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OLG Braunschweig Beschluss vom 06.08.2013 - 1 Ss (Owi) 107/13 - Voraussetzungen der Schätzung zwecks Anordnung des selbständigen Verfalls

OLG Braunschweig v. 06.08.2013: Zu den Voraussetzungen der Schätzung zwecks Anordnung des selbständigen Verfalls


Das OLG Braunschweig (Beschluss vom 06.08.2013 - 1 Ss (Owi) 107/13) hat entschieden:
  1. Auch wenn § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter die Möglichkeit einräumt, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen, müssen zuvor alle Beweismittel, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten erlangt werden können (hier: Frachtrechnungen), genutzt werden.

  2. Zudem müssen in der gerichtlichen Entscheidung die tragenden Grundlagen der Schätzung mindestens so weit nachvollziehbar angegeben werden, dass für das Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung besteht und erkennbar wird, dass - ggf. auch unter Beachtung des Zweifelssatzes - eine Zuvielbelastung des Betroffenen ausgeschlossen werden kann.

  3. Der bloße Verweis auf einschlägige Kalkulationstabellen - hier: Kostensätze Gütertransport Straße (KGS) - genügt jedenfalls dann nicht, wenn der zur Entscheidung anstehende (Transport-) Fall Anlass gibt, die Anwendbarkeit der Tabellen in Zweifel zu ziehen.

Siehe auch Die Verfallsanordnung im Bußgeldverfahren und Überladung - Ladegewicht - Zuladung


Gründe:

I.

Die Verfallsbeteiligte führt mit Lastkraftwagen Gütertransporte durch. Für die Firma D.B. AG ist sie ständiger Logistikpartner und transportiert regelmäßig Kfz-Teile von Volduchy (CZ) nach Bremen. Am 13. Januar 2012 wurde ihr Fahrer, Herr S., im Bereich des Landkreises Peine auf der BAB 2 kontrolliert. Dabei wurde festgestellt, dass der Sattelzug, deren Halterin die Betroffene ist, im Frontbereich (nach Abzug einer Toleranz von 0,01 m) eine Höhe von 4,08 m aufwies und somit die gemäß § 32 Abs. 2 StVZO zulässige Höhe überschritt. Welchen Transportlohn die Verfallsbeteiligte vereinnahmte, ist nicht festgestellt. Jedoch hat das Amtsgericht unter Zugrundelegung der inländischen Fahrtstrecke von 550 Km (gerechnet ab dem Grenzübergang Asch - die gesamte Fahrstrecke beträgt ca. 670 Km) sowie des Gewichts der Ladung von 17,2 to anhand der „Kostensätze Gütertransport Straße - KGS“ für den Transport einen Betrag von 1.361,44 € geschätzt, wovon es 900,00 € für verfallen erklärt hat.

Gegen dieses Urteil hat die Verfallsbeteiligte Rechtsbeschwerde eingelegt. Sie hat - hilfsweise - beantragt wie erkannt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ebenfalls beantragt wie erkannt.


II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch - jedoch nur zum Rechtsfolgenausspruch - einen zumindest vorläufigen Erfolg.

1. Soweit die Verfahrensrüge erhoben ist und mit der Sachrüge die Voraussetzungen für die Anordnung des selbständigen Verfalls in Zweifel gezogen werden, ist die Rechtsbeschwerde aus den Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 14.06.2013, auf die insoweit Bezug genommen wird, unbegründet i. S. d. § 349 Abs. 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG.

Die Voraussetzungen für die Anordnung des selbständigen Verfalls (§ 29 a Abs. 2, Abs. 4 OWiG) sind gegeben: Es liegt zunächst eine mit Geldbuße bedrohte Handlung vor (§§ 24 StVG, 69 a Abs. 3 Nr. 2, 32 Abs. 2 StVZO). Die Anordnung des Verfalls gegenüber der Betroffenen ist auch berechtigt, weil der Transport für die Verfallsbeteiligte durchgeführt worden ist. Sodann ist es rechtlich zutreffend, dass das Amtsgericht auf der Grundlage des Bruttoprinzips das Entgelt, das die Verfallsbeteiligte für den Transport vereinnahmt hat, als erlangt im Sinne des § 29 a Abs. 2 OWiG angesehen hat (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 30.08.2011, 322 SsBs 175/11, Rdnr. 5 ff.; juris). Das Amtsgericht hat auch in zutreffender Weise klargestellt, dass es sich bei der Anordnung des selbständigen Verfalls um eine Ermessensentscheidung handelt und welche Erwägungen in diese eingestellt wurden (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 08.02.2013, Ss (OWi) 18/13 und vom 18.03.2013, Ss (OWi) 65/13; jeweils nicht veröffentlicht).

2. Allerdings reichen die vom Amtsgericht Braunschweig getroffenen Feststellungen nicht aus, um die Schätzung eines Transportentgeltes in Höhe von 1.361,44 € und folglich auch die Höhe des durch Ermessen davon reduzierten Verfallsbetrages in Höhe von 900,00 € in nachvollziehbarer Weise zu belegen.

Zur Verfahrensvereinfachung räumt § 29a Abs. 3 OWiG dem Tatrichter allerdings ausdrücklich die Möglichkeit ein, den dem Verfall unterliegenden Betrag zu schätzen. Dabei ist unter Schätzung zu verstehen, dass sich der Richter unter Befreiung vom Strengbeweis nach § 244 StPO, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, mit einer vermutlichen Wertannahme begnügen kann (vgl. Fischer, StGB 60. Aufl., Rdnr. 5 zu § 73b). Geschätzt werden dürfen dabei der Umfang des Erlangten sowie der Wert des erlangten Gegenstandes (vgl. Mitsch in Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl., Rdnr. 47 zu § 29a).

Das Amtsgericht beruft sich im vorliegenden Fall zum Beleg seiner Schätzung auf Angaben einer Mitarbeiterin der Verwaltungsbehörde, die (Zitat:) „im Rahmen der mündlichen Verhandlung schlüssig und nachvollziehbar erläutert habe, wie sie den vorgenannten Betrag errechnet und dabei die Besonderheiten des Güterverkehrs berücksichtigt und eher niedrige Werte angenommen und keine Umsatzsteuer berücksichtigt habe“ und führt dazu weiter aus, dass die „Berechnung des Frachtgutes auf der Grundlage der Kostensätze Gütertransport Straße (KGS) bei fehlenden Angaben des Betroffenen nicht zu beanstanden sei.“

Daran bestehen aber schon deshalb Zweifel, weil vor einer Schätzung alle Beweismittel, die ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten zu erlangen sind, genutzt werden müssen (Schmidt in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Rdnr. 3 zu § 73b), eine verfrühte Schätzung also unzulässig ist (KK-Mitsch, a.a.O., Rdnr. 47 zu § 29a OWiG). Dem Senat ist aus einer Vielzahl anderer gleichgearteter Verfahren (bspw. 1 Ss (OWi) 110/13 = 8 OWi 913 Js 37979/12 AG Braunschweig) insoweit bekannt, dass die Frachtrechnungen unproblematisch beschafft werden können, insbesondere durch eine Anfrage bei der Auftraggeberin der Fahrten.

Hinzu kommt Folgendes: Auch wenn das Amtsgericht nur die Transportstrecke innerhalb Deutschlands im Transportgewichtsbereich ab 17,2 Tonnen seiner Berechnung zu Grunde gelegt hat, genügt dies angesichts dessen, dass Einzelheiten immer so weit geklärt werden müssen, bis eine hinreichende Schätzgrundlage gegeben ist (BGHR StGB zu § 73b - Schätzung 1), für die erforderliche Feststellung des Verfallsbetrages nicht. Denn in der gerichtlichen Entscheidung müssen die tragenden Grundlagen zur Schätzung der Höhe des Vermögensvorteils mindestens so weit nachvollziehbar angegeben werden, dass für das Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung besteht (vgl. Göhler, OWiG, 16. Auflage, Rdnr. 27 zu § 29a sowie Rdnr. 45 zu § 17).

Eine solche Überprüfung ermöglichen die Urteilsfeststellungen nicht. Bei den Kostensätzen Gütertransport Straße (Volker Wilken, KGS Ausgabe 2013, Verkehrsverlag Fischer) handelt es sich um tabellarisch aufgeführte durchschnittliche Kostenansätze für den Gütertransport auf der Straße auf einer allgemeinen Basis, bei der keinerlei Berücksichtigung spezifischer regionaler, teilmarktbedingter oder einsatzbedingter Situationen stattfindet und insbesondere auftragsabhängige Kosten und besondere Kosten, die im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr entstehen können, nicht berücksichtigt sind. Die Tabelle III weist dabei Kostenstrukturen und -verläufe auf, bei denen der Frachtführer die Durchführung des Transports ganz wesentlich steuern und beeinflussen kann (wie vor: Ziel und Grundlagen der unverbindlichen Kostensätze Gütertransport Straße, Seite 3). Da es sich nach den Feststellungen des Amtsgerichts vorliegend aber gerade um einen grenzüberschreitenden Transport gehandelt hat, die Betroffene ihren Firmensitz zudem im Ausland hat und weiter festgestellt ist, dass die D.B. AG die Bedingungen, unter denen die - regelmäßig erfolgenden - Transporte stattzufinden haben, im Lastenheft Gebietsspedition Beschaffungslogistik - Europa verbindlich bis hin zu den zu verwendenden Fahrzeugen festgelegt hat, bestehen an der Anwendbarkeit der KGS schon grundsätzliche Bedenken. Aufgrund der ständigen Belieferung der D.B. AG auf derselben Strecke unter gleichgelagerten Bedingungen ist ein deutlich unter den Kostenansätzen KGS liegender Transportlohn zu erwarten.

Mindestens aber hätte das Amtsgericht die die Berechnung tragenden Faktoren selbst nachvollziehbar und detailliert in den Urteilsgründen darstellen sowie erläutern und dabei belegen müssen, dass - ggf. auch unter Beachtung des Zweifelssatzes (vgl. hierzu BGH, NStZ 1989, Seite 361) - eine Zuvielbelastung der Betroffenen ausgeschlossen werden kann.


III.

Wegen dieses Rechtsfehlers im Zusammenhang mit der Schätzung des Verfallsbetrages kann das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben und musste daher entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben und die die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht zurückverwiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde ist dem Amtsgericht vorzubehalten, da derzeit der endgültige Erfolg des Rechtsmittels nicht abzusehen ist.