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OLG Hamm Beschluss vom 11.09.2012 - III-3 RVs 56/12 - Zur Beweiswürdigung beim Schweigen des Betroffenen

OLG Hamm v. 11.09.2012: Zur Beweiswürdigung beim Schweigen des Betroffenen


Das OLG Hamm (Beschluss vom 11.09.2012 - III-3 RVs 56/12) hat entschieden:
Wann lassen die Ausführungen in den Urteilsgründen besorgen, dass der Tatrichter unzulässigerweise aus dem Schweigen des Angeklagten für diesen nachteilige Schlüsse gezogen hat?


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt sowie ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von 18 Monaten angeordnet. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts im Strafausspruch abgeändert und den Angeklagten unter Einbeziehung der Strafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Herford vom 8. Juni 2011 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt; im Übrigen hat das Landgericht die Berufung verworfen.

Gegenstand der Verurteilung ist ein Unfallereignis im Straßenverkehr am 2. Februar 2011 gegen 15.37 Uhr.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.


II.

Das Rechtsmittel hat (vorläufig) Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte, der sich weder vor dem Amts- noch vor dem Landgericht zur Sache eingelassen hat, wenige Minuten nach dem verfahrensgegenständlichen Unfallereignis - und zwar um 15.50 Uhr - mit dem von ihm bereits um 15.37 Uhr gesteuerten Pkw noch in einen weiteren Verkehrsunfall verwickelt. Zur Beweiswürdigung führt das Landgericht in den Urteilsgründen zunächst aus, dass es aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Angeklagte mit dem von ihm gesteuerten Pkw in den - nicht verfahrensgegenständlichen - Verkehrsunfall um 15.50 Uhr verwickelt gewesen sei. Sodann begründet es seine Feststellung, dass das von dem Angeklagten um 15.50 Uhr gesteuerte Fahrzeug auch an dem Unfallereignis um 15.37 Uhr beteiligt gewesen sei. Hieran schließen sich folgende Ausführungen an:
„Zur Überzeugung der Kammer steht auch fest, dass der Angeklagte der Fahrer des Fahrzeuges zum Unfallzeitpunkt gewesen ist. Hierfür spricht zunächst der zeitliche und örtliche Zusammenhang zwischen den beiden Vorfällen; es besteht ein zeitlicher Abstand von ca. zehn bis fünfzehn Minuten. Weiterhin ist in beiden Fällen der Fahrer durch eine enthemmte und rücksichtslose Fahrweise aufgefallen. Aus den Vorverurteilungen ergibt sich, dass es dem Angeklagten nicht wesensfremd ist, auch ohne Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Auch die allgemeine Lebenserfahrung spricht im vorliegenden Fall dafür, dass bei beiden Vorfällen die gleiche Person am Steuer des Fahrzeuges gesessen hat. Anhaltspunkte dafür, dass in der Zwischenzeit - es handelte sich nur um wenige Minuten - ein Fahrerwechsel stattgefunden haben könnte, sind nicht ersichtlich. Die Kammer ist auch nicht gehalten, dies zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen. Trotz des eindringlichen Vorhalts des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, wenn der Angeklagte nicht gefahren sein will, könne er doch den Namen des vermeintlichen Fahrers angeben, hat der Angeklagte nach wie vor von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht.“
Sodann führt das Landgericht aus, dass seine „Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten“ auch nicht dadurch „erschüttert“ werde, dass von einzelnen Zeugen des Unfallereignisses um 15.37 Uhr eine Täterbeschreibung abgegeben worden sei, die nicht in allen Punkten mit dem Aussehen des Angeklagten zum Tatzeitpunkt übereinstimme.

2. Der letzte Satz der vorstehend wörtlich wiedergegebenen Passage aus den Urteilsgründen lässt aufgrund seiner Formulierung und aufgrund seiner Stellung innerhalb der Ausführungen zur Beweiswürdigung besorgen, dass das Landgericht nicht nur - dies wäre rechtlich unbedenklich gewesen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. [2012], § 261 Rdnr. 16 m.w.N.) - darauf hinweisen wollte, dass der Tatrichter bei einem Angeklagten, der sich - wie der Angeklagte hier - in vollem Umfang nicht zur Sache einlässt, nicht verpflichtet ist, entlastende Umstände zu dessen Gunsten zu unterstellen, für die das Beweisergebnis keinen Anhalt gibt, sondern dass das Landgericht vielmehr aus dem Schweigen des Angeklagten unzulässigerweise (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O. mit zahlr. weiteren Nachw.) für diesen nachteilige Schlüsse gezogen hat, indem es das Schweigen des Angeklagten auf die Frage nach dem Fahrzeugführer um 15.37 Uhr als einen für die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkt verwertet hat.

3. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass der Schuldspruch auf der rechtsfehlerhaften Verwertung des Schweigens des Angeklagten beruht (§ 337 StPO). Das angefochtene Urteil ist daher nach §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.



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