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OLG Bamberg Beschluss vom 04.04.2007 - 3 Ss OWi 338/07 - Führen des Kfz mit hinten offenen Sandalen

OLG Bamberg v. 04.04.2007: Führen des Kfz mit hinten offenen Sandalen


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 04.04.2007 - 3 Ss OWi 338/07) hat entschieden:
Das Führen eines Kraftfahrzeugs mit hinten offenen Sandalen verstößt nicht gegen § 23 I 2 i.V.m. § 49 I Nr. 22 StVO. Allerdings können in diesen Fällen Ordnungswidrigkeiten nach § 1 II i.V.m. § 49 I Nr. 1 StVO oder § 209 I Nr. 1 SGB VII i.V.m. den Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" in Betracht kommen.


Siehe auch Pflichten des Fahrzeugführers und Geeignetes Schuhwerk


Gründe:

I.

Das Amtsgericht, Zweigstelle Pegnitz, verurteilte den Betroffenen am 23.06.2006 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft in mehr als zwei Fällen nach Fahrtantritt bis zu 14 km/h in Tateinheit mit Führen eines Fahrzeugs, obwohl die Besetzung nicht vorschriftsmäßig war, wodurch die Verkehrssicherheit wesentlich litt, zu einer Geldbuße in Höhe von 140,-​- EUR und einem Fahrverbot von einem Monat.

Zum Sachverhalt enthält das Urteil folgende Feststellungen:
"Der Betroffene fuhr am 15.11.2005 um 20.12 Uhr mit dem LKW mit Anhänger, amtliches Kennzeichen xxx, auf Bundesautobahnen im Gebiet von Bayreuth. Während dieser Fahrt trug der Betroffene Sandalen, die nach hinten offen waren. Der Betroffene hätte erkennen können und müssen, dass er mit diesem Schuhwerk ein Fahrzeug nicht in jeder Situation sicher bedienen konnte. Er hätte geschlossene Schuhe anziehen können. Während dieser Fahrt am 15.11.2005 hatte der Betroffene in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 21.11 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach § 18 Abs. 5 StVO in drei Fällen überschritten. Um 19.32 Uhr hatte die Geschwindigkeit 96 km/h betragen, um 20.12 Uhr 100 km/h und um 20.39 Uhr 97 km/h. Von diesen Werten war zum Ausschluss eventueller Messfehler jeweils ein Wert von 6 km/h abzuziehen, so dass die Geschwindigkeitsüberschreitung um 19.32 Uhr 10 km/h betrug, um 20.12 Uhr 14 km/h und um 20.39 Uhr 11 km/h. Es wäre dem Betroffenen zumutbar und möglich gewesen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit einzuhalten".


II.

Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.

1. Das Fahren ohne bzw. ohne geeignetes Schuhwerk ist - jedenfalls bei einer nicht im Anwendungsbereich des § 209 SGB VII unterfallenden Fahrt - derzeit weder nach § 23 Abs. 1 S. 2 StVO noch nach anderweitigen Vorschriften des Straßenverkehrsrechts bußgeldbewehrt (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 15.11.2006/2 Ss OWi 577/2006 sowie zuletzt Senatsbeschlüsse vom 27.12.2006 – 3 Ss OWi 1306/06 und 3 Ss OWi 582/06).

Hieran ändert nichts, dass es mit den Pflichten eines sorgfältigen Kraftfahrzeugführers in der Tat unvereinbar erscheint, ein Kraftfahrzeug ohne oder mit hierfür ungeeignetem Schuhwerk zu führen. Wird hierdurch – etwa durch eine Fehlbedienung der Pedalen oder durch ein Abrutschen des Fußes vom Pedal – ein Dritter geschädigt, gefährdet oder auch nur belästigt (§ 1 Abs. 2 StVO), kann der Fahrzeugführer - über die zivilrechtliche Haftung für einen dadurch verursachten Schaden hinaus - auch strafrechtlich oder bußgeldrechtlich verantwortlich sein. Ist ein solcher Erfolg jedoch – wie hier – nicht eingetreten, wird das schlichte Führen eines Kraftfahrzeugs ohne oder mit hierfür ungeeignetem Schuhwerk derzeit von keiner Bußgeldbewehrung des Straßenverkehrsrechts (StVG, StVO, StVZO, FEV) erfasst.

a) Insbesondere scheidet - wie auch die Verteidigung zutreffend vorträgt - die Bestimmung des § 23 Abs. 1 S. 2 StVO insoweit als Verurteilungsgrundlage aus. Nach § 23 Abs. 1 S. 2 StVO hat der Fahrzeugführer "dafür zu sorgen, dass das Fahrzeug, der Zug, das Gespann sowie die Ladung und die Besetzung vorschriftsmäßig sind und dass die Verkehrssicherheit des Fahrzeugs durch die Ladung oder die Besetzung nicht leidet". Nachdem Fahrzeug, Ausrüstung und Bekleidung des Fahrers schon begrifflich nicht zur Ladung zählen, kann der Tatbestand nur dann erfüllt sein, wenn man den Betroffenen als Fahrer zur "Besetzung" des Fahrzeugs zählt. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Soweit § 23 Abs. 1 S. 2 StVO dem Fahrzeugführer die Verantwortlichkeit für die "Besetzung" des Fahrzeugs auferlegt, können damit nämlich nur Personen gemeint sein, die sich außer dem Fahrer noch im Fahrzeug befinden (BayObLG DAR 79, 45; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 23 StVO RdNr. 22). Das gleiche Resultat kann im Übrigen auch § 31 Abs. 2 StVZO entnommen werden, der für den Fahrzeughalter klar zwischen seiner Verantwortung für die Eignung des Fahrzeugführers einerseits und die Ladung und Besetzung andererseits differenziert. Dementsprechend wird im Rahmen des § 23 Abs. 1 StVO die Besetzung insbesondere in den Fällen als nicht vorschriftsmäßig angesehen, in denen sie den Bestimmungen des § 21 StVO nicht entspricht und dadurch die Verkehrssicherheit beeinträchtigt wird (Hentschel a.a.O. § 23 StVO RdNr. 22; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 23 StVO RdNr. 16). § 21 StVO wiederum regelt die Sorgfaltspflichten des Fahrers bei der Mitnahme anderer Personen. Die hier allenfalls eine Bußgeldbewehrung rechtfertigende Fallgestaltung eines eigenen, die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Verhaltens des Fahrers, das sich weder auf die Ladung noch auf die Besetzung des geführten Fahrzeugs bezieht, wird von § 23 Abs. 1 S. 2 StVO damit gerade nicht umfasst.

b) Das Fahren ohne bzw. ohne geeignetes Schuhwerk ist auch nicht über § 2 Abs. 1 S. 1 FeV i.V.m. § 75 Nr. 1 FeV bußgeldbewehrt. Denn § 2 Abs. 1 S. 1 FeV bezieht sich nur auf Fälle, in denen ein "körperlicher oder geistiger Mangel" zur Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit beim Führen eines Kraftfahrzeugs führen kann. Fehlendes oder ungeeignetes Schuhwerk stellt schon begrifflich keinen derartigen Mangel dar.

c) Schließlich kommt auch eine Verurteilung nach §§ 209 Abs. 1 Nr. 1, 15 Abs. 1 SGB VII i.V.m. §§ 44 Abs. 2, 58 und 32 der Unfallverhütungsvorschriften "Fahrzeuge" (BGV D29) derzeit nicht in Betracht. Zwar heißt es in § 44 Abs. 2 BGV D29: "Der Fahrzeugführer muss zum sicheren Führen des Fahrzeugs den Fuß umschließendes Schuhwerk tragen". Als Unfallverhütungsvorschrift kann § 44 Abs. 2 BGV D29 aber nur im Rahmen eines Versicherungsverhältnisses nach dem SGB VII Geltung beanspruchen (soweit der gesetzliche Unfallversicherungsschutz reicht; vgl. Lauterbach/Fröde UV-​SGB VII 4. Aufl. § 15 RdNr. 47). Dementsprechend richtet sich der Bußgeldtatbestand des § 58 BGV D29 im hier maßgeblichen Regelungsbereich über die Verweisung auf § 32 BGV D29 nur an Unternehmer und Versicherte als Norm-​adressaten (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht SGB VII § 15 RdNr. 7, § 209 RdNr. 6). Das angefochtene Urteil enthält jedoch keine ausreichende Feststellungen dafür, dass der Betroffene die Fahrt am 15.11.2005 als Unternehmer oder Versicherter im Sinne des § 32 BGV D29 durchgeführt hat. Das Führen eines LKW mit Anhänger ist auch im rein privaten Bereich möglich.

2. Die erhobene Formalrüge der fehlerhaften Behandlung des Beweisantrages auf Erholung eines Sachverständigengutachtens zur Auswertung des Fahrtenscheibendiagramms genügt – wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift vom 05.03.2007 zutreffend ausführt - nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg führt in ihrer Antragsschrift aus:
"Zum notwendigen Rechtsbeschwerdevorbringen bei der nach Ansicht des Beschwerdeführers unzulässigen Ablehnung des Beweisantrages gehört nämlich sowohl der Inhalt des Beweisantrages als auch die inhaltliche Wiedergabe des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses und die Mitteilung der die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses ergebenden Tatsachen (BGHSt 3, 213).

Der in dem Rechtsbeschwerdevorbringen mitgeteilte Inhalt des Beweisantrages differiert entscheidend von den Feststellungen im Hauptverhandlungsprotokoll. Während laut Protokoll (Bl. 30 d.A.) ein "Hilfsbeweisantrag" gestellt wurde und das Beweisthema lediglich lautete "Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Auswertung der Diagrammscheibe" ist Gegenstand des in der Rechtsbeschwerde mitgeteilten Beweisantrages die Einholung eines Sachverständigengutachtens "zum Beweis der Tatsache, dass die Aufzeichnung der gefahrenen Geschwindigkeit des LKW mit dem amtlichen Kennzeichen xxx auf dem Fahrtenschreiber-​Schaublatt vom 15.11.2005 fehlerhaft ist und die Auswertung des Schaublattes nicht die dem Bußgeldbescheid zugrunde gelegte Geschwindigkeitsüberschreitung ergibt". Das Rechtsbeschwerdevorbringen entspricht bereits deswegen nicht den Darlegungserfordernissen."
Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen nach eigener Überprüfung zu Eigen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass – wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift ausführt – die Rüge auch unbegründet ist. Ein erfahrener Verkehrsrichter ist regelmäßig nicht verpflichtet, zur Auswertung des Schaublattes des Fahrtenschreibers einen Sachverständigen hinzuzuziehen. Die Auswertung ist jedenfalls dann ohne Sachverständigenunterstützung möglich, wenn eine längere Fahrtstrecke mit in etwa gleichbleibender Geschwindigkeit zurückgelegt wurde (so auch OLG Jena DAR 2005, 44). So liegt der Fall auch hier. Das amtsgerichtliche Urteil führt aus: "Während dieser Fahrt am 15.11.2005 hatte der Betroffene in der Zeit zwischen 18.00 Uhr und 21.11 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nach § 18 Abs. 5 StVO in 3 Fällen überschritten. Um 19.32 Uhr hatte die Geschwindigkeit 96 km/h betragen, um 20.12 Uhr 100 km/h und um 20.39 Uhr 97 km/h."

3. Ein Eingehen auf die weitere erhobene Verfahrensrüge war nicht veranlasst, da die Sachrüge insoweit erfolgreich war.


III.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist daher das angefochtene Urteil in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang aufzuheben; wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 353 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht Bayreuth, Zweigstelle Pegnitz, zurückverwiesen (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG).

Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat wegen der Möglichkeit weiterer Feststellungen zu §§ 209 Abs.1 Nr. 1, 15 Abs. 1 SGB VII i.V.m. §§ 44 Abs. 2, 58 und 32 BGV D29 nicht treffen.