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Landgericht Stade Urteil vom 06.07.2004 - 1 S 33/04 - Zur analogen Anwendung der Kreisverkehrsregeln auf den Verkehrskreisel

LG Stade v. 06.07.2004: Zur analogen Anwendung der Kreisverkehrsregeln auf den Verkehrskreisel


Das Landgericht Stade (Urteil vom 06.07.2004 - 1 S 33/04) hat entschieden:
In einem Verkehrskreisel gelten die Vorschriften für den Kreisverkehr unter Umständen entsprechend, auch wenn der Kreisverkehr nicht durch entsprechende Verkehrszeichen ausdrücklich angeordnet ist.


Gründe:

I.

Die Klägerin fuhr auf der Straße F., einer „Spielstraße“, genauer: in einem durch Verkehrszeichen 325/326 (§ 42 StVO) geregelten „verkehrsberuhigten“ Bereich. Die Straße F. führt im weiteren Verlauf auf einen verkehrsberuhigten Kreisel.

Die Beklagte zu 1) kam mit ihrem Pkw aus der J.-Straße, in der die Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h begrenzt ist. Sie wollte nach rechts in die Straße F. einbiegen. Die Beklagte zu 1) stoppte ihr Fahrzeug. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen und fuhr gegen das stehende Fahrzeug der Beklagten zu 1).

Die Klägerin meint, die Beklagte zu 1) habe das Vorrecht der Klägerin verletzt. Es sei nicht unzulässig gewesen von dem Fuhrenkamp direkt nach links in die Jahnstraße abzubiegen.

Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 3.101,62 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit 27.10.2003 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meinen, die Klägerin treffe die Alleinschuld. Sie hätte nicht den kurzen Weg in die J.- Straße nehmen dürfen. Außerdem sei sie unzulässig auf der Fahrbahnhälfte der Beklagten zu 1) gefahren.

Das AG hat - nach Anhörung der Parteien - die Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet:

Ein Verkehrsverstoß/Vorfahrtsverletzung der Beklagten zu 1) liege nicht vor. Zwar sei der Verkehr im Bereich des Kreisels gegenüber dem Verkehr aus der Straße F. wartepflichtig. In diesem Bereich habe sich der Unfall aber nicht ereignet.

Zu dem Unfall sei es ausschließlich deswegen gekommen, weil die Klägerin nicht ausreichend rechts gefahren und nicht ausreichend aufmerksam gewesen sei.

Außerdem sei die Klägerin unaufmerksam gefahren. Die LiBi belegten, dass es der Klägerin möglich gewesen wäre, das stehende Fahrzeug der Beklagten zu 1) rechtzeitig zu erkennen.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie meint, Ihr könne nicht zur Last gelegt werden, dass sie von der Straße Fuhrenkamp unmittelbar nach links in die Jahrstraße abbiegen wollte. Ein Kreisverkehr sei nicht durch die entsprechende Beschilderung gekennzeichnet gewesen.


II.

Weder das erstinstanzliche Vorbringen der Klägerin, noch die Ausführungen in der Berufungsbegründung sind geeignet, das Ergebnis des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Amtsgerichts in Frage zu stellen.

Zweifelhaft dürfte bereits die Auffassung der Klägerin sein, dass sie berechtigt gewesen sei, unmittelbar von der Straße F. nach links in die J.-Straße abzubiegen. Vielmehr dürfte es angezeigt sein, das Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer, die aus der Straße F. kommend im Verhältnis zu den Verkehrsteilnehmern, die aus der J.-Straße kommen, nach den Grundsätzen zu beurteilen, die für den so genannten „Kreisverkehr“ gelten. Die Klägerin hätte an dem Kreisel nicht unmittelbar nach links in die J.-Straße abbiegen dürfen sondern musste an der Einmündung rechts herum den Kreisel befahren. Auch wenn an der Einmündung Kreisverkehr durch Zeichen 215 (§ 9 a StVO) nicht ausdrücklich angeordnet war, so dürfte die aus der vorgelegten Skizze und den Lichtbildern ersichtliche bauliche Gestaltung dafür sprechen, dass an dem „Kreisel“ nicht unmittelbar links abzubiegen, sondern ausschließlich rechts zu fahren ist. Dafür sprechen Sinn und Zweck dieses Kreisels, der zur Verkehrsberuhigung angelegt worden ist. Dieser Zweck würde nicht hinreichend erreicht, wenn hier auch links abgebogen würde. Denn nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung ist der Kurvenbereich von der Breite her nicht dafür ausgelegt, dass zwei Fahrzeuge durch diesen Bereich fahren. Die Gefahr eines derartigen Begegnungsverkehrs ist ersichtlich von vornherein ausgeschlossen, wenn von allen Verkehrsteilnehmern in den Kreisel ausschließlich rechts eingefahren wird.

Auch die vom grauen Straßenbelag der J.-Straße abweichende rötliche Pflasterung innerhalb des Kreises verdeutlicht, dass bei der Beurteilung der Frage der Vorfahrt an der Einmündung der Straße F. nicht die normale Regelung „rechts vor links“ sondern Besonderheiten, nämlich die Regeln des Kreisverkehrs, zu beachten sind.

Zudem dürfte der Klägerin ein Verstoß gegen § 10 StVO mit dem entsprechenden Anscheinsbeweis anzulasten sein. Die Klägerin fuhr aus einen verkehrsberuhigten Bereich (Zeichen 325/326) auf die Fahrbahn der J.-Straße ein und hatte dabei die besonders strengen Sorgfaltsanforderungen nach § 10 StVO zu beachten. Der Unfallverlauf verdeutlicht, dass die Klägerin durch ihr Fahrverhalten diesen strengen Anforderungen nicht hinreichend genügt hat. Aus einem verkehrsberuhigten Bereich wird auch dann auf eine Straße eingefahren, wenn das Zeichen 236 (Ende) nicht unmittelbar an der Einmündung der aus dem Bereich herausführenden Straße angebracht ist (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., §10 StVO, Rn. 6a).

Die im Verhältnis zur 4,9 m breiten J.-Straße mindernde Bedeutung der Straße F. verdeutlicht sich neben der geringeren Breite der Fahrbahn von nur 2,9 m und dem Umstand, dass für die Straße F. ein verkehrsberuhigter Bereich (Zeichen 325) angeordnet ist, schließlich auch noch erkennbar dadurch, dass ausweislich der zur Akte gereichten Skizze 3 m hinter dem Zeichen 326 (Ende des verkehrsberuhigten Bereichs) auf der Fahrbahn eine bauliche Absenkung angebracht ist, die Verkehrsteilnehmer auf der Straße F. zu besonders verhaltener und aufmerksamer Fahrweise veranlassen soll.

Die Klägerin, nicht etwa die Beklagte zu 1) hätte durch rechtzeitiges Anhalten ihres Pkw eindeutig zu erkennen geben müssen, dass sie das Vorrecht der Beklagten zu 1) beachtet. Gegen diese Pflicht hat die Klägerin unfallursächlich verstoßen.

Schließlich hat die Klägerin auch noch gegen § 2 StVO verstoßen. Aus der eingereichten Skizze und dem Lichtbild Bl. 37 d.A. ist ersichtlich, dass die Fahrzeuge am Ende der J.-Straße auf der von der Beklagten zu 1) befahrenden rechten Fahrbahnhälfte kollidierten. Der Anschein spricht dabei gegen den, der auf der falschen Straßenseite mit dem Gegenverkehr kollidiert (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 2 StVO, Rn 74), hier also gegen die Klägerin. Dieser Anschein ist nicht widerlegt. Jeder insoweit verbleibende Zweifel am konkreten Hergang des Verkehrsunfalls muss - als Folge des Anscheinsbeweises - zu Lasten der Klägerin gehen.

Die Klägerin trifft demnach die alleinige Verantwortung an der Kollision der Fahrzeuge.