdienlich und sachgerecht sind (vgl. Palandt/Heinrichs, 56. Aufl. 1997, § 276 BGB Rn. 7). Die Beantragung der einstweiligen Verfügung durch die Klägerin ist aber nicht zweckdienlich gewesen, weil der Antrag nach den Feststellungen des Landgerichts wegen unzureichender Darlegung der Dringlichkeit von Anfang an unbegründet gewesen ist. Ein unterstellter Verzug der Beklagten kann aber keinesfalls zureichender Anlass zur Beantragung einer von Anfang an wegen fehlender Dringlichkeit unbegründeten einstweiligen Verfügung gewesen sein.

Die Feststellungen des Landgerichts zur Begründetheit des Antrags auf Erlass der einstweiligen Verfügung sind im vorliegenden Rechtsstreit bindend. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann im vorliegenden Folgeprozess nicht nochmals überprüft werden, ob die Entscheidung des Landgerichts zur Hauptsache des einstweiligen Verfügungsverfahrens aufgrund des damals vorgetragenen Prozessstoffs sachlich richtig gewesen ist. Insoweit ist die Rechtskraft des vorhergehenden Urteils zu beachten (vgl. BGHZ a.a.O.; RGZ a.a.O.; Schneider, MDR 1981, 353, 356).

Wäre es anders, hätte die den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückweisende Entscheidung des Gerichts im Hinblick auf die korrespondierende prozessuale Kostenentscheidung keinerlei Verbindlichkeit und könnte im Wege der Geltendmachung eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs ohne weiteres in ihr Gegenteil verkehrt werden. Dies wäre aber wegen der Bestandskraft des Urteils grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme wäre nur dann gerechtfertigt, wenn sich aufgrund neuer Umstände, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Verfügungsantrag vom Erstgericht nicht berücksichtigt werden konnten, die gefundene Entscheidung als unrichtig erweisen würde (vgl. BGHZ a.a.O.; BGH, Urt. v. 19.10.1994 a.a.O.). Solche neuen Umstände sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Diese begründet die ihrer Auffassung nach gegebene Unrichtigkeit der Ablehnung der einstweiligen Verfügung ausschließlich mit solchen Erwägungen, die auch schon Gegenstand des Verfügungsverfahrens hätten sein können.

Die Klägerin kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass im Rahmen des Schadensersatzanspruchs gemäß § 286 Abs. 1 BGB auch die Kosten solcher Rechtsverfolgungsmaßnahmen zu ersetzen sind, die sich im späteren Verlauf des Verfahrens als unzweckmäßig erweisen (dazu MünchKomm BGB/Thode, 3. Aufl. 1994, § 286 Rn. 7). Im vorliegenden Fall ist nach den Feststellungen des Landgerichts der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung von Anfang an wegen der fehlenden Dringlichkeit unbegründet gewesen, so dass sich die Unzweckmäßigkeit dieser Maßnahme nicht erst im Laufe des Verfahrens gezeigt hat, sondern bereits bei Antragstellung erkennbar gewesen ist.