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Kammergericht Berlin Beschluss vom 13.09.2010 - 12 U 208/09 - Zum Anscheinsbeweis bei vorangegangenem Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden

KG Berlin v. 13.09.2010: Zum Anscheinsbeweis bei vorangegangenem Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 13.09.2010 - 12 U 208/09) hat entschieden:
  1. Der im Falle des typischen Auffahrunfalls gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der Vorausfahrende in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall in den vom Auffahrenden befahrenen Fahrstreifen gewechselt ist; in einem solchen Fall haftet der Fahrstreifenwechsler wegen des für eine Verletzung der Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO sprechenden Anscheinsbeweises allein.

  2. Aus dem Schadensbild an den unfallbeteiligten Fahrzeugen kann nichts zu der Frage abgeleitet werden, ob ein Auffahren in unmittelbarem zeitlichem und örtlichem Zusammenhang mit dem unstreitigen Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden stand.

Gründe:

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geltend.

Am 6. November 2008 befuhr der Kläger mit seinem Taxi zunächst den rechten Fahrstreifen der Residenzstraße in Fahrtrichtung Lindauer Allee. Er wechselte dann in den linken Fahrstreifen, den die Beklagte zu 1) mit dem von dem Beklagten zu 2) gehaltenen und bei der Beklagten zu 3) gegen Haftpflicht versicherten Kfz hinter dem klägerischen Kfz befuhr. Unter im Einzelnen von den Parteien unterschiedlich geschilderten Umständen kam es dann zur Kollision zwischen den beiden Kfz.

Der Kläger hat behauptet, nachdem er einige Distanz auf dem linken Fahrstreifen zurückgelegt habe, habe er wegen eines vor ihm auf den linken Fahrstreifen wechselnden Kfz anhalten müssen. Nach ungefähr drei Sekunden sei das Beklagtenfahrzeug aufgefahren.

Der Kläger hat gemeint, der Beweis des ersten Anscheins streite für das Verschulden der aufgefahrenen Beklagten zu 1).

Der Kläger hat klageweise Schadensersatz wegen der Beschädigung seines Kfz in Höhe von 4.757,82 EUR und Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 481,50 EUR sowie die Feststellung verlangt, dass die Beklagten verpflichtet seien, ihm weiteren materiellen Schaden zu ersetzen.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe, kurz nachdem er auf die linke Fahrspur gezogen sei, verkehrsbedingt abbremsen müssen. Noch während des Fahrstreifenwechsels habe sich der Unfall ereignet.

Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) sowie der Einvernahme von zwei Zeugen zum Hergang des Unfalls abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Die Klage sei unbegründet, weil der Kläger allein für seinen Unfallschaden hafte, da er den gegen sich als Fahrspurwechsler sprechenden Anscheinsbeweis nicht erschüttert habe. Der Anscheins-beweis zulasten des Klägers greife ein, da das Klägerfahrzeug unstreitig vor der Kollision den Fahrstreifen gewechselt habe und sich der Unfall in einem engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet habe. Die geltend gemachte Standzeit seines Fahrzeugs von drei Sekunden beseitige, selbst wenn man diese Dauer als richtig unterstellen würde, den zeitlichen Zusammenhang nicht.

Demgegenüber greife ein Anscheinsbeweis gegen das auffahrende Beklagtenfahrzeug nicht ein. Im Falle eines unstreitigen Fahrstreifenwechsels des Vorausfahrenden setze der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden voraus, dass beide Fahrzeuge unstreitig oder erwiesenermaßen so lange in einer Spur hintereinander gefahren seien, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangene Fahrzeugbewegung hätten einstellen können. Diese Umstände habe der Kläger zu beweisen. Diese ergäben sich nicht aus dem zu unbestimmten Sachvortrag des Klägers und auch die Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 1) sowie die Beweisaufnahme hätten keine zur Überzeugung des Gerichts feststehende Tatsachen erbracht, die den Schluss auf einen Anscheinsbeweis gegen die aufgefahrene Beklagte zu 1) zuließen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge weiter verfolgt. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus:

Nach seiner Auffassung streite für eine Haftung der Beklagten zu 1) der zu ihren Lasten gehende Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden, weil es sich um einen typischen Auffahrunfall mit Teilüberdeckung von Heck und Front handle. Kein typischer Auffahrunfall solle nur dann vorliegen, wenn eine Eckkollision bei Schrägstellung der Längsachse des Vorausfahrenden gegeben sei. Das habe das Erstgericht verkannt. Bereits das Schadensbild spreche dafür, dass es einen “geraden” Heckaufprall gegeben habe. Über die streitige Tatsache des Schadensbildes hätte das Landgericht Beweis erheben müssen.

Zudem habe sich sowohl aus dem Klägervortrag als auch aus dessen Anhörung ergeben, dass beide Fahrzeuge bereits so lange in einer Spur hintereinander gefahren seien, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können. Dafür spreche zum einen der Umstand, dass der Kläger bereits ein bis zwei Sekunden vor dem Aufprall gestanden habe, zum anderen habe die Beklagte selbst nicht behauptet, eine Vollbremsung getätigt zu haben. Daher müssten beide Fahrzeuge bereits eines gewisse Zeit hintereinander in einer Fahrspur gefahren sein und die Beklagte zu 1) hätte sich auf die Fahrbewegung einstellen können.

Das Landgericht werte die Aussagen der Zeugen N. und S. unzutreffend. Es sei Sache der Beklagten, den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis zu entkräften. Sie hätte daher beweisen müssen, dass der Kläger erst wenige Augenblicke vor dem Unfall den Fahrstreifen gewechselt habe. Das sei ihr aber nicht gelungen. Das Landgericht habe verkannt, dass es auf die Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen angekommen sei.

Ein gegen den Kläger gerichteter Anscheinsbeweis komme nicht in Betracht. Es könne nicht von einer Eckkollision ausgegangen werden und das gegen ihn eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren sei eingestellt worden.


II.

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist hier indes nicht der Fall.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger haftet für den Unfall allein. Ihm steht daher gegen die Beklagten als Gesamtschuldner kein Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 1, 2 VVG zu.

1. Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass sich der Unfall für keinen der Unfallbeteiligten als unabwendbares Ereignis gemäß § 17 Abs. 3 StVO darstellte.

Ein solches liegt gemäß § 17 Abs. 3 StVG nur vor, wenn der Fahrer jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat und auch durch diese das Unfallereignis nicht abgewendet werden konnte. Hierzu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln, das über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinausgeht und alle möglichen Gefahrenmomente berücksichtigt (Senat, Urteil vom 24. Oktober 2005 – 12 U 264/04, juris, Tz. 3; vgl. ferner Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 17 StVG, Rn. 22 m. w. Nachw.).

Entsprechender Vortrag fehlt von beiden Seiten. Von einem unabwendbaren Ereignis kann daher für beide Unfallbeteiligte nicht ausgegangen werden.

2. Zu Recht hat das Landgericht daher, weil das Unfallgeschehen weder für den Kläger noch für die Beklagte zu 1) unvermeidbar i. S. d. § 17 Abs. 3 StVG gewesen ist, eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG vorgenommen.

a) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die für einen Auffahrunfall entwickelten Rechtsgrundsätze zu Lasten der Beklagten zu 1) vorliegend keine Anwendung finden.

(1) Im Fall eines Auffahrunfalls spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass der Auffahrende den Unfall verursacht hat (BGH, NZV 2007, 354, Tz. 5). Der Anscheinsbeweis ist jedoch entkräftet, wenn sich die Kollision beider Fahrzeuge in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel ereignet hat (Senat, NJW-Spezial 2010, 555; NZV 2008, 198, 199; NZV 2006, 374, 375; KGR 1997, 223, 224; KG, 22. ZS, KGR 2003, 272, 273; OLG Köln, NZV 2004, 29, 30; OLG Naumburg, VRS 100, 173).

(2) So liegt der Fall hier.

Die Beklagte zu 1) hat vorgetragen, der Unfall habe sich direkt während des Spurwechsels ereignet (Klageerwiderungsschriftsatz vom 26. Mai 2009, S. 2). Die Entfernung des Taxis zu ihrem Fahrzeug sei ihr sehr nah vorgekommen, als es in ihre Fahrspur herüber gewechselt sei (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009).

Diesem Vorbringen ist der Kläger nicht hinreichend substanziiert entgegengetreten. Das Landgericht hat zu Recht angenommen, dass sich der Kläger im Hinblick auf die entscheidende Zeitspanne zwischen Fahrstreifenwechsel und anschließender Kollision zu unbestimmt geäußert habe. Er hat lediglich angegeben, “einige Distanz” auf der linken Fahrspur zurückgelegt zu haben (Klageschrift, S. 3) und auf den ausdrücklichen Hinweis des Landgerichts in der Verfügung vom 2. Juni 2009 lediglich ergänzt, er habe “einige Zeit vor dem Unfall die rechte Fahrbahn” befahren (Schriftsatz vom 3. Juli 2009). Damit hat der Kläger sich weder in zeitlicher noch in räumlicher Hinsicht ausreichend konkret eingelassen.

Auch in seiner persönlichen Anhörung konnte der Kläger nicht angeben, wie weit das Fahrzeug der Beklagten bei seinem Fahrstreifenwechsel entfernt gewesen sei.

Es ist daher davon auszugehen, dass sich der Fahrstreifenwechsel des Klägers nur wenige Augenblicke vor der Kollision ereignet hat.

(3) Gegen diese Annahme spricht entgegen der Ansicht der Berufung nicht, dass der Kläger behauptet hat, er habe schon zwei bis drei Sekunden gestanden, bevor es zum Unfall gekommen sei. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass dieser Vortrag, selbst wenn man ihn als richtig unterstellte, den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Fahrstreifenwechsel und der nachfolgenden Kollision nicht beseitigte. Denn aus dieser relativ kurzen Zeitspanne lässt sich nicht der Schluss ziehen, die Beklagte zu 1) hätte noch genügend Zeit gehabt, um sich auf die Fahrbewegung des Klägers einzustellen. Selbst fünf Sekunden zwischen Fahrstreifenwechsel und nachfolgender Kollision können noch die Annahme rechtfertigen, dass ein atypischer Geschehensablauf vorliegt, der einen Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden nicht mehr zulässt (Senat, NJW-Spezial 2010, 555).

Zudem hat der Kläger in seiner Anhörung angegeben, er habe gerade gestanden als es hinten knallte. Erst auf Nachfrage des Gerichts gab er an, er dächte, er habe bereits ein paar Sekunden vor dem Unfall gestanden, ca. zwei (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009). Das zeigt, dass auch der Kläger nur von einer sehr kurzen Standzeit seines Kfz ausgeht und die Zeitspanne von zwei Sekunden allenfalls eine vage Schätzung darstellt.

(4) Da der Kläger dem Vorbringen der Beklagten zum unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen Fahrstreifenwechsel und nachfolgender Kollision schon nicht hinreichend substanziiert entgegen getreten ist, kam es nicht mehr darauf an, ob die Beklagte ihre Darstellung des Sachverhalts beweisen kann. Das Landgericht konnte daher offen lassen, ob die Aussagen der Zeugen N. und S. glaubhaft gewesen sind. Auf die Angriffe der Berufung gegen diese Beweiswürdigung des Landgerichts kommt es daher ebenfalls nicht an.

(5) Dass die Beklagte zu 1) nicht angegeben habe, eine Vollbremsung getätigt zu haben, führt ebenfalls nicht zu einer anderen Bewertung. Die Beklagte zu 1) hat jedenfalls angegeben, “stark” gebremst zu haben (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009), was jedenfalls nicht den Schluss zulässt, die Beklagte zu 1) hätte den Unfall bei gebotener Aufmerksamkeit verhindern können.

(6) Fehl geht der Angriff der Berufung, das Landgericht hätte Beweis über die streitige Tatsache des Schadensbildes erheben müssen.

Es kann nämlich als richtig unterstellt werden, dass es zu einer Überdeckung von Heck und Front bei der Kollision gekommen ist. Denn hierauf kommt es im Ergebnis nicht an.

Zwar trifft es zu, dass der Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden nur dann eingreifen kann, wenn bei den Fahrzeugen jedenfalls eine Teilüberdeckung von Heck und Front vorliegt (Senat, NZV 2008, 197). Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, wie die Berufung meint, dass nur dann kein typischer Auffahrunfall vorliege, wenn eine “Eckkollision bei Schrägstellung der Längsachse des Vorausfahrenden” gegeben sei.

Diese Ansicht trifft nicht zu. Das atypische Schadensbild eines Schrägaufpralls bei knapper Überdeckung stellt sich u. U. als Indiz für einen behaupteten Fahrstreifenwechsel dar (Senat, NZV 2006, 374, 375). Vorliegend ist der Fahrstreifenwechsel aber unstreitig.

Das Fehlen eines Schadensbildes für einen Schrägaufprall schließt zwar aus, dass sich die Kollision gewissermaßen noch während des Fahrstreifenwechsels ereignet hat, nicht aber, dass der Fahrstreifenwechsler den Anhalteweg des nachfolgenden Verkehrsteilnehmers derart verkürzt hat, dass diesem ein rechtzeitiges Anhalten nicht mehr möglich war.

Das Schadensbild kann daher nur etwas über die Wahrscheinlichkeit eines Fahrstreifenwechsels aussagen, nicht aber über die zeitliche Spanne, die die späteren Unfallfahrzeuge nach dem Fahrstreifenwechsel bis zur Kollision hintereinander hergefahren sind.

b) Stattdessen hat das Landgericht zu Recht einen gegen den Kläger sprechenden Anscheinsbeweis angenommen.

(1) Nach § 7 Abs. 5 StVO verlangt jeder Fahrstreifenwechsel die Einhaltung äußerster Sorgfalt, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Er setzt ausreichende Rückschau voraus und ist rechtzeitig und deutlich durch Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen. Ereignet sich der Unfall in einem unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel des vorausfahrenden Verkehrsteilnehmers, spricht der Anscheinsbeweis dafür, dass dieser die ihm gemäß § 7 Abs. 5 StVO obliegende Sorgfaltspflicht bei einem Fahrstreifenwechsel nicht in ausreichendem Maße beachtet und den Unfall verursacht und verschuldet habe (Senat, NZV 2005, 527, 528; VRS 106, 23; KGR 1997, 223, 224).

(2) Bereits oben ist ausgeführt worden, dass hier von einer Kollision in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel des Klägers auszugehen ist. Daher spricht gegen den Kläger der Beweis des ersten Anscheins, dass er sorgfaltswidrig den Unfall verursacht hat.

Aus den bereits oben erörterten Gründen spricht auch hier eine etwaigenfalls nicht vorliegende Schrägkollision nicht gegen eine typische, den Anscheinsbeweis gegen den Fahrstreifenwechsler begründende Sachverhaltskonstellation. Auch im Fall einer Kollision mit Überdeckung von Heck und Front kommt der Anscheinsbeweis gegen den Fahrstreifenwechsler in Betracht.

(3) Diesen gegen ihn sprechenden Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht zu entkräften vermocht. Im Gegenteil, bereits aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich, dass er den Sorgfalts-anforderungen des § 7 Abs. 5 StVO nicht gerecht geworden ist.

Die gemäß § 7 Abs. 5 StVO zu beachtende äußerste Sorgfalt beim Fahrstreifenwechsel erfordert nämlich eine ausreichende Rückschau. Diese setzt voraus, dass der Kraftfahrer vor dem Fahrstreifenwechsel nach links in den Innen- und Außenspiegel blickt und sich nach links umsieht (OLG Brandenburg, Urteil vom 21. Juni 2007 – 12 U 2/07, Juris-Tz. 3; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, § 7 StVO, Rn. 17).

Der Kläger hat in seiner Anhörung angegeben: “Ich habe mich vor dem Fahrspurwechsel durch einen Blick in den linken Außenspiegel vergewissert, dass hinter mir frei war. Ich habe dann geblinkt und die Spur gewechselt.” (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009). Damit hat der Kläger eingeräumt, bei dem Fahrstreifenwechsel nicht die äußerste Sorgfalt gewahrt zu haben. Denn er hat nicht in den Innenspiegel gesehen und sich auch nicht durch einen Blick nach hinten links über den nachfolgenden Verkehr informiert.

Der Kläger hat dann weiter angegeben: “Ich kann nicht sagen, wie weit das Fahrzeug der Beklagten von meinem Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt entfernt war. Es war dunkel und die Entfernung ist schwer einzuschätzen. Die Fahrzeuge fuhren alle mit eingeschaltetem Licht.” (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 6. Oktober 2009).

Aus diesen Angaben muss geschlossen werden, dass der Kläger nachfolgenden Verkehr erkannt hat, die Entfernung wegen der schlechten Sichtverhältnisse aber nicht einschätzen konnte und trotzdem den Fahrstreifen gewechselt hat. Hierin liegt ein grober Verstoß gegen die von § 7 Abs. 5 StVO verlangte äußerste Sorgfalt.

Dass ein gegen den Kläger gerichtetes Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt worden sein soll, lässt hingegen keine Schlüsse auf die zivilrechtliche Haftungslage zu und kann den Kläger daher nicht entlasten.

c) Zutreffend hat das Landgericht eine Alleinhaftung des Klägers angenommen.

Denn nach der Rechtsprechung beider Senate des Kammergerichts, haftet der Vorausfahrende bei einem sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel in der Regel für die Unfallschäden allein. Eine Mithaftung des anderen Unfallbeteiligten kommt nur dann in Betracht, wenn der Fahrstreifenwechsler Umstände nachweist, die ein Mitverschulden des anderen belegen. Allein die Betriebsgefahr des unfallbeteiligten Pkw rechtfertigt keine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers (Senat, NZV 2005, 527, 528; VRS 106, 23, 25; KG, 22. ZS, KGR 2003, 272, 273).

Ein Mitverschulden der Beklagten zu 1) konnte der Kläger hier jedoch nicht belegen.


III.

Es wird angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.