Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Beschluss vom 19.03.2012 - I-16 U 169/11 - Zum Zurücktreten der Betriebsgefahr bei Rotlichtverstoß eines Fußgängers

OLG Köln v. 19.03.2012: Zum Zurücktreten der Betriebsgefahr bei Rotlichtverstoß eines Fußgängers


Das OLG Köln (Beschluss vom 19.03.2012 - I-16 U 169/11) hat entschieden:
Überquert ein Fußgänger aber eine Fahrbahn, die durch eine Mittelinsel geteilt wird, auf dem sich ebenfalls eine Lichtzeichenanlage befindet, während die Fußgängerampel "Grün" zeigt, und springt die Fußgängerampel auf "Rot", bevor der Fußgänger die Mittelinsel überquert hat, so muss der Fußgänger bis zur nächsten Grünphase auf der Mittelinsel verharren. Bei der Verletzung dieser Pflicht kann die Betriebsgefahr eines Kfz zurücktreten.


Gründe:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist nach den §§ 114 ff. ZPO zurückzuweisen, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Antragstellerin keine Aussicht auf Erfolg verspricht.

Das Urteil des Landgerichts Aachen vom 26.09.2011 lässt keine Rechtsfehler erkennen, § 513 Abs. 1 ZPO

Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht der Antragstellerin einen Anspruch auf Schadenersatz versagt. Denn die grundsätzliche Haftung der Antragsgegner gemäß den §§ 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG tritt, wie das Landgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, im Rahmen der nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB vorzunehmenden Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge vollständig zurück.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durfte das Landgerichts davon ausgehen, dass die Antragstellerin gegen §§ 25 Abs. 3, 37 StVO verstoßen hat, indem sie den zweiten Teil der Fußgängerfurt an der Einmündung der F. Straße in die F1.straße überquerte, als die sie betreffende Lichtzeichenanlage "Rot" anzeigte. Dieses Beweisergebnis, das von der Berufung nicht angegriffen wird, ergibt sich zwanglos aus den Bekundungen der Zeugen H. und S..

Überquert ein Fußgänger aber eine Fahrbahn, die durch eine Mittelinsel geteilt wird, auf dem sich ebenfalls eine Lichtzeichenanlage befindet, während die Fußgängerampel "Grün" zeigt, und springt die Fußgängerampel auf "Rot", bevor der Fußgänger die Mittelinsel überquert hat, so muss der Fußgänger bis zur nächsten Grünphase auf der Mittelinsel verharren (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage 2011, § 37 StVO Rn. 55; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage 2012, § 37 StVO Rn. 26).

Diesen Verstoß hat die Antragstellerin auch jedenfalls fahrlässig und damit schuldhaft i.S.d. § 276 BGB begangen, da sie nach eigenen Angaben nicht noch einmal zur Ampel gesehen hat, als sie sich auf der mittigen Verkehrsinsel befand. Damit hat sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in erheblichem Maße außer Acht gelassen. Dieser Verkehrsverstoß der Antragstellerin ist vom Landgericht zutreffend als erhebliches Mitverschulden an der Kollision mit dem Kfz des Antragsgegners zu 1) gewertet worden.

Hingegen bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verkehrsverstoß des Antragsgegners zu 1). Es spricht nach dem Beweisergebnis nichts dafür, dass der Antragsgegner zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit zum Linksabbiegen angesetzt hat, oder seiner Sorgfaltspflicht auf andere Weise nicht genügt hat.

Der Einwand der Antragstellerin in der Berufung, der Antragsgegner zu 1) habe nur den Gegenverkehr im Auge gehabt und das Überqueren der Fußgängerfurt durch die Antragstellerin missachtet, bleibt ohne Erfolg. Nach dem Vorbringen der Antragstellerin in der Klageschrift, ihrer Aussage im Rahmen der persönlichen Anhörung und der Aussage des Zeugen H. steht fest, dass die Antragstellerin erst ein oder zwei Schritte auf dem zweiten Teilstück des Fußgängerüberweg zurückgelegt hatte, als sie von dem Kleintransporter erfasst wurde. Bei dieser Sachlage ist angesichts der sich aus der polizeilichen Unfallskizze ergebenden Örtlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsgegner zu 1) den Abbiegevorgang bereits weitestgehend abgeschlossen hatte und die Antragstellerin vor das herannahende Fahrzeug gelaufen ist. Zudem herrschte zum Unfallzeitpunkt - 07.01.2011 gegen 08:10 Uhr - Dunkelheit, wie auch der Zeuge H. bekundete und die Lichtbilder verdeutlichen. Ferner war die Antragstellerin unstreitig mit einer dunklen Winterjacke bekleidet. Unter diesen Umständen ist das Landgericht rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gekommen, dass die Antragstellerin in der konkreten Verkehrssituation für den Antragsgegner zu 1) nicht rechtzeitig erkennbar war. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass sich der Antragsgegner zu 1) darauf einstellen musste, dass die Antragstellerin die Straße bei Rotlicht überqueren würde.

Bei dieser Sachlage bestehen keine Bedenken gegen die Entscheidung des Landgerichts, von einer Haftungsquote der Antragstellerin von 100% auszugehen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass gegenüber schweren Verkehrsverstößen eines Fußgängers, insbesondere bei einem Rotlichtverstoß, die nicht durch ein Verschulden des Fahrers erhöhte Betriebsgefahr eines Kfz vollständig zurücktreten kann (vgl. BGH VersR 61, 357; OLG Karlsruhe, Urt. V. 08.06.2009, 1 U 79/09; KG, Urteil vom 26.10.2006, 22 U 193/05; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Auflage 2012, § 25 StVO Rn. 28).

Eine andere Beurteilung ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil es sich bei dem vom Antragsgegner zu 1) geführten Kfz um ein Fahrzeug mit LKW-​Zulassung handelt. Zwar ist grundsätzlich anerkannt, dass bei einem LKW beispielsweise aufgrund seiner Größe, einem damit verbundenen längeren Bremsweg und einer geringeren Wendigkeit von einer im Vergleich zu einem Pkw erhöhten Betriebsgefahr auszugehen ist. Eine Erhöhung der Betriebsgefahr ist hier jedoch nicht gerechtfertigt, da sich in der Kollision keine auf vergleichbaren Faktoren basierende besondere Gefahr des LKW ausgewirkt hat.

Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei dem vom Antragsgegner zu 1) geführten Fahrzeug nicht etwa um einen mehrachsigen LKW, sondern um einen Kleintransporter handelt. Es besteht nach den Feststellungen des Landgerichts auch kein Anhaltspunkt dafür, dass es aufgrund der Größe oder eines ggf. verlängerten Bremsweges des Fahrzeugs des Antragsgegners zu 1) zu der Kollision gekommen ist. Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Antragsgegner zu 1) die Antragstellerin mit seinem Fahrzeug in dem Moment erfasst hat, als sie gerade auf die zweite Hälfte des Fußgängerüberwegs getreten war. Bei einem solchen Geschehensablauf kann nicht festgestellt werden, dass sich eine erhöhte Betriebsgefahr eines Kleintransporters auf das Unfallgeschehen ausgewirkt haben könnte.

Doch selbst wenn man von einer erhöhten Betriebsgefahr des Kfz des Antragsgegners zu 1) ausgeht, wäre eine Haftungsquote der Antragstellerin von 100% weiterhin gerechtfertigt. Denn auch eine erhöhte "einfache" Betriebsgefahr eines LKW würde hinter einem derart schweren Verkehrsverstoß eines Fußgängers, wie dem Rotlichtverstoß der Antragstellerin, zurücktreten (vgl. auch OLG Bamberg, Urt. V. 17.09.1991, 5 U 40/90).

Da eine Haftung des Antragsgegners zu 1) aus den oben genannten Gründen ausscheidet, steht der Antragstellerin auch kein Anspruch gegen die Antragsgegnerin zu 2) gem. § 115 Abs. 1 VVG zu.