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OLG Oldenburg Beschluss vom 08.11.2012 - 2 SsBs 253/12 - Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren

OLG Oldenburg v. 08.11.2012: Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren


Das OLG Oldenburg (Beschluss vom 08.11.2012 - 2 SsBs 253/12) hat entschieden:
Bei einer Geschwindigkeitsmessung mittels Nachfahren bei Dunkelheit mit einem Polizeifahrzeug, das weder mit einem geeichten noch justierten Tachometer ausgestattet ist, ist es erforderlich festzustellen, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, also ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und der Abstand so ausreichend erfasst und geschätzt werden konnte und ob für die Schätzung des gleichbleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren.


Siehe auch Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren oder Vorausfahren


Gründe:

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 82 km/h zu einer Geldbuße von 1.200,- € verurteilt und gegen den Betroffenen ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten festgesetzt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält die Rechtsbeschwerde für durchgreifend.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet worden. Sie führt zu einem zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ausgeführt:
"Die amtsgerichtlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung nicht.

Die Urteilsgründe müssen so beschaffen sein, dass dem Rechtsmittelgericht eine Überprüfung der richtigen Rechtsanwendung möglich ist. Die Besonderheit liegt hier einmal darin, dass die Geschwindigkeitsmessung nicht mittels zugelassener technischer Geräte erfolgte, sondern durch Nachfahren mit einem Dienstfahrzeug, das weder mit einem geeichten noch justierten Tachometer ausgestattet war.

Erschwerend kommt hier hinzu, dass das Nachfahren zur Nachtzeit überwiegend außerhalb geschlossener Ortschaften erfolgte. In derartigen Fällen ist es erforderlich festzustellen, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren, also ob der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt war und der Abstand so ausreichend erfasst und geschätzt werden konnte und ob für die Schätzung des gleichbleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren (OLG Hamm in DAR 2006, 31 f).

Das Amtsgericht hat dazu festgestellt, dass es dunkel gewesen sei und über die Messstrecke keine Beleuchtungseinrichtungen vorhanden gewesen seien. Die nachfahrenden Polizeibeamten konnten nur die Rücklichter erkennen, nicht jedoch die Umrisse des Fahrzeugs.

Hinsichtlich des Abstandes sei eine Orientierung an den Leitpfählen nach Aussage des Zeugen B ... nicht möglich gewesen.

Soweit das Amtsgericht feststellt, dass zu Beginn der Messstrecke der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem nachfahrenden Polizeifahrzeug 300 Meter betragen habe, ist das Urteil insoweit lückenhaft, weil nicht nachvollziehbar ist, wie das Amtsgericht zu dieser Überzeugung gelangt.

Der Zeuge B ... hat dazu angegeben, dass er lediglich im Kreuzungsbereich in G. , wo der Betroffene Richtung Norden auf die B 72 abgebogen sei, die Umrisse vom Fahrzeug des Betroffenen gesehen habe, weil der Kreuzungsbereich ausgeleuchtet gewesen sei.

Von der Abzweigung bis zum Ortsausgang G ... seien es 300 Meter. Die Messstrecke habe 1 Kilometer nach der Abzweigung begonnen.

Das Urteil enthält weder Feststellungen, wie weit sich das Polizeifahrzeug hinter dem Fahrzeug des Betroffenen befunden hat, als sich dieses im Licht des Kreuzungsbereiches befunden hat. Auch sagen die Urteilsgründe nichts dazu, wo sich das Fahrzeug des Betroffenen befand, als das Polizeifahrzeug selbst auf die B 72 einbog. Sollte insoweit gemeint sein, dass der Betroffene sich in diesem Augenblick am Ortsausgang G .... befand, hätte es näherer Feststellungen bedurft, an Hand welcher Orientierungspunkte dies trotz der Dunkelheit festgestellt wurde.

Ferner ist im Urteil festgestellt, dass der Betroffene während des Nachfahrens den Abstand zum nachfolgenden Fahrzeug vergrößert hat. Anhand welcher Orientierungspunkte dies festgestellt worden ist, lässt sich dem Urteil ebenfalls nicht entnehmen."
Dem schließt sich der Senat zunächst an.

Er bemerkt ergänzend:

Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen spricht sehr viel dafür, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit auch in E ... in nicht unerheblichem Umfange überschritten hat. Gleichwohl sind die Feststellungen des Amtsgerichts nicht ausreichend. Das OLG Celle (DAR 86, 60 f) hat ausgeführt, dass entscheidend für die Frage der Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren sei, dass der Abstand zwischen dem Vorausfahrenden und nachfahrenden Fahrzeug im Wesentlichen gleich bleibe. Die Beurteilung dieser Frage sei aber bei einem Abstand von 400 m auf einer Messstrecke von nur 500 m nicht möglich, jedenfalls nicht bei Nacht.

Zu Recht weist das Amtsgericht hier allerdings darauf hin, dass die Nachfahrstrecke 4 km lang war. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat ausgeführt (DAR 96, 288 f), dass ein Abstand von 600 m so ungewöhnlich groß sei, dass er auch nicht annähernd zuverlässig zu überblicken sei und Abstandsschwankungen deshalb nicht beurteilt werden könnten. Allerdings seien geringe Abweichungen von den sonstigen Richtwerten im Einzelfall unschädlich; eine überlange Messstrecke könne einen zu großen Abstand ausgleichen.

Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Vorwurf auf die Geschwindigkeitsüberschreitung in E ... gestützt wird, wobei die Geschwindigkeitsbegrenzung dort ausweislich der Feststellungen nur auf eine Länge von 500 m gilt. Insofern kann nicht die gesamte Nachfahrtstrecke von 4 km für den hier in Rede stehenden Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde gelegt werden. Hinzu kommt folgendes:

Sowohl der Zeuge B ... als auch die Zeugin B ... haben nach den Ausführungen im angefochtenen Urteil bekundet, dass sich der Abstand vom Fahrzeug des Betroffenen vergrößert habe, was an den sich entfernenden Rücklichtern erkennbar gewesen sei. Ob eine zuverlässige Beobachtung einer Abstandsveränderung bei einem Abstand von bis zu 500 m allein anhand der Rücklichter möglich ist, erscheint bereits fraglich. Hinzu kommt jedoch, dass nach der Aussage des Zeugen B ... das Fahrzeug des Betroffenen bereits 400 oder 500 m entfernt gewesen sein könne, als der Funkstreifenwagen seine Höchstgeschwindigkeit erreicht habe. Diese Aussage lässt sich allerdings nicht in Übereinstimmung bringen mit den weiteren Aussagen der Zeugen hinsichtlich des sich vergrößernden Abstandes und der Feststellung im Urteil, dass der Abstand zwischen den Fahrzeugen "sich bis zu Beginn des Abbremsens des Betroffenenfahrzeuges in M ... auf bis zu 500 m vergrößert haben" könne. Wenn schon nicht auszuschließen ist, dass bereits der "Ausgangsabstand" 500 m betragen hat, müsste ein sich stetig vergrößernder Abstand zu einem nicht unerheblich höheren "Endabstand" geführt haben.

Da gleichwohl nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht weitere Feststellungen treffen kann, die eine rechtsfehlerfreie Feststellung der Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit ermöglichen, war die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.