Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Beschluss vom 11.03.2013 - 322 SsBs 69/13 - Geschwindigkeitsmessung durch Hinterherfahren

OLG Celle v. 11.03.2013: Zum gleichbleibenden Abstand bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Hinterherfahren


Das OLG Celle (Beschluss vom 11.03.2013 - 322 SsBs 69/13) hat entschieden:
  1. Aus den Feststellungen zur Messung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Hinterherfahren zur Nachtzeit muss sich grundsätzlich auch ergeben, an welchen äußeren Anzeichen die Messbeamten die Einhaltung des gleichbleibenden Abstandes zum gemessenen Fahrzeug erkannt haben.

  2. Solcher Feststellungen bedarf es allerdings dann nicht, wenn sich das gemessene Fahrzeug ständig im Lichtkegel des folgenden Polizeifahrzeuges befand.

Siehe auch Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren


Gründe:

1. Das Amtsgericht Winsen hat den Betroffenen am 05.12.2012 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft um 28 km/h zu einer Geldbuße von 100 € und einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Zu seinen persönlichen Verhältnissen stellt das Amtsgericht fest, dass er über ein monatliches Nettoeinkommen von 1.000 € verfügt und durch einen Bußgeldbescheid des Landkreises Rotenburg/Wümme vom 09.01.2012, rechtskräftig seit dem 28.01.2012, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 34 km/h mit einer Geldbuße von 120 € belegt wurde.

Im Übrigen ergibt sich aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils, dass der Betroffene am 07.05.2012 gegen 22:45 Uhr mit einem Pkw den G. in der Gemarkung S. befuhr und den Polizeibeamten PK L. und PK R. durch eine augenscheinlich überhöhte Geschwindigkeit auffiel. An dieser Stelle ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt. Die Polizeibeamten schlossen mit ihrem Fahrzeug zu dem Fahrzeug des Betroffenen bis auf eine Distanz von ca. 30 m auf und folgten ihm dann auf einer Strecke von insgesamt 500 m gleichbleibend mit diesem Abstand. Der nicht geeichte Tacho des Polizeifahrzeuges zeigte über die gesamte Strecke eine Geschwindigkeit von 72 km/h an. Von diesem abgelesenen Wert hat das Amtsgericht einen Sicherheitsabschlag von 20 % vorgenommen. Danach ergibt sich eine Geschwindigkeit des Betroffenen von 58 km/h, mithin eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 28 km/h.

Das Amtsgericht stellt weiter fest, der Betroffene habe der angezeigten Geschwindigkeitsbeschränkung nicht die erforderliche Beachtung geschenkt und die Höchstgeschwindigkeit deshalb fahrlässig überschritten. Es hat deshalb die von der Bußgeldkatalogverordnung für einen solchen Verstoß vorgesehene Regelgeldbuße von 100 € verhängt. Daneben hat es ein Fahrverbot von einem Monat festgesetzt, weil der Betroffene innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft des Bußgeldbescheides vom 09.01.2012 eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als 25 km/h begangen hat.

Gegen diese Verurteilung wendet sich der Betroffene mit einer auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde. Er weist insbesondere darauf hin, dass das Urteil keinerlei Feststellungen über die Beleuchtungsverhältnisse auf der Messstrecke enthalte. Werde die Geschwindigkeitsmessung nachts durchgeführt, so bedürfe es aber näherer Feststellungen zu den Beleuchtungs- und Sichtverhältnissen, um die Zuverlässigkeit der Messung überprüfen zu können. Deshalb sei das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt ebenfalls Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht. Sie ist der Auffassung, bei einer Messung zur Nachtzeit bedürfe es besonderer Feststellungen zu den Licht- und Beleuchtungsverhältnissen sowie zu Orientierungspunkten, aus denen sich die Zuverlässigkeit der Messung herleiten lasse. Daran fehle es.

2. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Die Feststellungen des Amtsgerichts zu dem Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen tragen den Schuldspruch.

a) Bei einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren handelt es sich allerdings nicht um ein standardisiertes technisches Verfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. OLG Hamm, VRR 2008, 432; OLG Jena, VRS Bd. 111, 195). Deshalb muss sich der Tatrichter in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit dieser Messung und der Einhaltung der Verwertbarkeitsvoraussetzungen auseinandersetzen. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass er sich im konkreten Einzelfall von der Zuverlässigkeit der Messung überzeugt hat (OLG Jena a. a. O).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Voraussetzung für die Verwertbarkeit einer Messung durch Nachfahren ist die Einhaltung einer Mindestmessstrecke und eines gleichbleibenden, nicht zu großen Abstandes (OLG Jena a. a. O.; s. a. OLG Hamm NJW 2007,1298). Beides ergibt sich aus den Feststellungen des Amtsgerichts. Wird eine Geschwindigkeitsmessung durch Hinterherfahren allerdings zur Nachtzeit durchgeführt, so verlangt die Rechtsprechung grundsätzlich auch Feststellungen zur Sicht und zur Beleuchtungssituation vor Ort, um die Zuverlässigkeit der Messung des stets gleichbleibenden Abstandes und der Messstrecke nachvollziehen zu können (vgl. etwa OLG Hamm VRR 2012, 36). Dies gilt umso mehr, je größer der Abstand im Einzelfall ist, insbesondere bei Abständen von 100 m und mehr außerhalb geschlossener Ortschaften werden zum Teil eingehende Feststellungen zu den Sichtverhältnissen und zu eventuellen Orientierungspunkten zur Überprüfung der Messbedingungen verlangt (so insb. OLG Hamm a. a. O. VRR 2012, 36; OLG Hamm VRS 113,112; OLG Hamm a. a. O. NJW 2007, 1298; einschränkend OLG Jena a. a. O.; OLG Düsseldorf VRR 2008, 11). Beträgt der Abstand indes deutlich weniger als 100 m, so bedarf es solcher Feststellungen nur noch bei besonders ungünstigen Sichtverhältnissen (vgl. OLG Köln DAR 2008, 654: 50 m). Selbst bei einem Abstand von 100 m innerhalb geschlossener Ortschaft kann es ausreichen, sich an den Scheinwerfern des nachfahrenden Polizeifahrzeuges zu orientieren, ohne dass es zusätzlicher Feststellungen zur übrigen Beleuchtung vor Ort bedürfte (vgl. OLG Jena a. a. O.).

Weiterer Feststellungen zur Beleuchtungssituation und zu Markierungspunkten auf der Messstrecke bedurfte es deshalb hier nicht. Das angefochtene Urteil stellt fest, dass der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem Polizeifahrzeug über eine Strecke von 500 m gleichbleibend nur 30 m betrug, sodass das Fahrzeug des Betroffenen sich ständig im Lichtkegel des nachfahrenden Polizeifahrzeuges befand (vgl. zur Reichweite moderner Scheinwerferanlagen (Daur in Hentschel/König/Daur, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 50 StVZO Rdnr. 15). Bei dem geringen Abstand von 30 m und den durch die Scheinwerfer des folgenden Polizeifahrzeuges sichergestellte ständige Erkennbarkeit des verfolgten Fahrzeuges sind besondere Feststellungen zum gleichbleibenden Abstand zwischen beiden Fahrzeugen entbehrlich (ebenso OLG Köln a. a. O.). Polizeibeamte in dem folgenden Fahrzeug können im Lichtkegel ihres Fahrzeuges jederzeit erkennen, ob sich der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug verkürzt, verlängert oder gleich bleibt.

b) Der vom Amtsgericht zugrunde gelegte Sicherheitsabschlag von 20 % bei der Messung mit einem ungeeichten Tachometer entspricht den Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm a.a.O. VRR 2012,36; OLG Jena und OLG Köln, jeweils a.a.O).

c) Die Festsetzung eines Fahrverbotes ergibt sich aus § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV, weil der Betroffene innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft des Bußgeldbescheides des Landkreises Rotenburg/Wümme vom 09.01.2012 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 34 km/h erneut eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 28 km/h begangen hat. Mit der Frage einer Ausnahme vom gesetzlichen Regelfall hat sich das Amtsgericht auseinandergesetzt.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 79 Abs. 3 OWiG, 473 StPO.

Der Beschwerdeführer wird darauf hingewiesen, dass er sich nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar macht, wenn er nach Ablieferung des Führerscheins oder vier Monate nach Eintritt der Rechtskraft dieser Entscheidung, also nach dem 11.07.2013, ein Kraftfahrzeug führt, dass die Fahrverbotsfrist aber erst vom Tage der Ablieferung des Führerscheins bei der Vollstreckungsbehörde (Staatsanwaltschaft Lüneburg) an gerechnet wird (§ 25 Abs. 5 Satz 1 StVG).