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VGH München Beschluss vom 24.03.2014 - 11 CE 14.11 - Bindung der Fahrerlaubnisbehörde bei Einstellung des Ermittlungsverfahrens

VGH München v. 24.03.2014: Zur Bindung der Fahrerlaubnisbehörde bei Einstellung des Ermittlungsverfahrens


Der VGH München (Beschluss vom 24.03.2014 - 11 CE 14.11) hat entschieden:
Die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153 a Abs 2 StPO bedeutet nicht, es sei davon auszugehen, dass die Straftat nicht begangen wurde. Die Verwaltungsbehörde kann dieselben Beweismittel heranziehen wie das Strafgericht und ist an dessen Bewertung nicht gebunden.


Siehe auch Die Bindungswirkung des Strafurteils bzw. der Entscheidung im Ordnungswidrigkeitenverfahren gegenüber der Verwaltungsbehörde bei der Beurteilung der Fahreignung und bei Probezeitmaßnahmen und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im einstweiligen Rechtschutzverfahren die Erteilung einer Fahrerlaubnis.

Mit Urteil des Amtsgerichts H... vom 17. Oktober 2012, rechtskräftig seit 4. März 2013, wurde der Antragsteller der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (Tattag: 26.4.2012, Blutalkoholkonzentration 1,52 Promille) schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen und eine Sperre von 6 Monaten für die Neuerteilung angeordnet.

Am 10. Januar 2013, um 23:55 Uhr, wurde der Antragsteller als Radfahrer eine Verkehrskontrolle unterzogen. Eine Blutentnahme am 11. Januar 2013 um 0:12 Uhr ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,41 Promille. Nach Einspruch des Antragstellers gegen den ergangenen Strafbefehl stellte das Amtsgericht H... in der öffentlichen Sitzung am 25. Juni 2013 das Verfahren mit Zustimmung des Antragstellers und der Staatsanwaltschaft gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig ein. Dem Antragsteller wurde zur Auflage gemacht, 300 Euro an ein Tierheim zu bezahlen.

Der Antragsgegner forderte vom Antragsteller die Beibringung eines medizinisch- psychologischen Gutachtens zuletzt mit Schreiben vom 5. November 2013 wegen der Taten vom 26. April 2012 und vom 10. Januar 2013 gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV.

Der Antragsteller legte kein Gutachten vor. Da das Verfahren wegen des Vorfalls am 10. Januar 2013 eingestellt worden sei, liege kein Nachweis vor, dass der Antragsteller das Fahrrad geführt habe. Vielmehr habe er es geschoben. Im Verfahren gegen die Untersagung des Führens von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen trug der Antragsteller vor, die Einstellung des Strafverfahrens sei vor allem deshalb erfolgt, weil der Zeuge, Polizeiobermeister L..., sich in der Hauptverhandlung nicht habe daran erinnern können, gesehen zu haben, dass der Antragsteller mit dem Fahrrad gefahren sei, sondern lediglich den Eindruck hiervon gehabt habe. Auf Nachfrage habe er einräumen müssen, keinen Bewegungsvorgang des Antragstellers auf dem Pedalen des Fahrrads gesehen zu haben. Er habe lediglich gesehen, dass der Antragsteller auf dem Fahrrad gesessen sei. Somit sei der Tatbestand des § 316 StGB mangels eines Bewegungsvorgangs nicht verwirklicht.

Nach einem Aktenvermerk des Antragsgegners erklärte Polizeiobermeister L... am 6. August 2013 telefonisch, der Antragsteller sei kurz vor seiner Wohnortadresse auf dem Fahrrad sitzend und rollend beobachtet worden.

Mit Bescheid vom 29. November 2013 lehnte der Antragsgegner den Antrag des Antragstellers auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, AM, L und T ab.

Bereits vorher hatte der Antragsteller Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Ansbach erheben lassen. Den zusätzlich gestellten Antrag, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO aufzugeben, dem Antragsteller eine Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L, T/S zu erteilen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 4. Dezember 2013 ab.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.


II.

Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Antragsteller macht in der Beschwerde erneut geltend, er habe am 10. Januar 2013 das Fahrrad nicht geführt. Der Zeuge habe im Strafverfahren ausdrücklich angegeben, keinen Bewegungsvorgang gesehen zu haben, sondern lediglich, dass der Antragsteller auf seinem Fahrrad gesessen sei. Auch stehe nicht fest, dass der Polizeibeamte ausgesagt habe, den Antragsteller auf dem Fahrrad sitzend und rollend beobachtet zu haben. In der Hauptverhandlung habe der Zeuge das nicht geäußert. Beim bloßen Schieben eines Fahrrads bzw. beim Sitzen auf einem Fahrrad ohne jeglichen Bewegungsvorgang liege kein Führen im Sinne des § 316 StGB vor. Gerade deswegen sei das Strafverfahren gemäß § 153 a Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts. Dieses hat zunächst zutreffend ausgeführt, dass ein Anordnungsanspruch hinsichtlich der Erteilung einer Fahrerlaubnis im einstweiligen Rechtsschutzverfahren voraussetzt, dass zumindest eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen der Fahreignung vorliegen muss. Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung folgt der Senat dem Verwaltungsgericht auch darin, dass hier unabhängig von der Rechtmäßigkeit der Gutachtensbeibringungsanordnung vom 5. November 2013 Eignungszweifel vorliegen, die noch nicht geklärt sind, und die den Antragsgegner grundsätzlich berechtigen, vom Antragsteller die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV zu fordern.

Streitig ist hier ohnehin nur, ob der Antragsteller am 10. Januar 2013 das Fahrrad geführt hat.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedeutet die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153 a Abs. 2 StPO nicht, dass davon auszugehen ist, dass die Straftat nicht begangen wurde. Zwar trifft es zu, dass die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK bei der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO nicht widerlegt wird. Auch darf allein aus der Verfahrenseinstellung auf dieser Rechtsgrundlage, die nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich ist, nicht auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der angeklagten Straftaten geschlossen werden (vgl. BVerfG, B. v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NVwZ 1991, 663). Das verbietet jedoch nicht, in Verfahren mit anderer Zielsetzung Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2009 – 11 CS 09.228 – Juris).

Die Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO bringt keineswegs zum Ausdruck, dass der Tatverdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt wäre. Vielmehr wird darauf abgestellt, ob von der Strafverfolgung unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann, weil die Schwere der Schuld nicht entgegensteht (§ 153 a Abs. 1 Satz 1 StPO). Nach der Kommentarliteratur zu § 153 a StPO muss, ist zweifelhaft, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt ist, die Rechtsfrage geklärt werden; die Anwendung des § 153 a StPO gegenüber einem möglicherweise Unschuldigen ist untersagt (vgl. Meyer-Gossner/Schmitt, StPO, 56. Aufl. 2013, § 153 a Rn. 2 m.w.N.). Es muss nach dem Verfahrensstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden können. Denn nur dann kann dem Angeklagten die Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden (vgl. Pfeiffer, StPO, 3. Aufl. 2001, § 153 a Rn. 2).

Die Verwaltungsbehörde kann sich dabei auf dieselben Beweismittel stützen, wie das Strafgericht und ist an dessen Bewertung nicht gebunden. Hier hat der den Vorgang am 10. Januar 2013 beobachtende Polizeibeamte eine Anzeige wegen einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad erstattet, hat zum Beweis dieser die Durchführung eines Blutalkoholtests veranlasst. Auch wurde ein Strafverfahren gegen den Antragsteller eingeleitet; warum das Verfahren schließlich nach § 153 a StPO eingestellt wurde, ergibt sich aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung nicht, ebenso wenig, was der Zeuge zur Sache ausgesagt hat. Daher hat der Antragsgegner beim Zeugen noch einmal nachgefragt und eine klare Aussage bekommen.

Dafür spricht auch der erste Anschein. Wäre es so, wie der Antragsteller vorträgt, dass der Polizeibeamte in der Hauptverhandlung eindeutig geäußert hätte, den Antragsteller nur sitzend auf dem Fahrrad und ausdrücklich keinen Bewegungsvorgang gesehen zu haben, so hätte es zu einem Freispruch des Antragstellers kommen müssen, da unzweifelhaft das bloße Sitzen auf einem Fahrrad ohne Bewegungsvorgang nicht den Straftatbestand des § 316 StGB erfüllt, weil hierfür ebenso wie bei Kraftfahrzeugen erforderlich ist, dass jemand ein Fahrzeug in Bewegung setzt oder es unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung lenkt (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 315 c StGB Rn. 3a).

Es gibt darüber hinaus ersichtlich keinen Grund, anzunehmen, der Antragsteller, der aussagte, von einer Gaststätte in H... zu kommen, habe sich kurz vor seiner Wohnortadresse auf sein Fahrrad gesetzt, ohne sich fortzubewegen. Ob der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt die Pedale getreten hat, ist, worauf bereits der Antragsgegner hingewiesen hat, nicht erheblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (http://www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php). Die beantragte Fahrerlaubnisklasse T ist zusätzlich anzusetzen, da sie nicht in der Fahrerlaubnisklasse BE enthalten ist (§ 6 Abs. 3 Nr. 4 FeV. Die Befugnis zur Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.