Das Verkehrslexikon

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Landgericht München (Urteil vom 18.08.2009 - 17 O 22330/08 - Zum Sturz eines Radfahrers bei Vollbremsung wegen auf dem Radweg befindlicher älterer Person

LG München v. 18.08.2009: Zum Sturz eines Radfahrers bei Vollbremsung wegen auf dem Radweg befindlicher älterer Person


Das Landgericht München (Urteil vom 18.08.2009 - 17 O 22330/08) hat entschieden:
  1. Sieht ein auf einem Radweg fahrender Radfahrer von weither, dass sich neben einer Fußgängerampel auf dem Radweg stehend ein sichtlich älterer Herr befindet, der auf ein grünes Lichtzeichen zum Überqueren der Straße wartet, und kommt der Radfahrer bei der Bremsung vor dem Fußgänger zu Sturz, so kann er vom Fußgänger keinen Ersatz seines Schadens verlangen.

  2. Zu den Anforderungen an ein vollständiges Verdrängen der Haftung aus Delikt aufgrund des Mitverschuldens des Anspruchsgegners (§ 254 Abs. 1 BGB).

  3. Zur Reichweite der Schutznorm des § 3 Abs. 2a StVO

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall am 30.08.2005 an der Kreuzung H.-​W.-​Straße/F.-​Straße in M.

Der Kläger befuhr mit ca. 20 km/h den auf seiner Richtungsfahrbahn eingerichteten Radweg auf der H.-​W.-​Straße in südöstlicher Richtung mit seinem Fahrrad.

Der Beklagte beabsichtigte die H.-​W.-​Straße zu überqueren, wozu er die nordwestliche Fußgängerfurt an der zuvor bezeichneten Kreuzung nutzen wollte.

Da die Fußgängerampel für den Beklagten rot zeigte, wartete dieser vor der Fußgängerfurt; dabei stand er jedoch auf dem etwa 1,5 m breiten Radweg, auf dem sich der Kläger der Kreuzung annäherte.

Der Kläger erblickte den Beklagten, der für ihn schon längere Zeit sichtbar gewesen war, als er etwa 25 m von ihm entfernt war. Zu einem Blickkontakt kam es zwischen den Beteiligten nicht.

Der Beklagte trat unsicher vorwärts, dann rückwärts und wieder vorwärts, so dass sich der Kläger schließlich veranlasst sah, eine Notbremsung durchzuführen; der Beklagte verblieb jedoch die ganze Zeit über auf dem Radweg.

Bei der Bremsung stürzte der Kläger von seinem Fahrrad und verletzte sich.

Der Kläger fährt im Jahr ca. 5.000 km mit dem Fahrrad; er hatte bereits einen Verkehrsunfall, bei dem ihm - nicht ausschließbar ohne sein eigenes Verschulden - eine Fußgängerin vor das Rad gelaufen war und bei dem sich der Kläger eine erhebliche Verletzung an der rechten Hand zuzog.

Der Kläger behauptet, er sei zunächst mit ca. 20 km/h gefahren. Als er aus etwa 25 m Entfernung den Beklagten auf dem Radweg habe stehen sehen, habe er das Tempo zunächst auf 15 km/h, später dann auf 10 km/h verlangsamt. Zugleich habe er vor dem Erreichen der Kreuzung mehrfach geklingelt und gerufen, um den Beklagten zum Räumen des Radweges zu veranlassen; dies sei jedoch zunächst ohne Erfolg geblieben. Er behauptet weiter, er habe infolge des Schrecks über den plötzlich vortretenden Beklagten so scharf gebremst. Der Beklagte habe zu ihm geschaut, als er noch etwa zehn Meter entfernt gewesen sei.

Infolge des Unfalls sei es zu folgenden Verletzungen gekommen:
Lokale Schwellung und Druckschmerz im Bereich des linken Handgelenks
Oberflächliche Schürfung im Bereich der rechten Schläfe
Abrissfraktur Prozessus styloideus radii links
Knöcherne Absprengung im Bereich des distalen Radius rechts bei Zustand nach Fraktur 2001
Hämatom supra-​patellar im Bereich des rechten Kniegelenks
Schädelprellung unter Marcumareinnahme
Absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern
Arterielle Hyperthonie
Kontusion Thoraxwand rechts
Der Kläger musste sich in längere ärztliche Behandlung begeben. Am 06.09.2005 wurde eine Hämatomausräumung am Kniegelenk vorgenommen; die Versorgung des Handgelenks hatte bereits am 02.09.2005 stattgefunden. Der Kläger hat unverändert Metallschrauben in seiner linken Hand. Er gibt an, bis heute Schmerzen in der linken Hand zu verspüren. Der Kläger behauptet eine unfallbedingte dauerhafte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80 %. Nach alldem sei der Eintritt weiterer Schäden zu besorgen.

Infolge des Unfalls sei ihm materieller Schaden (Reparaturkosten, Heilbehandlung und Kostenpauschale) in Höhe von 345,21 Euro entstanden.

Außerdem beziffert er die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung auf 775,64 Euro.

Der Kläger beantragt deshalb sinngemäß,
  1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens aber bei 9.000,00 Euro beträgt, nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.02.2008 zu bezahlen,

  2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den gesamten materiellen und immateriellen Zukunftsschaden aus dem Verkehrsunfall vom 30.08.2005 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,

  3. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 345,21 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.02.2008 zu bezahlen,

  4. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger als Nebenforderung 775,64 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte behauptet dazu, er habe den Kläger erst unmittelbar vor dem Unfall in ca. zwei Metern Entfernung gesehen. Er habe dann noch versucht auszuweichen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeuginnen R. und J.; außerdem hat es die Parteien informatorisch angehört. Darüber hinaus hat das Gericht die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft München I, Geschäftszeichen 486 Js 136343/05, vollständig zu Beweiszwecken verwertet; sie war Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Der Kläger kann keinen Ersatz für seinen Schaden verlangen.

Der Anspruch des Klägers besteht vorliegend dem Grunde nach gem. § 823 Abs. 1 BGB; das gem. § 254 BGB zu berücksichtigende Mitverschulden wiegt jedoch so stark, dass die Verantwortung des Beklagten für die Unfallfolgen vollständig verdrängt wird.

1. Das Gericht hat seiner rechtlichen Beurteilung den vom Kläger zum Unfallhergang behaupteten Sachverhalt zugrunde gelegt; der Kläger hat diesen Sachverhalt nachweisen können.

Bereits bei der informatorischen Anhörung der beiden Parteien ergaben sich keine wesentlichen und zwingenden Widersprüche zwischen den geschilderten Geschehensvarianten. Insbesondere gab der Beklagte nicht an, dass der Kläger nicht geklingelt und gerufen habe, sondern lediglich, dass er dies nicht gehört habe.

Auch die Angaben der einvernommenen Zeugin J. haben den klägerischen Sachvortrag vollumfänglich bestätigt. Die Zeugin gab an, dass sie sich auf der die Richtungsfahrbahnen der H.-​W.-​Straße trennenden Verkehrsinsel inmitten der beiden Abschnitte der Fußgängerfurt, die auch der Beklagte nutzen wollte, gestanden habe. Sie habe eigentlich in die andere Richtung geschaut, sei aber durch das laute Klingeln und Rufen des Klägers auf das Geschehen aufmerksam geworden. Sie sei sehr verwundert gewesen, dass der Beklagte auf den sich nähernden Radfahrer gar nicht reagiert habe. Die Zeugin hat diese Angaben überaus klar und detailreich getätigt; sie schien trotz des langen Zeitraums zwischen Unfall und Verhandlung noch regelrecht unter dem Eindruck des Ereignisses zu stehen. Das Gericht hat keine Zweifel an den Wahrnehmungen der Zeugin, die mit der Verkehrslage an der Kreuzung aufgrund der Nähe zu ihrem Wohnsitz vertraut ist und die die Angaben nahezu ohne Vorhalt aus der Ermittlungsakte machen konnte. Dass die Zeugin hinsichtlich des eigenen Standortes zunächst etwas unsicher war, ist angesichts des länger zurückliegenden Ereignisses plausibel und unterstreicht die Glaubhaftigkeit der Angaben.

Weiterhin hat auch die Zeugin R., die sich im Unfallzeitpunkt südwestlich der Kreuzung auf der südöstlichen Straßenseite der Fstraße an ihrem Fahrzeug befand, angegeben, dass sie trotz gewisser Verkehrsgeräusche durch die Fahrzeuge auf der H.-​W.-​Straße und der F.-​Straße und des Umstands, dass sie ihr schreiendes Kind gerade in das Auto gesetzt habe, den Kläger habe "hektisch" rufen und klingeln hören.

Beide Aussagen wichen auch nicht von den Angaben der Zeuginnen in der beigezogenen und verwerteten Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft München I, Geschäftszeichen 486 Js 136343/05, ab. Die dort niedergelegten Angaben wurden den Zeuginnen vorgehalten. Diese konnten sodann Lücken in ihren Angaben schließen; Widersprüche ergaben sich nicht.

2. Es ist damit zu einer Verletzung von Eigentum und Gesundheit des Klägers gekommen.

Der Beklagte hat seinerseits gegen § 25 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen, indem er auf dem Radweg stand. Der Beklagte hätte auf dem hinter ihm befindlichen Fußweg auf das Umspringen der Lichtzeichenanlage warten müssen.

Infolge des sorgfaltswidrigen Handelns des Beklagten kam es zur Bremsung und zum Sturz des Klägers.

Die durch den Sturz eingetretenen Rechtsgutverletzungen beim Kläger stehen auch im Ursächlichkeitszusammenhang mit dem sorgfaltswidrigen Handeln des Beklagten. Dies gilt auch, obwohl es zu gar keiner Berührung zwischen den Personen gekommen ist und der Sturz mechanisch betrachtet nicht durch den Körper des Beklagten, sondern durch das Bremsen des Klägers herbeigeführt wurde.

Vorliegend war es nämlich so, dass allein der auf dem Radweg stehende Beklagte Anlass zur Bremsung gab. Die Abwehrreaktion stellt sich als typische Reaktion auf ein den Fahrweg blockierendes Hindernis - hier den Beklagten - dar. Der Kausalzusammenhang ist durch das eigengefährdende Verhalten - das feste Bremsen - auch nicht derart unterbrochen, dass nur das Eigenhandeln ausschlaggebend war, vielmehr setzte sich die Gefährlichkeit des Hindernisses im Abwehrhandeln des Klägers fort.

3. Dem Kläger ist jedoch sein eigenes Mitverschulden entgegenzuhalten. Dies wiegt so schwer, dass es den Verursachungsbeitrag des Beklagten vollständig verdrängt.

Bei der Bestimmung des Mitverschuldensgrades ist auf die jeweiligen Verursachungsbeiträge abzustellen; der Grad des Verschuldens ist nur als ein Abwägungsfaktor zu berücksichtigen. Es kommt danach darauf an, ob der Verursachungsbeitrag des Klägers oder der des Beklagten den Schadenseintritt wesentlich wahrscheinlicher gemacht haben (vgl. BGH, Urt. v. 20.01.1998, VI ZR 59/97, Abs. 8).

Das Gericht hat schließlich auch nicht verkannt, dass im Rahmen der nach § 254 BGB durchzuführenden Abwägung das Verschulden nur ausnahmsweise vollständig einem der Beteiligten aufzuerlegen ist (vgl. BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/07, Abs. 15 mwN). Ob ein vollständiger Haftungsausschluss gerechtfertigt ist, kann jeweils nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Urt. v. 07.02.2006, VI ZR 20/05, Abs. 12).

a. Der Verursachungsbeitrag des Klägers liegt im Zufahren auf den ihn zunächst nicht wahrnehmenden Beklagten.

Der Verursachungsbeitrag des Beklagten liegt in dem Stehen auf dem Radweg.

b. Der Kläger hat mit seinem Fahrverhalten gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen. Der Kläger darf seine Geschwindigkeit nur so wählen, dass er jederzeit vor Hindernissen, also auch Personen, anhalten kann. Dies gilt dann besonders, wenn er einen möglicherweise den Radweg blockierenden Fußgänger bereits aus großer Entfernung sieht.

Der Kläger hat weiterhin seine Sorgfaltspflicht aus § 3 Abs. 2 a StVO verletzt.

Der Beklagte hat gegen die ihn aus § 25 Abs. 1 Satz 1 StVO treffende Sorgfaltspflicht verstoßen.

c. Bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge war zu berücksichtigen, dass sich der Beklagte durch das Stellen auf den Radweg in eine Gefahrensituation begeben hat, in der er sich dem Radverkehr frei ausgesetzt hat.

Dieser Umstand wird aber dadurch relativiert, dass der Standort von dem Radweg, über den sich der Kläger der Unfallstelle näherte gut einzusehen ist. Der Kläger hat angegeben, den Beklagten bereits aus einer Entfernung von ca. 25 m wahrgenommen zu haben. Weiterhin war zu berücksichtigen, dass der erfahrene Verkehrsteilnehmer, so auch der Kläger, der nach eigenen Angaben im Jahr 5.000 km mit dem Fahrrad zurücklegt, im Bereich von Fußgängerüberwegen an Kreuzungen regelmäßig mit auf dem Radweg wartenden Fußgängern zu rechnen hat. Dem Kläger hätte es also oblegen, auch insoweit mit einem Fehlverhalten an derer Verkehrsteilnehmer zu rechnen und für deren Schutz Sorge zu tragen, § 1 Abs. 2 StVO.

Der Verursachungsbeitrag des Klägers gewann sein außerordentliches Gewicht durch die nicht nachvollziehbare Fahrweise des Klägers. Der Kläger hat selber eingeräumt, den Beklagten bereits aus einer Entfernung von 25 m gesehen zu haben. Er hat weiter eingeräumt, deswegen gebremst, geklingelt und gerufen zu haben. Die Zeugin R. hat die Rufe als hektisch beschrieben. Auch die Zeugin J. beschrieb ein deutlich hörbares Rufen und Klingeln. Die Abgabe solcher außerordentlich lauter wie häufiger Warnzeichen wird regelmäßig von Fußgängern wahrgenommen. Der Kläger sah sich jedoch einem Fußgänger gegenüber, der auch bei reduziertem Abstand keinerlei Reaktion zeigte. Der Kläger nahm dies jedoch nicht zum Anlass sein Fahrrad weiter bis an den Stillstand heran abzubremsen, sondern setzte seine Fahrt zwar mit verminderter Geschwindigkeit, jedoch nicht in jederzeit haltebereiter Weise fort. Vielmehr vertraute der Kläger auf ein erst bei unmittelbarer Nähe der Verkehrsteilnehmer auftretendes zögerliches Vorwärts- und Rückwärtstreten des Beklagten. Dies tat er, obwohl es zu diesem Zeitpunkt, wie der Kläger selbst geschildert hat, noch zu keinem Blickkontakt zwischen ihm und dem Beklagten gekommen war. Auch musste es sich dem Kläger, nachdem dieser - wie die Zeuginnen eindringlich geschildert haben - "hektisch" gerufen und geklingelt hatte, überaus bewusst sein, dass der Beklagte ihn nicht wahrgenommen hatte.

Die Schutznorm des § 3 Abs. 2 a StVO, die vorsieht, dass sich ein Fahrzeugführer gegenüber älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten muss, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, erfasst genau diesen Fall. Dem Kläger hätte es oblegen die Geschwindigkeit noch weiter zu reduzieren und noch bremsbereiter zu bleiben. Dazu gaben gleich zweierlei Umstände Anlass. Dem Kläger musste sich die Hörschwäche des Beklagten geradezu aufdrängen. Hinzu kam, dass es sich bei dem Beklagten um einen erkennbar älteren Herrn handelt.

Es kam insoweit nicht darauf an, ob der Kläger auch infolge einer fehlerhaften Bremsung gestürzt ist. Es ist völlig gleich, ob der Kläger letztlich gestürzt ist, weil er fehlerhaft gebremst hat oder weil er nicht hinreichend bremsbereit war oder weil er in anderer Weise falsch reagiert hat. Der sorgfältige Verkehrsteilnehmer hätte sein Fahrverhalten so gestaltet, dass ihm ein Anhalten jederzeit möglich gewesen wäre.

Schließlich ergab sich etwas anderes auch nicht daraus, dass der Beklagte, wie das Gericht selber in der Verhandlung feststellen musste, in seiner Hörfähigkeit beeinträchtigt ist. Dies war kein versteckter, dem Kläger nicht zugänglicher Umstand. Vielmehr wäre es für einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer die einzige plausible Erklärung für die unterbliebene Reaktion des Beklagten auf die Warnsignale des Klägers gewesen.

Auch führte die bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge durchzuführende Berücksichtigung des jeweiligen Verschuldensgrads beider Beteiligter zu keinem anderen Ergebnis. Das Verschulden des Beklagten tritt nämlich auch insoweit in Anbetracht seiner guten Sichtbarkeit für den Kläger zurück. Der Beklagte hat sich nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck noch nicht vertieft mit seiner Schwerhörigkeit auseinandergesetzt. Der Beklagte ist in betagtem Alter; eine gewisse altersbedingte Verzögerung ist ohne weiteres feststellbar, wenngleich der Beklagte im Übrigen einen rüstigen Eindruck gemacht hat. Für den Kläger stellte sich die Situation hingegen über mehrere Sekunden als erkennbar gefährlich dar. Der Kläger selber hat eingeräumt, dass ihm bereits einige Jahre zuvor eine Fußgängerin vor das Fahrrad gelaufen sei. Der Kläger war damit mit der Situation eines unachtsam kreuzenden oder die Fahrstrecke blockierenden Verkehrsteilnehmers vertraut. Der Kläger hat geschildert, dass er sich damals das rechte Handgelenk erheblich verletzt habe. Für den Kläger war damit in den Sekunden vor der Kollision die Gefährlichkeit seines Handelns offensichtlich. Das Gericht kann das Handeln des Klägers auch insoweit nicht annähernd nachvollziehen.

Das Gericht hat auch nicht verkannt, dass die obergerichtliche Rechtsprechung davon ausgeht, dass das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers - hier eine möglicherweise überstarke Bremsung - kein Verschulden begründet, wenn der Verkehrsteilnehmer in einer ohne sein Verschulden eintretenden und für ihn nicht voraussehbaren Verkehrslage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige tut (vgl. BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/08, Rz. 10, auch das OLG Düsseldorf in der durch das vorzitierte Urteil aufgehobenen Entscheidung, Urt. v. 18.06.2007, 1 U 278/06, Abs. 56). Vorliegend war die Unfallsituation jedoch - wie dargelegt - in keiner Weise überraschend. Die Situation bahnte sich für den Kläger erkennbar über mehrere Sekunden an. Sie war objektiv vorhersehbar und dem Kläger aufgrund seiner Unfallerfahrung subjektiv geläufig. Es kam damit auch insoweit nicht darauf an, ob der Kläger möglicherweise falsch reagiert hat, d. h. überbremst hat oder in anderer Weise falsch gebremst hat.

Das erkennende Gericht hat sich auch mit der von den Parteien in das Verfahren eingeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH, Urt. v. 04.11.2008, VI ZR 171/08) und dem vorgehenden Urteil des OLG Düsseldorf (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.06.2007, 1 U 278/06) auseinandergesetzt. Die Berücksichtigung der dort niedergelegten Grundsätze führt jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Das Gericht hat zunächst nicht verkannt, dass sich der Sachverhalt des dort entschiedenen Falls und der hier zu beurteilende Fall einerseits grundlegend unterscheiden (Fußgänger im Haltestellenbereich bzw. auf Radweg; Radfahrer ohne Bremsung/mit Bremsung), andererseits aber gewisse Parallelen aufweist (Getrennte Rad-​/Fußwegbereiche, für den Radfahrer über längere Zeit erkennbare Gefahrenlage).

Das Gericht leitet aus der Entscheidung ab, dass auch bei farblich oder auch baulich getrennten (versenkter Trennstein) Rad- und Fußwegen auch auf dem jeweiligen für Radfahrer geltenden Weg besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Fußgängern bestehen und umgekehrt. Diese besondere Rücksichtnahme rechtfertigt hier ebenfalls die den Beitrag des Beklagten verdrängende Gewichtung des Verursachungsbeitrags des Klägers, der das von ihm angenommene Recht zur Durchfahrt ohne die erforderliche Sorgfalt durchzusetzen gedachte.

Das Gericht leitet aus der Entscheidung weiter ab, dass immer auch der Grad der Verdichtung einer abstrakt gefährlichen Situation (Nebeneinander von Rad- und Fußweg) hin zu einer konkreten Gefährdung (Fußgänger steht auf Radweg) zu beachten ist und dass daraus besondere Sorgfaltspflichten erwachsen (vgl. BGH, aaO., Rz. 14). Die Ableitungen des Bundesgerichtshofs für den Radfahrverkehr sind insoweit unmissverständlich. Der Kläger hat diese Pflichten eklatant verletzt.

Das Gericht hat schließlich nicht verkannt, dass sich der Bundesgerichtshof in dem dort zu entscheidenden Fall einer zunächst bedeutend weniger konkretisierten Gefahr gegenübersah. Das schlichte Stehen am Rande eines Radwegs begründet eine deutlich entferntere Gefahr für alle Beteiligten als das offensichtlich nicht reflektierte Stehen inmitten eines Radwegs. Das Stehen auf dem Radweg ist auf der einen Seite gefährlicher, weil eine Kollision mit unaufmerksamen Radfahrern geradezu unausweichlich ist; auf der anderen Seite ist es für den Radfahrer aber deutlich besser beherrschbar, da dieser von vornherein die Gefährlichkeit der Situation erkennen kann und eine adäquate Reaktion einleiten kann.

Damit wiegt der vorliegende Fall schließlich und endlich deswegen so deutlich zu Lasten der Klagepartei, weil der Beklagte die ganze Zeit über auf dem Radweg stand und sich erst im letzten Moment - hilflos ein Ausweichen versuchend - zu bewegen begann. Tatsächlich ist der Kläger sehenden Auges auf ein stehendes Hindernis zugefahren, dessen Unbeweglichkeit sich - je näher er kam, desto mehr - aufdrängte.

Das Gericht ist sich bei erneuter Abwägung der vorgenannten Umstände bewusst, dass die vollständige Verdrängung eines seinerseits sorgfaltswidrigen Verursachungsbeitrags nur ausnahmsweise in Betracht kommt (BGH, Urt. v. 07.02.2006, VI ZR 20/05, Abs. 12). Das Gericht nimmt aber auch nach einer erneuten Abwägung einen solchen Ausnahmefall an. Hierzu geben die vorgenannten Argumente, insbesondere aber der Umstand Anlass, dass der Beklagte ein so sichtbares Hindernis darstellte, dass sich dem Kläger, wie dargelegt, als Gefahr aufdrängen musste. Der Kläger hat statt dessen darauf verzichtet, sich nur im Falle einer zweifelsfreien Kommunikation den für ihn nicht vorhersehbaren Bewegungen bzw. den daraus resultierenden Gefahren auszusetzen. Dies alles rechtfertigt die Annahme einer alleinigen Verantwortlichkeit des Klägers für den eingetretenen Schaden.

II

Auch der Feststellungsantrag konnte mangels einer Ersatzpflicht keinen Erfolg haben. Der Zinsanspruch gem. den §§ 280, 286 BGB konnte mangels Hauptanspruch nicht entstehen.

III.

Der Kostenausspruch resultiert aus § 92 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwerts des Verfahrens beruht auf § 3 ZPO. Der in der Klage bei der Angabe des Streitwerts unberücksichtigt gebliebene Feststellungsantrag wurde mit 3.000,00 Euro bewertet.