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OLG Hamm Urteil vom 11.12.2012 - I-28 U 80/12 - Rücktritt vom Gebrauchtwagenkauf bei abweichender Laufleistung

OLG Hamm v. 11.12.2012: Zum Rücktritt vom Gebrauchtwagenkauf bei abweichender Laufleistung


Das OLG Hamm (Urteil vom 11.12.2012 - I-28 U 80/12) hat entschieden:
  1. Zu Rechtsfragen des Autokaufs.

  2. Zu den Voraussetzungen eines Rücktritts vom Kaufvertrag bei abweichender Laufleistung eines Gebrauchtwagens.

  3. Auch wenn die Laufleistung des Gebrauchtfahrzeugs deutlich über dem im Zeitpunkt des Kaufs angezeigten Stand lag, kann der Käufer daraus keine Gewährleistungsrechte herleiten, wenn diese in dem vom Verkäufer verwendeten Kaufvertragsformular wirksam abbedungen wurden. Bei einem privaten Direktverkauf eines Gebrauchtfahrzeugs ist ein umfassender Gewährleistungsausschluss zulässig.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Gebrauchtwagenkauf


Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten in erster Linie die Rückabwicklung eines Kaufvertrages vom 06.08.2011 über einen gebrauchten B. Der Kaufpreis lag seinerzeit bei 4.800,00 EUR und beruhte auf der Annahme des Klägers, dass das Fahrzeug die auf dem Kilometerzähler und in dem Formularvertrag angegebene Laufleistung von 196.000 km hatte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Laufleistung bereits im Oktober 2010 bei 305.225 km gelegen hatte. Der Kläger ließ daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 31.08.2011 die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung und hilfsweise den Rücktritt vom Vertrag erklären. Dies wurde ergänzend mit einem bei Übergabe vermeintlich vorhandenen Getriebeschaden erklärt, den der Kläger am 20.08.2011 in einer Reparaturwerkstatt für 750,00 EUR behoben haben lassen will.

Der Beklagte hat sich damit verteidigt, dass er den B selbst erst am 18.02.2011 von dem Zeugen B2 erworben habe. Seinerzeit sei eine Laufleistung von 180.000 km angegeben gewesen, zu der eine weitere von der Familie des Beklagten zurückgelegte Fahrleistung von 16.000 km hinzukomme. Der tatsächlich höhere Kilometerstand sei ihm - dem Beklagten - nicht bekannt gewesen.

Das Landgericht hat nach Anhörung der Parteien und der Vernehmung der Zeugen E (Ehefrau des Klägers), B1 y (Bekannter des Beklagten) und B3 B2 (Vorverkäufer des B) der Klage stattgegeben. Das Landgericht stützte seine Entscheidung im Wesentlichen auf die Aussage des Zeugen B2, der bekundet hatte, den Beklagten über einen vorangegangenen Austausch des Tachometers und den Kilometerstand von über 300.000 km informiert zu haben, so dass die Voraussetzungen der arglistigen Täuschung gegenüber dem Kläger vorgelegen hätten.

Dieses Urteil wird von dem Beklagten angegriffen, wobei im Wesentlichen eine fehlerhafte Beweiswürdigung gerügt wird.

Von der weitergehenden Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 S. 1 und § 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.


II.

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Die Klage war als unbegründet abzuweisen, weil der Senat nach erneuter Beweisaufnahme die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht feststellen konnte.

1. Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages wegen Mangelhaftigkeit des erworbenen Gebrauchtfahrzeugs aus §§ 346, 323, 440, 437 Nr. 2, 434 Abs. 1, 433 BGB steht dem Kläger nicht zu.

a) Auch wenn die tatsächliche Laufleistung des B mit über 300.000 km unstreitig deutlich höher ist als die im Vertrag angegebene Laufleistung von 196.000 km, begründet dies im Rechtssinne keine Negativabweichung von einer vereinbarten Beschaffenheit (§ 434 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Vertrag enthält insoweit die formularmäßige Einschränkung "soweit dem Verkäufer bekannt" und den handschriftlichen Zusatz "Gesamtlaufleistung nicht bekannt". Damit beinhaltete die Information über den Kilometerstand lediglich eine Wissensmitteilung, auf die Gewährleistungsrechte nicht gestützt werden können (BGH NJW 2010, 1131).

b) Zwar gehört es bei einem Gebrauchtfahrzeug zu der üblichen Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB, dass die tatsächliche Laufleistung nicht erheblich von dem angezeigten Kilometerstand abweicht (BGH DAR 2006, 143; OLG Bremen NJW 2003, 3713; Reinking/Eggert Der Autokauf, 11. Aufl., Rnr. 2841). Auch wenn der Audi A4 dieser Anforderung unstreitig nicht gerecht wird, weil seine Laufleistung mit über 300.000 km deutlich über dem im Zeitpunkt des Kaufs angezeigten Stand von 196.000 km lag, kann der Kläger daraus keine Gewährleistungsrechte herleiten, weil diese in dem vom Beklagten verwendeten Kaufvertragsformular wirksam abbedungen wurden. Bei einem hier in Rede stehenden privaten Direktverkauf eines Gebrauchtfahrzeugs ist ein umfassender Gewährleistungsausschluss zulässig (Reinking/Eggert Rnr. 4038); zudem wurden die Klauselverbote i.S.d. § 309 Nr. 7 a und b BGB im Hinblick auf die Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit sowie grobes Verschulden berücksichtigt. Ein Fall des arglistig verschwiegenen Sachmangels (§ 444 BGB) liegt hier ebenfalls nicht vor, wie die nachfolgenden Ausführungen zeigen.

c) Soweit in dem Schreiben des Klägervertreters vom 31.08.2011 auch ein bei Übergabe vorhandener Getriebeschaden - wohl des Rückwärtsgangs - gerügt wurde, vermochte dies schon deshalb kein Rücktrittsrecht zu begründen, weil dieser behauptete Sachmangel im Rücktrittszeitpunkt nicht mehr vorlag (BGH NJW 2011, 1664). Er soll nach eigener Darstellung des Klägers bereits am 20.08.2011 von der Fa. L in M durch Arbeiten an dem Multitronic-​Steuergerät behoben worden sein.

2. Der Kläger kann den gezahlten Kaufpreis von 4.800,00 nicht nach Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 S. 1 BGB) zurückverlangen. Der Kaufvertrag ist nicht unwirksam im Sinne des § 142 Abs. 1 BGB, weil die Voraussetzungen einer Arglistanfechtung nach § 123 Abs. 1 BGB nicht festgestellt werden können.

Der Kläger kann letztlich den subjektiven Arglisttatbestand nicht beweisen. Dazu ist erforderlich, dass der Verkäufer bei Abschluss des Kaufvertrages die die Negativabweichung begründenden Umstände kennt oder zumindest für möglich hält (BGH NJW 2007, 835).

a) Der Senat geht abweichend vom Landgericht nicht davon aus, dass der Beklagte bei Ankauf des Fahrzeugs von dem Zeugen B2 über den hohen Kilometerstand von mehr als 300.000 km in Kenntnis gesetzt wurde.

Die Aussage des Zeugen B2 ist nicht glaubhaft:

Nach den als wahr zu unterstellenden Begleitumständen handelt der Zeuge B2 neben seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit gebrauchten Kraftfahrzeugen auf dem Gelände des Essener Autokinos, wo auch der streitgegenständliche B vom Beklagten angekauft und später wieder an den Kläger verkauft wurde. Der Zeuge B2 hatte den B seinerseits über das Internet von dem Erstbesitzer G C aus B erworben. Die Überführungsfahrt von C1 nach F soll von einem Verwandten des Zeugen B2 vorgenommen worden sein. Bei dieser Gelegenheit - so der Zeuge B2 - soll dann während der Fahrt "der Tacho" ausgefallen sein. Bereits dieser Umstand ist eher ungewöhnlich. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, weshalb bei einem solchen Defekt die komplette Tachometereinheit einschließlich des Kilometerzähler ausgetauscht werden musste. Selbst wenn man unterstellt, dass dies technisch notwendig war, wurden die näheren Umstände des Tachometertauschs vom Zeugen B2 nicht glaubhaft dargelegt. Während er erstinstanzlich noch ausgesagt hatte, den Austausch selbst vorgenommen zu haben mit einem bei einem Schrotthändler erworbenen Tachometer, soll der Austausch nach seinen abweichenden Angaben vor dem Senat in einer Werkstatt direkt neben dem Autokino erfolgt sein. Von dieser Werkstatt habe er allerdings keine Rechnung über die durchgeführten Arbeiten erhalten, weil es keine Fachwerkstatt gewesen sei. Das überzeugt nicht: Gerade wenn der Zeuge B2 einem späteren Kaufinteressenten den Tachometertausch kundtun wollte, hätte es nahegelegen, schriftliche Unterlagen über die vorgenommenen Arbeiten bereitzuhalten, um nicht in den Verdacht einer strafbaren Handlung nach § 22b StVG zu kommen. Aber selbst wenn man einen technisch notwendigen Austausch des Kilometerzählers unterstellt, bleibt unerfindlich, weshalb nun die Angaben des Austauschgerätes (180.000 km) in den Kaufvertrag über den B übernommen wurden, der mit diesem Gerät gerade nicht gefahren wurde. Es hätte erst recht nicht in dem am 18.02.2011 mit dem Beklagten abgeschlossenen Kaufvertrag des doppelten handschriftlichen Zusatzes "Gesamtlaufleistung nicht bekannt" bedurft, weil die Gesamtlaufleistung von mehr als 300.000 km dem Zeugen B2 nach eigenen Angaben sehr wohl bekannt war. Sie ging aus dem Scheckheft und aus den TÜV- und ASU-​Unterlagen hervor, die er von dem Vorbesitzer erhalten hatte. Unabhängig davon hätte er zu der Anzeige des ausgefallenen Kilometerzählers nur die restliche Fahrtstrecke von C1 nach F addieren müssen, um den aktuellen Kilometerstand zu erhalten. Wiederum nicht plausibel ist die Aussage des Zeugen B2 vor dem Senat, er habe dem Beklagten mündlich einen km-​Stand von 250.000 km mitgeteilt, der allerdings weder dem tatsächlichen entsprach noch dem in den Kaufvertrag übernommenen. Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist, weshalb der Zeuge B2 - der nach eigenen Angaben über Erfahrungen bei Gebrauchtwagenverkauf verfügt - die für dem km-​Stand relevanten Fahrzeugunterlagen wie Scheckheft und TÜV-​Berichte bei dem Verkauf an den Beklagten nicht im Fahrzeug aufbewahrte, zumal er mit einer kritischen Nachfrage wegen des Tachometertauschs rechnen musste. Der Zeuge B2 sagte dazu aus, er habe erst am Nachmittag des Verkaufstages bei sich zu Hause in diese Unterlagen geschaut, daraufhin den Beklagten angerufen, "einer Frau" den tatsächlichen km-​Stand von mehr als 300.000 km mitgeteilt und eine Rückabwicklung des Kaufvertrages angeboten; der Beklagte habe das jedoch nicht gewünscht, weil der B ohnehin in die "V" (erstinstanzlich: "X") sollte. Eine solche gleichgültige Reaktion des Beklagten ist aber mehr als fernliegend, denn unabhängig davon dass er das Fahrzeug später gerade nicht nach Osteuropa verkaufte, sondern es von seiner Familie benutzt wurde, wäre auch bei einer Verwendung als Exportfahrzeug der von ihm bezahlte Kaufpreis angesichts einer Laufleistung von mehr als 300.000 km deutlich überhöht gewesen, was kaum gleichmütig hingenommen worden wäre.

Wenn es aber dem Beklagten darum gegangen wäre, einen späteren Aufkäufer des Fahrzeugs in Osteuropa ebenfalls über die tatsächliche Laufleistung zu täuschen - worauf der Zeuge B2 mit seiner Aussage offenbar hinauswollte -, dann wäre es wiederum aus Sicht des Beklagten überflüssig gewesen, sich eine Woche später die maßgeblichen Unterlagen, aus denen die Laufleistung von mehr als 300.000 km hervorging, unter Einschaltung des Zeugen y aushändigen zu lassen.

Unabhängig davon, dass die Aussage des Zeugen B2 wegen ihrer logischen Widersprüchlichkeit einer Überzeugungsbildung nicht zugrunde gelegt werden kann, ergab sich auch aus der Aussage des Zeugen y, dass der Beklagte weder über den Tachometertausch informiert worden war noch eine Woche später relevante Unterlagen über den Kilometerstand ausgehändigt bekommen hatte.

Der Zeuge y bekundete auf ausdrücklichen Vorhalt der Aussage des Zeugen B2, dass er das Verkaufsgespräch zwischen dem Zeugen B2 und dem Beklagten von Anfang bis Ende mitverfolgt habe. Dabei sei über einen Austausch des Tachometers nicht gesprochen worden, sondern lediglich darüber, dass das Fahrzeug "technisch super in Ordnung" sei. Es sei auch nicht so gewesen, dass ihm der Zeuge B2 später irgendwelche Unterlagen übergeben habe. Der Senat hat keine Bedenken, der Aussage des Zeugen y folgen. Dass dessen Aussage- wie das Landgericht meint - nicht sonderlich detailreich ausfiel, mag damit zusammenhängen, dass ein Zeuge über nicht stattgefundene Ereignisse - nämlich die Aufklärung über den Tachometertausch und die nachträgliche Aushändigung von Unterlagen - schlechterdings keine ausschmückenden Angaben machen kann.

b) Der Senat hält es zwar nicht für ausgeschlossen, dass der Beklagte während seiner etwa 6monatigen Besitzzeit Kenntnis erhielt von der tatsächlich wesentlich höheren Gesamtlaufleistung des B. Entsprechende Umstände konnten aber nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden.

Der Beklagte hat sich bei seiner Anhörung vor dem Senat allerdings in Widersprüche verwickelt. So gab er an, die Hauptuntersuchung nach Ankauf des Fahrzeugs im Februar 2011 selbst veranlasst zu haben. Dagegen spricht allerdings, dass er bei dem Weiterverkauf an den Kläger ein Verkaufsschild mit der Angabe "TÜV 10/2012" verwendete, was zu der letzten vom Vorbesitzer G C am 26.10.2010 durchgeführten Hauptuntersuchung passt. Andererseits mussten für die Zulassung des Audi A4 auf den Kläger nichts zwangsläufig die DEKRA-​Unterlagen über die Hauptuntersuchung vom 26.10.2010 vorgelegt werden, aus denen ein km-​Stand von 305.225 km hervorging. Dafür genügte auch der Stempel über die durchgeführte Hauptuntersuchung in der Zulassungsbescheinigung. Sollte der Beklagte hingegen selbst bei der DEKRA oder dem TÜV im Februar 2011 eine Hauptuntersuchung durchgeführt haben, hätte dabei nicht der tatsächliche km-​Stand festgestellt werden müssen und außerdem wäre darüber ein entsprechender neuer Stempel in der Zulassungsbescheinigung ausgestellt worden, dessen Existenz aber von keiner der Prozessparteien vorgetragen wird.

Andere Umstände, die einen Rückschluss auf die positive Kenntnis des Beklagten von dem hohen Kilometerstand erlauben, sind nicht ersichtlich.

c) Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beklagte es wenigstens für möglich hielt, dass die in den mit dem Kläger abgeschlossenen Kaufvertrag übernommene Angabe "196.000 km" unzutreffend niedrig war, führt dies nicht zu einem Anfechtungsrecht des Klägers nach § 123 Abs. 1 BGB, denn insoweit fehlt es an der erforderlichen Täuschungshandlung. Die Möglichkeit eines abweichenden km-​Stands ging bereits aus der in den Kaufvertrag übernommenen Formulierung "Gesamtlaufleistung nicht bekannt" hervor, die der Beklagte aus dem vorangegangenen Kaufvertrag mit dem Zeugen B2 übernommen hatte. Dies spiegelte letztlich die realistische Erwartungshaltung sowohl des Klägers als auch des Beklagten wider, denn insofern räumte auch die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers bei ihrer Vernehmung ein, ihr sei schon bewusst gewesen, dass bei den am F1 Autokino veräußerten Gebrauchtfahrzeugen nicht selten der Tachostand manipuliert werde.

2. In Ermangelung eines Rückabwicklungsverhältnisses kann der Kläger auch nicht die Reparaturkosten der Fa. L in Höhe von 750,00 EUR ersetzt verlangen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.


IV.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO).