Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 03.10.1978 - 4 StR 263/78 - Zum Be- und Entladen in zweiter Reihe

BGH v. 03.10.1978: Zum Be- und Entladen in zweiter Reihe


Der BGH (Beschluss vom 03.10.1978 - 4 StR 263/78) hat entschieden:
Ein länger als drei Minuten dauerndes Halten in zweiter Reihe ist auch dann ein verbotenes Parken nach StVO § 12 Abs 4 S 1, wenn es ausschließlich dem Beladen oder Entladen dient.


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer "fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des verbotswidrig in zweiter Reihe Parkens" zu einer Geldbuße von 30 DM verurteilt. Es hat festgestellt, dass er am 16. Februar 1977 von 11.50 Uhr bis 12.20 Uhr seinen Lkw mit Anhänger in der S.-Straße in M. "in zweiter Reihe auf der Fahrbahn abgestellt hatte. Seine Einlassung, er habe als Bierfahrer keine andere Haltemöglichkeit zum Beliefern einer dort gelegenen Gaststätte gefunden und zudem niemanden behindert, da auf der breiten Straße ein Vorbeifahren möglich gewesen sei, hat es ersichtlich als nicht widerlegt angesehen.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen zugelassen. Es möchte das Rechtsmittel verwerfen, sieht sich daran jedoch gehindert durch den Beschluss des Kammergerichts vom 16. August 1976 (VRS 51, 383), nach dem ein länger als drei Minuten dauerndes Halten eines Fahrzeugs dann nicht als Parken anzusehen sei, wenn es zum Zwecke des Beladens und Entladens geschehe.

Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Sache daher dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (VRS 55, 66).


II.

Die Vorlegungsvoraussetzungen sind gegeben (§§ 79 Abs 3 OWiG, 121 Abs 2 GVG). Die streitige Rechtsfrage ist allerdings nur für den Fall entscheidungserheblich, dass der abgestellte Lkw mit Anhänger nicht über die Mitte der Fahrbahn hinausgeragt hat; anderenfalls wäre schon gemäß § 12 Abs 4 Satz 2 2. Halbsatz StVO auch ein als Halten einzuordnendes Verkehrsverhalten nach der vom Amtsgericht angewendeten Vorschrift des § 49 Abs 1 Nr 12 StVO ordnungswidrig.


III.

1. In der Sache vertritt der Senat in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt die Rechtsansicht des vorlegenden Gerichts. Diese Auffassung wird auch von der ganz überwiegenden Meinung im Schrifttum geteilt (vgl Bouska VD 1977, 49, 53). Nach dem unmissverständlichen Wortlaut des § 12 Abs 2 StVO parkt derjenige, der sein Fahrzeug verlässt oder länger als drei Minuten hält. Mit dieser Begriffsbestimmung hat sich die StVO 1970 bewusst von der früheren, als unbefriedigend empfundenen Regelung des § 16 Abs 1 StVO aF abgekehrt, nach der Parken als "Aufstellen von Fahrzeugen, soweit es nicht nur zum Einsteigen oder Aussteigen und Beladen oder Entladen geschieht" verstanden wurde (vgl Begründung VkBl 1970, 797, 807/808).

2. Die abweichende Auffassung des Kammergerichts (VRS 51, 383, 384), nach der "zweckbestimmtes" Halten, etwa zum Beladen oder Entladen, nicht zum Parken werden könne, ist mit der eindeutigen Gesetzeslage, die keineswegs nur unmissverständlich zu sein scheint - wie das Kammergericht ausführt -, nicht zu vereinbaren. Aus § 12 Abs 1 Nr 6b in Verb mit § 41 Abs 2 Nr 8 Zeichen 286 StVO, der, wie sich aus der Gesetzessystematik ergibt (vgl Bouska aaO S 53), von demselben Begriff des Haltens ausgeht, kann nichts Gegenteiliges entnommen werden. Diese Bestimmung regelt nur die Rechtslage, wie sie sich für das Zeichen 286 ergibt, wenn es aufgestellt ist.

Deshalb ergibt sich für den Vorlegungsfall, dass ein in zweiter Reihe haltender Verkehrsteilnehmer, der ein Ladegeschäft vornimmt und hierbei sein Fahrzeug verlässt oder länger als drei Minuten stehen lässt, parkt. Das ist aber nach § 12 Abs 4 Satz 1 StVO ausnahmslos unzulässig (vgl auch Jagusch, Straßenverkehrsrecht 24. Aufl § 12 StVO Rdn 40 mwN).

Die Vorlegungsfrage ist danach im Sinne des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

3. Allerdings ist dem Kammergericht zuzugeben, dass - besonders in Großstädten - ein Bedürfnis dafür bestehen kann, das Beladen oder Entladen der Kraftfahrzeuge auch in Straßen, in denen mangels ausreichender Parkgelegenheiten nicht geparkt werden kann, zu ermöglichen. Diesem Bedürfnis kann aber auch nach der jetzigen Gesetzeslage weitgehend entsprochen werden. Die Interessen der Güterversorgung müssen dabei gegen die Belange des öffentlichen Straßenverkehrs abgewogen werden. Auszugehen ist von der Grundregel des § 1 Abs 2 StVO, nach der sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten hat, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird (vgl Mühlhaus StVO 7. Aufl § 12 Anm 5g). Danach hängt es jeweils von den Umständen des Einzelfalles ab, ob ein Halten in zweiter Reihe überhaupt statthaft ist und ob es nicht aus dem überwiegenden Interesse des fließenden Verkehrs abgebrochen werden muss, etwa bei starkem Verkehr in einer engen Straße. Als absolute Höchstdauer für das Halten in zweiter Reihe ist jedenfalls die 3-Minuten-Frist des § 12 Abs 2 StVO anzusehen. Der nachfolgende, an der Weiterfahrt durch das in zweiter Reihe anhaltende Fahrzeug gehinderte Verkehrsteilnehmer muss stets darauf vertrauen dürfen, dass er spätestens nach dieser Zeit seine Fahrt fortsetzen kann.

Den Interessen des Ladeverkehrs kann durch eine am Gesetzeszweck orientierte Auslegung des Begriffs des "Verlassens" im Sinne von § 12 Abs 2 StVO entsprochen werden. Abzustellen ist hierbei darauf, ob der Fahrzeugführer sich der Fähigkeit begeben hat, die Verkehrslage im Auge zu behalten und bei Auftreten einer Verkehrsstockung dieser unverzüglich, jedenfalls aber noch innerhalb der Zeitspanne von drei Minuten vom Anhalten an gerechnet, durch Entfernen seines Fahrzeugs zu begegnen (vgl Cramer, Straßenverkehrsrecht 2. Aufl § 12 StVO Rdn 42/43).

Aufgabe der Verkehrsbehörde wird es sein, das Beladen und Entladen bei fehlenden Parkmöglichkeiten in Gebieten und zu Zeiten außergewöhnlicher Verkehrsdichte durch Aufstellen geeigneter Verkehrszeichen zu regeln.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass nach § 46 Abs 1 Nr 3 StVO Ausnahmen von dem Verbot, in zweiter Reihe zu parken, genehmigt werden können. Im übrigen wird in Fällen einer echten Pflichtenkollision das geringe Verschulden einer Verfolgung entgegenstehen oder zur Einstellung führen (§ 47 OWiG). Für äußerste Härtefälle ist an die Notstandsregelung des § 16 OWiG zu denken.