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Amtsgericht Frankfurt am Main Urteil vom 10.08.2011 - 30 C 478/11 - Regulierungsermessen und Schadensfreiheitsrabatt

AG Frankfurt am Main v. 10.08.2011: Regulierungsermessen des Haftpflichtversicherers und Schadensfreiheitsrabatt


Das Amtsgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 10.08.2011 - 30 C 478/11) hat entschieden:
Der Haftpflichtversicherer muss nach Eintritt des Versicherungsfalles begründete Schadensersatzansprüche befriedigen und unbegründete Ansprüche abwehren. Ob der Versicherer also freiwillig zahlt oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, dass der geschädigte Dritte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach eigenem Ermessen. Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden. Der Versicherungsnehmer kann die mit der Rückstufung im Schadensfall verbundenen Vermögensnachteile aus dem Rechtsgrund der positiven Vertragsverletzung nur dann vom Versicherer ersetzt verlangen, wenn dieser völlig unsachgemäß reguliert, insbesondere offensichtlich unbegründete Schadensersatzansprüche befriedigt hat.


Siehe auch Regulierungsvollmacht und Regulierungsermessen der eigenen Haftpflichtversicherung bei der Abwicklung gegnerischer Schadensersatzansprüche und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Tatbestand:

Der Kläger unterhielt für seinen Pkw, einen VW EOS mit amtlichem Kennzeichen ..., bei der Beklagten bis zum 18.2.2010 die gesetzliche Haftpflichtversicherung. Wegen eines Vorfalls vom 17.10.2009 wurden gegenüber der Beklagten Schadensersatzansprüche geltend gemacht; beim Rückwärtsausparken soll der Pkw des Klägers ein anderes geparktes Kfz beschädigt haben. Es erfolgte eine polizeiliche Unfallaufnahme. Nach Einsicht in die Ermittlungsakte regulierte die Beklagte einen Fremdschaden in Höhe von 1.475,74 Euro. Der Kläger, der bis dahin der Schadensfreiheitsklasse 22 angehört hatte, wurde zur Klasse 10 zurückgestuft. Nachdem er zur ... gewechselt war, teilte die Beklagte dieser mit, dass der Kläger zur Schadensfreiheitsklasse 10 gehöre. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Mitteilung, dass er der Schadensfreiheitsklasse 22 angehört habe.

Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe seinerzeit zu Unrecht reguliert. In Wahrheit habe es eine Kollision überhaupt nicht gegeben.

Wegen des klägerischen Vorbringens im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Klageschrift (Bl. 1 - 4 d.A.).

Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, der ... zur Versicherungs- Nr.: ... mitzuteilen, dass der Kläger bis zur Beendigung des Versicherungsvertrages der Parteien am 18.02.2010 der Schadensfreiheitsklasse SF 22 angehört habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Vorbringens der Beklagten wird Bezug genommen auf die Klageerwiderung vom 7.6.2011 (Bl. 30 - 35 d.A.).


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Berichtigung ihrer Mitteilung zur Schadensfreiheitsklasse nicht zu. Er ist unter dem rechtlichen Gesichtspunkt eines auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruches nach den Grundsätzen einer positiven Vertragsverletzung bezogen auf das zwischen den Parteien seinerzeit bestehende Versicherungsverhältnis zwar denkbar. Jedoch sind die anspruchsbegründenden Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Es fehlt am objektiven Tatbestand einer Pflichtverletzung durch die Beklagte. Aus § 10 Ziffer 1 AKB ergibt sich, dass die Pflicht des Haftpflichtversicherers aus dem Versicherungsvertrag nach Eintritt des Versicherungsfalles dahin geht, begründete Schadensersatzansprüche im Rahmen des übernommenen Risikos zu befriedigen und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Gemäß § 10 Ziffer 5 AKB gilt der Versicherer dabei als bevollmächtigt, alle ihm zur Befriedigung oder Abwehr der Ansprüche zweckmäßig erscheinenden Erklärungen im Namen der versicherten Personen abzugeben. Ob der Versicherer also freiwillig zahlt oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, ob der geschädigte Dritte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach eigenem Ermessen. Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des Versicherers verlangen, wenn also etwa, wie hier, ein Schadensfreiheitsrabatt des Versicherungsnehmers auf dem Spiel steht (vgl.: BGH, Versicherungsrecht 1981, Seite 180, 181). Der Versicherer ist dann gehalten, sich ein hinreichend genaues, umfassendes Bild über die Umstände zu verschaffen, aus denen die drohenden Ansprüche hergeleitet werden, die Rechtslage sorgfältig zu prüfen und die Aussichten für eine Abwehr der Ansprüche nach Grund und Höhe möglichst zuverlässig einzuschätzen (BGH, a.a.O.). Gleichwohl räumt § 10 Ziffer 5 AKB dem Versicherer bei Regulierungsfragen einen gewissen Ermessensspielraum ein, der vor allem und gerade bei zweifelhafter Sach- oder Rechtslage Platz greift (vgl.: BGH, Versicherungsrecht 1967, Seite 149; BGH, Versicherungsrecht 1968, Seite 241). Dementsprechend handelt nach vorherrschender Rechtsprechung der Versicherer weder unsachgemäß noch pflichtwidrig, der in Zweifelsfällen Ersatz leistet, um zeitraubende und aufwendige Ermittlungen zu ersparen und das Risiko eines Prozesses zu vermeiden, selbst wenn er dabei Ansprüche befriedigt, die möglicherweise ungerechtfertigt sind (vgl.: Landgericht Weiden, ZfS 1983, Seite 53; Amtsgericht Dortmund, ZfS 1983, Seite 53, 54; Amtsgericht Augsburg, ZfS 1983, Seite 54). Der Versicherungsnehmer kann danach die mit der Rückstufung im Schadensfall verbundenen Vermögensnachteile aus dem Rechtsgrund der positiven Vertragsverletzung nur dann vom Versicherer ersetzt verlangen, wenn dieser völlig unsachgemäß reguliert, insbesondere offensichtlich unbegründete Schadensersatzansprüche befriedigt hat (vgl.: Landgericht Mönchengladbach, Recht und Schaden 1998, Seite 271; Amtsgericht Charlottenburg, ZfS 1980, Seite 14, 15; Amtsgericht Münster, Versicherungsrecht 1982, Seite 1045; Amtsgericht Mayen, Recht und Schaden 1991, Seite 363).

Unter Zugrundelegung vorgenannter Kriterien kann eine Pflichtverletzung der Beklagten im vorliegenden Fall nicht bejaht werden. Sie hat erst reguliert, nachdem sie Einsicht in die polizeiliche Unfallakte genommen hat. Danach hat die Polizei an beiden Fahrzeugen Beschädigungen festgestellt. Hinzu kommt, dass nach der polizeilichen Unfallaufnahme die das Fahrzeug des Klägers seinerzeit führende Ehefrau des Klägers ihre Unfallverursachung sogar eingeräumt haben soll. Jedenfalls ist in der Verkehrsunfallanzeige unter der Rubrik "Ich gebe den Verkehrsverstoß zu" das Kästchen, welches mit "Ja" bezeichnet ist, angekreuzt, darunter befindet sich die Unterschrift der Ehefrau des Klägers. Letztlich hat die Beklagte eine Stellungnahme der vom Geschädigten benannten Zeugin eingeholt, die sodann bestätigt hat, einen Kollisionsknall gehört zu haben und sodann das klägerische Fahrzeug mit dem Heck an der hinteren linken Seite des Fahrzeugs des Geschädigten stehend gesehen zu haben. Damit sprach nach Aktenlage im Ergebnis alles für eine Unfallverursachung durch das bei der Beklagten versicherte Klägerfahrzeug. Nimmt man die relative Geringfügigkeit des in Rede stehenden Schadens hinzu, war eine Regulierung durch die Beklagte in dieser Situation nicht pflichtwidrig. Insbesondere wurden keine offensichtlich unbegründeten Ansprüche reguliert. Dass der Kläger selbst bzw. möglicherweise nunmehr auch seine Ehefrau eine Kollision bestreiten, reicht für sich genommen nicht aus, die Beklagte zu verpflichten, vor der Regulierung etwa ein kostenträchtiges Sachverständigengutachten einzuholen. Nach Aktenlage, insbesondere der "neutralen" Zeugenaussage, bestand ein nicht unerhebliches Prozessrisiko, welches durch die Regulierung vermieden werden durfte. Damit hat die Beklagte im Ergebnis ihr Regulierungsermessen eindeutig nicht überschritten, weswegen eine objektive Verletzung der Pflichten aus dem Versicherungsvertrag gegenüber dem Kläger zu verneinen ist. Dementsprechend musste die Klage abgewiesen werden, ohne dass es darauf ankommt, ob die vom Kläger bestrittene Kollision nun tatsächlich vorgelegen hat oder nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Der unter Ziffer 4) tenorierte Streitwertbeschluss beruht auf § 3 ZPO.