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OLG Düsseldorf Urteil vom 03.07.2014 - I-3 U 39/12 - Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufvertrags

OLG Düsseldorf v. 03.07.2014: Zur Berechnung anrechnungsfähiger Nutzungsvorteile bei der Rückabwicklung eines Gebrauchtwagenkaufvertrags


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 03.07.2014 - I-3 U 39/12) hat entschieden:
Der zur Rückabwicklung des Kaufvertrages über ein Gebrauchtfahrzeug berechtigte Käufer kann vom Verkäufer Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich von Nutzungsvorteilen verlangen, deren Höhe sich im Regelfall nach der anerkannten Formel für die zeitanteilige lineare Wertminderung (Gebrauchtkaufpreis x zurückgelegte Kilometer: erwartbare Restleistung) berechnet, wobei allerdings der verbliebene Zeitwert des Kraftfahrzeuges die Obergrenze ("Kappungsgrenze") für den Ersatz von Nutzungsvorteilen darstellt.


Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Wertersatz - Nutzungsentschädigung bei Rückabwicklung des Autokaufs


Gründe:

I.

Die Klägerin fordert von der Beklagten nach Rückgabe des von ihr erworbenen Kraftfahrzeuges Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung sowie Schadenersatz.

Sie erwarb aufgrund Bestellung vom 10. Jan. 2005 von der Beklagten einen „Dienstwagen“ BMW X5 3.0d A, Erstzulassung am 14. Juni 2004 mit 14.890 km zum Kaufpreis von 53.740 € mit der unstreitigen Angabe „unfallfrei“.

Am 16. Juni 2011 verkaufte die Klägerin das Kraftfahrzeug mit einer Laufleistung von ca. 150.000 km zum Kaufpreis von 19.040 € an einen Weißrussen. Der Käufer trat zurück, weil er einen (erheblichen) Unfallschaden auf der linken Fahrzeugseite festgestellt hatte. Die Klägerin erstattete den Kaufpreis sowie Kosten für Hotel und Flug (283 €).

Nachdem die Klägerin den Kaufvertrag zunächst wegen arglistiger Täuschung angefochten und die Beklagte unter Anrechnung einer näher berechneten Nutzungsentschädigung zur Zahlung von 24.721 € aufgefordert hatte, stellte sie das Kraftfahrzeug am 04. Juli 2011 bei der Beklagten ab.

Die Beklagte ließ mit Schreiben vom 05. Juli 2011 die Klägerin auffordern, das Kraftfahrzeug wieder abzuholen, und wies sodann mit Schreiben vom 16. Juli 2011 darauf hin, in der Angelegenheit bedürfe es einer Klärung, die Nutzungsentschädigung sei anders zu berechnen. Sie errechnete einen Betrag von 72.549 € und meinte, es ergebe sich ein Betrag, der für die Rückabwicklung der Klägerin wenig von Bedeutung sein werde.

Auf die Mitteilung der Klägerin mit Schreiben vom 19. Juli 2011, es freue sie, dass die Beklagte zwischenzeitlich dem Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufs dem Grunde nach zustimme, und das Angebot einer Erledigung im Wege des Vergleichs bei Zahlung von 21.000 € bot die Beklagte mit Schreiben vom 26. Juli 2011 Zahlung von 16.000 € an.

Im Verlaufe des anschließenden Klageverfahrens veräußerte die Beklagte im März 2012 das Kraftfahrzeug bei einem km-​Stand von 149.940 € für 16.700 €.

Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zur Zahlung von 24.721 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05. Juli 2011 sowie zur Zahlung weiterer 283 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.479,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05. Juli 2011 zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat u.a. vorgetragen, der Rücktritt - so wie von der Klägerin erklärt - solle akzeptiert werden. Der einzige Streitpunkt der Parteien sei die Höhe der Nutzungsentschädigung.

Das Landgericht hat - nach Beweisaufnahme über die Behauptung der Klägerin, das Kraftfahrzeug habe bei ihr keinen Unfall erlitten - die Klage abgewiesen.

Die Parteien hätten einen stillschweigenden Aufhebungsvertrag geschlossen. Dennoch könne die Klägerin Zahlung von der Beklagten nicht verlangen, weil die gezogenen Nutzungen den Kaufpreis weit überstiegen.

Schadenersatz könne die Klägerin nicht verlangen, weil sie nicht habe beweisen können, dass das Kraftfahrzeug bei Übergabe einen Sachmangel gehabt habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Sie meint, die Beklagte sei mit der Rückabwicklung einverstanden gewesen. Das Landgericht habe die anzurechnenden Gebrauchsvorteile falsch berechnet. Die Beklagte habe zumindest den Wert des Kraftfahrzeuges im Zeitpunkt der Rückgabe zu erstatten.

Sie beantragt zuletzt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zur Zahlung von 19.323 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2011 sowie von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.479,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Juli 2011 zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Landgericht habe die Höhe der Nutzungsentschädigung fehlerfrei berechnet.

Der Senat hat über den Wert des Kraftfahrzeuges im Zeitpunkt der Rückgabe an die Beklagte Beweis durch Sachverständigengutachten erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.


II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache überwiegend Erfolg.

Die Klägerin kann von der Beklagten Zahlung von 19.323 € nebst Zinsen verlangen. Die weitergehende Klage auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten ist allerdings nicht gerechtfertigt.

Die Parteien haben sich - wie schon das Landgericht angenommen hat - auf eine Rückabwicklung des Kaufvertrages aus dem Jahre 2005 geeinigt. Die Beklagte hat ausdrücklich im Verlaufe des Rechtsstreites erklärt, der Rücktritt solle akzeptiert werden, der Streit betreffe nur die Höhe der Nutzungsentschädigung.

So hat es der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 08. Mai 2013 dargelegt und die Parteien sind dem nicht entgegen getreten.

Da die Parteien bei ihrer Einigung keine Verständigung darüber haben herbeiführen können, wie die Nutzungsvorteile für die Klägerin zu berechnen und in welcher Höhe sie anzurechnen sein sollen, ist diese Regelungslücke durch Rückgriff auf das dispositive Recht und die hiernach anzuwendenden Grundsätze zu schließen.

Hiernach gilt:

Bei der Berechnung der Gebrauchsvorteile ist in der Regel davon auszugehen, dass der Wert einer Sache durch die Dauer ihrer Nutzbarkeit bis zum Eintritt der Gebrauchsuntauglichkeit bestimmt wird. Maßgeblich ist mithin der „Wertverzehr“. Ausgangspunkt der Berechnung ist der im Kaufpreis verkörperte objektive Wert der Sache. Praktisch gehandhabt wird das bei Kraftfahrzeugen in Regelfall mit der anerkannten Formel für die zeitanteilige lineare Wertminderung, die das LG angewandt hat (Gebrauchtkaufpreis x zurückgelegte Kilometer : erwartbare Restlaufleistung).

Diese Bestimmung der Gebrauchsvorteile nach dem linearen Wertschwund versagt allerdings, wenn die herauszugebende Sache durch Nutzung keinen messbaren Wertverlust erleidet, namentlich bei Grundstücken. Seit 2006 ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dazu im Rahmen der Bemessung von Vorteilsausgleichung bei Schadenersatzansprüchen uneinheitlich (BGH, NJW 2006, 53 ermittelt die Nutzungsvorteile zeitanteilig linear, BGH, NJW 2006, 1582 nach dem objektiven Mietwert/üblichen Mietzins; vgl. insgesamt MüKo/Gaier, 6. Aufl. 2012, § 346 BGB, Anm. 26 ff. m.N.)

Andererseits bildet der Kaufpreis nach § 346 Abs. 2 Satz 2 BGB die Obergrenze der Nutzungsvergütung; mehr als den Kaufpreis war der Käufer nicht bereit für die Kaufsache und die aus ihr zu ziehenden Gebrauchsvorteile zu zahlen, mehr kann der Verkäufer als Gegenleistung nicht erwarten. Berechnet man hingegen die Gebrauchsvorteile anhand des Mietpreises, der für die Nutzung einer entsprechenden Sache durchschnittlich gezahlt wird, würde nicht der zwischen den Parteien abgeschlossene Kauf- oder Werkvertrag, sondern fiktiv ein Miet- oder Pachtvertrag rückabgewickelt und damit unterstellt, der Käufer oder Besteller sei bereit gewesen, für die Nutzung der Sache den - wegen des Gewinnanteils und der Vorhaltekosten des Vermieters oft deutlich höheren - Miet- oder Pachtzins zu zahlen. Das liefe dem Ziel zuwider, über die Rückabwicklung des Vertrages lediglich den Zustand wiederherzustellen, der vor dem Leistungsaustausch bestand. (vgl. insoweit Staudinger/Kaiser, Neubearbeitung 2012, § 346 BGB, Anm. 257)

Mithin ist grundsätzlich die auch vom Landgericht angewandte lineare Berechnungsmethode zur Ermittlung der Höhe der Nutzungsentschädigung heranzuziehen.

Allerdings muss der Wert des Kraftfahrzeuges die Obergrenze für den Ersatz von Nutzungsvorteilen darstellen. Denn wenn der auf die voraussichtliche Gesamtlaufleistung umgelegte Kaufpreis den Wert des Fahrzeugs repräsentiert, kann der Nutzungsausgleich nicht höher als der „verbliebene Zeitwert“ des Kraftfahrzeugs sein (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Anm. 1165 m.N. und Reinking in Anm. zu OLG Koblenz, MJW 2009, 151, 155 unter Hinweis auf OLG Hamm, MDR 1982, 580, das entschieden hat, die bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen PKW anzurechnende Nutzungsvergütung werde durch den Wertverlust begrenzt, den das FZ während der Nutzungsdauer erleide; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil v. 07. Juni 2004 - 1 U 11/04, zitiert nach juris).

Demnach kann die Klägerin aufgrund der vereinbarten Rückabwicklung von der Beklagten den Kaufpreis abzüglich von Nutzungsvorteilen maximal bis zur „Kappungsgrenze“ des verbliebenen Zeitwerts erhalten.

Hier betrug der Zeitwert des Kraftfahrzeuges bei Rückgabe an die Beklagte nach dem von den Parteien nicht angegriffenen und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen L. 19.525 €, so dass der zuletzt gestellte Klageantrag, der darunterliegt, insoweit gerechtfertigt ist.

Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges §§ 286, 288 Abs. 2 BGB.

Nicht gerechtfertigt ist der Antrag auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, denn die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden Verzuges liegen nicht vor. Ausweislich der Rechnung der Prozessbevollmächtigen de Klägerin vom 07. Juli 2011 hat Klägerin sie bereits am 20. Juni 2011 beauftragt, ohne sie zuvor in Verzug zu setzen (Leistungszeit 20.06.2011 bis 07.07.2011).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.

Der Senat lässt wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob bei der Berechnung der Höhe der Nutzungsentschädigung der „verbleibende Zeitwert“ des Kraftfahrzeuges eine Kappungsgrenze darstellt, gem. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Revision zu.