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OLG München Urteil vom 09.06.2011 - 24 U 619/10 - Zu den Verhaltenspflichten eines uneigennützigen Unfallhelfers

OLG München v. 09.06.2011: Zu den Verhaltenspflichten eines uneigennützigen Unfallhelfers


Das OLG München (Urteil vom 09.06.2011 - 24 U 619/10) hat entschieden:
  1. Der Verkehrsteilnehmer, der bei einem Unfall erste Hilfe leistet, ist nicht deshalb von der Pflicht befreit, um seinen eigenen Schutz bemüht zu bleiben. Auch er muss sich im eigenen Interesse umsichtig verhalten und das Risiko, infolge seiner Hilfeleistung selbst verletzt zu werden, möglichst ausschalten. Doch sind den Anforderungen an die eigene Vorsicht durch die Aufgaben, vor die ihn die Sorge um den Verunglückten stellt, und die Umstände, unter denen er sie zu erfüllen hat, Grenzen gesetzt. Der Schädiger kann keinesfalls von dem Unfallhelfer verlangen, dem Schutz der eigenen Person seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, da andernfalls Nächstenhilfe, zu der die Bürger nicht nur aufgerufen, sondern unter bestimmten Voraussetzungen sogar rechtlich verpflichtet sind, gerade bei Verkehrsunfällen auf der Autobahn mit ihrem dann hohen Gefahrenpotential durchweg nicht wirksam möglich wäre.

  2. Objektiv falsche Reaktionen von Verkehrsteilnehmern stellen dann kein schuldhaftes Verhalten im Sinn von § 254 Abs. 1 BGB dar, wenn der Verkehrsteilnehmer in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

  3. Sichert ein Unfallhelfer die Unfallstelle nicht mit einem Warndreieck ab, weil er davon ausgeht, dass für die Führer von sich nähernden Fahrzeugen die Unfallstelle durch vier bereits auf dem Standstreifen mit Warnblinkanlage abgestellte Fahrzeuge früh genug erkennbar ist, so stellt dies zwar ein Mitverschulden dar, welches jedoch vollständig hinter dem dem nicht aufmerksam genug fahrenden und nicht dem Sichtfahrgebot folgenden Kfz-Führer zu machenden Schuldvorwurf zurücktreten kann.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung in Bayern mit der am 21.12.2009 zugestellten Klage gemäß § 116 SGB X auf sie übergegangene Schadensersatzansprüche ihres Versicherten W. gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des B. aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 09.03.2003 gegen 22.00 Uhr auf der BAB A 96 zwischen Bad Wörishofen und Mindelheim in Fahrtrichtung Lindau geltend. Die Klägerin erbringt diese Leistungen aufgrund der gesetzlichen Unfallversicherung von W. als Unfallhelfer gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII.

Kurz vor dem streitgegenständlichen Unfall hatte der Pkw-Fahrer Mi. mit seinem Pkw Renault den von Mö. gefahrenen Pkw überholt und befand sich bereits wieder auf der rechten Fahrspur. Da eine Gruppe von etwa 5 Wildschweinen von rechts kommend die Fahrbahn überquerte, versuchte Herr Mi. auszuweichen, geriet dabei ins Schleudern, stieß mehrfach gegen die Mittelschutzplanken, überschlug sich und blieb mit seinem Pkw auf der linken Spur auf dem Dach liegen. In dem Pkw befanden sich neben dem Fahrer, der unverletzt aussteigen konnte, seine Ehefrau, seine Schwiegermutter sowie zwei Kinder im Alter von 2 Jahren. Mö. hielt ihren Pkw vor dem umgestürzten Pkw auf der Standspur an und schaltete die Warnblinkanlage ein. Der nachfolgende Fahrer H. hielt ebenfalls an und stellte sein Fahrzeug mit eingeschalteter Warnblinkanlage auf der Standspur ab. Dasselbe tat wenig später W., der ausstieg und dem verunfallten Fahrer und den Insassen im Pkw Mi. helfen wollte. Kurz danach näherte sich S. mit seinem Pkw. Auch er stellte seinen Pkw auf der Standspur etwas weiter vorne mit eingeschalteter Warnblinkanlage ab; er kam mit seinem Beifahrer N. überein, dass dieser an dem Pkw Unfallhilfe leistet, während S. über Handy einen Notruf an die Polizei absetzte. In diesem Augenblick näherte sich der Versicherungsnehmer der Beklagten B. und fuhr mit einer Geschwindigkeit von mindestens 123 km/h auf den Pkw des Herrn Mi. auf, der dadurch in eine Drehbewegung versetzt wurde und W. und N. erfasste. W. wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Er erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma, einen Milzriss, mehrere Rippenbrüche, eine schwere Wirbelsäulenverletzung und lag im Koma. Er ist seither dauerhaft pflegebedürftig.

Die Klägerin meldete am 07.07.2003 bei der Beklagten Ansprüche an (Anlage K 1). Die bezifferten Ansprüche der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt beliefen sich auf 53.700,64 €. Mit Schreiben vom 04.03.2008 (Anlage K 5) machte sie weitere Ansprüche in Höhe von 120.890,38 € geltend, von denen sie einen Abzug für häusliche Ersparnisse von 1.360,00 € sowie vorläufig, wegen der ungeklärten Situation hinsichtlich einer Verletztenrente der Rentenversicherung einen weiteren Abzug von 24.752,00 € vornahm.

Die Beklagte leistete am 22.10.2003 einen Vorschuss von 25.000,00 €, am 07.08.2007 weitere 10.300,42 € sowie am 22.03.2008 und am 01.08.2008 jeweils weitere 30.000,00 €, insgesamt 95.300,42 €. Zu dem Schriftwechsel und Telefonaten zwischen den Parteien wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen.

In der ersten Instanz machte die Klägerin einen bezifferten Schaden von 53.188,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten und dem jeweiligen Basiszinssatz ab 01.08.2009 sowie die Feststellung geltend, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin verpflichtet ist, sämtliche übergangsfähige Leistungen zu ersetzen, die sie an W. zu erbringen hat. Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Sie sei aufgrund des erheblichen Mitverschuldens des Versicherten der Klägerin nur zu 2/3 eintrittspflichtig; diese Eintrittspflicht habe sie bereits mit Schreiben vom 31.07.2007 (Anlage K 18) anerkannt und auf dieser Grundlage korrekt abgerechnet. Etwaige diese Quote übersteigende Ansprüche seien auch verjährt; soweit die Beklagte den Anspruch in Höhe von 2/3 anerkannt habe, sei die Klage wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig.

Das Landgericht hat der Beklagten im Ersturteil einen Betrag von 3.685,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.12.2009 zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Anspruch, soweit er die von der Beklagten anerkannte Haftungsquote von 2/3 übersteigt, verjährt. Eine Hemmung der Verjährung wegen laufender Verhandlungen sei mit Zugang des Schreibens der Beklagten vom 08.04.2004 (Anlage K 3) am 14.04.2004 (Anlage K 16) beendet worden. Dabei habe es sich um eine endgültige Stellungnahme und eine endgültige Ablehnung weiterer Ansprüche, soweit sie über eine Haftungsquote von 30 % hinaus gingen, gehandelt. Als die Beklagte dann die Haftungsquote von 2/3 im Schreiben vom 31.07.2007 (Anlage K 18) anerkannt habe, habe es sich damit um keine erneute Einleitung von Verhandlungen, sondern um eine einseitige Erklärung der Beklagten gehandelt, die die Verjährung nicht erneut gehemmt habe. Die Verjährung hinsichtlich des nicht anerkannten Drittels sei daher am 15.04.2007 abgelaufen. Die spätere Korrespondenz der Parteien sei unbeachtlich. Der vom Landgericht zugesprochene Betrag von 3.685,59 € sei der auf der Grundlage einer Haftungsquote von 2/3 ausstehende noch offene Betrag. Der Feststellungsantrag sei, soweit er einen Teilantrag zur Zweidrittelhaftung der Beklagten beinhaltet, unzulässig, weil angesichts des Anerkenntnisses der Beklagten ein Feststellungsinteresse fehle. Darüber hinausgehend sei er wegen Verjährung unbegründet.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre ursprünglichen Ziele weiterverfolgt.

Die Klägerin beantragt:
  1. Das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 08.07.2010, Az.: 23 O 2128/09, wird aufgehoben, soweit es die Klage in Ziffer I der Anträge vom 07.12.2009 zurückgewiesen hat.

  2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 53.188,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.08.2009 zu bezahlen.

  3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin verpflichtet ist, sämtliche übergangsfähige Leistungen zu ersetzen, die die Klägerin in Zukunft gegenüber dem Versicherten W., geboren am …1971, nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung aus dem Unfallereignis vom 09.03.2003 zu erbringen hat.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, dass sie nicht nur die Ansprüche auf Ersatz übergangsfähiger Leistungen begehrt, die sie "in Zukunft", also ab Urteil zu erbringen hat, sondern ab Klageerhebung (Protokoll vom 19.05.2011, S. 2).

Nach Auffassung der Klägerin ist bei der Hemmung der Verjährung auch § 3 Nr. 3 Satz 3 und 4 PflVersG (in der bis 31.12.2007 gültigen Fassung) anzuwenden. Das Schreiben der Beklagten vom 08.04.2004 (Anlage K 3) stelle keine ausreichend bestimmte Ablehnung dar und sei daher nicht als Entscheidung im Sinn der genannten Vorschrift anzusehen. Das Schreiben enthalte neben einer Wiedergabe des Sachverhalts aus Sicht der Beklagten nur deren Bewertung der Haftungsanteile, ohne dass es das Wort "endgültig" oder ein vergleichbares Wort, das dem Inhalt oder dem Sinn nach als Verweigerung der Fortsetzung von Verhandlungen von der Klägerin gesehen werden könnte, enthalte. Beide Parteien seien professionelle Versicherer und damit mit den bei Unfallversicherungen üblichen Gepflogenheiten vertraut. Eine Verwirkung der Hemmung sei deshalb schon grundsätzlich nicht möglich, weil eine gewisse Zeitdauer, in der die Verhandlungen nicht geführt worden seien, keinesfalls ein Kriterium dafür sei, dass die Verhandlungen nicht weiter fortgesetzt werden sollten. Die Feststellungen der Beklagten, dass man die Schäden zu 30 % ausgleichen werde, stelle lediglich eine Darlegung des Standpunkts der Beklagten dar.

Selbst wenn man das anders sehen würde, sei die Verjährung durch die erneute Aufnahme von Verhandlungen mit dem Schreiben der Klägerin vom 12.04.2006 (Anlage K 27) erneut gehemmt worden. Auf die Aufforderung der Klägerin habe die Beklagte mit Schreiben vom 19.04.2006 zunächst bis 31.12.2008 auf die Einrede der Verjährung verzichtet, soweit nicht bereits bei Zugang dieses Schreibens Verjährung begründet gewesen sei (Anlage K 24); das bedeute die Aufnahme neuer Verhandlungen und die Offenhaltung der Entscheidung über die Haftungsquote. Die Erhöhung der Haftungsquote der Beklagten von nur 30 % gemäß Schreiben vom 08.04.2004 auf 2/3 gemäß Schreiben vom 31.07.2007 (Anlage K 18) verdeutliche, dass vorher keine Verjährung eingetreten sei, enthalte aber wieder keine unzweideutige und endgültige Ablehnung einer weitergehenden Haftung. Die weiteren Schreiben vom 04.03.2008 (Anlage K 5), die Antwort der Beklagten vom 12.03.2008 (Anlage K 11 und K 19) und insbesondere die Aktennotiz der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau T., vom 14.04.2008 (Anlage K 25), die vorgeschlagen hatte, den Schadensfall über die Quote endgültig in einer Sammelbesprechung zu regeln, würden deutlich machen, dass zu diesem Zeitpunkt Verhandlungen über die Quote noch nicht beendet gewesen seien. Eine Beendigung der Verhandlungen liege erst im Schreiben der Beklagten vom 23.07.2009, Anlage K 7, auf das die Klägerin mit der am 09.12.2009 bei Gericht eingegangenen Klageschrift reagiert habe.

In der Sache hafte die Beklagte zu 100 %, da ihr Versicherungsnehmer auch gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) verstoßen habe oder entgegen § 1 Abs. 2 StVO unaufmerksam gefahren sei.

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Hinsichtlich der Feststellungsklage bis zur Höhe von 2/3 fehle das Feststellungsinteresse. Im Übrigen sei die Klage mit Recht wegen Verjährung abgewiesen worden. Das Berufungsgericht sei an die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts gebunden. Nach dem Schreiben vom 08.04.2004 hätte keine Verhandlungen mehr stattgefunden, die Beklagte habe vielmehr die Haftungsquote aufgrund eigener Ermittlungen auf 2/3 erhöht. Abschlagszahlungen seien nicht über die anerkannte Quote hinausgegangen. Hinsichtlich der Haftungsquote verweist die Beklagte auf ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach den Versicherten der Klägerin ein erhebliches Mitverschulden treffe, das sich daraus ergebe, dass er nicht für eine Absicherung der Unfallstelle gesorgt habe und auf der Autobahn herumgelaufen sei. Der Umstand, dass die auf dem Standstreifen abgestellten Fahrzeuge die Warnblinkanlage eingeschaltet hätten, erhöhe das Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten nicht, weil die Warnblinkanlage nur vor Gefahren warne, die von dem abgestellten Fahrzeug selbst ausgingen.

Der Senat hat die Strafakten des Amtsgerichts Memmingen, Az.: Cs 25 Js 11257/03, beigezogen, das gegen den Versicherungsnehmer der Beklagten am 08.12.2003 rechtskräftig einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Körperverletzung in 3 tateinheitlichen Fällen erlassen hat.

Ergänzend wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen in beiden Instanzen Bezug genommen.


II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und hat zum größten Teil auch in der Sache Erfolg.

1. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergibt sich aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, aus § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVersG (a.F.); der Anspruch des Verletzten ist gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen, da sie ihm gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 13 lit. a SGB VII Leistungen zu erbringen hat, weil er bei einem Unglücksfall Hilfe geleistet hat, als er selbst durch den Versicherungsnehmer der Beklagten verletzt wurde. Die von der Klägerin erbrachten Leistungen Krankengeld, Verletztenrente, Krankenhauskosten, Transport und Flugrettung dienen der Behebung eines Schadens der gleichen Art und sind damit auf die Klägerin übergegangen. Dies steht zwischen den Parteien auch nicht im Streit.

2. Die Beklagte haftet dem Verletzten W. zu 100 %, so dass die Klägerin ihre Ansprüche zu 100 % geltend machen kann.

Nach Auffassung des Senats trifft den Verletzten zwar der Vorwurf eines Mitverschuldens. Dieses ist jedoch so gering, dass es gegenüber dem Verursachungsbeitrag des Versicherungsnehmers der Beklagten vollständig zurücktritt.

Zwar hat der Verletzte sich entgegen § 18 Abs. 9 Satz 1 StVO als Fußgänger auf der Autobahn bewegt. Der Versicherte der Klägerin war jedoch dabei, den noch im Fahrzeug Mi. befindlichen Verletzten, insbesondere der Schwiegermutter des Herrn Mi. und einem Kind zu helfen, wozu er ebenfalls verpflichtet war, § 34 Abs. 1 Nr. 4 StVO, § 323 c StGB. Zwar wäre in der Rückschau möglicherweise eine geschicktere Aufteilung der Hilfeleistung an der Unfallstelle denkbar gewesen. Nach dem Inhalt der beigezogenen Strafakte war es so, dass N. dabei war, ein schreiendes Kind aus dem Fahrzeug zu bergen, während sich W. in unmittelbarer Nähe befand. S. hatte übernommen, per Handy die Polizei zu verständigen. Welche Aufgabe die beiden anderen unverletzten Zeugen, Frau Mö. und Herr H. übernommen hatten, ist nicht ersichtlich. Daher wäre theoretisch denkbar gewesen, eine dieser Personen zu Fuß entgegen der Fahrtrichtung zu schicken, um mit einem Warndreieck herannahenden Verkehr zu warnen. Da die zeitlichen Verhältnisse aber nicht genau bekannt sind, steht schon nicht fest, dass eine solche Warnung in einem ausreichenden Abstand vor der Unfallstelle hätte erfolgen können, um die Unfallhelfer überhaupt zu schützen. Zudem erscheint es unwahrscheinlich, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten auf eine Warnung mit einem Warndreieck anders reagiert hätte als auf die von ihm wahrgenommenen Fahrzeuge mit Warnblinkanlage auf dem Standstreifen, die er nicht zum Anlass für eine Verlangsamung seiner Fahrt, sondern nur zu einem Ausweichen auf die Überholspur genommen hat.

Zwar ist auch der Verkehrsteilnehmer, der bei einem Unfall erste Hilfe leistet, nicht deshalb von der Pflicht befreit, um seinen eigenen Schutz bemüht zu bleiben. Auch er muss sich im eigenen Interesse umsichtig verhalten und das Risiko, infolge seiner Hilfeleistung selbst verletzt zu werden, möglichst ausschalten. Doch sind den Anforderungen an die eigene Vorsicht durch die Aufgaben, vor die ihn die Sorge um den Verunglückten stellt, und die Umstände, unter denen er sie zu erfüllen hat, Grenzen gesetzt (BGH Urteil vom 02.12.1980, VI ZR 265/78 = VersR 1981, 260, bei Juris Rdnr. 11). Der Schädiger kann keinesfalls von dem Unfallhelfer verlangen, dem Schutz der eigenen Person seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, da andernfalls Nächstenhilfe, zu der die Bürger nicht nur aufgerufen, sondern unter bestimmten Voraussetzungen sogar rechtlich verpflichtet sind, gerade bei Verkehrsunfällen auf der Autobahn mit ihrem dann hohen Gefahrenpotential durchweg nicht wirksam möglich wäre (ebenda). Daher trifft auch einen Verkehrsteilnehmer, der unmittelbar nach einem Unfall im Straßenverkehr nicht die aus nachträglicher Sicht vernünftigste Maßnahme ergreift, zwangsläufig ein Mitverschuldensvorwurf. Selbst objektiv falsche Reaktionen von Verkehrsteilnehmern stellen dann kein schuldhaftes Verhalten im Sinn von § 254 Abs. 1 BGB dar, wenn der Verkehrsteilnehmer in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert (BGH Urteil vom 05.10.2010, VI ZR 286/09 = NJW 2011, 292, Rdnr. 13).

Dieser Maßstab ist auch dem vorliegenden Unfallgeschehen zugrunde zu legen. Daher kann den Unfallhelfern, die sich mit Ausnahme von S. und N. vor dem Unfall nicht kannten und unversehens in die für sie unerwartete Situation kamen, beim Unfall helfen zu müssen, nicht vorgeworfen werden, dass sie sich in der Kürze der Zeit nicht perfekt organisiert haben, um die Unfallstelle abzusichern. Es ist insbesondere nicht vorzuwerfen, wenn sie davon ausgegangen sind, dass die Unfallstelle für herannahende Kraftfahrer durch die vier auf dem Standstreifen mit Warnblinkanlage abgestellten Fahrzeuge ausreichend früh erkennbar ist. Es war zwar dunkle Nacht zur Unfallzeit, die blinkenden Fahrzeuge waren jedoch - anders als das verunfallte Fahrzeug Mi. selbst - weithin sichtbar. So hatten auch die Fahrer H., der Verletzte W. selbst und S. ohne Gefahr anhalten und ihre Fahrzeuge abstellen können.

Im Gegensatz zu dem allenfalls geringen Mitverschulden des Verletzten trifft den Versicherungsnehmer der Beklagten ein erheblicher Schuldvorwurf. Ihm ist ein Verstoß gegen das auch auf Autobahnen geltende Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 4 StVO) vorzuwerfen, das durch § 18 Abs. 6 StVO lediglich modifiziert wird (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.11.1999, 27 U 93/09 = NZV 2000, 369). § 18 Abs. 6 StVO erlaubt dem Kraftfahrer schneller zu fahren, wenn entweder die Schlussleuchten des vorausfahrenden Kraftfahrzeugs erkennbar sind und ein ausreichender Abstand von ihm eingehalten wird, oder wenn der Verlauf der Fahrbahn durch Leiteinrichtungen mit Rückstrahlern und zusammen mit fremdem Licht Hindernisse rechtzeitig erkennbar sind. Diese Vorschrift greift aber schon deshalb nicht ein, weil der Versicherungsnehmer der Beklagten keinem anderen Fahrzeug gefolgt ist, sondern allein auf der Autobahn fuhr. Der Fahrer muss sich auf gegebene erschwerte Sichtbedingungen einstellen, aber grundsätzlich nur auf die unter den konkreten Verhältnissen normale, durchschnittliche Erkennbarkeit größerer Hindernisse, dagegen nicht auf solche, die etwa wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind. Mit typischen Hindernissen, beispielsweise mit verunglückten Personen, mit angefahrenem Wild, und erst recht mit einem ganzen Unfall-Pkw, mag er auch nicht oder nur spärlich beleuchtet gewesen sein, muss ein Kraftfahrer dagegen stets rechnen und seine Fahrweise und Geschwindigkeit in Anbetracht der Sichtverhältnisse darauf einrichten (BGH Urteil vom 15.05.1984, VI ZR 161/82 = NJW 1984, 2412 = VersR 1984, 741).

Das Verschulden des Versicherungsnehmers der Beklagten wird noch durch die deutlich erkennbaren vier auf dem Standstreifen abgestellten Kraftfahrzeuge erhöht. Das vom Beklagten zitierte Urteil des BGH vom 13.03.2007 (VI ZR 216/05 = NJW-RR 2007, 903 = VersR 2007, 1095) ist auf diesen Fall nicht übertragbar, da ihm ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde lag. Dort hatte bei guten Sichtverhältnissen am Tag der Fahrer eines Lkw´s unzulässigerweise das Warnblinklicht eingeschaltet, um auf seinen am Fahrbahnrand verbotswidrig abgestellten Lkw aufmerksam zu machen. Dessen Warnblinkanlage warnt nicht vor der Gefahr, die davon ausgeht, dass der Lkw-Fahrer unter Missachtung entgegenkommenden Verkehrs aussteigt und über die Fahrbahn springt.

Die Sachlage an der streitgegenständlichen Unfallstelle war jedoch eine völlig andere. Der Versicherungsnehmer der Beklagten konnte in der dunklen Nacht aus mehreren 100 m Entfernung die Warnblinkanlagen mehrerer Fahrzeuge erkennen, hatte aber aufgrund der begrenzten Reichweite des Abblendlichts keine Sicht auf die daneben befindliche Fahrbahn. Er musste daher in hohem Maß mit der Gefahr von auf der Fahrbahn befindlichen Unfallfahrzeugen, verunglückten Personen oder angefahrenem Wild rechnen und wäre allein deshalb verpflichtet gewesen, seine Geschwindigkeit deutlich zu reduzieren. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf das Urteil des OLG Stuttgart vom 29.11.2006, Az.: 3 U 16/06, das den streitgegenständlichen Unfall betrifft und in einem Rechtsstreit zwischen der Beklagten und der Versicherung des Unfallbeteiligten Mi. ergangen ist (vgl. insbesondere Rdnr. 29). Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der dortigen Klägerin, der hiesigen Beklagten, hat der BGH mit Beschluss vom 03.07.2007, VI ZR 274/06, zurückgewiesen.

3. Die Ansprüche der Klägerin sind, soweit sie beziffert sind, der Höhe nach unstreitig. Es ist lediglich ein Rechenfehler zu korrigieren. Die Ansprüche aus dem Schreiben Anlage K 1 belaufen sich auf 53.700,64 €, die Ansprüche aus dem Schreiben Anlage K 8 auf 120.890,38 €; von letzteren zieht die Klägerin selbst häusliche Ersparnis mit 1.360,00 € sowie aufgrund der Umgekehrtheit des Verhältnisses zur Rentenversicherung vorläufig 24.752,00 € ab. Das ergibt 94.778,38 €. Zusammen belaufen sich die klägerischen Forderungen damit auf 148.479,02 €.

Darauf hat die Beklagte 25.000,00 €, 10.300,42 € sowie 2 x 30.000,00 €, insgesamt 95.300,42 € geleistet. Der verbleibende Anspruch beträgt damit 53.178,60 €.

4. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist der klägerische Anspruch auch nicht verjährt.

a) Die Klägerin hat ihren Anspruch mit Schreiben vom 07.07.2003 (Anlage K 1) angemeldet, so dass die Hemmung noch vor dem Ablauf des Jahres 2003, mit dem die Verjährung hätte gemäß § 199 Abs. 1 BGB begonnen hätte, einsetzte.

b) Die Hemmung ist nicht mit Zugang des Schreibens der Beklagten vom 08.04.2004 am 14.04.2004 beendet, weil dies keine Entscheidung im Sinn von § 3 Nr. 3 Satz 4 PflVersG a.F. darstellt. Eine schriftliche Entscheidung muss ebenso eindeutig wie endgültig sein (vgl. Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl. 2003, § 3 PflVersG, Rdnr. 17). Durch eine Entscheidung muss dem Geschädigten zweifelsfrei Klarheit über die Haltung des Haftpflichtversicherers gegenüber seinen Forderungen als Grundlage für die sachgerechte Durchsetzung seiner Ansprüche verschafft werden (BGH, Urteil vom 05.12.1995, VI ZR 50/95 = VersR 1996, 369, Rdnr. 13). In dem Schreiben (Anlage K 3) fehlt ein Hinweis auf die Endgültigkeit. In der vorangegangenen Argumentation finden sich einschränkende Worte wie "es ist daher u.E. (unseres Erachtens) dem hier versicherten Fahrer nur bedingt zurechenbar, dass sich der Zweitunfall ereignet hat." Das Schreiben enthält auch eine Abrechnung, die mit einem Überschussbetrag zugunsten der Beklagten endet, aber keine Rückforderung dieses Überschussbetrags. Angesichts der von der Klägerin mit 100 % gestellten Forderung und der Sachlage ist auch die anerkannte Haftungsquote von 30 % so gering, dass die Beklagte nicht ernsthaft mit einer Akzeptanz seitens der Klägerin rechnen konnte. Der Senat wertet das Schreiben daher nur als Mitteilung einer Verhandlungsposition. Dafür spricht auch das Verhalten der Beklagten nach diesem Schreiben. Auf die Aufforderung der Klägerin vom 12.06.2006 (Anlage K 27) auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, "nachdem bislang noch keine Einigung über die Haftungsquote erzielt werden konnte", reagierte die Beklagte mit Schreiben vom 19.04.2006 mit einem vorläufigen Verjährungsverzicht. Wäre die Beklagte bereits damals davon ausgegangen, dass sie bereits am 08.04.2004 eine Entscheidung getroffen hätte, hätte es nahegelegen, darauf zu verweisen.

c) Selbst wenn man - entgegen der Ansicht des Senats - in dem Schreiben vom 08.04.2004 eine Entscheidung sehen würde, wäre der Anspruch der Klägerin nicht verjährt. Mit dem soeben zitierten Schriftwechsel der Parteien vom 12./19.04.2006 sind jedenfalls Verhandlungen über die Haftungsquote in Gang gekommen, die gemäß § 203 Satz 1 BGB zu einer (erneuten) Hemmung der Verjährung führten. Diese Verhandlungen wurden durch das Schreiben der Beklagten vom 31.07.2007 (Anlage K 18) ebenfalls nicht beendet, da auch dieses nur eine Mitteilung einer Verhandlungsposition darstellt. Das folgt aus der Formulierung "sehen wir ein Mitverschulden der Unfallhelfer dafür, dass sie sich einer hohen Eigengefährdung ausgesetzt haben, die sich vorliegend bedauerlicherweise realisiert hat. Dieses Mitverschulden bewerten wir mit 1/3." Es fehlt wiederum an der Endgültigkeit einer Entscheidung.

Auch hier zeigt das weitere Geschehen, dass die Parteien nicht von einer endgültigen Entscheidung ausgegangen sind. Die Aktennotiz der Mitarbeiterin der Beklagten Frau T. vom 14.04.2008, die vorgeschlagen hatte, den Schadensfall über die Quote endgültig in einer Sammelbesprechung zu regeln, gibt nur dann Sinn, wenn die Beklagte zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen ist, dass über die Höhe der Quote noch verhandelt wurde. Damit dauerten die Verhandlungen an, bis der Vorschlag der Sammelbesprechung aus der Welt geräumt war. Dies ist erstmals im Schreiben vom 23.07.2009 (Anlage K 7) geschehen. Damit war der Anspruch bei Eingang der Klageschrift am 21.12.2009 noch nicht verjährt.

5. Der gestellte Feststellungsantrag ist im vollen Umfang zulässig und begründet.

a) Zwar war der Klägerin bei Klageerhebung am 21.12.2009 schon seit langem bekannt, dass die Beklagte eine Haftungsquote von 2/3 seit 31.07.2007 anerkannt hatte. Der Klageantrag ist jedoch - wie es der Senat im Tenor getan hat – dahin auszulegen, dass die Feststellung nur für das die anerkannte Quote übersteigende letzte Drittel beantragt wird. Dies ergibt sich nicht nur daraus, dass ein anderer Antrag nicht sachgerecht wäre, sondern auch aus den Ausführungen der Klägerin in der Klageschrift vom 07.12.2009, Seite 3, zum Streitwert. Dort wird der "Gegenstandswert" für den Feststellungsantrag von 125.000,00 € damit begründet, dass der Wert der festzustellenden Beträge auf 1.500.000,00 € geschätzt wird. Da die Beklagte, auch im Schreiben vom 23.07.2009 (Anlage K 7) erklärt habe, dass sie 2/3 der erstattungsfähigen Aufwendungen ausgleichen werde, gehe es um einen geschätzten Betrag für die Zukunft von 500.000,00 € (= 1/3 von 1.500.000,00 €). Die Feststellung werde mit 1/4 davon bewertet.

b) Die Feststellung ist in vollem Umfang begründet. Angesichts des schlechten Zustands des Verletzten W. ist davon auszugehen, dass die Klägerin sein Leben lang Leistungen für ihn und an ihn zu erbringen haben wird. Eine Mitverschuldensquote ist nicht abzuziehen (vgl. oben 2.).

6. Die Verzinsung hinsichtlich des Zahlungsanspruchs ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Eine Mahnung der Beklagten hat die Klägerin nicht vorgetragen. Eine ernsthafte und endgültige Leistungsverweigerung (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB) hinsichtlich eines bestimmten Betrages ist im Schreiben vom 23.07.2009 (Anlage K 7) nicht zu entnehmen. Beginn der Verzinsung ist der Tag nach Rechtshängigkeit (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl. 2011, § 288, Rdnr. 5).

7. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.