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Landgericht Dresden Urteil vom 31.05.2013 - 8 O 2445/12 - Unfallflucht und Vollkaskoversicherung

LG Dresden v. 31.05.2013: Leistungsfreiheit in der Vollkaskoversicherung nach Unfallflucht mit bedingtem Vorsatz


Das Landgericht Dresden (Urteil vom 31.05.2013 - 8 O 2445/12) hat entschieden:
Hat der Versicherungsnehmer in der Vollkaskoversicherung nach einem Streifunfall mit einem Lkw auf einer Autobahnzufahrt eine Verkehrsunfallflucht begangen, obwohl er den Unfall wahrgenommen hat, liegt darin eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung. Ohne Bedeutung bleibt insoweit eine Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wegen Fahrerflucht gegen Geldauflage. Bedingter Vorsatz ist (entsprechend den allgemeinen Regeln) gegeben, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und billigend in Kauf nimmt


Siehe auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort - Unfallflucht - im Versicherungsrecht und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten nach einem Verkehrsunfall Zahlung aus der Kaskoversicherung sowie die Feststellung, dass er nicht verpflichtet ist, an die beklagte Haftpflichtversicherung den von dieser regulierten Schaden zu zahlen. Im Wege der Widerklage begehrt die Beklagte vom Kläger Regress für den von ihr beglichenen Schaden des Unfallgegners.

Der Kläger ist Leasingnehmer eines Mercedes E220 CDI mit dem amtlichen Kennzeichen ... .

Leasinggeber ist die ... GmbH in Saarbrücken. Versicherungsnehmer sowohl der Kasko- als auch der Kfz-​Haftpflichtversicherung ist der Leasinggeber, wobei der Kläger als Leasingnehmer mit versichert ist. Es wird insoweit auf die als Anlage K5 (Blatt) 10 d. A.) vorgelegte Anlage Privat-​Leasing plus verwiesen. Vereinbart sind die als Anlage KE 7 vorgelegten Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrversicherung (AKB 2008), auf die Bezug genommen wird.

Der Kläger erlitt am 13.12.2011 gegen 20.00 Uhr einen Verkehrsunfall. Er kollidierte mit seinem Fahrzeug auf der Autobahnzufahrt Glösa bei Chemnitz in Richtung A4 Dresden mit einem entgegenkommenden, also von der Autobahn abfahrenden Lkw. Der Kläger bemerkte diese Kollision sowie den Umstand, dass jedenfalls das äußere Gehäuse seines linken Außenspiegels dabei zerstört wurde. Der Kläger hielt nicht an, sondern setzte seine Fahrt fort. Der Fahrer des LKW sicherte die Unfallstelle.

Das Fahrzeug des Klägers erlitt einen (weiteren) Schaden am linken Kotflügel und an der linken Leuchte. Es wird insoweit auf die als Anlage KE3 vorgelegte Lichtbildmappe verwiesen. Diese Lichtbilder fertigte die Polizei in Meißen, bei der sich der Kläger mit seinem fahrtüchtigen Fahrzeug am 14.12.2011 gegen 10.00 Uhr vorstellte.

Am Fahrzeug des Klägers entstand durch die Kollision mit dem Lkw ein Schaden in Höhe von 8.412,85 EUR, die der Kläger am 27.02.2013 an die Leasinggeberin zahlte.

Am Lkw entstand ein Schaden in Höhe von 827,80 EUR, den die Beklagte beglich. Das gegen den Kläger eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat gemäß § 142 StGB wurde am 05.04.2012 gegen Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 250,00 EUR gemäß § 153 a StPO eingestellt.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe der geltend gemachte Anspruch zu; insbesondere habe er keine Obliegenheitsverletzung begangen.

Zwar habe er die Kollision mit dem Lkw wahrgenommen, aber nur als geringfügige Streifung. Erst als er Zuhause in Meißen angekommen sei, habe er die weitere Beschädigung seines Fahrzeugs am vorderen linken Kotflügel festgestellt. Daraufhin habe er über die Notrufnummer 110 die Polizei in Chemnitz angerufen. Auf Hinweis der dortigen Polizeibeamten habe er dann bei seiner Polizeidienststelle in Meißen angerufen. Die Beamten hätten ihm mitgeteilt, er möge am morgigen Tag kommen. Alkoholische Getränke habe er am 13.12.2011 nicht zu sich genommen.

Er habe jedenfalls bei der Entfernung vom Unfallort nicht vorsätzlich gehandelt; dies ergebe sich bereits daraus, dass das Ermittlungsverfahren gemäß § 153 a StPO eingestellt worden sei. Im Übrigen handele es sich auch um einen Bagatellschaden.

Jedenfalls habe er den Kausalitätsgegenbeweis geführt.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.412,85 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.02.2013 zu zahlen;

festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, an die Beklagte 827,80 EUR zu zahlen;

die Beklagte zu verurteilen, an ihn die außergerichtlichen nicht anrechenbaren Rechtsanwaltskosten in Höhe von 891,31 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;

im Wege der Widerklage, den Kläger zu verurteilen, an sie 827,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.07.2012 zu zahlen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage teilweise unschlüssig sei.

Der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Mehrwertsteuer; im Übrigen sei eine Selbstbeteiligung des Klägers in Höhe von 500,00 EUR vereinbart.

Die Beklagte sei aus der Kaskoversicherung leistungsfrei, da der Kläger entgegen E.1.3. der Bedingungen den Unfallort verlassen habe, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Nach seiner eigenen Einlassung habe der Kläger den Unfall wahrgenommen. Dass der Kläger diesen nur als geringfügige Streifung wahrgenommen haben will, sei eine Schutzbehauptung.

Der Kläger habe durch seine Unfallflucht auch vorsätzlich und arglistig gehandelt, sodass diesem der Kausalitätsgegenbeweis nicht zustehe. Hieran ändere auch die (verfehlte) Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 153 a StPO nichts.

Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger am 13.12.2011 keinen Alkohol zu sich genommen habe. Aus den vorgenannten Gründen sei der Kläger auch verpflichtet, die von der Beklagten aus der Haftpflichtversicherung an den Unfallgegner geleisteten 827,80 EUR als Regress zu zahlen.

Der Kläger befinde sich seit dem 28.07.2012 in Verzug, da er mit Schreiben gleichen Datums den Ausgleich der Regressforderung abgelehnt habe.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den nicht angekündigten mündlichen Parteivortrag Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

A.

I.

Die Klage ist zulässig, wobei die Kammer aus den Gründen zu II. nicht entschieden hat, ob für den Feststellungsantrag nach Erhebung der Widerklage durch die Beklagte (weiter) das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis gemäß § 256 ZPO gegeben ist.

Die Widerklage ist gemäß § 33 ZPO zulässig.

II.

Die Klage ist nicht begründet.

1. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von 8.412,85 EUR gemäß § 1 VVG S. 1 i. V. m. der mit dem Leasinggeber vereinbarten Kaskoversicherung, in die der Kläger als Leasingnehmer einbezogen ist, nicht zu.

Die Beklagte ist gemäß § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei; der Kläger hat den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 S. 1 VVG nicht geführt.

a.) Die Beklagte ist gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG leistungsfrei, da die Kaskoversicherung in E.1.3 der AKB 2008 eine vom Kläger zu erfüllende vertragliche Obliegenheit normiert, welche dieser vorsätzlich verletzt hat.

In E.1.3 Satz 2 der AKB 2008 ist bestimmt, dass der Versicherungsnehmer den Unfallort nicht verlassen darf, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Damit wird eine eigenständige versicherungsrechtliche Wartepflicht unabhängig von einer strafrechtlichen Verpflichtung begründet (Prölss/Martin-​Knappmann VVG, 28. Auflage, E.1. AKB 2008, Rn. 21).

Gegen diese ihm obliegende Obliegenheit hat der Kläger verstoßen, da er trotz Wahrnehmung der Kollision mit dem Lkw bei Auffahrt auf die A4 Richtung Dresden nicht angehalten, sondern seine Fahrt unvermindert fortgesetzt hat.

Die Kammer brauchte dabei nicht zu entscheiden, ob unter Berücksichtigung der Schäden des klägerischen Fahrzeugs der Kläger diese nur als geringfügige Streifung wahrgenommen hat oder dies (wie die Beklagte mit beachtlichen Argumenten meint) eine Schutzbehauptung darstellt, da der Kläger den Verkehrsunfall und jedenfalls die Beschädigung seines linken Außenspiegels nach eigener Einlassung bemerkt hat. Damit hätte er den Ort des auch von ihm wahrgenommenen Unfalls nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.

Ohne Bedeutung bleibt insoweit die Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Fahrerflucht gemäß § 153 a StPO.

Zum einen besteht (wie ausgeführt) die versicherungsrechtliche Wartepflicht unabhängig von einer strafrechtlichen Verpflichtung. Im Übrigen erfolgte vorliegend eine Einstellung gemäß § 153 a StPO und nicht (wegen Nichtvorliegen eines hinreichenden Tatverdachts) gemäß § 170 Abs. 2 StPO. Die Grenze für einen Bagatellschaden, der die Tatbestandsvoraussetzungen des § 142 StGB entfallen lässt, liegt bei 25,00 EUR. Unstreitig beträgt der Schaden des Unfallgegners des Klägers 827,80 EUR.

Eine Entfernung von der Unfallstelle schadet dabei auch dann, wenn der Versicherungsnehmer sich später der Polizei stellt (Prölss/Martin-​Knappmann a. a. O.).

Auch der (von der Beklagten bestrittene) Anruf des Klägers unter der Notrufnummer 110 bei der Polizei in Chemnitz noch am Abend des 13.12.2011 vermag an der Verletzung der Aufklärungspflicht mithin nichts zu ändern.

Im Übrigen dürfte über die vom Wohnort des Klägers in Meißen gewählte Notrufnummer 110 nicht die Polizei in Chemnitz, sondern in Dresden erreicht werden.

Zur Überzeugung der Kammer hat der Kläger die ihm obliegende Aufklärungspflicht auch vorsätzlich verletzt.

Bedingter Vorsatz ist (entsprechend den allgemeinen Regeln) gegeben, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Prölss/Martin-​Knappmann a. a. O., § 28, Rn. 113). Die dem Kläger obliegende Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.3 der AKB 2008 entspricht dem Schutzzweck des § 142 StGB. Der Kläger hatte mithin Kenntnis dieser Verhaltensnorm. Durch sein Entfernen vom Unfallort nach wahrgenommener Kollision hat er bewußt hiergegen verstoßen.

b.) Der Kläger hat nicht den Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 S. 1 VVG geführt. Denn durch die Verletzung der ihm obliegenden Aufklärungspflicht hat der Kläger den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls und die Feststellung des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers verhindert. Insbesondere vermag die Beklagte nunmehr nicht mehr festzustellen, ob der Kläger alkoholisiert zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls gefahren ist. In der (wie hier) Kaskoversicherung kann der Verlust des Versicherungsschutzes gem. § 81 VVG bei Alkoholgenuss verbunden sein (Prölss/Martin-​Knappmann a. a. O., E.1. AKB 2008, Rn. 23 m. w. N.).

Der Kausalitätsgegenbeweis ist auch nicht unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers als geführt anzusehen, wonach er unter Zeugenbeweis vorträgt, dass er am Unfalltage am 13.12.2011 keinen Alkohol zu sich genommen habe. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den ergänzenden Ausführungen des Klägers in seinem nachgelassenen Schriftsatz vom 30.04.2013 (Blatt 61 d. A.). Denn der Kläger beruft sich zum Beweis für sein Vorbringen, dass er am 13.12.2011 keinen Alkohol zu sich genommen habe, auf verschiedene Zeugen, deren Aussagen aber keinen Aufschluss über den letzten Fahrtabschnitt, bei dem der Kläger allein in dem Fahrzeug war, geben können (so auch Kammergericht Berlin vom 27.08.2010, VersR 2011, 875, zitiert nach Juris, Rn. 14). Auch können Feststellungen zur tatsächlichen Fahrtüchtigkeit oder einer alkoholischen Beeinflussung des Klägers nicht mit der gleichen Sicherheit und Eindeutigkeit durch Zeugenaussagen bestimmt werden, wie eine direkt nach dem Unfall durchgeführte Blutprobe (so auch Kammergericht Berlin a. a. O.). Unbeachtlich ist damit auch die Einlassung des Klägers im Termin der öffentlichen Sitzung vom 23.04.2013, wonach er dem Polizeibeamten in Meißen mitgeteilt habe, dass er keinen Alkohol getrunken habe.

c.) Eine Entscheidung, ob der Kläger die ihm obliegende Aufklärungspflicht (auch) arglistig verletzt hat (§ 28 Abs. 3 S. 2 VVG), bedurfte es damit nicht mehr.

2. Aus den vorgenannten Gründen ist auch der Anspruch des Klägers auf Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, an die beklagte Haftpflichtversicherung 827,80 EUR (als Regress) zu zahlen, nicht begründet.

Denn die Beklagte hat gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i. V. m. E.1.3, E.6.2, E.6.4. der AKB 2008 einen Anspruch auf Regress in dieser Höhe, da sie (unstreitig) diesen Betrag an den Unfallgegner des Klägers geleistet hat.

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatz der ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 891,31 EUR gemäß §§ 286, 280 BGB, da ihm bereits der geltend gemachte Hauptanspruch nicht zusteht.

III.

Der von der Beklagten im Wege der Widerklage als Regress geltend gemachte Betrag in Höhe von 827,80 EUR ist aus § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i. V. m. E.1.3, E.6.2, E.6.4 der AKB 2008 begründet. Es wird insoweit auf die Ausführungen unter II. 1. und 2. verwiesen.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 280, 288 Abs. 1 BGB.


B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.