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Landgericht Wuppertal Urteil vom 01.03.2012 - 9 S 327/10 - Zur Haftung bei einem Auffahrunfall während eines Abbiegevorgangs trotz durchgezogener Linie

LG Wuppertal v. 01.03.2012: Zur Haftung bei einem Auffahrunfall während eines Abbiegevorgangs trotz durchgezogener Linie


Das Landgericht Wuppertal (Urteil vom 01.03.2012 - 9 S 327/10) hat entschieden:
Es liegt ein typischer Auffahrunfall mit dem sich daraus ergebenden Anscheinsbeweis für ein unfallursächliches Verschulden des Auffahrenden und einer ihn treffenden höheren Haftungsquote als den Vorausfahrenden vor, wenn das nachfolgende Fahrzeug auf die gesamte Heckpartie eines in dem selben Fahrstreifen vorausfahrenden oder haltenden Fahrzeugs auffährt. Entsprechendes gilt bei bloßer Teilüberdeckung der Stoßflächen der im gleichgerichteten Verkehr befindlichen Fahrzeuge, weil sich hintereinander fahrende Fahrzeuge auf der überschießenden Breite eines Fahrstreifens unterschiedlich einrichten. Hingegen findet der Anscheinsbeweis nicht bei Abbiegeunfällen Anwendung, wenn einer der Kfz-Führer dabei eine durchgezogene Linie überfährt.


Gründe:

Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 952,02 Euro nebst vorgerichtlich entstandenem Anwaltshonorar von 229,55 Euro jeweils nebst Zinsen von den Beklagten als Gesamtschuldnern aufgrund eines Unfallereignisses, das sich am 17. November 2008 gegen 9.45 Uhr auf der linken Fahrspur der X-Straße in Fahrtrichtung Westen in Höhe der Einmündung der T-Straße in die X-Straße ereignet hat.

Der Kläger hat seinen Unfallschaden mit 2.037,91 Euro (Reparaturkosten netto 2.012,91 Euro und 25,-- Euro Auslagenpauschale) beziffert. In zweiter Instanz ist die Höhe der Nettoreparaturkosten aufgrund des auch zur Höhe eingeholten Gutachtens des Sachverständigen M in erster Instanz nicht mehr im Streit.

Unter Anrechnung einer Mithaftungsquote von 1/3 = 679,30 Euro und einer vorgerichtlichen Zahlung der Beklagten zu 2. in Höhe von 406,58 Euro ergibt sich die mit der Klage geltend gemachte Hauptforderung von 952,02 Euro.

Nach Vernehmung von Zeugen und Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen M zum Unfallhergang und zur Höhe des Nettoreparaturschadens ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger zwei Drittel seines Unfallschadens von den Beklagten als Gesamtschuldnern erstattet verlangen kann. Es hat die Beklagten deshalb als Gesamtschuldner antragsgemäß verurteilt, 952,02 Euro und 229,55 Euro an vorgerichtlich entstandenem Anwaltshonorar jeweils nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen. Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs hat es die Klage abgewiesen.

Gegen diese Entscheidung, auf deren tatsächliche Feststellungen die Kammer gemäß § 540 ZPO Bezug nimmt, haben die Beklagten Berufung eingelegt, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgen.

Die zulässige Berufung hat zum überwiegenden Teil Erfolg, im Übrigen ist sie unbegründet.

Dem Kläger steht aufgrund des Unfallgeschehens vom 17. November 2008 unter Berücksichtigung einer vorgerichtlichen Zahlung der Beklagten zu 2. von 406,58 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVO, 115 VVG nur noch ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 272,72 Euro gegen die Beklagten als Gesamtschuldnern zu.

Der Zeugin I, der Ehefrau des Klägers, fällt als Fahrerin des ihrem Ehemann gehörenden Pkw's ein Verstoß gegen Verkehrszeichen 295 zur Last. Sie hat begonnen, von der linken Fahrspur der X-Straße im Bereich der Einmündung der T-Straße in die X-Straße nach links abzubiegen, obwohl das wegen der dort auf der Fahrbahn aufgebrachten durchgehenden Linie verboten war.

Dem Beklagten zu 1. ist ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzulasten. Er hat sich nicht so verhalten, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt wird. Er hat seine Fahrweise am Unfalltag nicht dahin eingerichtet, eine Kollision mit dem linken vorderen Kotflügel seines Fahrzeugs gegen das rechte noch in die X-Straße hineinragende Heck des Pkw's des Klägers zu vermeiden. Das wäre ihm bei sorgfältiger Beobachtung des vor ihm liegenden Verkehrsraums seiner Fahrtrichtung, wozu er verpflichtet ist, jedoch möglich gewesen.

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge der am Unfallgeschehen beteiligten Fahrzeugführer gemäß § 17 Abs. 1 StVG führt im vorliegenden Fall zu einer Haftungsverteilung von 2/3 zu Lasten des Klägers, d. h., er kann nur 1/3 seines Unfallschadens von den Beklagten als Gesamtschuldnern erstattet verlangen.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegt im vorliegenden Fall kein typischer Auffahrunfall mit dem sich daraus ergebenden Anscheinsbeweis für ein unfallursächliches Verschulden des Auffahrenden und einer ihn treffenden höheren Haftungsquote als den Vorausfahrenden. Ein typischer Auffahrunfall wird regelmäßig dadurch verursacht, dass ein nachfolgendes Fahrzeug auf die gesamte Heckpartie eines in dem selben Fahrstreifen vorausfahrenden oder haltenden Fahrzeugs auffährt. Entsprechendes gilt bei bloßer Teilüberdeckung der Stoßflächen der im gleichgerichteten Verkehr befindlichen Fahrzeuge, weil sich hintereinander fahrende Fahrzeuge auf der überschießenden Breite eines Fahrstreifens unterschiedlich einrichten (KG Berlin, Urteil vom 2. Oktober 2003, 12 U 53/02). Eine derartige Unfallsituation liegt hier erkennbar nicht vor (vgl. die bereits mitgeteilten Beschädigungen und Fahrtrichtungen der unfallbeteiligten Fahrzeuge). Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Fahrverkehr auf der Gegenrichtung der X-Straße zu beobachten. Seine Sorgfalt hatte sich auf den Verkehrsraum zu beziehen, den seine Fahrtrichtung betraf. Dazu gehörte insbesondere die Beobachtung der Fahrweise der Zeugin I.

Aus vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass dem Beklagten zu 1 nur. ein leichterer Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen ist. Demgemäß wiegt der Verkehrsverstoß der Zeugin I gegen Verkehrszeichen 295 schwerer, weil sie durch ihr unerlaubtes Abbiegen von der X-Straße nach links die Hauptursache für das Zustandekommen des Verkehrsunfalls gesetzt hat.

Der Höhe nach beträgt der noch auszuurteilende Schadensersatz 272,72 Euro (2.037,91 Euro : 1/3 = 679,30 Euro abzüglich Zahlung der Beklagten zu 2. von 406,58 Euro).

Die Zinsforderung und die Entscheidung über die Tragung vorgerichtlich entstandenen Anwaltshonorars nach einem Geschäftswert von 679,30 Euro = 111,54 Euro beruhen auf §§ 286 ff BGB.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 4, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Zur Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 952,02 Euro.