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Kammergericht Berlin Beschluss vom 14.09.2010 - 6 U 205/09 - Leistungsfreiheit wegen Verschweigen eines schweren Vorschadens

KG Berlin v. 14.09.2010: Leistungsfreiheit in der Kaskoversicherung wegen Verschweigen eines schweren Vorschadens


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 14.09.2010 - 6 U 205/09) hat entschieden:
Der Kaskoversicherer wird gem. § 28 VVG wegen einer arglistigen Obliegenheitsverletzung des Versicherungsnehmers leistungsfrei, wenn dieser trotz mehrfacher Nachfrage wider besseren Wissens einen bekannten erheblichen Vorschaden verschweigt.


Siehe auch Verschweigen von Vorschäden gegenüber der Kaskoversicherung und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung


Gründe:

In dem Rechtsstreit B ./. H F und P V AG wird auf die Berufungsbegründung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf folgendes hingewiesen:

Nach Vorberatung der Sache beabsichtigt der Senat, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen. Der Senat misst dem Berufungsvorbringen keine Erfolgsaussicht bei. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert sie eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

I. Der Senat stimmt mit dem Landgericht im Ergebnis überein, dass dem Kläger kein Anspruch auf die Versicherungsleistung aus dem bei der Beklagten abgeschlossenen Kaskoversicherungsvertrag zusteht.

Anwendbar ist das Versicherungsvertragsgesetz in der ab 1.8.2008 geltenden Fassung (künftig: VVG). Die Parteien sind übereingekommen, das Vertragsverhältnis ab 1.8.2008 nach neuem Recht zu behandeln.

Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger ein Anspruch wegen eines Diebstahls seines bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeugs zustand, denn die Beklagte ist jedenfalls von einer Leistungspflicht nach § 28 Abs. 2 VVG wieder frei geworden.

Nach § 28 Abs. 2 VVG wird der Versicherer von seiner Leistungspflicht vollständig bzw. teilweise frei, wenn der Versicherungsnehmer ihm nach dem Vertrag obliegende Aufklärungspflichten, die nach dem Versicherungsfall zu erfüllen sind, verletzt. Nach den hier vereinbarten Versicherungsbedingungen, § 7 Abs. I (4) AKB (Stand 1.9.2006), ist der Kläger gehalten alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes sowie zur Minderung des Schadens dienlich sein kann und dabei die Weisungen der Beklagten zu befolgen.

Vollständige Leistungsfreiheit gemäß § 28 VVG tritt ein, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit vorsätzlich verletzt. Sie tritt auch unabhängig davon ein, ob sich aus diesem Verstoß nachteilige Auswirkungen auf die Ermittlungen des Versicherers zum Schadensfall i.S.v. § 28 Abs. 3 VVG ergeben haben, wenn der Versicherungsnehmer arglistig gehandelt hat, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG.

Der Kläger hat die vertragliche Aufklärungsobliegenheit arglistig verletzt, indem er die verschiedenen Fragen der Beklagten zur Ermittlung der Schadenshistorie des versicherten Fahrzeugs stets verneinend beantwortet hatte.

Tatsächlich hatte das Fahrzeug im Frühjahr 2008 einen Heckschaden und am 7.5.2008 einen Schaden an der linken Fahrzeugseite erlitten. Der letztgenannte Schaden wird in dem Gutachten des vom Kläger beauftragten Sachverständigen M (vom 13.5.2008) folgendermaßen beschrieben: "Gesamte linke Seite des Fahrzeuges beschädigt, Kotflügel vorn am Radhausbogen eingedrückt, beide Türen und Seitenwand hinten in gleicher Höhe eingedellt –Spaltmaß der Türen verändert- Anstoß und Kratzspuren am Reifen, der Felge und der Stoßstange vorn, Lenkradstellung sichtbar verändert, Grenzwerte des Herstellers – außerhalb der Toleranzwerte vorn links."Die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten betrugen 5.077,38 EUR brutto. Zum Ausmaß des (weiteren) Heckschadens liegen im Rechtsstreit zwar keine konkreten Angaben vor. Dass es sich dabei um einen unbedeutenden Schaden gehandelt hatte, kann allerdings ausgeschlossen werden, weil der Kläger dem Vortrag der Beklagten nicht substantiiert entgegen getreten ist, wonach ein (fachkundiger) Zeuge, der im polizeilichen Ermittlungsverfahren vernommen worden war, den Heckschaden als den schwereren der beiden Fahrzeugschäden bezeichnet hatte.

Diese Vorschäden hat der Kläger arglistig verschwiegen, als er im Schadensanzeigeformular der Beklagten am 17.7.2008 (Anlage zum SS. d. Bekl. v. 25.3.2009) sowie im Ergänzungsformular zur Schadenmeldung am 11.8.2008 (Anlage a.a.O.) sowie mit seinen handschriftlichen Zusätzen auf dem Schreiben der Beklagten vom 4.8.2008 (Anlage a.a.O.) entsprechende Fragen mit "nein" beantwortete.

Die Fragen sind entgegen der Verteidigung des Klägers auch nicht missverständlich. Die Fragen im ersten Formular lauten "Frühere reparierte Beschädigungen des Fahrzeuges: ...." und "Zum Diebstahlzeitpunkt am Fahrzeug vorhandene Mängel und unreparierte Schäden (auch Kleinschäden): ....". Da einerseits Angaben zu reparierten und andererseits zu nicht reparierten Schäden verlangt werden, ist ausgeschlossen, dass ein Versicherungsnehmer, der sich mit der gebotenen Aufmerksamkeit mit den Fragen beschäftigt, zu dem Verständnis gelangt, dass lediglich nicht reparierte Schäden eingetragen werden sollen. Dieses gilt auch für den Kläger, der die deutsche Sprache nicht als Muttersprachler spricht, aber doch – wie das Landgericht aufgrund der persönlichen Anhörung des Klägers festgestellt hat - ausreichend sicher beherrscht, zumal die Formulierungen unter Verwendung alltäglicher Standardbegriffe kurz und klar gehalten sind. Abgesehen davon ist ein der deutschen Sprache nicht ausreichend kundiger Versicherungsnehmer auch verpflichtet, sich unklare Fragen – je nach Sprachvermögen - erklären oder übersetzen zu lassen, um seine vertraglichen Obliegenheiten zu erfüllen. Noch deutlicher sind die Fragen im zweiten Formular: " 10.1 Hat das Fahrzeug nach dem Kauf Beschädigungen erlitten? Falls ja, wann? " "10.3 Wer reparierte das Fahrzeug (Name + Anschrift)?" "10.4 Wie hoch waren die Reparaturkosten?". Auch hier hatte der Kläger jede einzelne Frage verneint. Unmissverständlich ist schließlich auch die Aufforderung im Schreiben der Beklagten vom 4.8.2008 "Wir bitten auch, eventuell vorhandene Gutachten zu Vorschäden beizufügen", die der Kläger handschriftlich mit dem Zusatz "keine vorhanden" versehen hatte (obwohl ihm das Schadensgutachten zum letzten Unfallschaden ca. 2,5 Monate zuvor übersandt worden war).

Dem Kläger ist vorzuwerfen, die Aufklärungsobliegenheit arglistig verletzt zu haben. Arglist ist bei jeder wissentlichen oder "ins Blaue hinein" gemachten falschen Angabe gegeben, wenn das Verhalten des Versicherungsnehmers (mindestens bedingt) vorsätzlich darauf gerichtet ist, dem Versicherer einen Nachteil zuzufügen (Prölss in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 28 Rn. 116 ff. m. N. d. BGH-​Rspr.). Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer fürchtet, dass er im Falle richtiger Angaben nicht in den Genuss der Versicherungsleistung kommt (vgl. dazu die Nachweise zur BGH-​Rspr. bei Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 34 Rn. 22). Ausreichend ist darüber hinaus auch, dass der Versicherungsnehmer Beweisschwierigkeiten überwinden oder den Versicherer von an sich gebotenen Ermittlungen abhalten will (Prölss, a.a.O., Rn. 117; BGH VersR 91, 1129, juris-Rz. 20; 2009, 968, juris-​Rz. 10). Angesichts der oben geschilderten Vorschäden sowie der mehrfachen, also hartnäckigen Fehlinformationen seitens des Klägers ergeben sich nach dem vorgetragenen Sachverhalt keine Zweifel daran, dass der Beweggrund des Klägers für die geschilderten Antworten der Beklagten war, Ermittlungen der Beklagten zu den Schäden wie auch eine Kürzung der Versicherungsleistung wegen dieser Schäden zu vermeiden.

Der Kläger erhält Gelegenheit innerhalb von zwei Wochen zu den Hinweisen des Senats Stellung zu nehmen und ggfs. im Kosteninteresse die Berufung zurückzunehmen.